Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Die Kehrseite der Medaille.

Lebte da einst in der schönen Stadt Valenciennes ein angesehener Bürgersmann, der ehemals Steuereinnehmer im Hennegau gewesen war und sich aller nur erdenklicher Vorzüge rühmen konnte. Seine weitherzige, zurückhaltende Klugheit war beinahe sprichwörtlich, und in dem Strahlenkranze seiner Tugenden glänzte nicht zum mindesten seine Freigiebigkeit, die ihm auch die Gunst der Fürsten, der hohen Herren und anderer Leute der verschiedensten Stände eintrug. Solchermaßen goß Frau Fortuna das Füllhorn des Glückes über ihn aus und wachte über ihn bis ans Ende seiner Tage.

Schon bevor der Tod die Kette zerriß, durch die er an sein Eheweib gefesselt war, bewohnte dieser biedere Mann ein Haus, das wohl auch dem vornehmsten Bürgersmanne zur Ehre gereicht hätte. Das lag inmitten mehrerer prächtiger Häuser und hatte Ausgänge nach verschiedenen Straßen. So gab es denn da auch eine kleine Hintertür, und der gegenüber wohnte ein wackerer Geselle mit seinem Weibe, einem bildhübschen, zierlichen, rundlichen Ding. Und wie's so geht: ihre Augen, diese Bogenschützen des Herzens, entsandten so viele Pfeile wider den vermeldeten Bürgersmann, daß er sicher nicht mit dem Leben davonkommen konnte, wenn er für seine Wunden nicht schleunigst das nötige Heilmittel beschaffte.

Um zu dem fraglichen Ziele zu gelangen, wußte er es durch allerlei pfiffig erdachte Mittel einzurichten, daß er sich mit dem Ehegemahl der liebeheißen Huldin aufs innigste und herzlichste anfreundete. Und bald gab's kein Mittag- und kein Abendessen, kein Gelage, kein Schwitzbad, keine Kurzweil mehr, weder bei sich daheim noch anderwärts, wo der Ehemann ihm nicht Gesellschaft leistete. Und darob war selbiger riesig stolz und schwelgte in den ihm gebotenen Freuden.

Nachdem sich unser Bürgersmann solcherart mit der Verschlagenheit eines Fuchses die Gunst des Gatten erschlichen hatte, brauchte er nicht mehr in Sorge zu sein, daß ihm die Liebe der Schönen entgehen könnte. Wirklich hatte er es nach wenigen Tagen unermüdlicher Vorstöße dahin gebracht, daß dies unternehmungslustige Weiblein ihm mit glückseliger Zufriedenheit Gehör schenkte und seinen zärtlichen Klagen lauschte. Nun galt es nur noch festzustellen, wann und wo sie ihre ärztliche Pflege dem armen Kranken angedeihen lassen könnte. Und zu dem Ende versprach sie dem Herzliebsten, sie würde ihn sofort in Kenntnis setzen, wenn ihr Mann abwesend sei und die ganze Nacht fortbleiben würde.

Es dauerte auch gar nicht lange, da trat das so sehnlichst erhoffte Ereignis ein: der Ehemann teilte seiner besseren Hälfte mit, daß er sich zu seinem Schlosse begeben müsse, das drei Meilen von Valenciennes lag, und da er dort unbedingt bis zum folgenden Tage zu tun habe, so müsse sie sorglich daheimbleiben und während vierundzwanzig Stunden das Haus hüten. – Daß die Schöne innerlich vor Vergnügen strahlte, wenn sie sich das auch äußerlich nicht merken ließ, darüber brauchen wir nicht im Zweifel zu sein. Und der Ehemann mochte noch keine Meile zurückgelegt haben, als der andere bereits längst wußte, was für ein Glücksfall sich da ereignet hatte. Alsbald ließ er das Bad heizen und richten, ließ Pasteten, Backwerk und Würzwein vorbereiten und entwickelte so viel Prunk, schaffte so viel von den holden Dingen herbei, damit der liebe Gott die Welt gesegnet hat, daß es bei ihm aussah wie in eines Königs Palast.

Als dann der Abend kam, ging die Hinterpforte auf und hinein schlüpfte die Schöne, die doch eigentlich daheim aufpassen sollte. Daß sie hinreichend zärtlich empfangen wurde, weiß der liebe Himmel: ich glaube, ich kann über diesen Punkt sachte hinweggleiten, und zudem nehme ich an, daß die Zwiesprache, die das fröhliche Pärchen pflog, auch allerlei Dinge umfaßte, denen sie sich zuvor nicht hatten widmen können, bevor ihnen dieser Tag der Erfüllung ihrer Wünsche schlug.

