Langsdorff
Eine Reise um die Welt
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Tracht und Lebensweise der Marquesaner

Die merkwürdigste Art der Südsee-Insulaner, ihren Körper zu verschönern, besteht jedoch in der Tatauierung. Unter den Europäern, namentlich unter den Wallfahrern nach dem Heiligen Grab und den Matrosen beinahe aller europäischen Nationen, auf den Aleuten, an der Nordwestküste Amerikas, auf den Sandwich-, Freundschafts- und Gesellschaftsinseln, auf der Osterinsel, bei den Neuseeländern und andern Nationen, kurz auf der nördlichen und südlichen Halbkugel, in Ost und West, in der Alten und Neuen Welt findet man bald mehr, bald weniger Spuren dieser Sitte. Bei keinem Volk der Erde ist aber die Tatauierung derartig hoch entwickelt wie bei den Marquesas-Insulanern.

Vollkommen symmetrische Zeichnungen bedecken den Körper der Männer vom Kopf bis zu den Füßen. Viele suchen durch eine schöne Tatauierung ebenso aufzufallen wie bei uns der Träger eines kostbaren Kleides. Obgleich dieser Schmuck keine persönliche Auszeichnung bedeutet, so tragen ihn doch besonders die Vornehmen, weil sie allein die Kosten seiner Anfertigung bezahlen können.

Das Geschäft der Tatauierung wird von einigen Personen als Handwerk geübt. Dazu bedienen sie sich der Flügelknochen des Tropikvogels (Phaeton aetherus), der an einem Ende kammartig ausgezackt und zugespitzt wird und bald halbmondförmige, bald geradlinige, breite oder schmale Tatauierkämme abgibt. Diese werden dann unter einem spitzen Winkel in ein fingerdickes Bambusstäbchen gesteckt, auf das der Punktiermeister mit einem andern Stäbchen so gelind und geschickt aufschlägt, daß die Spitzen kaum durch die Haut dringen. Zunächst werden die Muster auf die Haut gezeichnet. Dazu verwendet man die mit etwas Wasser zu einer dicken Farbe angeriebene Kohle des marquesanischen Brennußbaumes (Aleurites triloba). Ist dies geschehen, dann werden die Muster in der obengenannten Art und Weise eingeschlagen, und die Farbe wird in die Wunde eingerieben. An der tatauierten Stelle entsteht eine leichte Entzündung; es bildet sich ein Schorf, der nach einigen Tagen abfällt, und das schwarzblaue Muster ist sichtbar.

Sobald der Nukahiwer das Jünglingsalter erreicht hat, erhält er seine erste Tatauierung; es ist dies eines der wichtigsten Ereignisse in seinem Leben. Der Tatauierkünstler wird dafür sowohl vorher als auch nach getaner Arbeit mit mehreren Schweinen belohnt. Ihre Zahl richtet sich ganz nach dem Vermögen der einzelnen Personen. Während unseres Aufenthaltes wurde der Sohn des Häuptlings Kätänuäh tatauiert. Als Kind eines Vornehmen erfolgte diese Handlung in einem besonderen Hause, wo der Knabe während dieser Zeit abgesondert lebte. Er war nämlich tabu, d.h. er durfte nicht ausgehen und auch von niemandem besucht werden, es sei denn von einigen wenigen, die von diesem Tabu ausgeschlossen waren, dazu gehörte der Vater. Dagegen war allen Frauen, auch der Mutter, der Besuch des Kindes verboten. Im ersten Jahre werden nur die Umrisse der Hauptmuster an Brust, Armen, Rücken und Schenkeln geschlagen, und zwar derart, daß, solange der Schorf der ersten Figur noch nicht abgefallen ist, ein neues Muster nicht begonnen wird. Jede einzelne Zeichnung erfordert deshalb 3-4 Tage, und die erste Sitzung dauert gewöhnlich 3-4 Wochen.

Während der ersten Operation bzw. des auferlegten Tabus darf der Knabe nicht viel trinken und auch nur mittags und abends essen; man glaubt, damit einer stärkeren Entzündung vorzubeugen. Ist einmal mit der Tatauierung der Anfang gemacht, so werden alle drei oder sechs Monate, zuweilen in noch größeren Zeitabständen, Nebenfiguren und Verschönerungen der Hauptzeichnung hinzugefügt, so daß 30-40 Jahre verstreichen können, ehe der Körper ganz tatauiert ist. Wir sahen einige bejahrte Männer vornehmen Standes, die über und über tatauiert waren, daß man kaum die Einzelheiten der Zeichung erkennen konnte und die Hautfarbe dadurch wesentlich dunkler erschien.

