Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Drittes Kapitel.

Rambert war nicht mehr in Brüssel, als Louisons Brief ankam. Die Verzweiflung der Eltern hatte ihn gepeinigt, er war nach Paris zurückgekehrt.

Hier bewohnte er in den Champs Elysées ein Haus, welches ihm gehörte. Es war nicht groß, aber es bot für einen einzelnen Herrn überflüssigen Raum. Es war ein 16Stockwerk hoch, und der erste Stock enthielt sechs Zimmer: einen großen Salon, ein großes Arbeitszimmer, ein Bibliothekzimmer, ein Schlafzimmer, daneben ein Ankleidezimmer und ein Badezimmer. Dort wohnte er ganz allein. Im Erdgeschoß rechts vom Eingang war sein Speisezimmer, Rauchzimmer, Billardzimmer und Garderoberaum. Links vom Eingange war die Wohnung für Diener, Wirtschafterin, Köchin, Stubenmädchen und die Küche. Kutscher und Reitknechte wohnten bei der Stallung, welche seitwärts am Garten stand und für sechs Pferde, Wagen- und Reitpferde, Raum bot. Der Garten hinter dem Hause war nicht groß, aber reich an großen Linden und Ahornbäumen.

Er fuhr oder ritt täglich mehrere Stunden aus. Vorzugsweise ins Bois de Boulogne und darüber hinaus, zuweilen auch durch die ganze Stadt Paris. Es interessierte ihn, was da gebaut wurde und was da vorging. Abends fuhr er ins Théâtre français oder in die Oper, in die große Oper wie in die komische. In anderen Theatern sah er nur erste Vorstellungen an, und zwar nur im Gymnase, Vaudeville, Odéon und den Variétés. Die ferneren Boulevardtheater unter jeweiliger Ausnahme der Porte St. Martin besuchte er gar nicht. La Gaité, Ambigu comique usw. waren nicht seine Sache.

Bei seiner Rückkehr von Brüssel war er recht verstimmt. Das Verschwinden dieser Louison machte ihm Sorge, weil er sich einige Schuld beimaß. Ärgerlich teilte er dies seinem Freunde Juron mit. Freund ist nicht das richtige Wort, er hatte eigentlich keinen Freund. Er war wohl zu sehr Egoist, um Freundschaft zu hegen; es fehlte ihm in seiner unabhängigen Lage an dem Bedürfnisse eigentlicher Freundschaft, und es fehlte ihm an Hingebung. Juron, mit welchem er viel verkehrte, war ihm nur ein Genosse. Er sah ihn gern bei sich, weil er durch ihn alles erfuhr, was in Paris vorging, die literarische Welt betreffend wie die politische 17und gesellschaftliche. Der Familienklatsch, der Umgangsklatsch fehlte dabei nicht, und er bringt doch eine gewisse Mannigfaltigkeit herbei.

Er selbst, Rambert, verkehrte mit Familien und mit der Gesellschaft überhaupt gar nicht. »Das nimmt nur in Beschlag,« sagte er, »kostet Zeit, verlangt Teilnahme für unnützen Kram und belastet oft mit lästigen Verpflichtungen.«

Juron war sein Widerspiel. Nicht daß er mehr Herz für andere gehabt hätte; o nein! er war ganz herzlos, was man von Rambert durchaus nicht sagen konnte. Juron war der Unterhaltung bedürftig, der Abwechselung. Er wollte von allem wissen, er wollte überall zusehen; und da er ein Mann von Geist war, so hatte ihn dies sein Naturell zur Schriftstellerei in den Journalen geführt. Indessen schrieb er zunächst nur kleine Artikel, sogenannte Entrefilets, welche in ihrer scharfen Fassung vielen Journalen willkommen waren. Sie wurden ihm auch gut bezahlt, und das war für ihn nicht unwichtig, denn er war ohne Vermögen. Wohl auch deshalb hielt er so treu zu Rambert, dessen freigebiger Haushalt mancherlei Bequemlichkeit bot. Von Hause aus Jurist, hatte er doch diese Laufbahn aufgegeben, weil sie ihm zu trocken war und weil man ihm beizeiten gesagt, daß er gut schriebe.

Junggesell war er wie Rambert, und ans Heiraten dachte er so wenig wie dieser. Aber er hatte niemals wie Rambert edle Neigungen gepflegt, welche vergangen waren und volle Stille zurückgelassen hatten. Diese Stille war bei Rambert doch nicht ganz ohne edle Erinnerung. Juron war vom Liebesleben mit Frauen keine Spur im Herzen geblieben. Dabei war er ganz im Gegensatze zu Rambert immer verliebt. Ein angehender Vierziger wie Rambert, aber von ungünstigem Äußeren – er war lang, mager und sein Kopf mit wenig Haaren sah verdrießlich aus – war er gewissermaßen auf ein Raubleben angewiesen im Liebesbedürfnisse. Das gelang 18ihm zuweilen in überraschender Weise, weil er gefürchtet war bei Sängerinnen, Tänzerinnen und Schauspielerinnen, welche nicht öffentlich gesagt haben wollten, daß ihr schön aussehender Pfirsich doch einen schwarzen Punkt habe, gefürchtet wegen der gefährlichen Entrefilets.

Er speiste oft bei Rambert, welcher eine sehr gute Küche führte, und Rambert erzählte ihm denn gleich beim ersten Wiederbegegnen warum er verstimmt sei wegen Louison.

Juron lachte und meinte, dieser Vogel Louison sei ja leicht einzufangen »Du bist verliebt in sie?«

»Bewahre!«

»Oder noch ärger: du liebst das Mädchen! Denn du beschreibst sie ja wie ein Zauber von Anmut.«

»Herr Gott nein! Ich bin weder verliebt in sie, noch lieb' ich sie. Louison ist ja noch ein Kind, und mir ist gar kein Liebesgedanke nahe getreten bei dem angenehmen Kobolde. Aber wie findet man sie auf?«

»Soll ich's besorgen?«

»Wenn du kannst!«

»Freilich kann ich's. Theaterpersonal, soweit es französisch spricht, ist hier in Paris unfehlbar zu entdecken. Miot heißt sie?«

»Ja.«

»Ich besorg' es.«

Das war leicht gesagt, aber schwer getan. Sie hieß auf dem Theaterzettel eben nicht Miot. Nach einiger Zeit mußte Juron eingestehen, daß es nicht gelinge, eine Demoiselle Miot aufzufinden. »Aber,« setzte er endlich weise hinzu, »vielleicht nennt sie sich nicht Miot!«

»Wer weiß es!«

Da kam ein Brief von Mama Miot an den Herrn Professor. Er war nicht allzu orthographisch, aber er berichtete doch klar, daß die Tochter endlich geschrieben habe, daß sie wirklich Theater spiele und sich wohl befinde. Papa 19möge ihr alles verzeihen. Leider habe sie vergessen, den Ort anzugeben, von welchem aus sie geschrieben, der Agent habe jedoch gesagt, das könnte man aus dem Poststempel erfahren, und da habe man mit Mühe zusammenbuchstabiert, daß der Ort Valenciennes heißen müsse.

»Na, da haben wir ja, was wir brauchen. Also nach Valenciennes, wenn du Reisegeld daranwenden willst!«

»Das muß ich wohl,« sagte Rambert, »meines Gewissens halber. Willst du vielleicht selbst –?«

»Ich selbst. Ein schönes Mädchen zu entdecken und zu –«

»Juron, keine Späße! Das Mädchen ist rein wie Morgentau.«

»Der bereits einige Monate im Theater liegt, ja doch – einerlei, ich reise morgen.«


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