Langsdorff
Eine Reise um die Welt
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Aufenthalt in Japan

Die Wichtigkeit eines sechsmonatigen Aufenthaltes der Russen in Japan läßt mich manches ausführlicher schildern, als es sonst der Fall wäre.

Kaum lagen wir vor Anker, als uns wieder Offiziere aufsuchten und die gleichen Fragen wie ihre Vorgänger an uns richteten. Es wurde Nacht. Nach und nach postierten sich etwa 20 große und kleine Fahrzeuge um unser Schiff. Eins nach dem andern zog eine bunte Papierlaterne auf, was bei der Menge überaus malerisch wirkte. Gegen 10 Uhr ruderten weitere Fahrzeuge, ebenfalls ein jedes durch eine Laterne kenntlich, auf uns zu. Das eine von ihnen zeichnete sich durch Schönheit und Größe sowie durch zwei hellerleuchtete, mit transparentem Papier geschmückte Laternen aus. Es brachte einen Abgesandten des Gouverneurs mit großem Gefolge. Der Beamte wurde in die zum Empfang bestimmte Kajüte gebeten und nahm sogleich mit übergeschlagenen Beinen auf dem Sofa Platz. Einige Diener stellten trotz der vorhandenen Beleuchtung noch eine Laterne auf und ein Tabakservice, das aus einem Gefäß mit glühender Asche, einem weiteren für Tabak und aus einem kleinen Spucknäpfchen bestand. Die japanischen Dolmetscher knieten im Halbkreis um das Sofa. Wir merkten sehr bald, daß diese Herren uns mehr oder weniger aushorchen wollten, denn sie wiederholten aufs sorgfältigste die gleichen Fragen, die wir schon zum Überdruß von den verschiedenen Offizieren gehört hatten. Sie machten uns noch mit der Bestimmung bekannt, daß Schießpulver, Kanonen und Flinten bis zu unserer Abreise abzuliefern seien und versprachen uns für den kommenden Tag Erfrischungen.

Unser Gesandter ersuchte um eine baldige Audienz beim Gouverneur. Nachdem wir so eine Stunde mit Fragen und Antworten hingebracht hatten, bat uns der japanische Beamte noch, den Leiter der holländischen Faktorei und einige seiner Herren zu empfangen. Wir waren über diese Frage nicht wenig erstaunt und wunderten uns erst recht über die Unterwürfigkeit, welche die Holländer dem japanischen Beamten gegenüber zeigten. Kaum hatten sie nämlich die Kajüte betreten, so wurde einer nach dem andern von den Dolmetschern aufgerufen, um dem japanischen Beamten seine Ehrerbietung zu erweisen. Jeder Holländer mußte sich tief verbeugen und in dieser Stellung so lange verharren, bis die Dolmetscher das Kompliment für beendet erklärten. Sooft die auf dem Teppich in der Kajüte knienden Dolmetscher mit ihrem Vorgesetzten sprachen, machten sie die gleiche Ehrenbezeigung, warfen sich auf die Hände und sprachen mit gesenktem Haupt. Sobald sie geendet hatten, zogen sie die Luft mit einem zischenden Ton ein. Erst nach Mitternacht verließ uns der hohe Besuch.

Am nächsten Tag erhielten wir die angekündigten Nahrungsmittel: Hühner, Enten, Rettiche, Reis und Fische. Wenig später wurde uns durch Dolmetscher der Besuch des Schatzmeisters, der im gleichen Range wie der Gouverneur steht, angekündigt. In Begleitung mehrerer Boote nahte ein großes, mit vielen Flaggen und Ehrenzeichen geschmücktes und mit blauen und weißen Vorhängen versehenes Fahrzeug, dessen Ruder nach Paukenschlägen und Rufen im Takte bewegt wurden. Die Japaner nahmen wieder in der Kajüte auf ihre Weise Platz. Unser Gesandter, Herr v. Resanoff, verlangte für unser Schiff einen sicheren Ankerplatz, der uns schließlich nach Ablieferung der Waffen zugestanden wurde. Auf Befehl der japanischen Beamten kamen etwa 60 Boote herbei, die unser Schiff mit starken Tauen zu unserem neuen Liegeplatz brachten. Auch heute war es den holländischen Herren wieder erlaubt, uns zu besuchen. Sie leisteten uns, da sie deutsch, englisch und französisch, wir aber nur gebrochen holländisch sprachen, bei den Verhandlungen wertvolle Dienste. Als der Vorstand der holländischen Faktorei die Kajüte betrat, wollte er sogleich unseren Gesandten begrüßen, doch nahmen ihn die Dolmetscher höflichst bei den Armen, drehten ihn sanft um und sagten, zuerst müsse er dem »Großen Herren« (Banjo) eine Ehrenbezeigung machen. Dies geschah auf eine, nach unseren Begriffen recht erniedrigende Art; er mußte nämlich eine Zeitlang mit tief gebeugtem Haupte und hängenden Armen vor dem hohen Beamten stehen und durfte nicht wagen, seinen Kopf hochzunehmen. Als es ihm aber doch zu lange dauerte, drehte er den Kopf nach einer Seite und fragte einen der japanischen Dolmetscher: »Kan ik wederom opstan?« Ein ähnliches Kompliment mußte er auch noch den übrigen Beamten machen, ehe er unseren Gesandten begrüßen konnte. Herr Baron v.Papst, der schon vorher seine Gedanken sehr freimütig über diese Behandlung geäußert hatte, wollte sich heimlich aus der Kajüte schleichen, um dadurch dem Zeremoniell zu entgehen. Einer der japanischen Dolmetscher, die alle holländisch sprachen, rief aber sogleich: »He! Mynherr Papst! Er je weg gaat, moet je de Groote Herren een Kompliment maaken!« Er mußte also zurückkommen und sich dem einmal angenommenen Gebrauch unterziehen. Leider haben wir die Holländer, die wir als treffliche Menschen kennenlernten, nie wieder sprechen können. Gegen l Uhr verließen uns die japanischen Würdenträger.