Die Tatauierung weniger bemittelter Personen geschieht gemeinschaftlich in dazu besonders eingerichteten Tabuhäusern, die den Tatauiermeistern gehören und die als ihre Werkstätte anzusehen sind. Ein solcher Künstler, welcher uns öfters an Bord besuchte, besaß deren drei; in einer jeden konnten 8-10 Personen auf einmal aufgenommen werden, die dann nach Umfang und Schönheit der Tatauierung mehr oder weniger bezahlen mußten. Die ärmeren Insulaner, die nicht viel Schweine zu schlachten haben und sich meist nur mit Brotfrucht begnügen müssen, lassen sich von Anfängern in dieser Kunst behandeln, deren Probestückchen auch von einem Fremden sehr rasch erkannt werden. Die ärmste Klasse, meistens Fischer, von denen wir aber nur sehr wenige sahen, können auch diese Bezahlung nicht aufbringen und sind daher gar nicht tatauiert.

Die Frauen tragen nur wenige derartige Muster und unterscheiden sich darin von allen Bewohnerinnen der Südsee. Die Tatauierung der Hände, die sich von den Fingern bis zum Handgelenk erstreckt, läßt sie wie mit einem schönen Handschuh bekleidet erscheinen, seltener ist sie an den Füßen, die dann gleichsam bestickte Halbstiefel vortäuschen. Zuweilen sieht man auch an den Armen Längsstreifen und Ringe um die Handgelenke. Bei sehr wenigen sind auch die Ohrläppchen tatauiert, ja sogar die Lippen bis ins Innere des Mundes, wo sie das Zahnfleisch berühren. Im Gegensatz zu den Männern erfolgt die Tatauierung der Frauen nicht im Tabuhaus und auch ohne alle Zeremonie im Beisein sämtlicher Angehörigen.

Zuweilen veranstaltet ein reicher Insulaner aus Großmut, Ehrgeiz oder zu Ehren seiner Frau ein Gastmahl. Er läßt dazu ein Schwein schlachten und seiner Frau bei dieser Gelegenheit irgendein beliebiges Muster einschlagen. Er verkündet dann seinen Gästen den Grund des Festschmauses, die nach einiger Zeit diese Höflichkeit erwidern und ihre Frau mit dem gleichen Muster punktieren lassen. Es ist das eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Frauen Schweinefleisch zu essen bekommen.

Wenn in einem trockenen Jahre Hungersnot eintritt, so gibt derjenige, der noch den größten Vorrat an Lebensmitteln hat, gewöhnlich ist es der Häuptling, seinen hungrigen Landsleuten davon ab. Diese armen Schlucker bewirtet er eine Zeitlang, und alle Teilnehmer erhalten aus diesem Anlaß ein bestimmtes Zeichen eintatauiert. Kraft eines Tabus sind in der Folgezeit alle diese Ordensbrüder miteinander verbunden und müssen sich gegenseitig in einem ähnlichen Falle mit Nahrungsmitteln unterstützen, wenn einer von ihnen dazu in der Lage ist.

Unserem Gewährsmann Cabri, der fast am ganzen Körper tatauiert war, hatte man bei einer solchen Gelegenheit ein Augenornament eingeschlagen. Der andere Gewährsmann Roberts trug nur ein kleines viereckiges Muster auf der Brust und versicherte uns, daß er sich nie mit dieser Zierde hätte einverstanden erklären können, hätte ihn nicht die im vergangenen Jahre hier herrschende Hungersnot gezwungen, sich unter die 26 Tischgenossen aufnehmen zu lassen, die Kätänuäh, der Häuptling des Tiohai-Tales, damals durchfütterte. Dabei ist es möglich, daß man verschiedenen solchen Gesellschaften gleichzeitig angehört. Auch bei Tanzfesten entstehen ähnliche Schmausgesellschaften. Stets wird darauf gesehen, daß von allen Gerichten der Priester (Taua) einen Teil erhält, wenn er nicht selbst an der Tafel teilnehmen kann.

Die Muster sind für jeden einzelnen Körperteil entsprechend ausgewählt und stellen meist Tiere oder sonst irgendeinen Gegenstand dar, der auf die Lebensart der Inselbewohner Bezug hat. Jedes Muster hat seinen eigenen Namen und besteht aus aneinandergereihten Punkten, Flecken, krummen Linien, Würfeln u. dgl. Sie sind in vollkommenster Symmetrie über den ganzen Körper hinweg verteilt. Der Kopf eines Mannes ist an allen Stellen tatauiert, die Brust gewöhnlich mit einer schildförmigen Figur geschmückt, an den Armen und Schenkeln sind bald schmale, bald breite Streifen so geschickt angebracht, daß man vermuten möchte, die Leute hätten den Verlauf der Muskeln studiert. Am Rücken entlang läuft ein breites Kreuz, das im Nacken seinen Anfang nimmt und beim letzten Rückenwirbel endet. An der oberen und vorderen Seite der Schenkel befinden sich gewöhnlich Figuren, die das Gesicht eines Menschen darstellen. Das Knie hat seine besondere Verzierung. An beiden Seiten der Waden sind zwei ovale Figuren, die sich sehr gut ausnehmen. Kurz, das Ganze verrät viel Geschmack und Geschick, denn selbst die zartesten Körperteile, wie die Augenlider, entbehren nicht dieses Schmuckes.

