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Am 27. Oktober nachmittags traten wir unsere Reise nach Brasilien an. Begünstigt durch die sog. Passatwinde hatten wir die angenehmste Fahrt. Je mehr wir uns dem Äquator näherten, um so unbeständiger wurde die Witterung. Am 26. November 1803 passierten wir den Äquator. Dieses Ereignis ist jedem Europäer interessant genug, um in seinem Tagebuch angemerkt zu werden. Weit merkwürdiger aber mußte der heutige Tag für die Russen sein, da sich bis jetzt die Schiffahrt dieser großen Nation noch niemals bis in diese Gewässer ausgedehnt hatte und unsere Schiffe die ersten waren, welche sich der südlichen Hälfte des Erdballes näherten. Jeder einzelne war froh gelaunt, und jedem wurde der heutige Tag zu einem Fest.
Als wir gegen zehn Uhr morgens den Äquator querten, zogen unsere beiden Schiffe, die »Nadeschda« und die »Newa«, die russische Flagge auf. Einem alten Herkommen gemäß wird jeder, der den Äquator passiert, ins Wasser getaucht oder doch wenigstens begossen; auch bei uns wurde diese Sitte eingehalten. Ein Matrose, dem nichts an natürlicher Munterkeit und Lebhaftigkeit fehlte, hatte sich, um dem Ganzen mehr Nachdruck zu geben, als Neptun verkleidet. Dieser Meeresgott trug allerdings ein Kostüm, das eher für den Nord- oder Südpol passend gewesen wäre; denn am Äquator hat er sich wahrscheinlich noch niemals in einer so sonderbaren Pelzbekleidung gezeigt. In der Hand führte er statt des Dreizacks eine Harpune, mit der wir sonst die Fische erlegten. Mit unbegreiflicher Behendigkeit schöpfte er einen Eimer Wasser nach dem ändern und begoß damit die Umstehenden. Bedenkt man, daß wir zwischen 22 - 23 Grad Reaumur Hitze hatten, so kann man sich leicht vorstellen, wie heiß es diesem guten Manne unter seiner dicken Vermummung geworden sein mag. Damit der Mannschaft dieser denkwürdige Tag der russischen Schiffahrt in guter Erinnerung bleiben möchte, ließ der Gesandte v. Resanoff feierlich allen Matrosen ein Geldgeschenk überreichen. Kapitän v. Krusenstern, der Gesandte und alle Offiziere wurden schließlich einer nach dem ändern mit Hurra hochgehoben und auf den Händen geschwungen. Mit diesem Brauch erwiesen die Russen ihren Vorgesetzten die größte Achtung und Ehrung.
Endlich am 12. Dezember erblickten wir die Küste Brasiliens, und zwar das Kap Frio. Dieses Land war schon seit Wochen unser Gesprächsthema gewesen. Viele von uns hätten gewünscht, daß die in der Nachbarschaft dieses Kaps gelegene ansehnliche Handelsstadt Rio de Janeiro angelaufen worden wäre. Der Kapitän steuerte jedoch, um eine Zollvisitation zu vermeiden, die etwas südlicher davon gelegene Insel St. Catharina an, die ebenso viele Vorzüge wie andere Erfrischungsorte hat, und die auch der unsterbliche Lapérouse einst aufsuchte. Es fiel uns verschiedentlich auf, daß die See stellenweise eine rote Färbung zeigte. Genauere Untersuchung ergab, daß diese Tönung durch zahlreiche kleine Krebse hervorgerufen wurde, welche die Oberfläche des Meeres belebten.
Am 18. Dezember sichteten wir die Insel St. Catharina, und schon bewillkommneten uns in einer Entfernung von 60 bis 80 Seemeilen mehrere Schmetterlinge, die wahrscheinlich durch starken Wind vom Lande abgetrieben waren. Unsere Hoffnung, diesen Abend oder spätestens am folgenden Morgen vor Anker zu liegen und die herrlichen Früchte Brasiliens genießen zu können, wurde schwer enttäuscht. Ein starkes Gewitter mit Böen und Regenschauern zwang uns, bei starkem Südost vom Lande wegzusteuern und auf den Wellen der hohen See unsere Sicherheit zu suchen. Dieser frische Wind hielt länger an, als wir wünschten, und erst am 20. konnten wir es wagen, uns der Küste wieder zu nähern und den Hafen aufzusuchen.