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Es war eins der kleineren Häuser in Biarritz für Rambert gemietet worden, und in diesem richtete er sich ein mit den beiden Damen und mit seiner Dienerschaft. – Diese Häuser sind zumeist einstöckig und haben einen Balkon. Für Juron war kein Platz, er mußte ins Wirtshaus. Dorthin wurden auch die Reitpferde Ramberts mit den Reitknechten gebracht, als sie einige Tage später ankamen.
Rambert war also in ungestörtem häuslichem Verkehr mit den Damen Miot und führte sie sofort im Orte umher, um sie zu orientieren, da er selbst die dortigen Seebäder schon mehrmals gebraucht.
Es war ein leicht bedeckter, schöner Sommertag, und die leichten Wolken waren sehr erwünscht, denn Biarritz ist arm an Schatten. Ramberts Aufgabe war übrigens dankbar, denn der Ort liegt schön. Auf hoher Küste angebaut, schaut er in den Ozean weit hinaus. Man sieht, so weit das Auge reicht, das unendlich scheinende Meer. Mit hohen Wogen dringt es herein in den Winkel zwischen Spanien und Frankreich, mit einem Wogenschlage kommt es brausend daher, wie man ihn kaum in einem anderen Seebade findet. Links gegen Süden erblickt man deutlich den Ausfluß der Bidassoa, die Grenze Spaniens, und folgt gegen Westen dieser Küste weit, weit hinaus bis zum Horizonte, welchen der Ozean bildet. Rückwärts gegen Osten nach dem nahen Bayonne hin ist das französische Land, hier Land der Basken, einfach und eben. Nach Norden nur in kurzer Entfernung, da wo der Fluß Adour ins Meer mündet, tritt malerisch ein Leuchtturm in die Luft. Es fehlt, wie gesagt, an Bäumen, und von einem Walde ist auch in der Ferne keine Spur. Hecken von Buchsbaum müssen ihn ersetzen.
51Louison war ganz betroffen von den großen Verhältnissen dieser Küste, als Rambert sie hinüberführte an den Abhang über dem eigentlichen Badestrande, betroffen über die haushohen Wellen, welche da unten heranstürmten. Mama Miot bekreuzigte sich. Hier könnte doch kein sterblicher Mensch baden!
»Da unten aber, wie Sie sehen, baden doch Menschen, und die sind alle sterblich,« sagte Rambert. »Übrigens,« fuhr er fort, »ist da links drüben eine ganz kleine Bucht, wo das eingefangene Meer sich ruhig verhält. Dort badet man auch, wenn man sich vor den hohen Wogen hier unten fürchtet, und dort kann Louison morgen ihre Saison beginnen.«
»Nein, nein! Hier, hier« rief sie, mit Staunen hinabblickend, »hier muß es ja wunderschön sein.«
»Hier müssen wir einen Fischer mieten, welcher dich bei den Händen hält, denn die Wellen werfen dich um.«
»Mieten wir! Aber hier!«
So stiegen sie denn trotz der stöhnenden Mama hinab, und Rambert empfahl sie einem freundlichen Basken, welcher das Badehemd besorgt – es ist dort alles offen, und jeder sieht den anderen, auch die andere – und welcher für jegliche Sicherheit haftet.
»Nur keine Furcht, Mamsell!« schrie er in den Wasserlärm, »der Tyran kriegt uns nicht!«
»Wer ist der Tyran?« fragte sie.
»Das ist die Ebbe,« antwortete Rambert, »welche den Menschen hinauszieht ins Weite. Folgt er ihr, der Versucherin, und wird dann von der Flut überrascht, dann ist er verloren.«
»Jesus!« schrie Mama Miot.
Rambert war sehr erfreut, daß Louison so viel Interesse zeigte an den Wundern der Natur, und so viel mutiges Interesse.
Er führte sie denn nun täglich hinab zu der Holzbaracke des Fischers, in welcher dessen Frau die Badetoilette bereit 52hielt, und er beobachtete von weitem, indem er selbst badete, ob sie auch gut behütet werde.
Sie war in den ersten acht Tagen von einschmeichelnder Liebenswürdigkeit für ihn, war sinnig und aufmerksam für seine Reden wie kaum je. Sie las stundenlang in den Büchern, welche er ihr gab, ja sie ermunterte ihn zu ernsten Gesprächen, wenn sie an seinem Arme spazieren ging. Der ganze Theaterteufel schien ausgetrieben zu sein von den neuen Eindrücken. Rambert war ganz beglückt; er lächelte überlegen zu Jurons Gespött über das Idyll, in welches er sich hineintäuschen ließe.
