Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Rambert war des Abends mit Louison im Theater gewesen und hatte mit Staunen und Vergnügen gesehen, wie sehr das Mädchen an der Vorstellung des Stückes teilnahm, mit welchem Eifer sie der Handlung folgte, wie treffend ihre hastig herausgestoßenen Bemerkungen waren über den Gang des Dramas und über die Leistungen der Schauspieler. »Sie ist ein dramatisches Talent!« hatte er sich sagen müssen, und außerdem hatte er gehört, wie in der Nebenloge ein Herr zu einem anderen sagte: »Dies schöne Mädchen muß eine jüngere Schwester der Patti sein; aber sie ist noch schöner.«

Louison war größer und voller als die Patti und hatte vor dieser trefflichen, aber bleichen Sängerin die lebensvollen Farben des Antlitzes voraus.

Diese halblaut gesprochene Äußerung hatte auf Rambert einen starken Eindruck gemacht. Man muß wissen, hatte er sich gesagt, wie sie den Leuten erscheint; dies ist bei einer Schauspielerin entscheidend.

Er hatte also mit Zuversicht die Erziehung Louisons begonnen und beginnen lassen. Vormittags unterrichtete im Erdgeschoß eine weise Tanzlehrerin, und abends kam Louison in den ersten Stock herauf zu ihm, um vorzulesen und im Sprechen geübt zu werden.

11Die weise Tanzlehrerin war entzückt über ihre Schülerin. Nicht sowohl über ihre Fortschritte in der Haltung und in den Verbeugungen de rigueur als über das ganze Wesen des reizenden, ja bezaubernden Geschöpfes. Eine Laufbahn erster Klasse prophezeite sie, alle Männer würden sich sofort verlieben, und die Frauen würden nichts dagegen haben, denn Louison mache durch freundliche Güte auch den Frauen einen gewinnenden Eindruck.

Rambert dagegen war von dem Erfolge seines Unterrichts ganz und gar nicht entzückt, ja er war bestürzt darüber. Louison traf den Ton für die Racineschen Verse gar nicht, sie blieb schülerhaft im Ausdruck, und wo Empfindung hervortreten sollte, da zeigte sich Unzulänglichkeit. Sie schnappte gleichsam danach, Gefühl aus sich herauszupumpen, und das gelang nur sehr unvollkommen. Es kam gezwungen zum Vorschein und deshalb unwirksam.

Louison selbst mußte das alles zugestehen und war betrübt darüber.

Endlich sagte sie einmal: »Aber, Herr Rambert, warum lassen Sie mich immer nur Verse lesen und schwere Reden? Ich will ja nicht tragische Rollen spielen!«

»Das verstehst du nicht, Kind,« erwiderte er; »jegliche Rolle, auch die heitere, beruht darauf, daß die Sprache gebildet sei. Die gebildete Sprache ist unerläßliche Grundlage, wenn überhaupt von Kunst des Schauspiels die Rede sein soll. Und wenn man keine Künstlerin ist auf der Bühne, so ist man eine Handwerkerin, für welche sich gebildete Leute nicht interessieren.«

Diese herben Worte waren des Abends gesprochen worden, und still, ohne Widerrede war Louison fortgegangen.

Am anderen Morgen war sie verschwunden. Die Mutter kam entsetzt um Mittag zu Herrn Rambert hinauf und berichtete schluchzend: das Kind müßte durchgegangen sein, auch ihre Kleider wären fort. Der Herr Professor müsse sie wohl 12gemißhandelt haben, denn von ihm hinunterkommend, habe sie bitterlich geweint.

Rambert war erschrocken. Er war allerdings, wie es ihm jetzt schien, hart gewesen gegen das Mädchen, und sein Gewissen flüsterte einen Augenblick: Am Ende hast du da eine Dummheit gemacht.

Der Anblick des Papa Miot quälte ihn geradezu. Lautlos stand der alte Mann da und faltete die Hände. Das Mädchen war sein alles, und sein nasser Blick fragte den Professor: Haben wir's verschuldet, daß ich sie nicht mehr habe?

Und nun kam die weise Tanzlehrerin, um Unterricht zu geben. Sie schlug, nicht ohne Grazie, die Hände über dem Kopfe zusammen und rief die aufklärenden Worte: »Louison ist auf irgend ein Theater gegangen und wird zugrunde gehen. Ein so junges, so schönes Mädchen ganz allein, jeglicher Verführung ausgesetzt; mon dieu, mon dieu, was tun?!«

»Einen Theateragenten aufsuchen und hierher schicken, Madame,« sagte Rambert, »welcher Nachforschung anstellt bei allen Bühnen, zunächst hier in Brüssel, dann in der Provinz.«

»Und dann in Frankreich!« setzte die Tanzlehrerin hinzu.

»Warum nicht gar! So weit geht's nicht im Handumkehren. Hat sie denn Reisegeld?«

»Vermutlich,« sagte betroffen Vater Miot. »In meiner kleinen Kasse, die nicht verschlossen war, fehlen hundert Franks.«

»Damit kommt sie nicht weit. Also den Agenten, Madame, den Agenten!«

Madame Tanzlehrerin eilte fort, so schnell es ihre grundsätzlich zierliche Gangart zuließ.

Binnen einer Stunde war ein Theateragent zur Stelle. Er kannte Louison, denn er hatte sie neben dem Herrn Professor im Theater gesehen, und er hatte, wie er versicherte, sogleich die künftige dramatische Künstlerin in ihr 13entdeckt. So sähe man nur aus, wenn man von Rasse wäre. Er hätte ihr schon Anträge machen wollen, und jetzt werde er sie – das unterliege keinem Zweifel! – sofort ausfindig machen, wenn Geld daran gewendet werde, Geld!

