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Ein Edelmann unseres Königreiches, ein bekannter und weit berufener Junker, verliebte sich in Rouen in eine sehr schöne Dame. Er stellte alles erdenkliche auf, um ihre Gunst zu erlangen. Aber das Glück war ihm nicht hold und seine Dame blieb so ungeneigt, daß er schließlich sein Begehren als hoffnungslos aufgab. Er hatte nicht so unrecht, denn sie war anderweitig versehen, was er zwar nicht bestimmt wußte, aber doch argwöhnte. Der, der die Gunst genoß, ein Ritter und gar hochgestellter Mann, war mit ihm so eng befreundet, daß er ihm wohl nichts in der Welt verbarg; aber in diesem Fall wollte er nie mit der Sprache herausrücken. Gar oft sagte er vielmehr zu ihm:
»Auf mein Wort, lieber Freund, du mußt wissen, daß ich da wieder einen Gang in die Stadt zu machen habe, der mir furchtbar in die Quere kommt. Wenn ich zu solch etlichen Geschäften genötigt werde, ist mir schon ein Meilchen Weges zu viel, während ich wohl gern drei bis vier zurücklegen würde, zwei sogar in einem Zuge, wenn's zu ihr geht.«
»Nützt denn gar kein Fragen oder Bitten,« versetzte der Junker, »damit Ihr mich wenigstens ihren Namen wissen laßt?«
»Nein, auf mein Wort, weiter wirst du nichts erfahren,« erwiderte der andere.
»Schön,« meinte der Junkersmann, »wenn ich so glücklich sein werde, etwas Gutes zu haben, dann werde ich Euch ebenso wenig einweihen, wie Ihr mich jetzt etwas wissen laßt.« –
Zu dieser Zeit traf es sich, daß ihn der wackere Ritter einmal zum Abendessen auf das Schloß Rouen einlud, wo er wohnte, er kam dorthin, sie schmausten gar vortrefflich, und als das Essen vorbei war und sie etwas geplaudert hatten, kam mählich die Zeit, wo der Rittersmann zu seiner Dame mußte. Er verabschiedete also den Junker und sagte:
»Ihr wißt ja, morgen gibt es viel zu tun und wir müssen früh aufstehen, um dies und jenes zu erledigen. Darum heißt es rechtzeitig schlafen gehen, und deshalb wünsche ich Euch gute Nacht.«
Der Junker war schlau genug, um alsbald auf den Gedanken zu kommen, daß der Rittersmann einen zärtlichen Besuch vorhatte und die Arbeiten für den nächsten Tag nur vorschob, um ihn los zu werden. Aber er ließ sich das nicht merken, verabschiedete sich, wünschte ihm eine gute Nacht und sagte:
»Ihr habt recht, Hoheit, steht nur früh auf; ich werde es auch tun.«
Als der brave Junker hinunterkam, fand er zu Füßen der Schloßtreppe ein Maultierlein, aber niemanden, der es behütete. Er sagte sich gleich, der Page, dem er auf der Treppe begegnet war, sei wohl hinaufgelaufen, um die Decke seines Herrn zu holen. Und so war es auch. So bedachte er innerlich:
»Ja, ja, ohne Grund hat er mich nicht so früh heimgeschickt. Sein Maultier hier wartet sicher nur darauf, daß ich fort bin, um dann meinen Herrn an einen Ort zu tragen, wo ich nicht sein soll. Ja, Maultierlein, wenn du sprechen könntest, dann könntest du mancherlei nette Dinge erzählen. Bitte, führe mich doch dorthin, wo dein Herr jetzt gern sein möchte.«
Damit ließ er seinen Pagen den Steigbügel halten, stieg auf, legte dem Klepper die Zügel über den Hals und ließ ihn frisch draufzugehen, wohin es ihm gut dünkte. Und das gute Maultier führte ihn durch Straßen und Gassen, die kreuz und die quer, bis es vor einem kleinen Pförtlein haltmachte in einer verstohlenen Straße, wo sein Herr offenbar häufig hinkam: und siehe da, es war die Gartenpforte jener Dame, die er so sehr geliebt, aber in seiner Verzweiflung dann aufgegeben hatte. Er stieg ab, klopfte sacht an die Pforte, und eine Frau, die an einem Gitterfensterchen aufpaßte, kam in dem Glauben, es sei der Rittersmann, herbei, öffnete und sagte:
»Seid herzlich willkommen, Hoheit, die gnädige Frau ist in ihrem Zimmer und erwartet Euch.«
Sie erkannte ihn nicht, denn es war spät und sein Gesicht war durch den breitkrempigen Hut verdeckt. Er erwiderte also:
»Ich gehe zu ihr.«
Und dann flüsterte er seinem Pagen ganz leise ins Ohr: »Mach dich schnell fort und bring das Reittier dorthin, wo ich's geholt habe. Dann kannst du schlafen gehen.«
»Ich werd's besorgen,« versetzte der Page.