Dies Lächeln wurde Juron endlich zuwider, und er sah sich nach anderer Gesellschaft um. Die fand er denn auch drüben, ein wenig abwärts unweit der stillen Bucht, wo die vornehmen Leute badeten. Dort hatte sich eine große Koterie gebildet von Engländern, Pariser Sportsmen und Gentilshommes, wie man sie nannte, aus allen Ländern Europas. Dort fand er bessere Unterhaltung. Man hatte dort ein Kaffeehaus, wo über Pferde und Moden geschwatzt, wohl auch witzig geschwatzt wurde, und wo sich ein sehr besuchtes Spielzimmer vorfand. Dort begegnete er namentlich einem Pariser Bekannten, einem jungen Irländer, welcher ihm sehr zusagte durch Keckheit, Unterhaltungslust und tollen Mut. Es war dies ein hochgewachsener Mann mit rotem Haar und rotem Vollbart, von jenem Braunrot, welches die italienischen Maler der Renaissancezeit so gern gemalt haben. Ein scharf geschnittenes Antlitz, blendend weiß und doch ohne Sommersprossen, und stechende Augen zeichneten ihn aus. Er machte viel Aufwand, obwohl er ein jüngerer Sohn, also nicht reich war, und man sagte ihm viel Schulden nach. Vielleicht deshalb war er der verwegenste Spieler.
»Der macht seinen Weg zur Höhe oder zur Tiefe in raschem Tempo, und diese Leute seh' ich gern,« sagte Juron in Louisons Gegenwart, und diese fuhr fort:
53»Er sieht mich immer durch sein eingeklemmtes Glas an, als wollt' er mich stechen. Wie heißt er?«
»O'Brien.«
Nach acht Tagen saß sie neben ihm in jenem unteren Kaffeehause. Die Überraschung von Meer und Land war vorüber, und sie war Jurons Einladung da hinab gefolgt, um doch auch das aristokratische Biarritz kennen zu lernen. Rambert hatte dazu den Kopf geschüttelt, aber Louison hatte gesagt: »Eine Schauspielerin muß alles kennen lernen, und Onkel Rambert geht mit.«
»Das tut er wohl nicht, aber er wird dich nicht hindern.«
Jurons Einladung war nicht ohne nichtswürdige Absicht. Er hegte einen tiefen Groll gegen Louison, weil sie ihn unsympathisch fand, und es erschien ihm wie eine Genugtuung, wenn dem törichten Rambert tatsächlich bewiesen würde, daß diese bestechende junge Schauspielerin doch eben nichts Besseres sei als eine Komödiantin, welche ihrer Vergnügung und ihren Vorteilen nachliefe, wo diese nur immer zu finden wären. Deshalb brachte er sie unter diese liederliche Jeunesse dorée im unteren Kaffeehause. Da werde sie Verlockungen in Fülle finden und ihnen sicherlich unterliegen. Denn es sei gar zu verführerisch, alle Welt um sich her gleichen Sinnes zu sehen in der leichtsinnigsten Anschauung des täglichen Lebens. Diese jungen Leute, Söhne reicher Eltern, sündigen auf das Besitztum der Alten los bei Tag und Nacht. Am Ende, sagen sie, muß doch die Familie für uns zahlen oder sonstwie für uns einstehen, und wozu wären wir jung, und wozu gäbe es Pferde, Weiber und Spiel und was sonst noch, als um uns zu ergötzen! Ein Narr, der's versäumt.
Für eine Künstlerin ist dieser lustige Standpunkt doppelt verlockend. Sie lebt und webt ja im freien Gebilde der Phantasie. Wie sollte es ihr nicht gefallen, diese phantastische Welt auch in der Wirklichkeit um sich zu sehen und zu genießen!
54Sie horchte zuerst erstaunt zu, wenn diese jungen Helden des Leichtsinns alles in der Welt fraglos für sich in Anspruch nahmen, Geld und Geldeswert wie eine Chimäre behandelten, mit der man Possen treiben dürfte, und der schönen jungen Künstlerin alles mögliche zu Füßen legten.
Absonderlich jener O'Brien tat sich darin hervor. Er erklärte ihr sogleich, unmittelbar nachdem Juron ihn vorgestellt, daß er sie schon in Paris bewundert und daß er sein ganzes Leben ihr widmen wolle. Sie sei die Dame, welche sein Herz ganz und für immer erobert habe. Sie möge rücksichtslos über ihn gebieten. Was sie wünsche, was sie befehle, er werde es zustande bringen, koste es Millionen, koste es auch Menschenleben. Wenn sie darüber lache, weil sie's für Übertreibung halte, so lache er mit, wiederhole aber mit feierlichem Ernste: er habe kein Wort zu viel gesagt, sie solle ihn getrost auf die Probe stellen, und sie werde sich überzeugen, daß er Wort halte bis an die Pforten der Hölle.
