Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Alles am falschen Ort.

Einst war da ein Kaufmann aus Tours, der kaufte eine schöne, feiste Lamprete, um seinem Pfarrer und anderen angesehenen Leuten ein festlich Mahl zu bieten, ließ den Fisch zu sich ins Haus bringen und schärfte seiner Frau sorglich ein, ihn lecker zuzubereiten, so gut sie es nur verstünde.

»Und sorgt dafür,« sagte er, »daß das Essen pünktlich um zwölf bereit ist, denn ich bringe unseren Pfarrer und noch einige andere Leute mit,« die er ihr nannte. »Alles wird bereit sein,« meinte sie, »bringt mit, wen Ihr wollt.«

Sie richtete also einen großen Haufen guter Fische her; als sie aber an die Lamprete kam, hätte sie diese gern ihrem Freunde im Franziskanerkloster zugeschustert. Sie sagte deshalb bei sich:

»Ach, Bruder Bernhard, warum seid Ihr nicht dabei! Auf mein Wort, Ihr wäret nicht fortgegangen, ohne von der Lamprete versucht zu haben, oder Ihr hättet sie wohl gar mit auf Euer Zimmer genommen. Und ich hätte Euch bestimmt dabei Gesellschaft geleistet.«

So nahm die gute Frau die Lamprete mit tiefstem Bedauern in die Hand, sintemalen die doch für ihren Mann bestimmt war, und mochte an nichts anderes denken als daran, wie ihr Pater sie haben könnte. Sie saß und grübelte so lange, bis sie zu dem Schlusse kam, ihm den Fisch durch eine Alte zuzuschicken, die um ihr Geheimnis wußte. Das tat sie denn auch und bestellte ihm zugleich, daß sie zur Nacht kommen würde, mit ihm zu essen und dort zu schlafen.

Als Meister Braunrock die schöne Lamprete sah und die Botschaft seiner Liebsten hörte, war er begreiflicherweise froh und guter Dinge. Und er sagte zu der Alten: ›Wenn er guten Wein auftreiben könne, würde die Lamprete nicht um ihr Recht kommen, gegessen zu werden.‹ Die Alte kehrte von ihrer Besorgung heim und richtete ihren Auftrag aus.

So um die zwölf kommt richtig unser Kaufmann an und schleppt den Pfarrer und andere wackere Leute mit, du helfen sollten, die Lamprete zu verspeisen, die ihnen nun freilich schon entwischt war. Als sie sich alle im Hause des Kaufmanns versammelt hatten, führte er die ganze Gesellschaft in die Küche, um ihnen die feiste Lamprete zu zeigen, mit der er sie bewirten wollte. Er rief seine Frau und hieß sie:

»Zeigt uns unsere Lamprete; ich möchte den Leuten dartun, was für einen guten Kauf ich gemacht habe.«

»Was für eine Lamprete?« verwunderte sie sich.

»Die Lamprete, die ich Euch zum Essen mitsamt diesen anderen Fischen bringen ließ.«

»Ich habe keine Lamprete gesehen,« erklärte sie. »Mich dünkt, Ihr träumt. Hier ist ein Karpfen, da sind zwei Hechte und dort noch allerlei Fische. Aber eine Lamprete fand ich heute nicht dabei!«

»Wie?« fuhr er auf, »glaubt Ihr vielleicht, ich bin betrunken?«

»Weiß Gott,« mischten sich nunmehr der Pfarrer und die anderen ein, »wir haben heute schon fast etwas derartiges vermutet. Ihr seid etwas zu sparsam, um in dieser Zeit eine Lamprete zu kaufen.«

»Weiß der Himmel,« bestätigte die Frau, »er macht sich über euch lustig oder er hat von einer Lamprete geträumt, denn in diesem Jahr habe ich bestimmt noch keine Lamprete gesehen.«

Der gute Ehemann kam in Zorn und schnaubte: »Ihr habt gelogen, Lotterweib, habt sie gegessen oder irgendwo versteckt. Ihr könnt Gift darauf nehmen, daß eine so teure Lamprete nicht für Euch bestimmt war.«

Dann wandte er sich zu dem Pfarrer und den anderen, und verschwor sich bei seinem Leben und hundert Eiden, seiner Frau eine Lamprete gegeben zu haben, die ihn einen ganzen Franken gekostet habe. Die andern wollten ihn noch mehr reizen und in Wut bringen. Deshalb taten sie, als ob sie ihm nicht glaubten, machten Redensarten, als seien sie unzufrieden, und beklagten sich:

»Wir waren bei diesem und jenem eingeladen und haben das alles aufgegeben, um hierher zu kommen, weil wir glaubten, daß es Lampreten zu essen gibt. Aber wie wir nun sehen, werden wir uns an solchem Leckerbissen freilich nicht überfressen!«

Der Wirt kam in hellen Zorn, nahm einen Stock und ging auf seine Frau los, um sie damit gehörig zu verhauen. Aber die andern hielten ihn fest, führten ihn mit Gewalt aus dem Hause und bemühten sich, ihn so gut sie konnten, zu beruhigen, nun sie ihn so in Erregung kommen sahen.

