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Rosalia an van Guden.
Ihr letzter Brief hat durch die sonderbare Geschichte, welche Sie uns mitteilten, wirklich eine Cour d'amour hervorgebracht; denn Cleberg wollte ohne anders, daß Ott, Julie, Herr und Frau von C**, Latten und Caroline den Auftritt vorlesen hörten. Madame Grafe war nicht wohl, also fehlte ihr Mann und sie. Aber die übrigen von unsern Freunden wurden nach dem Mittagessen in einen Cirkel gesetzt, und Latten, als der Allerromantischste von der ganzen Gesellschaft, mußte präsidiren. Cleberg las vor. Die Neuheit des Charakters und der Scene setzte Alle in das nämliche Staunen, welches mein Mann, der Oncle und ich bei dem ersten Lesen empfanden. Die Frauenzimmer waren alle mit Ihrer Engländerinn zufrieden, und die Männer mit Ihnen, wegen des Ekels, den Sie gegen das Romantische zeigen. Herr S**, welchem Cleberg einen reitenden Boten geschickt hatte, war beinah am aufmerksamsten auf den Faden der Geschichte; doch sagte er auch am lebhaftesten: »Ich glaube, daß es der lieben van Guden mehr vor dem Gefäß ekelt, in welchem ihr das Schicksal den Zaubertrank der romantischen Liebe darbot, als vor der Liebe selbst. Denn warum heftete sie sich so schnell an die romantische Ausländerin?« – – – Madame C** (glaube ich) sagte aus feiner Schonung ihres Mannes – wegen der Koquette, welche er ehemals liebte, und vielleicht wegen des Uebertriebenen in ihr selbst – sehr wenig, und etwas sehr unbedeutendes. Julie und Karoline freuten sich über die Strafe der Koquette, und nannten zugleich einige junge Männer in der Stadt, welchen das Schicksal des Herrn von F. sehr belehrend seyn könnte.
Hier siel S** ein und sagte: »Das Nützlichste dieser närrischen Geschichte wäre: wenn man junge Mädchen lehrte, einen Mann nach guten, rühmlichen Handlungen, und nach dem Zeugnis rechtschaffener Vorgesetzten zu beurtheilen; nicht nach dem Modekleid und der Artigkeit, welche der Schneider und Tanzmeister geben. Er sey überzeugt, der Herr von F. wäre einer von den galanten Irrwischen, welche so vielen guten Mädchen falsche Ideen von Glück, Pflichten und Liebe geben, und wenn sie dann ihre Vernunft irregeführt haben, oder Familienvortheil die Ehe schließt, machen sie arme Geschöpfe nach der Heurath elend – oder verlassen sie, der feierlichsten Versprechen ungeachtet.« –
Ihre vorübergehende Nichte wurde als höchst romantisch und wie eine Art weiblicher Don Quichote beurtheilt, und wirklich verdammt. Cleberg – mögte weder ihr Bruder noch ihr Mann seyn. – Julie und Caroline wurden der Anlage zur Eifersucht und Rachbegierde beschuldigt, weil sie den Muthwillen der Engländerin so sehr lobten. Doch wünschten die Männer alle, ja selbst mein Oncle: Sie möchten das Ansehen einer Tante anwenden, um sie in unsere Gegend zu bringen, weil sie die schöne Heldinn kennen lernen wollen, die für die Rechte und Unschuld ihres Geschlechts kämpfte, und abentheuer bestand! – Ich sagte: Daß mir sehr angenehm wäre, daß die schöne Wittwe den bösartigen flatterhaften Menschen an sich lockte, um ihn wegen seines schlechten Betragens gegen Emilien zu strafen; aber ich liebte nichts daß sie ihn öffentlich beschimpfte. – »Das mußte seyn, erwiederte Julie Ott, denn ein solcher Mann würde die Fremde eben so wenig geschont haben, als die einheimische Emilie! Man war ja Zeuge, daß er die Engländerinn oft sprach, daß sie ihn anhörte – da hätte er am Ende erzählen können, was ihm vorteilhaft gewesen wäre, und die gute Wittwe würde auch noch ein Opfer seiner Eitelkeit geworden seyn!«
Diese Anmerkung unserer Julie wurde selbst von den Männern wahr gefunden, und auch von ihnen behauptet, daß Ihre Nichte diesen öffentlichen Schritt ihrer eigenen Ehre schuldig war. Mir wurde von der Seite die Erinnerung zugeworfen: Daß ich immer alles auf dem sanftesten Weg finden wolle. – Sie können leicht rathen, wer dieses sagte. –
Cleberg äusserte: Daß man eine sehr artige Komödie aus diesem Stück Ihres Reisejournals ziehen könnte, und will es Herrn Ifland vorschlagen, dessen Witz und Scharfsinn gewiß diesen neuen Stoff in reizende Falten bringen würde, und dadurch manchen eiteln falschen Mann strafen und bessern könnte.
