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In zehn Zellen nebeneinander saßen die zehn Polizeigefangenen und ahnten nicht, daß die so ungemein schlaue Polizei dank einer Trickvorrichtung zwischen je zwei Zellen immer einen Horchposten untergebracht hatte. Vorn an den Türen waren Plakate mit den Namen der Gefangenen.
Man las:
1 Seeräuber Name unbekannt |
2 Albert Stein-Brück (U. S. A.) |
3 Harry Sülstorff |
4 Miß Olem |
5 Ein russisch. Kellner angebl.Name Dubois |
6 Comtess Olga Tscho- chenska |
7 Mechaniker d.s.d. Namen Olem zu- gelegt hat |
8 Unbekannter Verbrecher d.s.f. Kapitän Habel ausg. |
9 Max Sülstorff |
10 Pika |
Anfangs gingen sie wie die wilden Tiere in ihrem Käfig umher. Je nach ihrem Temperament. Die einen nachdenklich, gemessen und mit gesenktem Kopf, die andern schnell, wütend und laut vor sich hinredend. Der an unabsehbare Wildnis gewöhnte Dieferle, bei dem Urinstinkte wieder erwachten, kletterte wie ein Affe an den Wänden seiner engen Zelle hoch, während der schöne Harry in aller Ruhe damit beschäftigt war, Frisur und Kleidung vor seinem Taschenspiegel, den er mit der Krawattennadel an der Wand befestigt hatte, in Ordnung zu halten. Olga tanzte nach einer Melodie, die ihr Nachbar zur Linken, Curt Dubois, vor sich hinpfiff, Charleston, während Albert, der Amerikaner, ein Geschäft auskalkulierte und die Wände seiner Zelle mit Zahlen beschrieb. Pina Jeff vertrieb sich die Zeit, indem sie Mannequin spielte, sich entkleidete und ihre Garderobe in den verschiedensten Variationen vorführte. Der Kapitän konstruierte mit Streichhölzern ein Luftschiff, das, kaum fertiggestellt, sich entzündete und ein Raub der Flammen wurde. Paul G. Olem vertrieb sich die Zeit damit, die Wände seiner Zelle mit Bananen zu bekritzeln, während sein Nachbar Max Sülstorff gymnastische Uebungen machte und Max Pika nebenan sich damit beschäftigte, Fliegen und Ungeziefer zu fangen.
Am Ende des Flurs war der Beobachtungsposten des Gefängniswärters. Dank einer Vorrichtung konnte er von seinem Sitz aus jede Zellentür, aber auch sämtliche Türen gleichzeitig öffnen. Ob es aus Langerweile geschah oder ein Trick war? Jedenfalls öffnete er, mit Nr. 10 beginnend, erst jede Zellentür einzeln, so daß man genau jeden einzelnen Gefangenen erkennen und beobachten konnte. Es war also mühelos festzustellen, daß in der Zelle mit der Aufschrift: »Unbekannter, der sich für Kapitän Habel ausgibt« – der alte Olem, in der Zelle des Mechanikers der Kapitän saß. »Ein russischer Kellner« war Curt Dubois, Miß Olems Zelle beherbergte Pina Jeff und in der Zelle des unbekannten Seeräubers tobte Dieferle.
Die Horchposten verzeichneten folgende Dialoge:
Infolge des Lärms erschien der Polizeiassessor Falk von Stein und fragte den Wachtpolizisten, was der Radau zu bedeuten habe.
»Herr Assessor hatten befohlen, daß man die Strafgefangenen machen läßt, was sie wollen, und auch zuläßt, daß sie sich miteinander in Verbindung setzen.«
»Das ist doch nicht gleichbedeutend mit der Verwandlung des Polizeigefängnisses in ein Ballhaus.«
In diesem Augenblick erschienen zwei Beamte mit Eimern und Eßschalen:
»Auf halbe Ration die ganze Gesellschaft!« befahl der Assessor. – Aber diese Strafe erwies sich als unwirksam – und vorteilhaft nur für die beiden Beamten. Denn die Gefangenen von Zelle eins bis Zelle zehn gossen – je nach ihrem Temperament – teils sanft, teils weniger sanft die flüssige Mahlzeit über die Wärter aus – die auf diese Weise mit der Hälfte davonkamen. Dann begannen sie, wieder zu tanzen, und zwar mit so großer Leidenschaft, daß sie es gar nicht bemerkten, als der Assessor gleichzeitig sämtliche Türen öffnen ließ. Sie tanzten weiter, und Nr. 10, den der Assessor gewaltsam aus seiner Zelle zerrte, war so stark in Bewegung, daß er auch auf dem Flur noch eine Zeitlang die Bewegung fortsetzte, ehe er zum Stillstand kam. Und da er seinen Freudentanz mit den Worten:
»Bananen!«
begleitet hatte, so hatte sich dieser monotone Begleittext von Zelle zu Zelle fortgesetzt. Es war daher nur natürlich, wenn der Polizeiassessor den völlig atemlosen Pika jetzt, wo er endlich stillstand, fragte:
»Was bedeutet dieser Bananentanz?«
»Sumatra,« erwiderte Pika. – Und unter diesem Namen hat er sich dann später die Welt erobert. Niemals hat jemand erfahren, daß Pika sein Erfinder war, und daß er seine Entstehung einer unfreiwilligen Improvisation verdankt. Als er zum erstenmal auf der Leinwand erschien, wurde er bejubelt. Und auf Jahre hinaus war »Sumatra« Trumpf. Nie zuvor hat ein Bewohner der Insel diesen Tanz getanzt oder auch nur gesehen. Europa importierte ihn nach den niederländisch-indischen Kolonien, und die Eingeborenen staunten.
Aber nicht nur Max Pika, auch die übrigen Polizeigefangenen tanzten, ohne sich dessen bewußt zu werden, aus ihren Zellen heraus und befanden sich plötzlich auf dem weiten Flur.
»Teufel ja!« rief der Assessor, der selbst bereits anfing, sich im Rhythmus der Uebrigen zu bewegen. – »Was fällt Ihnen ein? Scheren Sie sich in Ihre Zellen!«
Wie vom Schlage getroffen standen sie plötzlich still – in der Pose, die sie gerade einnahmen, als der Ruf des Beamten sie aus ihrem, durch Suggestion erzeugten Tanz herausriß. Sie besannen sich, machten kehrt und strebten in ihre Zellen zurück. Dieferle, der sich mit dem Seeräuber nicht identifizieren wollte und zur Wehr setzte, wurde gewaltsam in seine Zelle gebracht.
Der Polizeiassessor aber sah mit diesem Gemeinschaftstanz den Beweis für die politische Geheimbündelei und Zusammengehörigkeit der Bande erbracht. –