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Rosalie an Mariane.
Hier, Liebe! haben wir Briefe von van Guden. Für das lange Warten entschädigt sie uns durch die sonderbarsten Nachrichten, welche ich Ihnen im Original mittheile, aber bald zurück bitte.
Van Guden an Rosalie.
»Wie viele Unruhe mußte mein Schweigen bei Ihnen, und wie viele Vermuthungen bei Cleberg verursachen! Aber ich konnte in dem Wirbel, in welchen ich gerissen wurde, nicht schreiben. Jetzo hat der Tod eine Art von Ruhe um mich verbreitet, und diese will ich anwenden, meinen Freunden zu Seedorf einen Umriß von den Begebenheiten der letztverflossenen Monate meines Aufenthalts in der Schweiz zu zeichnen. – Sie wissen, kleine Ursachen meiner gekränkten Leidenschaft und Eigenliebe führten mich in dieses Land, wo die Vernunft noch einige Zeit mit der Phantasie kämpfte, endlich aber die Größe der Gegenstände der Natur und der meist edle starke Charakter der Einwohner in vollem Maaß auf mich wirkten, und mir Gemüthsruhe gaben. Ich genoß alles, und benützte, wie ich schrieb, jede Gelegenheit zur Bildung meiner Pflegkinder. Vor sechs Wochen gieng ich an dem schönsten Abend, mit Mathisons Gedicht: auf den Genfer See, in der Hand, an seinen Ufern spazieren, und dachte, wie glücklich ein edler poetischer Geist den Dichter macht, wenn er nun jedes erhabene oder innige Gefühl in der reizenden Schreibart ausdrücken, oder auch mit Begleitung seines Klaviers singen kann. Ich erzählte dann meinem Kindern und dem guten jungen Mooß von dem höchstedeln und geistvollen Herrn Carl von Bonstetten, welchem das Gedicht geweiht ist, zeigte ihnen das liebe einsame mit Pappeln umpflanzte Landhaus, welches der schätzbare Dichter sich wünschte, und las ihnen am Ende auch die Beschreibung seines Grabs. – Dieses alles – die Ruhe der Natur um uns, das letzte zitternde Flimmern des Wiederscheins der gefärbten Abendwolken in den kleinen Wellen der See, die herabsinkende Nacht, alles stimmte mich zur Sanftheit und Wehmuth. Schweigend und langsam gieng ich zurück, als mir auf dem halben Weg mein Bedienter entgegen gelaufen kam, und einen Kourier anmeldete, der wichtige Briefe an mich zu bestellen habe. Ich eilte mit banger Unruhe und einer Art von Ahndung nach Haus, und fand sie wahr, die Ahndung: denn es war der alte treue Georg des Herrn von Pinndorf, der mir einen offenen kaum leserlichen Zettel von seinem Herrn brachte, der mir sagte:
»Von meinem Krankenlager – neben dem Bett meiner sterbenden Frau – sehe ich keinen Trost und keine Hülfen als in der edeln Seele der Pflegmutter meiner glücklichen ältern Kinder. – O kommen Sie! und nehmen auch das drei Monat alte arme Geschöpf in Ihren Schutz, wenn Vater und Mutter dahin sind.«
Pinndorf.