Die Gegend um unseren Ankerplatz unweit vom Papenberg war entzückend, die Berge bis zur obersten Spitze unter Kultur, die fruchtbarsten Felder terrassenartig an ihren Abhängen angelegt und von grünen Plätzen, kleinen Waldungen und Buschwerk unterbrochen. Mehrere Dörfer und einzelne Häuser boten mannigfache Abwechslung, und rührige Bauern belebten die reizvolle Landschaft.

Am nahen Ufer sahen wir mehrere Batterien, und in unserer Nachbarschaft hatten sich jetzt 35 Wachtboote postiert. Am 10. Oktober wurden wir wieder von einem hohen japanischen Beamten beehrt, der sich eingehend nach dem Empfehlungsschreiben des Herrn v. Resanoff erkundigte und dieses einsehen wollte. Nach Überreichung einer Abschrift wich die Zurückhaltung der Japaner sichtlich. Wir wurden mit mancherlei Fragen bestürmt, sei es über die Wirtschaftsprodukte Rußlands oder wieviel Schiffe wir schicken könnten, wie lange die Fahrt nach Japan daure, kurz, ihre Neugier war nicht zu befriedigen. Einige Dolmetscher entwickelten auch ein erfreuliches Interesse für die russische Sprache. Die Gelehrigkeit und das Gedächtnis dieser Leute setzte uns in Erstaunen.

Wir schrieben den 12., als mit Tagesanbruch fünf chinesische Dschunken, die jenseits des Papenberges vor Anker gelegen hatten, in See gingen. Sie wurden von japanischen Fahrzeugen bugsiert. Das Geschrei der Mannschaft, die Mühe und Zeit, die sie benötigte, um ein einziges schweres, aus Matten zusammengesetztes Segel auszuspannen, dazu die schwerfällige Bauart der Schiffe zeigten deutlich, wie sehr die Chinesen noch in der Schiffahrt zurück sind.

Gegen Mittag steuerte das fahnengeschmückte Fahrzeug eines Banjo unter Paukenschlägen in Begleitung vieler Boote auf uns zu. Es waren zwei Staatssekretäre, die uns die Kopie des Briefes an den japanischen Kaiser wieder zurückbrachten. Sie wunderten sich nicht wenig, daß der Zar unseren Brief selbst unterschrieben habe, was der japanische Kaiser niemals tue. Der Name des Regenten wird nämlich im ganzen Lande als größtes Staatsgeheimnis betrachtet; die Untertanen erfahren den Namen ihres Herrschers erst nach seinem Tode.

Während der folgenden Tage erhielten wir wegen üblen Wetters keine frischen Nahrungsmittel und mußten uns wieder an Salzfleisch und Schiffskost halten. Als sich schließlich wieder Beamte an Bord einfanden, verhielt sich unser Gesandter, der vielen Zeremonien und des wiederholten Geschwätzes überdrüssig, sehr zurückhaltend und gab zu verstehen, daß sein Befinden nicht das beste sei. Die Japaner meldeten die Ankunft des neuen Gouverneurs und seines Amtsvorgängers, die dem Gesandten ihre Freundschaft und Achtung versicherten und ihn baten, sich mit dem Empfang noch etwas zu gedulden, denn bei seiner hohen Stellung müßte man erst die Verhaltungsbefehle von Hofe abwarten und die nötigen Vorkehrungen treffen, um in Nagasaki alles seinem Stande und seiner Würde entsprechend vorzubereiten.

Das vorgetäuschte Übelbefinden unseres Gesandten hatte eine ganz unerwartete Wirkung, denn unser Schiff wurde nun endlich von etwa 100 Booten zu dem geforderten besseren Ankerplatz jenseits des Papenberges in Sichtweite der Stadt Nagasaki gebracht. Die japanischen Beamten, die wir während dieses Manövers an Bord hatten, bekundeten eine große Wißbegierde. Sie fragten nach den verschiedenen Völkern und Ländern des großen Russischen Reiches, verfolgten auf der Landkarte unsere Reise, wollten den kleinen Taschenglobus sehen, den unser Gesandter einem ihrer Vorgänger gezeigt hatte und der nun das Gesprächsthema in den Gesellschaften von Nagasaki war. Sie erkundigten sich nach den Kunst- und Manufakturwaren und bewunderten unsere astronomischen Instrumente. Kaum waren die Beamten von Bord, so umschwärmte uns neugierig eine unglaubliche Menge großer und kleiner Fahrzeuge mit Gesellschaften beiderlei Geschlechts. Mit einbrechender Dunkelheit zogen sie ihre Laternen auf und boten so einen lieblichen Anblick.


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