Die Zofe schloß das Pförtlein wieder und ging in ihr Zimmer zurück. Unser braver Junker aber ging, ganz versessen in seinen Plan, sicheren Schrittes zu dem Zimmer, wo seine Liebste war, und fand sie bereits im Unterrock, mit einer dicken güldenen Kette um den Hals. Er war sehr anmutig, höflich und wohlerzogen, und so grüßte er sie gar geziemend. Sie war so verblüfft, als wären ihr Hörner gewachsen, und wußte anfangs kein Wort hervorzubringen. Schließlich fragte sie ihn, was er hier suche, woher er so spät käme und wer ihn eingelassen habe.
»Gnädigste,« versetzte er, »Ihr könnt Euch leicht denken, daß ich nicht hier sein würde, wenn ich nur auf mich selbst angewiesen geblieben wäre. Aber Gott sei Dank hat mir einer, der barmherziger für mich war als Ihr, diese günstige Möglichkeit verschafft.«
»Wer hat Euch denn hierhergebracht?« fragte sie.
»Mein Wort, ich kann Euch das nicht verhehlen: der und der Herr« (er nannte den Edelmann, bei dem er zur Nacht gegessen hatte) »hat mich hergeschickt.«
»Weh über solchen ungetreuen Verräter!« rief sie. »Macht er sich derart über mich lustig?! Gut, gut, dafür werde ich eines Tages meine Rache haben!«
»Das ist gar nicht nett, was Ihr da sagt, Gnädigste, denn es ist doch kein Verrat, wenn man seinem Freunde eine Freude schaffen will, ihm hilft und zu Diensten ist, wo man es kann. Ihr wißt recht gut, wie groß unsere Freundschaft ist, und daß jeder seinem Gefährten alles anvertraut, was er irgend auf dem Herzen hat. So ist's noch nicht lange her, daß ich ihm bis ins einzelne erzählte und gestand, welche heiße Liebe ich zu Euch fühle, daß mich deshalb auf dieser Welt nichts mehr freue, und daß es mir nicht mehr möglich wäre, in dieser schmerzlichen Qual länger zu leben, wenn ich nicht irgendwie Eure Gunst erlange. Als sich der gute Herr von der Wahrheit meiner Worte überzeugt hatte, die ja doch wirklich nicht erlogen sind, bedachte er, wie schlimm es doch um mich stünde. Und daraufhin erzählte er mir bereitwillig, wie es zwischen euch beiden steht. Lieber wollte er Euch verlieren, um mir das Leben zu retten, als Euch behalten und mich dadurch elend zugrunde gehen sehen. Währet Ihr so, wie Ihr sein solltet, dann hättet Ihr nicht so lange gezögert, mir, Eurem gehorsamsten Diener, einen freundlichen Empfang und ein bequemes Ecklein zu bieten. Ihr wißt ja genau, wie ergeben ich Euch gedient und gehorsam auf jedes Eurer Worte gelauscht habe.«
»Ich bitte Euch,« entgegnete sie, »sprecht mir nicht weiter davon und geht fort. Fluch über den, der Euch hierherbrachte!«
»Oho, wißt Ihr, wie die Dinge liegen?« versetzte er. »Es ist meine Absicht, vor morgen nicht von hier fortzugehen.«
»Mein Wort,« rief sie, »Ihr werdet es sofort tun.«
»Potzblitz, ich werde es nicht tun, sondern bei Euch schlafen.«
Als sie sah, daß er seinen Mann stand und nicht der Kerl war, sich durch grobe Worte verjagen zu lassen, glaubte sie ihn durch Sanftmut loszuwerden und meinte:
»Ich bitte Euch von Herzen, geht für heute fort. Mein Wort, ein andermal tue ich alles, was Ihr wollt.« »Sprecht nicht mehr davon,« versetzte er, »denn ich werde hier schlafen.«
Dann begann er sich auszukleiden, packte die Frau, küßte sie und war gar zärtlich mit ihr, kurz und gut, er wußte dafür zu sorgen, daß er bei ihr ein nächtlich Lager fand.