Die Kleidung dieser Insulaner besteht, wie ich bereits erwähnte, in einem Schamgürtel, der bei Männern tschiabu, bei den Frauen teweu oder teuweu genannt wird. Die Frauen hüllen sich gewöhnlich in ein großes Stück Zeug, das aus dem Bast des Papiermaulbeerbaumes verfertigt ist Wir sahen nur wenige Männer, die ihren Rücken mit Zeug oder einer aus Bast geflochtenen Matte, die auf der Brust oder unter dem Kinn zusammengebunden war, schützten. Mangels besonderer Taschen bewahren sie Kleinigkeiten im Mund auf. Als eines Tages ein Eingeborener mich am Strande mit dem Aufsuchen kleiner Taschenkrebse beschäftigt sah, begleitete er mich und zog schließlich 6 derartige, noch lebende Tiere, die er bei dieser Gelegenheit gefangen hatte, aus dem Mund.

Unter den bereits erwähnten Nahrungsmitteln steht die Brotfrucht an erster Stelle. Sie ist hier wie auf allen Südseeinseln das, was Getreide und Kartoffeln in Europa sind. Der Brotfruchtbaum ist auf den Südseeinseln beheimatet und wurde zuerst durch die großen englischen Seefahrer bekannt. Seine Frucht hat ungefähr die Größe einer Kokosnuß oder Melone und wächst an einem hohen, dickstämmigen und dichtbelaubten Baum, dessen Blätter unserer Eiche ähneln, nur mit dem Unterschied, daß sie größer sind. Die Frucht kann nur gekocht, geröstet oder gebraten genossen werden. Im Geschmack gleicht sie der Banane, ist aber weniger süßlich und nicht so fettig, sie gleicht am ehesten einem aus fernstem Mehl mit Butter, Eiern, Milch und Zucker bereiteten Weißbrot.

Gewöhnlich bereitet man die Brotfrucht auf folgende Weise zu. In einem Erdloch, das mit breiten, glatten Steinen ausgelegt ist, wird lebhaftes Feuer angefacht. Sobald die Steine erhitzt sind, wird die Grube von Asche gereinigt und mit Blättern ausgelegt. Auf diese schichtet man die in Bananenblätter eingewickelten Brotfruchtpakete, bedeckt sie mit Bambusrohr, heißen Steinen und Erde und läßt das Ganze so lange stehen, wie man es für nötig erachtet. Die in einem solchen Erdofen zart gedämpfte und dann mit der aus geschabtem Kokosnußfleisch gepreßten Milch bereitete Brotfruchtspeise, Waikai genannt, ist sehr schmackhaft und beliebt. Wird die Brotfrucht am Feuer geröstet, die äußere Schale abgeschabt, dann mit etwas Wasser oder, wie es bei vornehmeren Leuten üblich ist, mit Kokosnußmilch vermischt, so nennt man dieses Gericht Kakuh.

Die reife Brotfrucht hält sich nur wenige Tage. Aus diesem Grund wird sie zuzeiten großen Überflusses in Stückdien geschnitten und in große, mit breiten Steinen ausgelegte Erdgruben geworfen. Hier geht sie bald in Gärung über, und es entsteht ein Sauerteig, der sich monatelang hält. Die Eingeborenen nennen dieses Nahrungsmittel Popoi. Wird dieser Sauerteig mit Wasser vermischt, so erhält man ein erfrischendes Getränk, im Geschmack ähnlich einer fetten Buttermilch.

Von der Zubereitung anderer Gerichte, die aus einer Mischung von Taro- und Yamswurzeln, von Bananen, Kokosnüssen und anderen Früchten bestehen, habe ich keine genaue Nachricht erhalten können.

