Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Acht und zwanzigster Brief.

Cleberg an Mariane.

Theure würdige Freundinn! reichen Sie mir die Hand, meine Rosalie zu unterstützen; ich bin in dem äussersten Kummer – unser Oncle ist todt, und der edle gute Mann sorgte noch so für seine Nichte, daß er immer ein Billet für sie bereit hielt, in welchem er ihr sagt:

»Liebe! ich gehe zu einer völligen Aussöhnung mit meinen Verwandten; reise sogleich mit deinen Kindern zu Marianen – dort hörst du bald mehr von deinem dich innig liebenden Oncle Frank.«

Hier ist auch ein Paquet an Sie, welches gewiß Rosalien betrift. Meine gute Frau kommt zu Ihnen. Sie weis noch nichts; aber ich habe die Reiseanstalten so schnell gemacht, als es möglich war, wie auf Befehl des Oncles, der, wie ich ihr sagte, mit Latten und dem Vetter abgereist sey. Die unverhofte Freude, Sie zu sehen, machte Rosalien in alles einwilligen, und sogar selbst eilen, als ob sie fürchtete, es möchte etwas diese schon so lang gewünschte Reise unterbrechen. Sie glaubt fest, der Oncle würde bei dem Rückweg einen Besuch bei Ihnen machen. Die arme Salie dachte, ich sähe ihre Reise nicht gerne, weil sie etwas Düsteres und Nachdenkendes in mir bemerkte. – Ich bin, wie Sie leicht denken können, zu bestürzt und zerstört, um viel zu schreiben, aber der erste Moment von Fassung wird Ihnen gewidmet von

Cleberg.

Per Estaffette.

 

Zweiter Brief von Cleberg an Mariane.
Aus Julienberg.

Nun ist Rosalie bei Ihnen. Die Reise, das Vergnügen, Sie zu sehen, und die Hofnung, einige Zeit bei Ihnen zu seyn, werden sie stark genug gemacht haben, diesen Einschluß von ihrem verewigten Oncle. und die Geschichte seines Uebergangs in die andre Welt, zu lesen. – Ihr Schmerz wird groß seyn, ich fühle es in der Heftigkeit des meinigen, denn ich mußte mich in eine Einsamkeit flüchten, um mein ganzes Herz ungestört zu ergießen, indem selbst meine besten mit mir trauernden Freunde mir zur Last waren, und auch jetzo noch kann ich ehender schreiben als sprechen:

Wir bemerkten alle seit einigen Wochen eine ungewöhnliche Liebe zum Alleinseyn, und mehr stilles Wesen, in unserm väterlichen treuen Oncle; er heiterte sich aber sogleich auf, sobald er merkte, daß wir ihn beobachteten. Als wir den Plan für die Erziehung unserer Knaben erhielten, wurden wir ruhig, und dachten, daß dieser Aufsatz die Ursache seines öftern Einschliessens und des nachdenkenden Aussehens gewesen sey. Aber vor vier Tagen nahm er nicht seine gewohnte Portion Frühstück, und bat mich, mit ihm nach dem Frankenhof zu reiten, wo er sich Appetit holen wolle, vielleicht gar nach der Stadt gehe. Unterwegs gegen den neuen Bauerhöfen zu sagte er zu mir: »Lieber Sohn, mir ist nicht wohl, wir wollen der Stadt zu, damit ich mit dem Arzt reden kann. Wenn ich ihn holen lasse, wird Rosalie ängstlich.« Ich war es herzlich zufrieden, fragte ihn aber, was er denn eigentlich fühle? – Ein dumpfes drückendes Wesen im Kopf und allenthalben – vielleicht hilft Bewegung. – Mit diesem trieb er sein Pferd stärker an, ich mußte nach, auch war es mir lieb, um so eher mit dem Arzt zu sprechen. Wir ritten zu Lattens Bleiche, wo dieser jetzt beständig wohnt; der Oncle sah sehr roth aus, und hatte mehr Mühe als sonst, von dem Pferd zu steigen. Bei dem Eintritt in die Seitenstube greift er in seinen Sack, nimmt seine Brieftasche und reicht sie mir, indem er sagte: Ich werde übel – und schwankte. Latten und ich faßten ihn auf, und brachten ihn zum Kanapee. Wir sahen den Anfall eines Schlags, schickten nach dem Arzt, machten alle Kleidungsstücke los, und rieben ihn. Der Arzt und Chirurgus kamen sogleich. Alle nur mögliche Mittel werden angewandt – aber vergeblich – in vier Stunden war er leblos vor uns. Ich sage Ihnen nichts von meinem Schmerz und von der Angst, welche mich mit dem Gedanken an Rosalien überfiel; doch dankte ich Gott, daß mir dieser grausame Zufall in dem Haus eines treuen und klugen Freundes begegnete; auch besann sich Latten zuerst auf die Brieftasche, und sagte: »Der liebe Mann fühlte sich, als er sie Ihnen gab – sehen Sie doch nach, ob er nicht etwas darinn verordnete.« Ich öfnete sie, und fand lauter Papiere, die seinen Tod anzeigten; einen Brief an mich, schon vor fünf Wochen datirt, mit der Ueberschrift: An meinen theuren Sohn Cleberg. Ich bat Latten, mir ihn vorzulesen, denn meine Thränen erlaubten mir es nicht. Hier lesen Sie die Worte des immer edeln Mannes:

»Lieber Sohn! Meine fünf und siebenzig Jahre sagen mir, daß der Zeiger gegen die letzte Stunde rückt; meine körperliche Disposition neigt zu einem Steckfluß, wie mir unser würdiger Arzt ohnlängst freimüthig sagte. Mein Haus ist seitdem bestellt, und Sie finden alles in Ordnung; so wie ich weis, daß Sie alles befolgen werden, weil ich gesucht habe, gerecht zu seyn. Sie und Rosalie haben edelmüthig mit den andern Schwesterkindern theilen wollen, und ich habe eine billige Eintheilung gemacht.

Meine Schwester hat eine lebenslängliche Pension; ihre zwei Töchter ein Heurathsguth, und die zwei Söhne eben so viel. Den einen von diesen, welchen Sie in Ihr Haus nahmen und in mein Herz einführten, behalten Sie in Ihrem Schutz, und bilden Sie ihn zum rechtschaffnen Landamtmann. Das Uebrige meines Vermögens sollen Sie, Rosalie und Ihre Kinder von dem väterlich gesinnten Oncle als Erb und Eigenthum annehmen, wie es Ihnen gesetzmäßig versichert ist. –

Meine Rosalie wird gewiß Ihre Hochachtung und Ihre Liebe immer verdienen – und Sie, mein Cleberg! werden das vortrefliche Weib gewiß immer glücklich machen. Nehmen Sie meinen Segen und meinen Dank für die Freude, welche Sie stets durch Ihr Leben, durch die Führung Ihres Amts und Ihre Kenntnisse mir gaben. Meine letzten Jahre waren schön – ich habe Gott dafür zu danken – mögen die Ihrigen in noch höherm Alter eben so seyn, und Ihre Söhne einmal Ihnen gleichen! Mein Tod, ich hoffe und glaube es, wird schnell seyn; nur bitte ich Gott, daß Rosalie kein Zeuge davon werde, und daß ich Ahndung genug haben möge, um mich von ihr zu entfernen. Erfüllt Gott diese meine letzte Bitte. so schicken Sie sie gleich zu Mariane, damit ihr in den Umständen, worinn sie ist, und bei der Liebe, die sie für mich hat, mein Sterben und mein Begräbnis verborgen bleibe, bis sie bei dieser klugen zärtlich geliebten Freundinn ist – dann lassen Sie ihr durch Marianen diesen Brief übergeben, welcher die letzten Beweise ihrer Liebe und ihres Gehorsams fordert.

Sie und Ihre Kinder umarme ich, segne Sie, und bitte Sie, unsere Freunde meines Segens, meiner Liebe und Verehrung zu versichern, und daß ich sie alle bitte, edle treue Freunde zu bleiben bis in den Tod, wie ich

Georg Frank.

 

An Rosalien.

Geliebte schätzbare Nichte!

Du weist, was du von deiner ersten Jugend an mir warest, und daß ich mir Mühe gab, dein Glück in deiner Seele zu gründen. Zeige, liebe Rosalie! zeige unsere Freunden, daß meine treue Mühe nicht vergeblich war. Der Augenblick, in welchem dieses Blatt in deine Hände kommt, ist eine Gelegenheit zur Probe meiner dir gegebenen Grundsätze, mit welchen ich vor Gott an der Seite deiner Mutter und Groseltern seyn werde.

Tod ist Uebergang in die zu ewiger Seligkeit bestimmte Welt, und das Gesetz der Natur führt die Alten zuerst an die Gränze. Sage dir dieses – liebe mein Andenken, laß aber die Thränen deiner Trauer nicht bitter, nicht heftig seyn – zeige Liebe und Verehrung für mich in Befolgung meiner letzten Bitte: Schone dich; suche zu leben, und zu beweisen, daß dies, was man uns in gesunden und glücklichen Tagen als Grundsätze aufstellen hörte, auch in der Zeit der Prüfung in uns wirkt. Ich habe an Gottes besten Gaben dieser Erde einen grosen Antheil genossen, und sehe die Anlage zu einem schnellen Tod als letzte irrdische Wohlthat an. Traure also nicht darüber, wenn der Allgütige diesen meinen letzten Wunsch erfüllt, und freue dich, wenn du hörst, daß mein Uebergang in die Ewigkeit schnell und leicht war. Danke Gott, daß dein bester Freund mit dem Zeugnis eines guten Gewissens vor seinen Richter kam, und zerstöre die Anstalten nicht, die ich noch mache, um dir diese deiner Liebe für mich so traurige Begebenheit zu erleichtern. – Bleibe gute Gattinn, gute Mutter, Hausfrau und Freundinn, wie bisher – du warest in jeder Scene deines Lebens mein Stolz und meine Freude. Nimm noch neben diesem Zeugnis meinen Segen, und lege in die Seelen deiner Kinder, was ich mit treuer Liebe in die deinige legte. –

Danke Gott für dies, was er an mir that – und bete ihn an für dich und für deine Kinder – Denke, wie sie hinschwinden, die Jahre des Erdenlebens, und wie bald du wieder sehen wirst

deinen treuen Oncle Frank.