Nachdem sie in die Stube hinabgestiegen waren, begaben sie sich in das Bad, allwo ihnen in aller Eile in prächtiges Abendessen gereicht wurde. Daß sie sich beim Trinken nicht in strenger Mäßigkeit übten, dürfte einleuchtend genug sein; und was die Dinge anbetraf, die es da zu schnabulieren und zu schlecken gab, so kann ich wohl auf eine längere Beschreibung verzichten – kurz gesagt: wenn man überhaupt etwas daran hätte aussetzen können, so war's die riesige Menge und die große Auswahl.

Solchermaßen verlief diese nur allzu kurze holde Nacht in sanften Wonnen: Küsse hin, Küsse zurück – und mancher geriet so lang, daß die Bedürfnisse nach dem Bette dauernd stiegen.

Während es nun aber dort so hoch und herrlich herging, kam unversehens der Ehemann von seiner Reise zurück, der ja von den Dingen, die sich da zutrugen, keine Ahnung hatte und gar vernehmlich an die Tür pochte. Maßen nun die versammelten Anwesenden nicht gerade in der Stimmung waren, jemanden hineinzulassen, so wurde ihm zunächst die Tür nicht geöffnet, ehe er nicht seinen Namen genannt hatte. Den sagte er laut und deutlich, und so konnte weder für die holde Schöne noch für den Bürgersmann ein Mißverständnis obwalten. Dem Weiblein gab die Stimme ihres Eheliebsten einen derartigen Schrecken, daß um ein Haar ihr edles Herz aufgehört hätte zu schlagen. Und sie hatte alle Fassung auf Nimmerwiedersehen verloren, wenn sie nicht der Bürgersmann und seine Leute gar zart getröstet und beruhigt hätten. Besonders der Bürgersmann behielt seine ganze Geistesgegenwart und zeigte sich völlig auf der Höhe: Er ließ sie schleunigst ins Bett schlüpfen, legte sich neben sie, befahl ihr, sich so eng wie möglich an ihn zu schmiegen und ihr Gesicht so wohl zu verbergen, daß man auch kein Eckchen davon wahrnehmen konnte, und gab dann ohne Hast, aber natürlich so bald als möglich den Befehl, die Tür zu öffnen.

Und so platzte der Ehemann in die Stube hinein. Der ahnte bereits irgendein Geheimnis, als er draußen so lange hatte warten müssen. Und als er nun den Tisch erblickte, der unter der Last der Weine und Prunkgerichte schier zusammenbrach, als er das Bad so herrlich gerichtet sah und den Bürgersmann in dem Himmelbett mit seinen prangenden Vorhängen zur Seite einer holden Weiblichkeit erschaute, da erlegte er sich weiß Gott keinen Zwang aus und erläuterte das Wappenschild des Ehemannes nach allen Regeln der Kunst: schimpfte ihn Wüstling, Hurenjäger, Lüstling und Säufer, und taufte ihn kurz und gut mit so wohlklingenden und ausdrucksvollen Namen, daß alle Anwesenden und am Ende er selbst sich vor Lachen schüttelten. (Seinem Weibe war allerdings derweile nicht so fröhlich zumute, zumal es doch nun keine Möglichkeit hatte, seine Lippen auf die seines neuen Freundes zu pressen.)

»Ach, Herr Geilbock!« schalt der Eindringling, »Ihr habt mir dieses Festgelage ja recht sorgfältig verheimlicht! Aber wenn ich schon das Hochzeitessen verpaßt habe, dann muß ich doch zum mindesten die Braut zu sehen bekommen!«

Sprach's, nahm eine Kerze und nahte mit großen Schritten dem Bette. Und schon war er im Begriff, die Decke fortzureißen, darunter sein treffliches, gutes Frauchen schweigend Höllenqualen erduldete, als der Bürgersmann und seine Leute dazwischenfuhren und ihn daran hinderten. Aber damit ließ er sich nicht abspeisen; kräftig wehrte er die andern ab und griff immer wieder nach dem Bett. Freilich kam er nicht zum Ziel und ward schließlich inne, daß man ihm mit gutem Grund seinen Wunsch doch nicht erfüllen würde. Aber dann wurde ihm etwas zugebilligt, was einigermaßen den Reiz der Neuheit für ihn hatte und sanften Balsam auf sein unzufriedenes Gemüte goß: Der Bürgersmann ließ sich dazu verstehen, ihm die Hinterfront seines Weibes, der Hüften und Schenkel blinke Rundlichkeiten in ihrer ganzen prangenden Pracht und allem Drum-und-Dran zu enthüllen. Aber mehr als dieser schöne, ehrenhafte Anblick ward ihm nicht gewährt, und das Gesicht der Schönen blieb sorglich zugedeckt.