S** lachte sehr über diesen Vorschlag, und sagte: »Der Einfall sey ein sicheres Mittel, die Geschichte bald und weit bekannt zu machen, aber gewiß nicht tauglich, das Uebel zu heilen. Er wäre überzeugt, daß die Theater unter der feinern Menschenklasse auf die nämliche Art wirkten, wie Gerichtsstätten unter den rohen und wenig gebildeten. Man wäre mit dem öffentlichen Tadeln und Strafen bekannt geworden, hätte sich daran gewöhnt, und dieses hindere immer die Besserung. Ueberhaupt glaube er: die Komödien hatten nichts gethan, als den Geschmack an Putz und schönem Schwätzwerk so vermehrt, daß ein großer Theil Menschen ihr ganzes Verdienst in das äusserliche gute Ansehen, und einige schön deklamirte Gedanken setzten: in ihrem Innern aber, wie die Schauspieler, ganz andre Personen wären, als die, welche sie vorstellten.«
Sie denken wohl selbst, Liebe! wie viele Noten über diesen Text gemacht werden können, und wie viele hier vorkamen, wovon mehrere unsern S** bestritten, und andre ihm beistimmten.
Ich freue mich immer, wenn eine so anfallende Idee unter Leuten von Kopf und Geschmack erscheint, welche gleichsam mit heftigem Pochen eine Menge schlummernder Gefühle und Gedanken weckt, die sich eilends aufraffen, und auf den Platz treten, wo der Lärmen entstand; wobei ich dann, wie ein ruhiger Zuschauer, an meinem Fenster laure, und etwas Nützliches zu bemerken suche. – Gestern fand ich aufs neue wahr, daß unser Geschmack, und selbst unser Charakter, uns zu Vorurtheilen stimmen, und uns daher oft schaden; denn es ist gewiß, daß ich mich eher geneigt fühlte, die Meinung dessen anzunehmen, der in dem sanftesten Ton und den feinsten Wendungen sprach, als die eines Andern, der vielleicht eine größere Wahrheit, eine tiefer gedachte Bemerkung sagte, aber seine Gedanken in einem rauhen unscheinbaren Gewand, oder mit einer zu harten Stimme vorbrachte.