 

An Mariane von Edelbach.

Edle verehrte Freundinn!

Ich schreibe Ihnen noch in dem Genuß des Lebens eines fröhlichen Alters von 75 Jahren, aber ich sehe, der Abend nähert sich, wo ich zur Ruhe gehen werde. Sie, die mit Beispiel und Rath, mit Lehren der Tugend und Weisheit, meine geliebte Nichte Cleberg bilden half – nehmen Sie den Dank des Oncles an der Pforte der Ewigkeit dafür an, und erfüllen Sie meine letzte Bitte: Niemand hat näheren Eingang in Rosaliens Seele als Sie – wenden Sie diese Obergewalt an, ihren Schmerz bei meinem Tod in sanfte Gelassenheit zu bringen, und suchen Sie, womöglich, einige Zeit in Seedorf zu wohnen, um meine Rosalie zu erinnern, daß ihr Oncle in dem Genuß der Seligkeit ihre anbetende Ergebung in Gott, der ihn schickte und rief, von ihr wünscht. – Segen ruhe auf Ihrer ausübenden Tugend! Ihr Wiedersehen wird einst Zusatz zu meiner Seligkeit seyn. –

Georg Frank.

 

Diese Briefe (fährt Cleberg fort) und das kleine Billet, welches ich Ihnen in der ersten Nachricht schickte, waren in der Brieftasche. Der Arzt sagte uns, er habe den Fall vorgesehen, und dem Oncle auf seine Anfrage freimüthig gesagt, daß alle Anzeigen eines Steckflusses allmählig erschienen, und ihm weniges Essen und mässige Bewegung empfohlen, sobald er etwas Schwermüthiges an sich fühlte. – Das Reiten nach der Stadt sey zu stark gewesen, und habe den Anfall befördert.

Seit gestern ruhen seine Ueberreste in dem Schoos der Erde. Heilig ist mir sein Andenken und sein Beispiel. Wer mich liebt und schätzt, soll wünschen, daß ich in die Fustapfen dieses edeln Weisen treten möge. Aufsuchen werde ich jede Spur seines Denkens und seiner Handlungen – und gewiß, seine Rosalie soll, so viel an mir ist, das glücklichste Weib seyn. Unser Ott kommt mit mir zu Ihnen; bereiten Sie Rosalien zu dieser Erscheinung. Erwarten Sie nicht, daß ich die Trauer meiner Landleute beschreibe, als sie mich wieder sahen. – Der Oncle hatte alles verordnet; auch das stille nächtliche Begraben in der Stadt, wenn es möglich sey, damit Rosalie bei einem Grab in Seedorf keinen Anlaß zur Schwäche und Phantasie habe. Mein ganzes Amt trägt die Trauer; alle liebten ihn, alle segnen sein Andenken, besonders auch noch die Weiber, weil er eine Stiftung machte, von welcher alle Jahre eine Hebamme des Amts in der Stadt unterrichtet werden solle, und für jede hat er zehn Gulden jährliche Verbesserung ihres Gehalts, und vier Gulden für Bücher bestimmt – mehr konnte ich noch nicht nachsehen. Dieser Verlust, und die Abwesenheit meiner Frau und Kinder, haben mein Haus zu leer gemacht; deswegen bin ich hieher gegangen – die abgesonderte Lage dieser Wohnung, und die gänzliche Ruhe um mich bei dem weitausgebreiteten Himmel und der freien Landschaft, thun mir wohl; ich warte, bis mein Reitknecht von der Residenz zurückkommt, wo ich um Erlaubnis bat, auf einige Tage zu verreisen, und dabei die Ursache meldete. Mein Herz preßt sich bei dem Gedanken, Rosalien zu sehen; Gott gebe, daß ich sie wohl finde. Lassen Sie mich auf der letzten Station Nachricht antreffen, denn wir nehmen die Post, weil ich nicht lange weg seyn, und keinen Amtstag versäumen möchte, auch dem Oncle zum ewigen Gedächtnis niemals eine Pflicht zurücksetzen will. – Er hatte einmal von Wieland gehört: »Die beste Art, verehrungswerthen Verstorbenen seine Liebe zu zeigen, sey, von ihren Verdiensten zu sprechen, und alles Gute zu thun, was man sie ausüben sah.« Ach Mariane! könnten Sie doch, mit unsern übrigen Freunden vereint, in der Nähe von Seedorf Zeuge seyn, ob der glückliche von dem edeln Verstorbenen gewählte Neffe dieses Gelübde hält. –

Ich kann Rosalien nicht schreiben – sprechen Sie ihr von mir. Morgen Abend kommt mein Reitknecht wieder – dieses läuft noch mit Estaffette an Sie.

Cleberg.


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