Louison war nüchtern und klug genug, um die Übertreibungen O'Briens als solche zu erkennen, aber trotzdem blieb doch sehr viel Behagliches für sie übrig; und da nun einer nach dem anderen von diesen jungen Lebemännern sich vorstellen ließ und jeder preisende Worte für sie im Munde führte, da hätte sie doch von Stein sein müssen, wenn sie nicht die Existenz charmant gefunden hätte. Daß eine magere Engländerin, welche am Nebentische diese Überschwänglichkeiten »shoking« fand, sich ärgerlich entfernte, war nur geeignet, ihren wohltuenden Eindruck zu erhöhen; besonders als zuletzt noch ein Graf Vilsac, welchen sie schon einige Male in Paris neben Rambert gesehen, zu ihr trat und mit halblauter Stimme ihr seine Verehrung ausdrückte. Er unterschied sich von den übrigen durch ein gesetztes Wesen, sprach ruhiger und einfacher, aber bat sie geradezu um ihre Hand.
Sie erzählte das alles freimütig dem Onkel Rambert, als sie nach Hause kam, und war etwas betroffen, als er 55sich schweigend dazu verhielt und mit der Hand eine so gewiß wegwerfende Bewegung machte.
»Sie werden dich verderben,« sagte er endlich ernsten Tones, »denn Eitelkeit und Leichtsinn werden dir die Kraft entziehen, dich zu schützen.«
Der Onkel gefiel ihr da nicht, und sie gedachte des Wortes, welches sie von den jungen Kavalieren über ihn gehört hatte: er sei ein Sauertopf, sei ein Philister.
»Von alle den gedankenlosen Schwindlern« – fuhr Rambert fort – »ist Graf Vilsac vielleicht auszunehmen, der schlimmste aber ist jener O'Brien, und er ist vorzugsweise angetan, dir Unheil zu bereiten. Er ist, wie ich von Engländern höre, ein vollendeter Taugenichts. Sein eigener Bruder hat ihn endlich aufgegeben. Laß dich ernstlich gewarnt sein. Am besten wär's, du vermiedest das Kaffeehaus da unten.«
»Übertreiben wir nicht auch!« warf Juron dazwischen, der eingetreten war. »Eine Künstlerin muß auch diese Welt kennen lernen, um verständig in ihr zu spielen, wenn ein Stück an sie kommt, welches sich in diesen Kreisen herumtummelt. Demoiselle Louison wird sich an dies Flittergold gewöhnen und es bald zu unterscheiden wissen von echtem Golde. O'Brien ist immerhin ein merkwürdiges Original von Courage und Tatkraft.«
Louison folgte indessen doch dem Onkel und vermied einige Tage das Kaffeehaus. Sie ritt mit Rambert spazieren, da die Pferde angekommen waren. Aber sobald die Jeunesse dorée das bemerkt hatte, ließen sich namentlich O'Brien und Vilsac Mietpferde aus Bayonne kommen, gesellten sich zu ihnen und baten um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen.
Rambert fand das lästig und gab das Ausreiten auf. Der Zeitpunkt schien näher und näher zu rücken, wo er diesen anmutigen Kobold doch endlich, wie Juron immer anriet, aufgeben, aus seiner Nähe entlassen, Louison samt Mama ihrem Schicksale anheim geben würde. Eine Verstimmung 56folgte der anderen. Auch Jean sorgte dafür. Eines Morgens berichtete er in klagendem Tone, daß Sochne lahm wäre. Demoiselle sei gestern nach Bayonne hinein und von Bayonne heraus so wild über Stock und Stein geritten –
»Sie ist nach Bayonne geritten?«
»Jawohl! Um den Clown zu sprechen, den Rosas.«
»Der ist in Bayonne?«
»Der war gestern in Bayonne. Jacques' Beschreibung paßt Zug um Zug. Dieser dumme Reitknecht ist wie jeder unserer Dienstboten von der Demoiselle eingenommen, der wird nichts Nachteiliges über sie erfinden, und der Klotz weiß nicht, was der Clown bedeutet, den sie im Gasthofe besucht und der sie beim Abschiede aufs Pferd gehoben hat.«
In diesem Augenblicke trat Louison ins Zimmer, um zu fragen, ob Onkel Rambert nicht endlich einmal wieder mit ihr ausreiten wollte.