Ich wurde heftig bewegt, zweifelte etwas, war aber bald sicher, daß er einer solchen Lüge unfähig sey, und fühlte nur den immer herrschenden Zug meines Charakters, zu helfen, wo ich kann, und schickte Georgen, ohne ihn viel anders zu fragen, auch mit dem offenen Zettel zurück:
»Ich komme morgen. Gott gebe, daß ich Sie alle besser finde!«
Durch Georg ließ ich mir auch überall Relaispferde bestellen. Aber was für ein Unterschied zwischen meinem Abend und der Nacht, die ich durchlebte! Die Natur hatte durch einen heitern Himmel und mit den sanften Bewegungen des schönen Sees ruhige sanfte Gefühle in meine Seele gegossen, und Leidenschaften der Menschen erregten stürmische Unruhe. – Denken Sie, wie sehr sich das Bild, welches ich bei der gewälten Grabstätte des Dichters hatte, durch den Gedanken des nahen Todes der Frau von Pinndorf veränderte. – –
Ich reiste mit dem anbrechenden Tag ab, traf Abends ein, und fand wirklich die Frau ohne Hofnung an den Folgen ihres Wochenbettes – ihn aber schwach und elend vor Kummer – aber vergeben Sie mir, wenn ich den Rest der Scene meiner Ankunft nicht ausmahle. – Ein artiges französisches Kammermädchen, welche bisher Pinndorfs Schwester und seine Frau bedient hatte, war hier geblieben, und besorgte sie mit wahrer Zärtlichkeit. Eine gute Schweizeramme bei der kleinen Sophie, und ein junger Mensch, der Koch- und Kammerdienerdienste thut, war alles, was ich fand: – denn die Schwester und die Marquise waren mit einander fort, als die Krankheit der armen Frau am heftigsten wurde, indem beide sagten, daß sie den Jammer, ohne selbst zu sterben, nicht mehr ansehen könnten. – Dieses warf Pinndorf zu Bette. Der unglükliche Mann wollte nun seiner Frau noch Liebe beweisen, und ließ sich in ihr Zimmer bringen, wo ich beide seufzend und weinend antraf – ihn aber in der nämlichen Stunde in eine andre Stube schafte, wo Mooß, Gustav und Einer von den Bedienten um ihn seyn mußten, ich aber mit den Frauenspersonen bei ihr blieb. Sie war sehr zufrieden, daß er sich entfernte, indem sie da von allem mit mir sprechen konnte. –
O Rosalie! was hat die Welt für Menschen – und was für Ungeheuer macht die Eitelkeit und Wollust aus ihren Sklaven: Lügner, Grausame, Niederträchtige! – Pinndorfs Schwester ist alles das, und ihre arme Schwägerinn war der Spielball von zwei elenden Geschöpfen. Alle ihre Diamanten und ihre schöne Perlen sind verkauft, so wie ihre Toilette. – – – Er, der arme Mann, weis nicht, wie er sich mit mir benehmen soll. – Ich sah ihn die zehen Tage hindurch, die seine Frau noch lebte, nur wenige Augenblicke, worinn ich von ihrem Befinden sprach, und nach dem seinigen fragte. – Er liegt, ich kann es sagen, an einer in allem abzehrenden Krankheit. – Ach Rosalia! wer hätte mir je gesagt, daß ich diesem Mann am Ende nichts als Mitleiden geben könnte – Denn sein Charakter, Ruhm, Vermögen und Gemüthsruhe sind mit der Gesundheit dahin. – Ich danke dem Schicksal, daß es mich in dem Stand erhielt, als Freundinn an ihm zu handeln: denn, wäre es nicht klein, nicht ungerecht gewesen, ihm Hülfe, Rath und Beistand zu versagen, da er litte, und verlassen ward? – Wie sehr würde es mich einst an dem Ende meines Lebens schmerzen, wenn ich die letzten Bitten eines Kranken und einer Sterbenden unerfüllt gelassen hätte. Die bedaurungswerthe Frau war doch wegen ihres Mangels an Verstand nicht strafbar, und für ihre kindische Eitelkeit und Pracht hat sie bitter gebüßt, da sie alles Glänzenden beraubt wurde, ehe sie noch ihre Augen schloß; – und sogar die arme Freude verschwand, welche sie dieses Frühjahr in Wollinghof über das Französischsprechen zeigte: denn sie war nun sehr