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Nach der Gründung von Neu-Archangel wählten die Kaluschen, die sich selbst Schitchachan, d.h. Einwohner von Schitcha, nennen, den nordöstlichen Teil der Insel Sitka als Wohnsitz. Gewöhnlich kommen sie in großen, aus einem einzigen Baumstamm kunstvoll verfertigten Kanus unter Gesang zur russischen Niederlassung. Bevor sie landen, hält einer aus ihrer Mitte eine lange Rede, die ein und denselben Gedanken immer wiederholt: »Wir waren eure Feinde, wir haben euch geschadet, ihr waret unsere Feinde, ihr habt uns geschadet, wir wollen gute Freunde sein, wir wollen das Vergangene vergessen, wir wollen euch nicht mehr zu schaden suchen, tut uns auch nichts mehr, seid unsere guten Freunde usw.« Erst nach dieser Rede betreten sie das Ufer.
Die Kaluschen sind größtenteils von mittlerem Wuchs und kräftig gebaut, sie haben schwarzes Haar und eine schmutzige Hautfarbe, die durch Bemalen mit Erdfarben nicht reinlicher wird. Ihre Gesichtszüge sind grob, ihre Augen groß und feurig, die Nase ist klein, und die Backenknochen treten stark hervor. Kennzeichen der mongolischen Rasse waren nicht festzustellen. Die Männer haben gewöhnlich einen kleinen oder gar keinen Bart, weil sie sich die Haare ausrupfen. Einige Mädchen, die meist mit Pelzjägern zusammenleben und deren Haut, wenn sie von allem Schmutz gereinigt ist, weiß wie die einer Europäerin ist, hatten keine unangenehmen Gesichtszüge.
Die Kleidung dieser Menschen ist sehr einfach und besteht aus einer Schambedeckung und einem etwa l l/2 Fuß breiten, viereckigen Stück Zeug oder Fell, das mit zwei Enden um den Hals gebunden wird. In den letzten Jahren sind viele europäische Stoffe eingeführt worden, so daß die alte Tracht im Schwinden ist. Die alte Kleidung wird nur zu besonderen Gelegenheiten oder bei großer Kälte getragen. Bei häuslichen Verrichtungen, Baumfällen, Fischen u. dgl. gehen sie gewöhnlich nackend. Säuglinge waren kaum mit einem Läppchen oder einer Matte umwunden und so der Kälte von 8-10 Grad Reaumur ausgesetzt.
Bei ihren Besuchen veranstalteten die Männer gern Tänze. Das Kopfhaar puderten sie sich mit den Daunen des weißköpfigen Adlers und schmückten es noch mit Hermelinfellen. Ihr Gesicht bemalten sie sich mit Kohle, Kreide, Ocker und Zinnober, was wohl die Tatauierung, die ich bei ihnen nicht bemerkte, ersetzen sollte. Der Tanz, zu dem die Frauen eine nicht unharmonische Melodie sangen, bestand in heftigen Sprüngen, ohne daß sich die Männer von der Stelle bewegten. Die Tänzer waren alle barfuß und nur mit dem erwähnten Umhang bekleidet. Einer machte den Anführer und trug in der Hand einen dicken, mit Seeotterzähnen besetzten Stab, den er im Takt auf den Erdboden stieß. Alle hatten, ohne Ausnahme, in jeder Hand entweder den Schwanz oder einen Flügel des weißköpfigen Adlers oder einige Hermelinfelle.
Die Frauen waren sehr einfach gekleidet, der ganze Körper und die Brust waren jederzeit bedeckt. Viele trugen lange Hemden, die Füße waren unbekleidet. Sie hatten aber eine eigenartige Verschönerung an ihrem Körper vorgenommen. Wenn nämlich die jungen Mädchen ins 13.-14. Jahr kamen oder sich die Periode ihrer weiblichen Bestimmung einstellte, wurde eine kleine Öffnung mitten unter die Unterlippe geschnitten und anfänglich ein dicker Draht, dann ein hölzerner Doppelknopf oder ein kleiner, auf beiden Enden etwas verdickter Zylinder hineingesteckt. Diese Öffnung wurde im Laufe der Jahre immer mehr erweitert und die Unterlippe durch Einfügung eines ovalen Brettchens oder Schüsselchens weiter ausgedehnt. Die Frauen sahen dann aus, als ob ein großer flacher Holzlöffel in die Lippe eingewachsen sei. Dieser uns Europäern abscheulich erscheinende Schmuck findet sich an der Nordwestküste vom 50.-60. Grad nördl. Breite. Alle Frauen tragen ohne Unterschied diesen Zierat, dessen Größe nach Alter und Stand verschieden ist. Dieser Lippenschmuck ist 2-3 Zoll lang, etwa 1½-2 Zoll breit und höchstens ½ Zoll dick. Bei den Häuptlingsfrauen ist er noch größer. Ich selbst habe bei einer sehr vornehmen Frau einen solchen Schmuck gesehen, der volle 5 Zoll lang und 3 Zoll breit war.