Endlich erhielt Latten, als Präsident, allein das Feld, und die Freiheit, am längsten zu reden. Munter scherzend fieng er an: »Unser deutscher National-Charakter würde noch lange Jahre hindurch mit dem schönen Romantischen der Engländer im Widerspruch stehen, wie unser ernster abgemessener Gang mit den leichten Schritten der Franzosen, und den halsbrechenden Sprüngen der Italiener. Er für sich sehe in der von Madame van Guden erzählten Geschichte von der holden englischen Wittwe den edelsten Gebrauch der Schönheit und Talente einer muthvollen rechtschaffenen Frau, die von einem Volk abstamme, bei welchem es erlaubt sey, zu werden und zu thun, was die Kräfte des Verstandes, des Körpers und des Vermögens zulassen, wenn nur die Gesetze, welche natürlich die Sitten und Menschen in Schutz nähmen, nicht verletzt würden. Warum darf die Schönheit locken, reizen, und von der Bahn des Fleißes und des Ruhms entfernen? Warum wird sie gelobt, wenn sie den wilden Zorn besänftigt, und die Freuden des gesellschaftlichen Lebens erhöht? – Warum soll sie nur den Sinnen der Männer schmeicheln, und ihren Genuss und ihre Fehler vergrößern – Warum soll sie nicht auch Werkzeug der Strafe und Besserung werden? – Es ist sonderbar, (fuhr er fort) daß man sich angewöhnte, eine außerordentlich schöne Gegend der Natur, oder eine schöne Handlung unter den Menschen, Romantisch zu nennen; – noch sonderbarer aber ist, daß dieser Ausdruck bei der schönen Natur als Lob, und bei der schönen That als eine Art von spöttischem Tadel gebraucht wird! – Könnte es, meine Freunde! nicht ausgelegt werden: als ob wir mit dem wahren verdienstvollen Romantischen noch gar nicht bekannt sind, weil wir das Wort so widersprechend anwenden – oder daß uns ein hoher Grad des Schönen so fremd ist, daß wir eine Sache sogleich Romantisch nennen, sobald sie von dem Alltäglichen abgeht? Wir wollen nie vergessen, daß England uns in Allem Modelle des wahren Schönen gab – und daß die vortreflichen Romanen von Richardson, Fielding, Makensie, Goldschmid, von Miß Burney und Mimifie, zu allen ihren so interessanten Roman-Personen die Originale in ihrer wirklichen Welt vor sich sahen. – Ich schließe mich hierüber an die Gesinnungen des Chevalier v. R** an, welcher in seiner artigen Abhandlung über das Lesen der Romane sagt: Glücklich, wer mit den Liebhabern der englischen Romane lebt, und die bald einfachen, bald höchst edeln Bild liebt, welche so viel Sanftes in die Gesellschaft, so viel Theilnahme an den Nebenmenschen – Muth und Entschlossenheit zum Guten hervorbringen.« – –
Da die wenigsten von unserer Gesellschaft das Werkchen des Chevalier v. R** kannten, so gieng Cleberg, es aus meinem Bücherschrank zu holen, und als sie bemerkten, daß es nur wenige Blätter faßte, bat Alles, Cleberg möchte es vorlesen. – Sie fanden es allerliebst, besonders auch wegen des Bildes des Mannes von Gefühl, welches der Chevalier so vortreflich schilderte. Latten erzählte dabei eine Anekdote, welche diese Blätter noch einnehmender macht, indem sie die ganz eigene Erziehung des Chevalier bezeichnet:
»Er wurde bis in sein drei und zwanzigstes Jahr von dem Lesen der Romane abgehalten, hingegen in allen andere Kenntnissen auf das sorgfältigste unterrichtet. Wie er nun alles Große, Gute und Schöne der alten und neuen Schriftsteller hinreichend kannte, so bekam er endlich auch Romane zu sehen. Aber man forderte zugleich, daß er seine Urtheile darüber schreiben solle. Nun bekam er natürlich die besten französischen und englischen, auch einen damals aus dem deutschen Original übersetzten Roman, damit er zugleich den Unterschied bemerken könne, welchen der National-Charakter in diesem Fach erzeuge. Nachdem er sie alle durchlesen, und seine Noten geschrieben hatte, so entstand die niedliche Abhandlung: über das Lesen der Romane« – welche durch Ihre sonderbare Reisebegebenheit hervorgesucht wurde. – Die Frauenzimmer waren alle ungemein vergnügt, daß er den deutschen Roman so günstig beurtheilte, und ihm den Vorzug gab. Sie fanden, daß die Verfasserinn sich recht freuen müsse, ihren Ton und ihre Vorstellungsart so vortheilhaft bemerkt zu finden, und Julie sagte zu Latten:
»Sehen Sie, daß wir Deutschen des Romantischen auch fähig sind, und sogar Ihre Engländer übertreffen.«
»Theure Julie! (antwortete er) erlauben Sie mir zu wünschen, daß wir unsern alten angelsächsischen Landsleuten in Allem ähnlich werden möchten, wie es bisher mit ihren Phantasien gehalten wurde – und daß unsere Männer Vaterlandsliebe, Unterstützung des gemeinen Besten und Beförderung der Künste und Wissenschaften nachahmten – so wie ich gerne bei unsern lieben Freundinnen Sanftmuth, Nettigkeit und häuslichen Familiengeist mit dem schönen Geschmack der simpeln Kleidung der Engländerinnen vereint sehen möchte.«
Ein einiger sehr flüchtiger Blick auf seine Karoline zeigte, wie innig er ihren feinen Geschmack liebe; denn es ist wahr, Madame Latten hat kein Falbala, keine Manschetten, keine Spitzenhalstücher, keinen mit vielen Bändern besetzten Hut, und doch ist sie unter uns allen die, welche ein Maler, der aus Italien kam, sogleich zu zeichnen wünschte; indem er sie nach dem reinesten und edelsten Geschmack gekleidet hielt, ihr überall nachsah, wo sie hingieng, und jede ihrer Bewegungen mit Entzücken betrachtete.
Nun soll ich Ihre edle Freimütigkeit auf die Probe setzen, und nach der allgemeinen Danksagung von uns allen für das Vergnügen, welches Ihre Erzählung uns schafte, Sie bitten: Daß sie sich doch über den Argwohn des Herrn S** erklären mögten – ob Sie wirklich durch nähere Kenntnis und Liebe des Wahren in der Menschenwelt, und ihrer Pflichten, einen Widerwillen gegen das Uebertriebene und Romantische bekamen – oder ob es, wie S** glaubt, nur aus dem Verdruß entsprungen sey, der Ihnen durch die Veränderung des Herrn von Pinndorf zufloß?
Sie sehen hier, meine theure Freundinn, daß ich nicht unrecht hatte, unsere versammelte Gesellschaft eine Cour d'amour oder Gerichtshof der Liebe zu nennen: denn es wurden ja Leute berufen, ein Präsident erwählt, eine Begebenheit vorgelegt, Stimmen darüber gesammelt, ein Endspruch gegeben, und wirklich noch Sie vor die künftige Gerichtssitzung geladen! – Vielleicht hat wohl auch mein Brief das Ansehen, als ob ich die Feder bei der Rathsversammlung geführt hätte? – Aber gewiß, ich schriebe alles dies nach dem Frühstück, da Herr v. C** und seine stets liebenswerthe Frau schon abgereist waren. Ich fühle wohl, daß meinem Gedächtnis mancher artige Gedanke entflohen ist, wie der feine Geruch eines mit Geist erfüllten Flacons verfliegt, den ein Nachbar dem andern einen Augenblick zum Riechen öfnete. Sie wissen aber auch, daß es meistens in den Gesellschaften so geht, und unmöglich anders gehen kann. Indessen ist immer wahr: Alle, alle von unserm Cirkel verehren und lieben unsere romantische van Guden – aus dem nämlichen Grunde, der uns ein Schönheitvolles fruchtbares Gefilde, wie das Thal von Richmond in England, und die Aussicht aus den Zimmern der edeln liebenswürdigen Frau von Bonstetten zu Nyon, mit Entzücken betrachten und segnen heist.
Auf Ihre Frage nach Madame Grafe antworte ich künftige Woche, wo ich Briefe von ihr erwarte; denn sie war nicht so sehr krank, daß sie nicht hätte zu uns kommen können: aber ihr Mann war zu gleicher Zeit zu sehr mit dem Vermögen seiner Pflegkinder beschäftigt. –