glücklich, ihre Klagen bei mir im Deutschen auszudrücken, weil ihr Kammermädchen nur Französisch redt und versteht. Ich bin froh, ihre letzten Tage versüßt zu haben, denn ich weis, daß ihr unter meiner Fürsorge an nichts mangelte, was Menschen für sie thun konnten. Die arme kleine Sophie ist das einzige von ihren Kindern, das bei Leben blieb. Als sie mir von der Mutter übergeben wurde, fand ich die Beobachtung sehr wahr, daß jede Leidenschaft ihren eigenen Geist und Beredsamkeit habe: denn die mütterliche Liebe gab der Frau Ausdrücke und Gedanken ein, welche ich niemals in ihr vermuthet hätte, so daß mein Staunen über den reinen Sinn ihrer Worte, und über die treffenden Ideen bei den Umständen der Uebergabe des Kindes in meine Arme, eben so gros war, als mein Mitleiden mit ihr. Aber, meine Freunde! mein eigener Zustand ist lauter Staunen über mich und mein Schicksal. Immer war ich im Kampf; in der ersten Jugend zwischen meinen Wünschen und den engen Gränzen meines Vermögens: – doch überwand ich jede Schwierigkeit, als ich in Dienste trat, um meine Sehnsucht nach Reisen und Selbstsehen zu befriedigen. – Alles Große und Schöne, das ich kennen lernte, hemmte nicht das mindeste an dem Gang meiner Lebhaftigkeit; alles loderte neu in meiner Seele – aber alles bekam (lassen Sie mich es sagen) eine edle Gestalt; ich wurde fähig, der Grosmuth meine erste einzige Liebe zu opfern, aber da war doch auch Kampf. – Das ruhige Glück, welches ich mit van Guden genoß, war raisonnirtes Glück des Verstands. – Sie wissen, was nachfolgte, und wie viele Gegenstände ich umfaßte, die Trauer meiner Seele zu mildern. – Mein erstes Leben auf dem Berg war ewiger Kampf; – das zweite war es so sehr, daß ich mich selbst fliehen mußte, und – dem Himmel sey Dank! – noch Kraft genug hatte, mich allem zu entreissen und vernünftige Ruhe zu suchen – ich fand sie – und nun erhielte ich den Ruf: Edle Menschenliebe und edle Freundschaft auszuüben. – Ich folgte mit Angst, und heimlicher Freude Gutes zu thun dem, der mir so lange Jahre Schmerzen gegeben! Ich van Guden Pinndorfs letzte Hofnung! – O um alles in der Welt hätte ich es nicht versagt! Ich war in den ersten Tagen gar nicht mein, nicht ihm, sondern rein ungetheilt seiner sterbenden Frau. – Aber jetzt, Rosalie! jetzt, da diese Frau schon einige Wochen todt ist, und alles, was die Familie betrift, in Ordnung geht – da ich so viele Stunden mit seinen Kindern, und auch ohne sie nur mit einem Wärter um ihn bin, ihn leiden sehe – wünschen, bereuen und seufzen höre – bei dem simpeln Ausdrucke: meine Kinder! der mir bei Gustav und Henrietten so natürlich, so geläufig wurde, seine todtblasse Wange erröthen, aus seinem matten abgewandten Auge Thränen fließen sehe, und als ich das erstemal mit der kleinen Sophie auf dem Arm zu ihm kam, er nach einem Blick auf mich – nach dem Ausruf: O van Guden! in Ohnmacht fiel – glauben Sie nicht, daß ich in einer kämpfenden Lage bin? Ja ich bins, Rosalie! – Cleberg! ich bins desto mehr, da mich dünkt, ich sehe das Ziel, wohin ich in tausend Sendungen geleitet wurde. Es kann nicht anders seyn: ich muß, wenn der furchtsame unglückliche Pinndorf bei Leben bleibt, seine Hand begehren – ich muß sie begehren, wenn er sterbend ist, damit ich alle Rechte erlange, die Vormünderinn seiner Kinder zu werden, so wie ich ihre Pflegemutter bin: denn wer! wer wird an dem Fus der Alpen die armen Geschöpfe aufsuchen? wer sie hier aufnehmen? und wer wird für sie, für ihn so treu, so thätig sorgen? Ach, beste Freunde! Sie müssen es tausendmal gedacht haben – meine Liebe für Henriette, für Gustav, war Ausströmen meiner unsterblichen Liebe für Pinndorf – mein Haß gegen