Der wackere Mann stand eine gute Weile mit seiner Kerze in der Hand in diesen Anblick versunken da, ohne ein Wörtlein zu reden. Und als endlich seine Sprache wiedergefunden hatte, da besang er die Schönheit dieser (seiner) Frau in den höchsten Tönen; legte sogar einen Eid darauf ab, daß er niemals Frauenreize gesehen habe, die so sehr denen seines eignen Weibes geglichen hätten, und erklärte, er würde geschworen haben, daß sie es wäre, wenn er sie nicht daheim in seinem Hause wüßte!

Alsbald ward die Decke wieder zurückgeschlagen, und er entfernte sich von dem Bette; und weil er gar nachdenklich dreinschaute, so redeten die anderen auf ihn ein und bedeuteten ihn: sicherlich sei er im Irrtum und er würde ja bald Gelegenheit haben, sich daheim davon zu überzeugen, daß er seine bessere Hälfte viel zu gering eingeschätzt habe und bei ihr sicherlich ganz andere, unvergleichlichere Schönheiten bewundern könne. – Um die überangestrengten Augen des armen Märtyrers wieder zu kräftigen, befahl der Bürgersmann, ihn an dem Tische zu verstauen, allwo er denn auch bald auf andere Gedanken kam, sintemalen er sich an Speise und Trank gütlich tat, soweit ihm wenigstens die andern etwas übriggelassen hatten, die sich auf seine Kosten erlustigten.

So schlug denn die Abschiedsstunde: er wünschte dem Bürger und dessen Leuten eine gute Nacht und bat eindringlichst, daß man ihm die Hintertür öffne, damit er schneller nach Hause käme. Aber der Bürger bedauerte, jetzt den Schlüssel nicht suchen zu können; und zudem würde diese Tür so wenig benutzt, daß sicherlich das Schloß ganz verrostet sei und möglicherweise gar nicht aufginge. So mußte sich der andere damit zufrieden geben, daß man ihn vorn hinausließ, wo er freilich ein ganz Stück Weges hatte, bis er zu seinem Hause gelangte. Während ihn aber die andern zur Vordertür geleiteten und ihn durch Plaudern möglichst lange hinhielten, half man dem guten Weiblein schleunigst in ihre Sachen. Eins, zwei, drei war es in die Unterkleider geschlüpft, hatte das Leibchen unter den Arm genommen und sauste zur Hinterpforte; mit einem Satz war die Holde daheim und erwartete wohlgerüstet und sehr sicher in der Rolle, die sie zu spielen gedachte, ihren Mann, der solch großen Umweg machen mußte.

Als er an seinem Hause anlangte und dort noch Licht sah, pochte er recht grob an die Tür. Derweile hantiert sein Weiblein mit einem Kehrbesen herum und fragt ihn:

»Wer ist da?« – obgleich sie es doch ganz gut weiß.

Er antwortet: »Dein Mann.«

»Mein Mann?« verwundert sie sich. »Das kann nicht sein. Mein Mann ist außer Stadt.«

Wieder pocht er und ruft: »Mach' auf, mach' auf'. Ich bin dein Mann.«

»Ich kenne meinen Mann recht gut und weiß, daß er nicht so spät heimkommt, wenn er in der Stadt ist. Schert Euch nur fort – hier seid Ihr nicht richtig. Das ist hier kein Haus, wo man zu so später Stunde anklopfen kann.«

So pocht er zum drittenmal und ruft ihr zwei-, dreimal seinen Namen zu. Aber sie tat, als erkenne sie ihn nicht, und als er immer weiter rief: »Mach' auf, mach' auf!«, da entrüstete sie sich:

»So macht doch selbst auf! Seid Ihr noch nicht da, Herr Krachmacher?! Bei allen Heiligen, ich sähe Euch lieber ertrinken, als daß ich Euch hereinließe! Schert Euch weg und schlaft Euren Rausch in der Kneipe aus, wo Ihr herkommt!«

Nunmehr wurde der Mann fuchsteufelswild. Er trommelt aus Leibeskräften wider die Tür, als wollte er sie einschlagen, und drohte seinem Weibe wutschäumend, sie braun und blau zu schlagen. Davor war ihr nicht sehr bange; aber am Ende macht sie doch auf, um den Streit zu beenden und ihm besser auf den Kopf zu kommen.

