Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Ein Bruder, der mit sich reden läßt.

Derweile mir das Wort verstattet ist und für den Augenblick niemand weiter sich meldet, um das glorreiche und erbauliche Werk dieser Novellensammlung fortzuführen, will ich euch einen Fall erzählen, der sich jüngst in der Dauphiné zugetragen hat und der wohl bei diesen Geschichten eingefügt werden könnte. Es handelt sich auch hier um eine wahre Begebenheit.

Bei einem Edelmanne aus besagter Dauphiné lebte im Hause seine Schwester, ein Mägdelein von etwa achtzehn oder zwanzig Jahren. Sie leistete seiner Frau Gesellschaft, wurde von ihr gar sehr geliebt und hochgehalten, und beide lebten zusammen, wie zwei Schwestern miteinander umgehen und zueinander stehen.

Nun traf es sich, daß dieser Edelmann eine Einladung von einem seiner Nachbarn erhielt, der zwei knappe Meilen von ihm wohnte und ihn bat, mit seiner Frau und seiner Schwester zu ihm zu Besuch zu kommen. So begaben sie sich denn dorthin, und Gott weis, wie wohl sie bewirtet wurden. Nach dem Abendessen nahm die Gemahlin des Edelmannes, der die Gesellschaft zu Gast hatte, die andere Edelfrau und die Schwester besagten Edelmannes mit auf einen Spaziergang. Und während sie von diesem und jenem plauderten, kamen sie zu dem Häuslein des zum Landsitze gehörigen Hirten, der unweit eines weiten großen Parkes die Schafe weidete. Richtig trafen sie denn auch unseren Meister Schäfer bei der Koppel in voller Tätigkeit.

Frauen wissen ja immer eine Menge verschiedenster Dinge zu fragen, und so erkundigten sie sich auch bei ihm unter anderem, ob er in seinem Hause nicht kalt habe. Er erklärte, ihn fröre keineswegs, im Gegenteil sei es bei ihm viel bequemer und behaglicher als bei den Leuten, die ihre schönen, hergerichteten, mit Teppichen und Decken ausgelegten Stuben besäßen. Ein Wort gab das andere, und so kamen sie mit Anspielungen schließlich zu allerlei anzüglichen Betrachtungen. Und der wackere Schäfer, der kein Narr und ganz bei Troste war, verschwor sich bei seinem Leben, daß er auch nächtens seinen Mann zu stehen wisse, und ihn selbst zehn Beweise nicht schreckten. Die Schwester unseres Edelmanns, die diese Rede hörte, warf des öfteren und insgeheim neugierige Blicke auf den Schäfer, und tatsächlich paßte sie solange auf die Gelegenheit, bis sie ihm sagen konnte, er solle doch nichts unversucht lassen, in das Haus ihres Bruders zu kommen und zu ihr zu gelangen; sie würde ihn gar vortrefflich aufnehmen. Der Schäfer sah, wie hübsch das Mägdelein ausschaute, war natürlich weit über das gewöhnliche Maß erfreut, als er diese Aufforderung bekam, und versprach, bestimmt zu ihr zu kommen und sie aufzusuchen.

Kurz und gut, er tat, wie er es zugesagt hatte. Zu der Zeit, die zwischen ihm und dem Fräulein vereinbart war, fand er sich zu Füßen eines hohen Fensters ein, das nur mit Gefahr erklommen werden konnte. Aber sie ließ einen Strick hinunter, und mit dessen Hilfe und an Weingeranke, das sich dort emporschlang, gelangte er glücklich in ihr Zimmer. Es bedarf keines Wortes, um zu sagen, daß er gern gesehen wurde. Alsbald bewies er durch die Tat, wessen er sich gerühmt hatte, und bevor noch der Morgen kam, hatte er eine ganz ansehnliche Reihe wackerer Taten hinter sich, die seiner Liebsten gar frohe Genugtuung bereiteten.

Nun müßt ihr wissen, daß der Schäfer, um zu seiner Dame zu gelangen, zwei Meilen über Land zu gehen und schwimmend die breite Rhône zu durchqueren hatte, die das Haus, in dem die Dame wohnte, umspülte. Kam dann der Tag, so mußte er wieder über die Rhône zurück, und derart kehrte er zu seiner Hürde heim. Diese Leistungen vollbrachte er lange Zeit hindurch, ohne daß es bemerkt wurde. Inzwischen begehrten verschiedene Edelleute des Reichs das Edelfräulein, das zur Schäferin geworden war, zur Ehe. Aber keiner konnte seinen Wunsch erreichen, worüber ihr Bruder keineswegs zufrieden war. Mehrfach hielt er ihr das vor, aber sie hatte stets einen Haufen Entschuldigungen und Entgegnungen zur Hand. Immerhin ließ sie ihren Freund, den Schäfer, das alles wissen, und eines Abends versprach sie ihm: wenn er wolle, würde sie niemals einen anderen denn ihn heiraten. Und er erwiderte, ein schöneres Geschenk könne er sich gar nicht erdenken.

