Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Vierzehntes Kapitel.

Die Geschicke, welche uns treffen, bilden unsern Charakter – pflegt man zu sagen.

Louison wußte nichts von dieser Weisheit. Sie wußte nur, daß sie ein machtloses Geschöpf wäre, welches auf uferloser See dahingetrieben würde.

Rose hatte für alles gesorgt bei ihrer Fahrt durch England, und sie waren eines Morgens in Calais angekommen.

Die Wintersonne schien hell, und die Meereswellen, auf welche Louison ratlos zurückblickte, schimmerten wie Silber.

»Gott sei Dank!« seufzte sie, »man spricht französisch um uns her. Aber was nun?«

»Wir müssen nach Paris mit dem nächsten Zuge, unser Geld reicht noch dazu.«

»Und was sollen wir in Paris?«

»Den Doctor Zech fragen, den Herrn Rambert fragen.«

Louison zuckte zusammen bei dem Worte »Rambert«. 134Seine letzten Worte in Jurons Briefe waren zerschmetternd, waren entscheidend für sie gewesen.

»Vielleicht sollte ich nach Brüssel,« sagte sie vor sich hin, »in die Heimat, die ich nie hätte verlassen sollen. Ich möchte das verunglückte Leben einer Künstlerin aufgeben, ein stilles bescheidenes Leben führen, den Vater trösten und von ihm wieder getröstet werden.«

»Das bleibt uns ja noch übrig, wenn in Paris nichts anzufangen ist. Wär' ich so schön wie Sie und hätte solche Gaben, ich setzte meinen Kopf auf gegen die ganze Welt und wollte mich schon oben erhalten.«

Sie fuhren nach Paris. Spät abends kamen sie an und kehrten in einem kleinen Gasthofe ein, welchen Rose kannte. Oben auf der Höhe, dem Montmartre zu, lag er, wenn man durch die Rue des martyrs hinaufsteigt gegen die äußeren Boulevards hin. Er war von Elsässern gehalten, und Rose sprach deutsch mit den Wirtsleuten.

Sie bekamen im dritten Stock ein Zimmer mit einem Alkoven. Im Alkoven standen zwei Betten, und dort schliefen sie – gegen Erwarten – tief und fest.

Selbst Rose erwachte spät am Morgen, stand still auf, kleidete sich an und ging zur Wirtsfrau hinunter, Kaffee bestellend. Sie trug ihn selbst hinauf.

Louison war nun auch erwacht, richtete sich auf im Bette und besann sich, wo sie wäre.

»In Paris! Auf zum Frühstück! Dann schreiben Sie an Herrn Rambert, und ich suche den Herrn Doktor Zech auf. Zwischen elf und zwölf pflegt er auf einen Sprung nach Hause zu kommen, um zu sehen, ob ein Kranker auf ihn warte. Sie, Fräulein, lassen Ihren Brief durch das Dienstmädchen in den nächsten Postkasten werfen. Sie sehen, dort steht ein kleiner Schreibtisch mit Feder und Tinte und einigen Blättern Papier. Meine Landsleute halten ihr Haus hier in guter Ordnung.«

135Es war gegen elf, als sie fortging. Louison setzte sich an den Schreibtisch. Es schien ihr eine Erleichterung, alles niederzuschreiben, was sie seit dem unseligen Spielabende bei Ferval erlebt, und ihr Bericht fing mit den Worten an: »Ich kann nicht mehr lachen.«

Rose aber lachte munter, denn sie fand ihren Doktor Zech. Ein eleganter junger Mann saß bei ihm mit einem dunkelblonden Kopfe und schönem Vollbarte. Er sah sie aufmerksam an mit seinen milden blauen Augen, und als er ihren Namen hörte, stand er auf und schien sie ohne Worte zu fragen.

Zech freute sich herzlich, als er sie eintreten sah, und rief: »Glück auf, Rose! Ihr seid also wieder da? Ist's richtig? Ist Fräulein Louison wieder unten?«

»Nein,« antwortete Rose, nun recht ernsthaft, »sie ist in der ›Stadt Kolmar‹.«

Jetzt erhob sich auch Zech von seinem Frühstück, blickte auf den andern Herrn und sagte: »Das ist Herr Lauriston, ein alter Freund deiner Herrin; du kannst alles ohne Rückhalt erzählen, es kommt an sichere Leute.«

Herr Lauriston war derselbe Mann, dessen Zech einmal gegen Louison erwähnt hatte als eines jungen Dichters, welcher Theaterstücke schriebe, aber nicht zur Aufführung bringen könnte. Er sah ernst aus, mochte etwa dreißig Jahre alt sein, war schlank gewachsen und von feinem Wesen. Das leicht gerötete Antlitz mit einem kleinen geschlossenen Munde hatte einen sinnigen Ausdruck; er hörte Rose zu, als ob er ihr die Worte vom Munde nähme.