seine Schwester, gegen die Marquise, war Liebe für ihn – mein Fliehen, mein Suchen nach Ruhe, war Liebe, und mein Eile nach den Bädern zu Aix war Liebe. – Edel war sie immer, so stark als sie war, und so oft ihre äussere Form sich änderte; aber sie kann jetzo nur noch unter der Gestalt der angetrauten Freundinn erscheinen, und die so wohlthätige Stärke und Größe der Schweizerberge, welche erst gegen das Toben der unmuthsvollen traurenden Liebe mich schützten, müssen nun auch über Vorurtheile der Welt und meines Geschlechts mich erheben, ihm meine Hand selbst anzubieten – denn wer mich, wer Pinndorf kennt – wer meine Verhältnisse mit ihm und den Seinigen weis – wer meine Reise hieher sah, kann auf vielerlei Art urtheilen – ich bin selbst in mir unruhig, in dem Hause des Mannes zu wohnen, da seine Schwester weg, und seine Frau todt ist. O meine Lage ist schwer und sonderbar! –
Zwei Tage nach diesen ersten Blättern.
Ich konnte nicht endigen, und die Post gieng ohne meinen Brief. Jetzo, ach meine Freunde! wird wohl alles enden: Pinndorf ist ganz ohne Hofnung. Er hat in der Nacht von vorgestern alle seine Kräfte angestrengt, an mich zu schreiben, und mich, wie in einem Testament, zur Vormünderinn seiner Kinder erklärt; aber mehrere Ohnmachten hinderten eine mündliche Unterredung darüber, und er ist so schwach, daß meine Thränen, meine Mitleidsvolle Blicke, ein sanfter Druck meiner Hand, oder das Reichen einer Medizin, ihm eine Ohnmacht zuziehen. –
Nachschrift.
Voll Vertrauens zu Ihnen, Rosalie! und muthvoll gegen Cleberg, sey es gemeldet: Als Pinndorf vor einer Stunde nach dem Zeugnis der zwei Aerzte Kräfte genug hatte, etwas zu sprechen, wie er es so eifrig wünschte, verlangte er zwei Herren von Lausanne, die sich hier aufhalten, und bat auch die Aerzte, da zu bleiben. Die Herren kamen, und Pinndorf erklärte mich da mündlich vor ihnen und seinen Domestiquen für seine Wohlthäterinn und seine einzige Freundinn – zur Vormünderinn seiner Kinder. – Ich war unendlich gerührt und bewegt, trat an sein Bette, und sagte, indem ich ihn bei der Hand nahm: »Pinndorf! ich will mehr seyn – lassen Sie mich als Ihre Gemalinn, als Mutter Ihrer Kinder zurück: ich weihe ihnen mein Leben und mein Vermögen. – Einer der Herren, der mich kennt, und Professor der Theologie ist, legte eben so schnell, als ich diese Erklärung machte, seine Hand auf die unsere, und sagte: »Gott segne diese Vereinigung!« Pinndorf versuchte mit einem Blick der Freude sich aufzurichten, da er an meiner Hand sich hielt. Ich weinte, zitterte, und küßte ihn – er sank aber so schwach zurück, daß man ihn sterbend glaubte. – Er lebt noch, aber ach vielleicht nur noch wenige Stunden, für seine treue zärtliche Freundinn! –
O Rosalie! was für ein Ausgang – was eine Erfüllung vier und zwanzig Jahre lang genährter Wünsche! Cleberg! schonen Sie mich! Aber es ist wahr, ich wünschte Pinndorfs Frau zu seyn seit dem ersten Augenblick, da ich ihn sah – ich bins, und möchte es bleiben.« –
»Ja, ja, das wird geschehen, (sagte mein Oncle) der Mann kommt wieder auf.«
»Gewiß, (fiel mein Mann ein) er ist lange nicht so krank, als sie glaubt; aber die moralische Schwäche seines Charakters wirkt in Verlegenheiten auch heftig auf seinen Körper, und es hatte freilich auch vieles auf ihn losgestürmt: Verlust seines Vermögens, und die Abreise der Marquise mit der Schwester; die Idee der erschöpften Hülfsmittel; Freude über van Gudens Liebe, Angst für Vorwürfen; Verwirrung der Eigenliebe, so elend vor dem großen Weibe zu erscheinen – auch der Tod seiner Frau.«
Er hat durch dieses alles herzlich gebüßt, (sagte ich) und die arme van Guden bekommt ein schönes Stück Arbeit in diesem Haus. –