»Aber die Sache wird sich für Euren Bruder und Eure anderen Freunde nicht ermöglichen lassen,« meinte er.

»Das mag Euch nicht kümmern,« erwiderte sie. »Laßt mich nur machen, ich werde schon zum Ziel kommen.«

So gab einer dem anderen das Gelöbnis.

Aber eines Tages kam doch wieder ein Edelmann, der neuerlich um unsere schöne Schäferfrau anhielt und sie zum Weibe haben wollte, wenn er sie auch ohne jede Mitgift und andere Zutat denn ihre standesgemäße Ausstattung an Kleidern und Gewändern zur Frau bekäme. Diesem Vorschlage hätte der Bruder gern Gehör geschenkt, und er vermeinte, die Zustimmung seiner Schwester erlangen zu können, wenn er ihr alles vorstellte, was man in solchen Fällen vorzubringen hat. Doch er konnte nichts zuwege bringen und war darob gar unzufrieden.

Als sie nun aber sah, daß ihr Bruder gegen sie aufgebracht war, da nahm sie ihn beiseite und sagte:

»Lieber Bruder, Ihr habt mich oft gedrängt und mir gepredigt, ich sollte mich mit dem oder jenem verheiraten, und niemals wollte ich darauf eingehen. Ich bitte Euch aber, nehmet mir das nicht übel und verzeiht mir den Verdruß, den ich Euch bereitet habe. Ich will Euch den Grund sagen, der mich in diesem Falle bestimmt und veranlaßt. Nur gebt mir die Versicherung, daß Ihr mir darob nichts Arges tun oder ungnädig werden wollet.«

Dies Versprechen gab ihr Bruder gern. Und als sie derart versichert war, erklärte sie ihm, sie sei so gut wie vermählt, und ihr lebelang wolle sie keinen anderen zum Manne haben als diesen; wenn er wünsche, würde sie ihn ihm in der kommenden Nacht zeigen.

»Ich möchte ihn gern sehen,« versetzte er. »Aber wer ist es denn?«

»Ihr werdet es schon rechtzeitig wissen,« erwiderte sie.

Als nun die gewohnte Stunde kam, siehe, da kletterte auch unser guter Schäfer ins Zimmer seiner Liebsten. Gott weiß, wie durch und durch naß er nach seinem Wege durch den Fluß war. Der Bruder schaut ihn sich an und sieht, daß es der Schäfer seines Nachbarn ist. Er war nicht schlecht verblüfft, aber der Schäfer war es noch mehr, und als er seiner ansichtig wurde, wollte er fliehen.

»Bleibe nur, bleibe nur,« rief der Bruder. »Du brauchst nicht in Sorge zu sein. – Ist das der Mann,« fragte er seine Schwester, »von dem Ihr mir erzählt habt?«

»Freilich, lieber Bruder,« versetzte sie.

»Also dann macht ihm ein gutes Feuerchen, an dem er sich wärmen kann,« meinte jener, »denn er hat es gar nötig. Im übrigen betrachtet ihn als Euren Mann. Wirklich, Ihr habt ganz recht, wenn Ihr ihm wohlgesinnt seid, denn aus Liebe zu Euch stürzt er sich in große Gefahr. Und da Eure Angelegenheiten soweit gediehen sind und Ihr mutig genug seid, ihn zum Gatten haben zu wollen, so will ich kein Hindernis sein. Hol' den Teufel, wer zu spät kommt.«

»Amen,« sagte sie, »und wenn er will, morgen.«

»Recht so,« meinte er. »Und Ihr,« wandte er sich an den Schäfer, »was meint Ihr dazu?«

»Alles nach Wunsch.«

»Weiter gibt's kein Mittel,« versetzte der Edelmann. »Ich bin jetzt auch vom Hirtenstande, da ich doch nun einen Schäfer zum Bruder haben soll.«

Um es kurz zu machen: der Edelmann gab seine Zustimmung zu der Heirat seiner Schwester und dem Schäfer; sie wurde vollzogen und er behielt beide bei sich im Hause, obgleich rings im Lande gar viel darüber gesprochen wurde. War er aber einmal dabei, wenn jemand Bemerkungen machte und meinte, es sei doch gar seltsamlich, daß er den Schäfer nicht geschlagen oder getötet habe, dann erwidert er, gegen jemanden, den seine Schwester lieb habe, könne er nicht böse sein, und es wäre doch immer weitaus besser, einen Schäfer zum Schwager zu haben, an dem seine Schwester ihr Gefallen finde, als sonst irgendeinen hohen Herrn, der ihr nicht behage. Alles das sagte er scherzend und im Spaß, denn er war und blieb stets ein gewandter, netter und unterhaltsamer Edelmann. Und er duldete es gern, mit anzuhören, wenn unter seinen Freunden und seinen nächsten Gefährten von seiner Schwester gesprochen wurde.


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