Rose erzählte alles, alles; aber dieser Herr Lauriston wollte immer noch Näheres, Ausführlicheres.

Als sie die Szene in Dublin schilderte, wo O'Brien auf die im Bett liegende Louison losstürmte mit den Worten: »Nun, mein Täubchen, Jakobs sieben Jahre sind endlich um, und deine weichen Arme, deine heißen Küsse sind erobert, die 136leere Komödie ist aus!« da machte dieser Herr Lauriston mit der Hand eine Bewegung, als ob er jemand niederschlüge.

Er sprach auch zuerst, als Rose geendigt hatte.

»Du siehst, Zech, es ist ein Bubenstück unserer Jeunesse dorée. Es hängt alles zusammen, es wird alles klar. O'Brien hat im Klub eine hohe Wette gemacht, er werde die schöne Louison dahin bringen, daß sie sich ihm ergebe. Das Mädchen hat ihn rufen hören, es sollte ein Telegramm unterschrieben werden. Er hat gleich nach der Eheschließung an seine Konsorten hierher telegraphiert, daß die Wette gewonnen sei, und Ferval hat in die Zeitung gebracht, was wir gelesen, daß Louison nun O'Brien angehöre. Ferval ferner hat ihm die hohe Summe der gewonnenen Wette nach Dublin geschickt. Ich trat zufällig bei ihm ein, als er seinem Diener einen Geldbrief übergab mit dem Auftrage, das Porto nach England auszulegen. Jetzt ist der Augenblick da, diese frechen Sportsjäger einmal am Kragen zu fassen.«

»Ach, was helfen Rekriminationen! Wie helfen wir der mißhandelten Schauspielerin?« fragte Zech trockenen Tones.

»Sehr wahr. Aber just über diese Sportsjäger hinweg führt die Straße, um ihr zu helfen. Hast du heute Zeit?«

»Ein paar Stunden.«

»So nimm mich mit zu ihr und stell' mich ihr vor. Bis jetzt hab' ich es absichtlich vermieden, nun aber ist's eine, Pflicht. Wir wollen mit ihr beraten.«

»So komm und führe uns!« sagte Zech und klopfte Rose auf die Wangen. Sie wurde rot und lachte verlegen, was doch sonst nicht ihre Art war, und als er, Lauriston anblickend, hinzusetzte: »Dies Mädchen aus den Vogesen hat sich kreuzbrav aufgeführt!« da schienen ihre Augen naß zu werden.

»Edel und tüchtig!« sprach Lauriston, und das erschütterte Rose völlig; sie wollte dem schönen neuen Bekannten, welcher ihr außerordentlich gefiel, die Hand küssen, was er jedoch nicht zuließ.

137Lauriston hatte seinen Wagen vor der Tür, und sie waren bald vor der kleinen »Stadt Kolmar« angekommen. Da bat aber Rose die beiden Herren, als sie bis in den dritten Stock hinaufgestiegen waren, eine kleine Weile auf dem Flur zu warten, Louison werde im Negligé sein, und man müßte ihr Zeit lassen, ihr einziges Kleid anzuziehen. »Denn wir haben in Dublin nur gerettet, was wir auf dem Leibe hatten.«

»Nun, Lauriston,« sagte Zech, als sie ins Zimmer geschlüpft war, »so lange hast du dich gewehrt vor der Bekanntschaft, und jetzt –«

»Jetzt heißt es, einem ausgezeichneten Talent Hilfe bringen.«

Lauriston nämlich hatte bisher die persönliche Bekanntschaft Louisons absichtlich vermieden, obwohl er in Ramberts Hause schon einmal in ihrer Nähe gewesen. Aus dem Theater kannte er sie genau; er war sogar einer ihrer lebhaftesten Verehrer. Aber er war ein Poet und wünschte, ihr Verehrer zu bleiben. Persönliche Bekanntschaften mit Schauspielerinnen hatten ihn zu wiederholten Malen arg enttäuscht. Er wollte nicht in die Lage kommen, auch von der reizenden Louison enttäuscht zu werden. Noch mehr: er hatte sich für sein neuestes Drama ein Mädchen erfunden, welches alle Reize und Talente Louisons, aber einen ganz anderen Charakter besaß als den, welchen man an Louison kannte. Er hatte sich für sein Drama die lustige Louison in eine sentimentale, ja nahezu tragische Person umgewandelt.