»Das ist wahr; (erwiederte Cleberg) aber denke auch an den Genuß der erfüllten Wünsche, und der Hauptzüge ihres Charakters. Sie kann wohlthun, anordnen, lieben, wird geliebt – glaube, Rosalie! sie schwebt hoch über den Alpen in lauter Wonne.«
Mein Oncle lächelte aus den Brief hin, den er gefaßt hatte, und sagte: »Kinder! es ist mir drollig, zu denken, daß der ganze Lebensweg dieser Frau immer so romantisch war. Sie ist gewiß erst jetzt auf der Stelle der eigentlichen Bestimmung des Weibes – Gattinn und Mutter zu seyn; aber durch wie viele Träume und Feereien gieng sie zu der Wahrheit! Selbst die letzte Scene in Aix ist klarer Roman – und das Beste, daß die Kinder und die Gläubiger geborgen sind.« – –
Ich setzte hinzu: Auch Pinndorfs Unterthanen: denn unsere Freundinn führt ihn gewiß zu edelm menschenfreundlichem Gebrauch der Obergewalt, und Gustav wird auch dazu geleitet – so giebt es doch auf den Pinndorfischen Güthern zwei Geschlechter hindurch glückliche Bauerleute. –
Meine zwei Oberherren waren auch davon überzeugt, und freuten sich auf den ersten Besuch des zärtlichen Paars, und auf die Verwandlungen in Pinndorfs Wohnsitz. Cleberg schrieb, nach dem auf einem kleinen Blatt gezeigten Wunsch der van Guden, die Heurath an Wolling und unsere Grafe, um diese, wie er behauptet, für die Zahlung der Riemischen Hochzeit zu belohnen, und endigte seine muthwillige Beschreibung mit den kleinen Versen:
Durch Ströme und Seen – Auf Berge und Höhen – Find't Liebe den Weg. – |
Ich bekenne, ich glaube auch, daß Pinndorf leben bleibt, aber gewiß ist doch, daß van Guden um diesen Menschen vieles litte, und daß ihre Lage bei der todtkranken Frau, und dem kummervollen Mann, sehr peinlich seyn mußte. Für unsere Gesellschaft ist sie nun verloren, denn was sind Besuche selbst von acht und vierzehn Tagen gegen den vertrauten Umgang der verflogenen Zeit! Und dann bemerkte ich deutlich, daß die Idee von Schwäche des Charakters meinem Oncle und meinem Mann einen Grad von Geringschätzung für Pinndorf gab, so wie die Ueberzeugung von dem Romantischen in ihr auch der Achtung für sie schädlich ward – diese Gesinnungen würden in jedem von ihnen zu sehen seyn, und also auch den Pinndorfs ihren Aufenthalt bei uns unangenehm machen. Es ist also bei der neuen Lage des Ganzen sehr gut, daß ich so viele Monate hindurch an ihre Abwesenheit, und selbst an den Mangel ihrer Briefe gewöhnt wurde, damit ich den neuen Riß, den ihre Heurath in unsere gesellschaftliche Verbindung macht, desto gelassener ertrage. Diese Gelassenheit in mir düngte mich sonderbar, und ich fand ihren Grund in einem innern Mißvergnügen über diesen Schritt unserer Freundinn; doch wollte ich auch Cleberg und meinen Oncle darüber hören, nahm aber mit meiner Frage den kleinen Umweg, ihnen zu sagen: Sie schienen mir mit dem Ausgang der Geschichte unserer van Guden etwas unzufrieden, und ich glaubte sogar, daß sie für ihre Liebe, ihre Trauer und ihre Eifersucht mehr Nachsicht erhalten habe, als für die Heurath. –
Cleberg sagte schnell: »Das ist wahr, Rosalie! denn wir hoften immer, sie einmal von der so lang herrschenden Leidenschaft geheilt zu sehen, und jeder Auftritt von Größe und Stärke der Seele hätte uns noch manches Schöne gezeigt, aber jetzo ist alles zernichtet, selbst das Große, was in ihrer romantischen Lage und Betragen war, ist durch das Gewöhnliche der Heurath verschwunden, und macht die nämliche Wirkung, wie in Romanen – man schließt das Buch zu, und wünscht sich ein anders.« –
Dieses gefiel mir nicht, und ich sagte meinem Oncle: Er solle mir doch ernsthaft erklären: Ob van Guden die Bitte des Besuchs versagen konnte?
