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Um die Kaluschen näher kennenzulernen, wollte ich sie in ihrer Siedlung an der Nordostseite der Insel aufsuchen. Zwar rieten mir Herr v. Baranoff und Herr v. Resanoff davon ab; da sich aber Herr D Wolf, der Kapitän eines hier liegenden amerikanischen Seglers, und außerdem als Dolmetscherin eine Häuptlingstochter, die lange Zeit unter den Russen gelebt hatte, anschließen wollten, hatte ich keine Bedenken. Wir versorgten uns mit Proviant und Tauschwaren und fuhren in dreisitzigen Lederbooten, die von Alëuten bedient wurden, am 26. Oktober ab. Bei schönem Wetter umrundeten wir den Berg Edgecumbe, erreichten noch am Vormittag die Mündung der Inselbucht und nahmen dann nordöstlichen Kurs.
Anfänglich war der für große Fahrzeuge schiffbare Kanal, den wir jetzt verfolgten, weit und geräumig, die Ufer steil, hin und wieder felsig, zum Teil auch bis zum Fuß der Berge mit dunklem Nadelgehölz bedeckt. Nach einer Weile traten aber die Ufer immer mehr von beiden Seiten zusammen und bildeten eine enge Durchfahrt mit einer außerordentlich starken Strömung, gegen die unsere Alëuten nicht anrudern konnten. Die Sonne war bereits im Sinken und nötigte uns zur Landung. Von Kälte erstarrt und übermüdet suchten wir trockenes Holz und Süßwasser, um uns eine Mahlzeit zu bereiten.
Während wir so beschäftigt waren, näherte sich uns ein Boot mit Eingeborenen, die unserer Dolmetscherin bekannt waren. Sie schlugen sogleich ihr Zelt in unserer Nachbarschaft auf. Dieses bestand aus zwei in die Erde gerammten Gabelstangen, über die eine dritte quer darübergelegt war. An diese lehnten sie schräg zum Erdboden einige Äste und darauf wieder mitgebrachte dünne Bretter oder Baumrindenstücke. Diese dachförmige Wand des halboffenen Zeltes wurde der Windseite zugekehrt und davor ein großes Feuer angemacht, das die Menschen in ihren Felldecken einigermaßen gegen die Nachtkälte schützte.
Am nächsten Morgen war uns die Flut für die Weiterfahrt günstig. Kaum hatten wir uns jedoch der Durchfahrt genähert, so wurde die Strömung so reißend, daß wir uns im Sturze eines Wasserfalles zu befinden glaubten und nicht mehr imstande waren, unsere Boote zu regieren. An der engsten Stelle traten die Uferwände bis auf 150 Klafter aneinander heran, doch war die Durchfahrt felsenfrei. Sobald wir diese Meerenge passiert hatten, öffnete sich uns ein weites ausgedehntes Becken. Buchten, Inseln, Felsen wechselten miteinander ab. Wir hatten leider Gegenwind und konnten schwerlich noch heute unseren Bestimmungsort erreichen. Am östlichen Ufer entdeckten wir plötzlich eine Rauchsäule, auf die wir rasch zuruderten, um noch vor Einbruch der Nacht eine menschliche Behausung zu finden.
Als wir bei der Landung niemanden am Ufer sahen, wollte ich einen der Alëuten, der die Landessprache etwas verstand, zur Hütte schicken, doch bedeutete uns die Dolmetscherin, daß uns der Hauswirt selbst einladen müsse. So warteten wir in unseren Booten, bis der Hausherr kam und uns an Land bat. Wir fanden eine kleine Bretterhütte; sie war etwas länger als breit, mit dünner Baumrinde bedeckt und wurde durch ein großes Feuer in der Mitte des Raumes erwärmt. Einige Dachöffnungen und die Tür ließen den Rauch abziehen, das Innere glich aber eher einer Räucherkammer als einer Wohnung. Aufgehängte Fische und Unsauberkeit bestärkten diesen Eindruck. Der Hausherr hatte seine Schlafstelle gegenüber der Tür, und ringsumher waren einzelne, nur durch einen Balken bezeichnete Abteilungen für die übrigen 12-15 Familienmitglieder. Wir wurden mit frisch gekochten Fischen bewirtet und überließen uns dann ermüdet dem erquickenden Schlaf.
Als wir am nächsten Morgen unser Quartier verließen, sahen wir auf dem entfernten nördlichen Ufer eine weitere Hütte, die wir nicht unbesucht lassen wollten. Hier wohnte der Häuptling Schinchetaez, der einzige des Kaluschenstammes, der sich gleich von Anbeginn an als ein Freund der Russen gezeigt und sich dadurch den Haß seiner Landsleute zugezogen hatte. Er lebte jetzt verachtet und einsam mit seiner Familie für sich. Nach einem guten Fischgericht trennten wir uns von dem freundlichen Manne, da wir noch die immerhin 10-15 Werst entfernte Siedlung erreichen wollten. Wind und Wellen standen gegen uns, nur langsam kamen wir vorwärts. Als sich die Nacht plötzlich niedersenkte und wir unser Ziel immer noch nicht erreicht hatten, waren wir doch sehr in Sorge. Umzukehren war unmöglich, denn dunkle Nacht verhüllte jedwede Sicht. In der Nähe der Siedlung eine Landung zu versuchen, hätte uns verdächtig gemacht. Plötzlich ertönte vom Land her ein Alarmschuß, und einige hundert Indianer mit Flinten und Fackeln tauchten am Ufer auf. Ihr Anblick wirkte nicht gerade erfreulich. Als wir uns jedoch zu erkennen gaben, wurden wir mit allem Ungestüm empfangen und im wahrsten Sinne des Wortes über eine kleine Strecke Weges auf den Händen getragen. Es war dies ein Beweis größter Achtung und Ehrerbietung, die einem Gast erwiesen werden kann. In Begleitung vieler Fackelträger ging es nun zu der festungsartigen Siedlung, deren Zugang durch ein großes Verhau, das wir teils überklettern, teils umgehen mußten, erschwert war.
Man brachte uns sogleich in die sehr geräumige Hütte des Häuptlings Dlchätin, des Vaters unserer Dolmetscherin, der uns aufs freundlichste willkommen hieß. Während wir unser Nachtmahl verzehrten, wurden wir durch einen harmonischen Gesang vieler Menschen, die sich um das Feuer gelagert hatten, unterhalten. Noch nie habe ich es mehr bedauert, so wenig von Musik zu verstehen, wie jetzt; ich hätte sonst diese gefällige Melodie sogleich zu Papier gebracht.
Am 29. früh wurden wir durch den ersten Schnee, der in diesem Herbst fiel, überrascht. Wir teilten heute unsere Geschenke, wie Stoffe, Messer, Tabak, Glaskorallen u. a., aus und konnten von jetzt an es wagen, ungehindert in der Nachbarschaft der Festung umherzuschweifen.