Da sie also um ihre Lamprete gekommen waren, hieß der Pfarrer das Essen auftragen, und sie futterten, daß es nur so eine Freude war.

Die wackere Frau, die die Lamprete eingetan hatte, ließ derweile zu einer ihrer Nachbarinnen schicken, – eine Wittib, aber eine gar hübsche, rundliche Frau. Die lud sie ein, mit ihr zu essen. Und als sie das Weiblein in der rechten Stimmung sah, meinte sie:

»Liebe Nachbarin, es wäre nett von Euch, wenn Ihr mir einen Dienst leisten und eine besondere Freude machen wolltet. Würdet Ihr so etwas für mich tun, dann wäre ich Euch so dankbar, daß Ihr wohl zufrieden sein könntet.«

»Und was sollte ich für Euch tun?« fragte die andere.

»Ich will es Euch sagen,« entgegnete sie. »Mein Mann ist nachts mordsmäßig liebstoll, – ja, es ist geradezu erstaunlich. In der letzten Nacht ist er derart mit mir umgesprungen, daß ich heute, auf mein Wort, ordentlich ängstlich der Nacht entgegensehe. Ich bitte Euch, vertretet mich, und kann ich jemals etwas für Euch tun, so will ich mit Leib und Eigen für Euch einstehen.«

Die gute Nachbarin hätte ihr gern solche Freude und diesen Dienst getan, und erklärte sich damit einverstanden, sie zu vertreten, wofür sie denn auch heißen, reichlichen Dank erntete.

Nun müßt ihr wissen, daß unser Kaufmann mit der Lamprete, als das Essen glücklich vorbei war, sich einen reichlichen Vorrat an Birkenreisern zugelegt hatte, die er heimlich ins Haus brachte und bei seinem Bette verbarg; denn er sagte sich, daß sie seiner Frau nächstens recht dienlich sein könnten. Aber er konnte es doch nicht so heimlich tun, daß seine Frau nichts davon merkte. Die paßte nämlich wie ein Schießhund auf, weil sie genugsam aus langer Erfahrung die Grausamkeit ihres Mannes kannte. Der aß zur Nacht nicht daheim, sondern blieb lange außer Hause, bis er gewiß war, sie entkleidet und im Bett zu finden. Aber sein Überfall mißlang. Denn als der Abend kam und es spät wurde, veranlaßte die Frau ihre Nachbarin, sich an ihrer Statt zu entkleiden und ins Bett zu legen; und sie band ihr auf die Seele, nur ja dem Manne kein Wort zu erwidern, wenn er käme, sondern die Kranke und Stumme zu spielen. Ja, mehr noch: sie löschte das Feuer drinnen im Hause, in der Küche wie in der Stube aus.

Nachdem sie das getan hatte, beauftragte sie die Nachbarin, sich sofort in ihr Haus zurückzubegeben, sobald ihr Mann sich am Morgen erhoben habe. Das versprach ihr die andere; und nachdem die gute Wittib ordentlich untergebracht worden war und im Bette lag, ging die wackere Frau fort zu den Franziskanern, um die Lamprete zu essen und sich Vergebung zu holen, wie sie das gewohnt war.

Während sie sich's dort wohl sein ließ, können wir von dem Kaufmann berichten, daß er nach dem Abendessen heimkam. Wutschnaubend und zornentbrannt wegen der Lamprete, gedachte er nun auszuführen, was er innerlich beschlossen hatte, holte sich seine Ruten, und mit ihnen bewaffnet suchte er überall die Kerze. Aber er konnte sie nicht finden. Selbst in der Esse gab es kein Feuer.

Als er das sah, legte er sich stillschweigend ins Bett und schlief bis zum Tagesanbruch. Dann erhob er sich, kleidete sich an, langte sich darauf die Ruten und taufte damit die Stellvertreterin seiner Frau derart stürmisch, daß er sie fast zum Klumpen gehauen hätte. Immer wieder rief er ihr die Lamprete in Erinnerung und richtete die Ärmste so schlimm her, daß sie am ganzen Körper blutete, ja, daß selbst die Bettücher im Blute schwammen und es aussah, als wäre ein Ochs geschlachtet worden. Aber die arme Dulderin wagte kein Wort zu sagen, noch selbst ihr Gesicht zu zeigen. Endlich machten die Ruten nicht mehr mit, er selbst wurde matt, und so ging er fort und verließ das Haus. Und die arme Frau, die erwartet hatte, mit gar zärtlichem, liebevollem Zeitvertreibe bewirtet zu werden, machte auch, daß sie fortkam. Sie eilte heim, um ihrem Schmerz über ihr Unglück und ihr Duldertum Luft zu machen, und gar manche Drohung, mancher Fluch gegen ihre Nachbarin stieg da gen Himmel.