»Nein – und das sollte sie auch nicht; aber das ungebetene Anerbieten ihrer Hand war überflüßig, und beweist, wie sehr dieser Wunsch in ihrer Seele lag.«
Ich erwiederte: Bedenken Sie aber doch, daß sie es allein wegen der Vormundschaftsrechte bei den Kindern that.
»Ich glaube, daß sie dieses sich selbst sagte, aber gewiß war es nicht der Hauptbeweggrund, denn sonst würde sie bei der Anzeige seiner zunehmenden Krankheit doch auch gesagt haben: Bald wird er seinen Kindern entrissen – oder so was; aber sie klagt nur, daß er nicht mehr lang für seine zärtliche Freundinn leben werde.«
Cleberg sagte lächelnd: »Salie! ist dies nicht eine der Ritzen, durch welche man mehr sieht, als wenn die Thüre offen ist?«
Wie sollte ich nun gegen die zwei Männer fortstreiten? Die Geschichte unserer Freundinn war, wie sie sagten, zu Ende, und ich fühlte es, in ihren Anmerkungen lag Wahrheit; ich setzte also nur munter hinzu: Mich freue es, durch die nämliche Ritze zu entdecken, daß das Romantische einen größern Reiz für uns habe, als ich nicht dachte, weil uns die für die Kinder so wohlthätige sichere Heurath nicht so angenehm sey, als das Schwankende des bisherigen Zustandes, worüber wir uns manchmal lustig machen konnten.
Cleberg sah mit seinem großen Auge lebhaft nach mir, und sagte zum Oncle: Ich glaube, wir sehen bei dieser Gelegene heit auch etwas Neues in Rosalien – denn sie hat, bei dem Vorwurf über den Geschmack an dem Romantischen, das Wörtchen uns nur aus Finesse eingeschaltet – wir Beide, lieber Oncle, sind allein gemeint.«
»Woher käme es aber, Liebe! (erwiederte mein Oncle) daß du den Muth nicht hättest, uns eine Wahrheit gerade heraus zu sagen?«
Bei Ernst (sagte ich, seine Hand küssend) werde ich gewiß niemals einen Umweg nehmen, aber bei Scherz kann man wohl durch eine Seitenthüre erscheinen.
Beide lächelten nun freundlich, und ich dachte, wenn Frau Grafe da gewesen wäre, so hätte ich ihr gedankt, wenn sie schnell gesagt hätte: »Rosalie nimmt die Seitenthüre, weil sie des Oncles Ernst, und des Mannes Feinheit fürchtet.« Denn gewiß solche Wahrheit würde von der Nichte und Gattinn nicht so gut aufgenommen, als von einer fremden Frau. Nun bin ich aber begierig zu hören, ob meine theure Mariane auch denkt, sie habe mit uns verschiedene Theile eines Romans gelesen, der den Titel führte:
Heurathsgeschichte der Sophie van Guden.