Als er eintrat – heiliger Himmel, was für eine Laune traf er da an, was für ein giftiges, zornflammendes Gesicht bekam er da zu sehen! Erst konnte sie offenbar keine Worte finden, und der tobende Grimm, der ihr im Herzen quoll, schnürte ihr die Kehle zu. Dann aber setzte es eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen hatte! Die Worte, die auf ihn niederregneten, waren schneidend wie frisch abgezogene Rasiermesser: da warf sie ihm vor, er habe das absichtlich so eingerichtet und voller Bosheit ausgetüftelt, um sie auf die Probe zu stellen und möglicherweise abzufangen; wie ein feiger Schuft habe er sich benommen, er sei ein ganz gemeiner, hinterlistiger Kerl und nicht einen Pfifferling wert, geschweige denn, daß er es überhaupt verdiene, ein so keusches, sittsames Weib, wie sie eines wäre, zu eigen zu haben.

Der gute Gesell war zwar selbst zuvor gehörig wütend und erregt gewesen. Aber wie nun der Spieß umgekehrt und ihm sein Unrecht vorgehalten wurde, da verflüchtigte sich sein Grimm; und genau so wild, wie er eben noch vor der Haustür getobt und geschrien hatte – genau so sanft begann er nun plötzlich sein Weiblein zu beschwichtigen. Er brachte zu seiner Entschuldigung vor, daß er just das wichtigste, den Brief, vergessen hatte, darin sein ganzer Auftrag beschrieben war, und deshalb sei er wieder zurückgekommen.

Sein Ehgemahl tat, als glaubte sie ihm kein Wort. Wieder begann sie, ihn mit Schmeichelworten zu überschütten, warf ihm vor, daß er aus der Kneipe käme, oder einem Dampfbad, oder sonst einer verhurten Lasterstätte, und daß es geradezu eine Schande wäre, wenn sich ein anständiger Mensch so skandalös aufführe; und dann verfluchte sie die Stunde, da sie ihn kennen gelernt hatte, die Stunde, da sie ihm angetraut und zu ihrem Unglück sein ehelich Weib geworden war.

Der Ärmste war ganz verzweifelt. Er sah sein Unrecht ein, und da er sein gutes Frauchen nicht, ach!, noch mehr erregen wollte, als sie es offenbar bereits war, so wußte er gar nicht, was er noch zu seinen Gunsten vorbringen könnte. Nachdem er dann aber eine Weile nachgesonnen hatte, zog er sie sanft an sich heran, kniete unter heißen Tränen vor ihr nieder und sprach alsdann folgende herrliche Worte:

»Teure Gefährtin meines Lebens, du mein hochgemutes Weib – ich bitte dich flehentlich, verscheuche all den Zorn, der dein Herz ergriffen hat, und vergib mir, wenn ich dir irgendwie Unrecht getan haben sollte. Ich sehe ja alles ein, weiß, wo ich schuld bin – denn ich komme von einem Orte, wo es recht hoch herging. Ich muß sogar zu meiner Schande gestehen, daß ich dich in dieser Gesellschaft erkannt zu haben glaubte und deshalb über die Maßen ungehalten war. Und da ich dich solchermaßen ohne Grund und zu Unrecht in einem falschen Verdacht hatte und deine Tugend törichterweise in Zweifel zog, so bitte ich dich nunmehr, wo ich das bitterlich bereue, von Herzen und flehentlichst, laß allen Grimm fahren, so wie mein Zorn entschwunden ist; vergiß, verzeihe mir gütigst und trage mir meine Torheit nicht nach.«

Als das liebefrohe Weiblein seinen Mann da angelangt sah, wo es ihn haben wollte, da ward es auch zusehends milder und verzichtete darauf, weiter Gift und Galle zu speien. Es klang schon ganz anders, als sie sagte:

»Wie denn, du arger Lüstling, – wenn du von einer schändlichen Lasterstätte kommst, dann hältst du dich für berechtigt anzunehmen und dir vorzustellen, dein züchtiges Weib könnte auch an solchen Orten Gefallen finden?«

»Nein doch, da sei Gott vor! Ach, ich weiß ja, Liebste – bitte, rede nicht mehr davon,« schluchzte der Mann. Und dann neigte er sich voll Zärtlichkeit zu ihr und bat sie um holde Gunst, davon hier ja schon des öfteren die Rede war. Und sie war zwar noch immer über seinen Verdacht recht aufgebracht; aber da sie ihn so außerordentlich zerknirscht sah, stellte sie ihre Vorwürfe ein, ließ ihr bebendes Herz mählig zur Ruhe kommen und verzieh ihm, wenn auch nicht ohne Bedauern, seine schlimmen Kränkungen, nachdem er ihr hunderttausend Reueeide geschworen und ebensoviel schöne Versprechungen gegeben hatte.

So konnte sie denn fortan ohne alle Angst und Unruhe das Hinterpförtlein benutzen. Das tat sie späterhin nämlich noch gar manches Mal, und niemals kam der Mann, den die Sache am meisten anging, hinter diese Schliche.


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