Der Herr Professor gab ihm Geld, und gab ihm reichlich.

Aber Tag um Tag, Woche um Woche verging, und Louison wurde nicht entdeckt.

Wo war sie? – Sie hatte sich recht unscheinbar gekleidet, hatte ein Eisenbahnbillett für die letzte Klasse nach Valenciennes – also nach Frankreich – gelöst, war dort recta zum Schauspieldirektor gegangen und hatte sich zum Engagement gemeldet.

Der Direktor war frappirt gewesen von der jugendlichen Schönheit und Anmut des Mädchens und hatte gleich ja gesagt. Dann erst hatte er sie gefragt, was sie für ein Repertoire habe.

Sie hatte erwidert: »Ich spiele jede Rolle, wenn ich sie über Nacht im Hause habe.«

»Ah so!« hatte er gelacht, »also gar kein Repertoire! Am Ende noch gar nicht gespielt?«

»O ja. Aber nicht öffentlich. Glauben Sie mir getrost: von heut' zu morgen spiel' ich jede Rolle.«

Er glaubte es zwar nicht, aber sie gefiel ihm so, daß er sie behielt und ihr zunächst ein paar kleine Rollen zuteilte, ja ihr sogar vorschußweise eine kleine Gage auszahlte.

Sie mietete sich bei einer bescheidenen Bürgerfamilie ein ganz kleines Stübchen und war bei ihren Mietsleuten schon nach ein paar Tagen wie ein Kind vom Hause eingerichtet. Sie besaß eben eine entgegenkommende Freundlichkeit und ein so liebevolles Wesen, daß jedermann meinte, sie sei ihm besonders gewogen. Wohlgefälligkeit, diese Gabe des Himmels, war ihr in die Wiege gelegt worden.

Die erste Probe kam, eine kleine Szenenprobe für sie, und alle Mitglieder des Theaters hatten sich als Zuschauer 14eingestellt. Der Direktor hatte überall gesagt: ein wunderschönes Geschöpf, ein offenbares Genie sei diese Novize! Da wollten denn die Schauspieler die Schönheit genießen, und die Schauspielerinnen wollten sie kritisieren, um der Übertreibung widersprechen zu können. Man übertreibt ja immer, sagten sie, bei solcher Gelegenheit, und besonders ein Direktor tut das, um Zulauf herbeizulocken.

Sie probierte ganz geschickt, aber zu ihrem eigenen Erstaunen ängstlich. Tapfer war sie aufgetreten, als es aber ans Sprechen kam, da fing sie an, sich zu fürchten. Daran, dachte sie, ist der Professor schuld! Sie sprach beklommen und machte den Eindruck einer gewöhnlichen Anfängerin. Des Abends ging's nicht besser. Alle Welt jedoch fand sie sehr hübsch.

Der Direktor wurde still, und seine Hoffnung auf ein Kasse machendes Genie sank tiefer und tiefer, da eine zweite und dritte Rolle nicht besser ausfiel.

Louison aber wurde in ihrer kleinen Wohnung – zum Staunen ihrer Vermieter! – sehr viel besucht von eleganten Männern, welche ihr sämtlich versicherten, daß sie eine ausgezeichnete Künstlerin wäre.

Louison lachte zu diesen Versicherungen. Einzelne dieser Herren bewarben sich zudringlich um ihre Gunst – sie lachte auch dazu und öffnete rasch die Tür zu ihren Wirtsleuten unter dem Vorwande, daß es zu warm in ihrem Zimmerchen geworden wäre.

Ihre Wirtin war eine ganz kluge Frau und noch nicht alt. Sie erklärte ihr, was diese zudringlichen Herren wollten. Louison sagte: »Aha!« und nickte. Die Wirtin setzte hinzu, diese Herren würden ihr auch Geld geben, viel Geld, wenn sie sich ihnen hingeben wollte.

Darauf erwiderte Louison: »Das Geld könnt' ich wohl brauchen, aber was die Herren dafür haben wollen, das würde meinem guten Vater gar nicht gefallen, und das 15gefällt mir auch nicht. Und ich brauche auch noch etwas nötiger als Geld.«

»Was denn?«

»Ich brauche Übung, um die dumme Angst los zu werden, und ich muß was lernen. Hier mit den kleinen Röllchen werd' ich die Angst nicht los, und ich lern' auch nichts. Ich bilde mir ein, wenn ich ordentliche große Rollen zu spielen hätte, da würde ich mit der größeren Rolle auch größere Courage kriegen. Man hat da mehr im Sinn und in der Hand, man ist nicht gleich fertig und kann in einer nächsten Szene gut machen, was man in der früheren verdorben hat. Ich glaube beinahe, ich sollte ein kleineres Theater aufsuchen, wo ich mehr zu tun kriegte. Außerdem ängstige ich mich freilich auch um meinen Vater, der nicht weiß, wo ich bin. Alle Tage will ich ihm schreiben. Aber wenn sie zu Hause erfahren, wo ich bin, da holen sie mich fort und lassen mich nicht weiter spielen. Richtig! Ich werde ihnen doch schreiben, aber ich werde den Ort nicht angeben, von wo ich schreibe. Morgen aber – erschrecken Sie nicht, ja so soll's werden! – morgen werd' ich von hier durchgehen und mir einen kleineren Ort suchen, wo nur ein kleines Theater ist und wo ich Rollen bekomme. Habe ich recht?«

Die Frau Wirtin sagte, das verstände sie nicht; und am anderen Tage war Louison wieder verschwunden.


 << zurück weiter >>