»Dein Pferd, die Sochne, ist lahm. Du hast sie gestern überjagt. Was hattest du denn so eilig in Bayonne zu tun?«
Louison log nicht. Sie antwortete also ruhig: »Ich wollte einen Bekannten sprechen, der auf dem Wege nach Madrid durch Bayonne kam und nur ein paar Stunden dort blieb.«
»Nach Madrid? Am Ende der Spanier, dein Freund, der Clown Rosas?«
»Jawohl,« sagte sie ohne Stocken.
Rambert schwieg und verabschiedete Jean mit einem Winke.
Er war nun allein mit ihr und im Begriffe, das entscheidende Wort auszusprechen und ihr die Trennung anzukündigen.
Sie hatte sich neben ihn gesetzt, und er hatte sie nicht angesehen. Jetzt wendete er sich zu ihr, und ihre reizend fröhlichen Augen trafen ihn wie Sonnenblicke. Sie erschien völlig unbefangen, streckte ihm die Hand entgegen und sprach herzlich: »Wenn dich das junge Volk unten vom Kaffeehause 57belästigt, so laß uns doch einmal die Richtung nach dem Adour hinüber einschlagen. Dann finden sie uns nicht, und wir können wieder einmal einsam miteinander reden, was mir in der letzten Zeit gefehlt hat.«
Hierdurch wurde Rambert wieder irre; ihr Wesen wurde plötzlich wieder das Rätsel, welches ihn neuerdings interessierte.
Dazu kam im nächsten Augenblick ein neuer Zug ihres Charakters, welcher ihn geradezu verblüffte. Bisher hatte er ihr immer unter dem Titel eines Taschengeldes kleinere und größere Summen angeboten für ihre Luxusausgaben. Sie hatte oft gezögert, sie anzunehmen, und wenn sie dieselben angenommen, so hatte sie wie beschämt dazu geschwiegen. Jetzt zum ersten Male bat sie ihn frank und frei mit heiterer Miene – um fünfhundert Francs.
Höchst überrascht fragte er: »Was hast du denn vor?«
»Ich habe meine ganze Barschaft gestern verloren.«
»Verloren?«
»Im Spiel.«
»Du hast gespielt?«
»Jawohl. Unten im Kaffeehause. Das ist sehr unterhaltend, und zuerst hab' ich immer gewonnen. Das war reizend! Hernach aber hab' ich alles verloren, und da war ich in Verzweiflung, daß ich kein Geld mehr hatte, um mir das Verlorene wiederzuholen.«
»Das taugt nichts, mein Kind.«
»Was?«
»Daß du spielst. Das Spiel ist wirklich ein Laster. Und wenn leichtsinniges Volk das leugnet, so glaube mir wenigstens, wenn ich dir sage: das Spiel ist ein Unglück. Wer spielt, der tötet sich für alles übrige, was den Menschen hält, bewegt, erhöht. Wenn im Herbste dein Debüt gelingt, so wirst du eine hohe Gage bekommen. Was ist die höchste Gage gegen den immer vorhandenen Haufen Goldstücke auf dem Spieltische, welchen du mit einem Zuge gewinnen kannst? 58Nichts ist sie. Der Spieltisch kann ja in jedem Augenblicke mehr einbringen als dein Beruf im ganzen Jahre. Der Spieltisch wird dir also eins und alles. Deine Kunst wird Nebensache, und da am Ende jeder Spieler verliert, so gerätst du unrettbar ins Elend. Spiele nicht mehr!«
Sie hatte die Augen niedergeschlagen und sagte kein Wort.
»Willst du mir's versprechen?«
»Nicht gern. Es macht mir so viel Vergnügen.«
Erstaunt hörte er diese naive Offenherzigkeit. – Und sie bestach ihn wieder. Das Rätsel dieses Geschöpfes wurde immer mannigfaltiger, und er meinte, sich sagen zu müssen: der eigentliche Fond ist doch wunderbar ehrlich, schlag' nicht hinein!
Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er den verschlossenen Teil seines Schreibtisches, nahm eine Note von tausend Francs heraus und reichte sie ihr.
»Du wirst sie verspielen.«
»Ich werd' gewinnen.«
»Du wirst sie verspielen und zu diesem Zwecke nie einen Sou wieder von mir erhalten, weil du taub bist gegen die Lehre eines erfahrenen Mannes. Dann wirst du Schulden machen, um deiner Neigung zum Laster Genüge zu tun, und wirst untergehen moralisch wie künstlerisch. Geh' deines Wegs. Reiten können wir heute nicht. Sochne ist lahm.«
Sie fiel ihm um den Hals, küßte ihn und flog hinweg.