Während der Ehemann außer dem Hause war, kam seine gute Frau vom Kloster heim. Sie fand im ganzen Zimmer Ruten verstreut, ihr Bett zerzaust und zerwühlt, die Laken über und über blutig. Daraus erkannte sie auf den ersten Blick, daß es ihrer Nachbarin an den Kragen gegangen war, wie sie sich das schon gedacht hatte. Ohne zu zögern machte sie ihr Bett in Ordnung, legte gute frische Laken auf, putzte die ganze Stube und ging dann zu der Nachbarin. Sie fand das arme Weib in einem furchtbaren, jämmerlichen Zustande, und es bedarf wohl keiner Erklärung, daß mit ihr nicht zu reden war. So schnell sie konnte, eilte sie deshalb in ihr Haus zurück, kleidete sich vollständig aus, legte sich in ihr schönes frischgemachtes Bett und schlief ausgezeichnet, bis ihr Mann aus der Stadt zurückkam. Der war von seinem Zorn fast geheilt, denn er hatte sich ja gerächt. Er ging also zu seiner Frau, die noch im Bette lag und so tat, als ob sie schliefe.

»Was soll das heißen, Frau?« brummte er. »Ist es nicht Zeit zum Aufstehen?«

»Sprichst du mit mir?« gähnte sie. »Ist es denn schon Tag? Bei meinem Eide, ich habe Euch nicht aufstehen hören. Ich hatte einen Traum, der mich nicht loslassen wollte.«

»Mich dünkt,« polterte er, »Ihr träumtet von der Lamprete, nicht wahr? Das wäre ja auch nicht gar verwunderlich, denn ich habe sie Euch heut morgen gehörig ins Gedächtnis gerufen.«

»Bei Gott,« versetzte sie, »ich dachte weder an Euch noch an Eure Lamprete.«

»Wie, habt Ihr sie so bald vergessen?«

»Vergessen? Ein Traum wischt alles weg!«

»Gewiß war es der Traum von der Tracht Prügel, die ich Euch vor kaum zwei stunden verabreicht habe.«

»Mir« verwunderte sie sich.

»Gewiß, Euch!« beharrte er. »Ich weiß, es wird verschiedentlich und unverkennbar zu sehen sein, auch in den Bettüchern wird man die Spuren finden.« »Auf mein Wort, Freundchen,« erwiderte sie, »ich weiß nicht, was Ihr getan oder geträumt habt, aber ich erinnere mich gar wohl, daß Ihr heut morgen mit recht viel Appetit eueren Liebeshunger gestillt habt. Anderes weiß ich nicht. Wahrscheinlich habt Ihr das ebenso geträumt, wie die Geschichte mit der Lamprete, die Ihr mir gestern gegeben haben wolltet.«

»Das wäre ein seltsamer Traum,« sagte er. »Laßt Euch ein wenig besehen.«

Sie nahm die Bettdecke weg, schlug sie zurück und zeigte sich ganz nackt, ohne Fleck oder eine Wunde. Und auch die Tücher waren schon weiß, ohne Fleck oder Blut. Darob war er unsäglich verblüfft. Er begann, eingehend zu sinnen und zu grübeln. Das tat er eine gute Weile, und schließlich sagte er:

»Bei meinem Eide, liebste, ich glaubte, Euch heut morgen bis aufs Blut verprügelt zu haben! Aber nun sehe ich, damit war es nichts, und ich weiß nicht, was mir da für merkwürdige Dinge vorgekommen sein mögen.«

»Flink,« rief sie, »löscht diese ganze Prügelgeschichte aus Euren Gedanken aus, denn Ihr könnt ja nun mit eignen Augen sehen, daß Ihr mich nicht berührt habt. Macht Euch nur klar, daß all das ein Traum war.«

»Ich sehe ein,« gab er ohne Zögern zu, »daß Ihr die Wahrheit sprecht. Bitte, verzeiht mir, denn ich weiß nun, daß ich unrecht tat, Euch vor den Fremden, die ich mitbrachte, so arg zu schelten.«

»So will ich Euch denn weitherzig verzeihen,« meinte sie. »Aber merkt Euch: Daß Ihr mir nicht wieder so leichtfertig und überstürzt handelt!«

»Das will ich gewiß nicht wieder tun, Liebste,« versicherte er ihr. –

So schlau also wurde der Kaufmann von seiner Frau hintergangen, daß er wirklich glaubte, den Kauf der Lamprete und alles andere nur geträumt zu haben.


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