Aber sie hatten es sich noch nicht recht bequem gemacht und kaum den ersten Liebesstreit ausgetragen, da kam schon der wackere Edelmann auf seinem Maultierlein angetrappelt und pochte an die Pforte. Der Junker hörte ihn und begriff gleich, daß er es war. Er begann alsbald zu knurren, ganz wie ein bissiger Hund. Als ihn der Edelmann hörte, war er verblüfft und zornig obendrein. Er hämmerte nicht schlecht mit harter Faust an das Pförtlein, während der andere von neuem noch heftiger zu knurren begann.
»Wer knurrt denn da?« ruft der draußen. »Potzblitz, ich werde das bald feststellen! Macht auf oder ich sprenge die Tür!«
Die wackere Edelfrau kam in wilde Wut, sprang im Hemd ans Fenster und rief:
»Seid Ihr jetzt da, Ihr falscher, ungetreuer Kerl? Pocht nur, hinein kommt Ihr nicht.«
»Warum käme ich nicht hinein?« fragte er.
»Weil Ihr der unehrenhafteste Mensch seid, der sich je an eine Frau heranmachte. Ihr seid nicht wert, mit anständigen Leuten zu tun zu haben.«
»Gnädigste,« erwiderte er, »Ihr geht ja recht nett mit mir um. Ich weiß nicht, was euch in die Krone gefahren ist, denn meines Wissens habe ich nichts unehrenhaftes gegen Euch getan.«
»Doch tatet Ihr es, und das Schlimmste dazu, das ein Mann einer Frau antun kann.«
»Nein, auf mein Wort. Aber sagt mir, wer da drinnen ist.«
»Ihr wißt es recht gut, Ihr arger Verräter!«
Dabei begann der wackere Junker, der im Bette lag, von neuem wie ein, Hund zu bellen. »Nein,« versetzte der draußen, »das verstehe ich nicht. Darf ich nicht wissen, wer da drinnen knurrt?«
»Beim heiligen Johann, Ihr sollt es!« rief der andere, sprang herbei zu seiner Dame, kam ans Fenster und sagte:
»Was ist gefällig, gnädiger Herr? Ihr tut nicht recht, uns derart zu wecken.«
Als der Edelmann sah, mit wem er sprach, war er wunders wie erstaunt. Nachdem er endlich Worte gefunden hatte, meinte er:
»Wo kommst du denn her?«
»Ich komme geradeswegs vom Abendessen bei Euch hierher, um hier zu schlafen.«
»Verdammter Streich!« versetzte der andere, wandte sich dann an die Dame und sagte:
»Gnädigste, solche Gäste also beherbergt Ihr?«
»Ja, dank Euch, der Ihr ihn mir geschickt habt.«
»Ich?!« rief er. »Beim heiligen Johann, so liegt die Sache denn doch nicht! Ich bin ja selbst gekommen, um mein Plätzlein einzunehmen, nur kam ich, wie ich sehe, zu spät! Aber ich bitte Euch, nun ich einmal da bin: macht mir wenigstens die Tür auf, wenn ich sonst weiter nichts zu erwarten habe.«
»Ihr werdet nicht hereinkommen, bei Gott!« verschwor sie sich.
»Beim heiligen Johann, er wird!« rief der Junker, sprang hinunter, machte die Tür auf und schlüpfte dann wieder ins Bett. Auch sie kroch hinein, aber Gott weiß wie beschämt und unzufrieden. Doch zu dieser Stunde blieb ihr nichts anderes übrig als gehorchen.
Wie nun der gute Edelmann drinnen war und eine Kerze angesteckt hatte, betrachtete er sich die schöne Gesellschaft im Bett und sagte:
»Mag es Euch wohl bekommen, Gnädigste, und Euch auch, mein Herr Junker.«
»Recht schönen Dank, edler Herr,« erwiderte der.