Die animalische Nahrung besteht in Schweinefleisch, Fischen und Hühnern. Die letzten beiden kommen kaum in Betracht, dagegen spielen die Schweine und auch Menschenfleisch in ökonomischer und politischer Hinsicht eine große Rolle. Es wird kein Kind geboren, keine Heirat vollzogen, kein Begräbnis begangen, kein Vornehmer tatauiert, kein Tanz, kein Fest oder sonst eine Zeremonie veranstaltet, ohne daß nicht Schweine geschlachtet würden. Man bereitet sie ebenfalls in dem sog. Erdofen zu. Das Salz wird durch Seewasser ersetzt. – Fische und Krebse sind nicht sehr geschätzt, und von einer Hühnerzucht kann auch nicht die Rede sein. Das Federvieh hält man hauptsächlich der Federn wegen, vor allem wurden die Hähne von Zeit zu Zeit ganz kahl gerupft. Katzen trafen wir in unbewohnten Gegenden verwildert an, und Hunde waren ehedem den Eingeborenen ebenfalls unbekannt, denn sie bezeichneten die beiden Hunde von Roberts als Schweine! Bei Hungersnot nehmen sie mit allem fürlieb und genießen Ratten, die sie mit den Händen fangen und für gewöhnlich den Schweinen füttern.

Den Genuß des auf andern Südsee-Inseln üblichen Kawa- Trankes aus der Pfefferwurzel haben wir nicht bemerkt, obgleich die Pflanze und das Getränk, das man daraus bereitet, bei den Bewohnern bekannt sind.

Die Wohnungen sind verschieden groß; sie gleichen von außen einem einstöckigen europäischen Häuschen, das keine Fenster besitzt und in der Längsrichtung mitten durchgeschnitten ist. Dabei beträgt die Höhe der Hinterwand 10 bis 12 Fuß, die der Vorderwand nur 3-4. Ein solches Haus, das etwa 25 Fuß lang und 6-8 breit ist, steht auf 4 in die Erde eingerammten Pfosten; seine Seitenwände sind aus dünnen, aneinandergereihten Bambusstäben und im Hausinnern mit Blättern der Kokospalme oder eines Farn behängt, um den Luftzug abzuhalten. Das Dach ist mit mehreren Lagen von Blättern des Brotfruchtbaumes gedeckt und trotzt den stärksten Regengüssen. Der Eingang ist in der niedrigen Vorderwand.

Die guten Wohnungen sind auf einer, aus großen viereckigen und abgerundeten Steinen errichteten Plattform erbaut, die zuweilen noch mehrere Fuß breit über die Hausgrundfläche hervorsteht, so daß das Haus unstreitig trockener liegt und die Aussicht freier wird. Man muß dabei noch die Geschicklichkeit der Eingeborenen bewundern, mit der sie die großen Steine, die kaum von 10-12 Menschen getragen oder gewälzt werden können, so kunstvoll und schön, ohne Mörtel aneinanderzufügen verstehen. Bei der Errichtung eines Hauses hilft ein Nachbar dem andern. Wohlhabende Personen besitzen in mehreren Teilen des Tales Hütten, die in wenigen Tagen aufgeschlagen sind.

Die Errichtung größerer Wohnungen, in denen eine vielköpfige Familie beisammen leben kann, wird von den Männern und Frauen gemeinsam besorgt. Werden aber die Häuser auf Steinplattformen errichtet, zu der die Männer allein und ohne Unterstützung seitens der Frauen die Steine herbeischaffen, dann sind diese Häuser für die Frauen tabu, d. h. sie dürfen von ihnen nicht betreten werden. Jeder wohlhabende Insulaner hat wenigstens eine derartige Tabuhütte, die gewöhnlich etwas abseits vom Wohnhaus liegt. Er richtet sie ganz nach seiner Bequemlichkeit ein, damit er hier allein in ungestörter Ruhe die Schweine verzehren kann. Ein solches Haus heißt Popoi tabu.

Jede neuerbaute Wohnung muß von einem Taua, einem Priester, geweiht werden. Dieser hält eine Rede und spricht alsdann in einer, jedem Eingeborenen unverständlichen Sprache. Man muß ihn mit Schweinen und anderen guten Gerichten bewirten; dafür vollführt er viele besondere Zeremonien und schläft auch die erste Nacht im Hause. Dieses wird dadurch gegen böse Geister geschützt. Für besondere Anlässe werden auch den Frauen besondere Häuser errichtet, so etwa für ein junges Mädchen, bei dem sich die Zeichen des reiferen Alters einstellen, oder für die Frau zur Zeit ihrer Niederkunft.

Das Innere der Häuser ist sehr sauber. Ein Balken teilt den Boden des Innenraumes in zwei ungleiche Teile, auf dem vorderen schmalen sieht man die bloßen Steine, der hintere Raum ist mit weichem Gras bestreut, auf dem Strohmatten liegen. Dies ist für alle Hausbewohner der gemeinsame Schlafraum. An den Wänden hängen Geräte, wie z. B. kleine und große Kürbiskalebassen, Kokosnußschalen, Fischnetze, Lanzen, Schleudern, Stelzen, Streitäxte, Beile, verschiedene Zierate, Trommeln usw.


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