Aber dem Dämchen wäre schier das Herz aus dem Leibe gesprungen und sie brachte kein Wort heraus. Denn sie glaubte ganz bestimmt, daß der Junker dank dem Winke und der Anweisung des Rittersmannes zu ihr ins Haus gekommen sei, und deshalb war sie mit unbeschreiblicher Wut gegen ihn erfüllt. –
»Und wer hat Euch den Weg hier ins Haus gewiesen, Freund Junker?« erkundigte sich der Edelmann.
»Euer Mauleselein, gnädiger Herr,« erwiderte der Schelm, »das ich unten im Schlosse fand, nachdem ich bei Euch zu Abend gegessen hatte. Es stand da so einsam und verlassen, daß ich es fragte, auf wen es warte. Darauf antwortete es mir, es warte nur auf seine Decke und auf Euch. – ›Wohin soll es denn gehen?‹ erkundigte ich mich. – ›Wo wir gewöhnlich hingehen,‹ erwiderte es. – ›Ich weiß doch sehr gut,‹ entgegnete ich, ›daß dein Herr heut nicht aus dem Hause geht, denn er legt sich schlafen. Aber führe mich dorthin, wo er deines Wissens gewöhnlich hinzugehen pflegt.‹ Damit war es einverstanden. Ich stieg darauf, und so kam ich dank seiner Güte hierher.« »Gott strafe dies verflixte Biest, das mich hineingelegt hat!« schalt der wackere Edelmann. »Ach, Ihr habt es redlich verdient, gnädiger Herr!« stieß die Dame heraus, als sie endlich die Kraft fand, zu sprechen. »Ich sehe recht gut, daß Ihr Euch über mich lustig macht, aber merkt Euch nur: Ehre tragt Ihr davon nicht heim. Wenn Ihr schon nicht mehr kommen wolltet, so war es doch keine Art und Weise, einen anderen an Eurer Statt herzuschicken. Wer mit Euch zu tun hat, macht schlechte Erfahrungen.«
»Tod und Teufel! Ich habe ihn ja nicht hierher geschickt!« fuhr er auf. »Da er aber nun einmal hier ist, werde ich ihn auch nicht wegjagen. Außerdem langt es ja für uns beide immer noch reichlich, nicht wahr, guter Kamerad?«
»Gewiß, gnädiger Herr, gewiß,« meinte der. »Man braucht nur zuzugreifen, und das ist mir recht. Auf den Handel müssen wir eins trinken!« So wandte er sich zum Anrichtetisch, goß Wein in ein großes Gemäß, das dort stand, und sagte: »Ich trinke auf Euer Wohl, Kamerad!« »Ich komme nach,« erwiderte der andere. Dann ließ er ihn auch Wein für die Dame eingießen, die zuerst nicht trinken wollte, aber schließlich, ob sie nun mochte oder nicht, an dem Topfe schlecken mußte. »Nun also, Kamerad, ich lasse Euch jetzt hier,« erklärte der Edelmann. »Macht Eure Arbeit gut. Heute seid Ihr an der Reihe, morgen, so Gott will, komme wieder ich dran. Ich bitte Euch, seid ebenso liebenswürdig zu mir, wenn Ihr mich einmal hier trefft, wie ich es heute zu Euch bin.«
»Bei unserer lieben Frau, Kamerad, ich werde es sein, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
So ging denn der gute Rittersmann von dannen und ließ den Junker dort, der sich in der ersten Nacht von seiner besten Seite zeigte. Er erzählte der Dame Punkt für Punkt den wahren Verlauf seines Erlebnisses, und damit war sie weit mehr einverstanden, als wenn der andere ihn geschickt hätte.
Derart also wurde die schöne Frau von dem Maultier hineingelegt und gezwungen, den Junker gleich dem Edelmann in ihre Gunst aufzunehmen. Einer wechselte mit dem andern, und am Ende gewöhnte sie sich daran und fand sich recht geduldig damit ab. Aber die Sache hatte ihre gute Seite: denn waren der Edelmann und der Junker einander schon vor diesem Erlebnis von Herzen zugetan, so wurde ihre gegenseitige Liebe durch diese Geschichte geradezu verdoppelt, derart, daß kein schlechter Ratgeber jemals Streit oder tödlichen Haß zwischen ihnen entflammen konnte.