Zech wußte davon und sagte jetzt: »Du bist am Ende schuld durch deine Vision, daß dies heitere Geschöpf ernsthaft geworden ist. Wirst du ihr helfen können durch deine Verbindungen?«

»Ich werd's versuchen.«

Lauriston war der Sohn wohlhabender Eltern, welche 138ihn aus Grenoble im Dauphiné nach Paris geschickt hatten zur medizinischen Ausbildung. Sein Vater war Arzt gewesen, Alfred sollte auch Arzt werden. In dieser Schule war er mit Zech bekannt geworden. Sie waren grundverschieden, und gerade deshalb schienen sie sich für einander zu interessieren. Zech lachte über Lauristons Idealismus, Lauriston spottete über Zechs Realismus, den er wohl auch Materialismus nannte. Nur eins fand er richtig an Zechs Entgegnungen: die oft wiederkehrende Bemerkung, daß solch ein idealer Phantast, wie Lauriston, nicht zum ärztlichen Beruf passe. Deshalb kehrte auch Lauriston diesem Berufe den Rücken, als sein Vater plötzlich starb, denn nur des Vaters wegen hatte er sich zu den medizinischen Versuchen herbeigelassen. Er widmete sich nun ganz schöngeistigen Studien und suchte seinen Verkehr in schriftstellerischen und eleganten Kreisen. Das Vermögen, welches er von seinem Vater geerbt, gestattete ihm die Mittel, wie ein kleiner Seigneur abzuwarten, ob sich ein hinreichend schöpferisches Talent in ihm entwickeln werde. Zech spottete lustig über seine dramatischen Versuche, welche es nicht bis zum Lampenlichte brachten, und nicht minder über seinen Umgang mit der sogenannten vergoldeten Jugend, jeunesse dorée, welche ja nur aus Nichtstuern und angenehmen Taugenichtsen bestehe.

»Nun siehst du,« sagte Zech auf dem Vorsaale, »daß sie nicht nur Nichtstuer sind, sondern höchst nichtsnutzig, ja schlimmer noch –«

»Schlimmer noch!« erwiderte Lauriston.

Da kam Rose und führte sie ins Zimmer mit der Bitte: »Sanft, still! Sie erschrickt so leicht.«

Zech stellte seinen Freund vor und führte das Wort. Lauriston verhielt sich zurückhaltend und nur zuhörend; Louison war einsilbig und saß traurig da.

»Sie ist eben krank!« flüsterte Rose Zech ins Ohr.

»Blaß sind Sie geworden über Gebühr,« sagte endlich 139Zech, »und wir wollen trachten, Sie wieder rot zu machen. Ich schreib' Ihnen Rezepte; erzählen Sie unterdessen meinem Freunde, was er zu wissen braucht von Ihren sauberen Kavalieren, die er alle kennt. Kommen Sie, Rose, zu mir und hören Sie meine Erklärung der Rezepte. Ihr müßt Euch jetzt zweckmäßig ernähren.«

»Wir haben ja kein Geld,« sagte Rose leise, als sie zu ihm an den Schreibtisch trat.

»Das findet sich,« entgegnete er.

Lauriston fragte Louison nicht nach den Vorgängen. Er wußte, daß ihr das peinlich sein würde. Er sprach von ihrer Kunst, die so grell gestört worden; er sprach von den verzweifelnden Gedanken über Kunst und Leben, welche in ihr aufgetaucht sein müßten; er sprach vom Ausgleich zwischen Ideal und Wirklichkeit, der gesucht werden müsse und der auch zu finden sei.

Da erhob sich ihr Blick, zweifelnd, fragend. – Sie seufzte.

Lauriston fuhr aber unentwegt fort und schob geschickt kleine Fragen ein, welche sich auf ihre Gedanken und Stimmungen bezogen. Wie beiläufig beantwortete sie dieselben kurz und aufrichtig.

All' das unterbrach aber Zech in seiner kurzen Manier. Er habe nicht länger Zeit, und das Wichtigste wäre: festzustellen, was zunächst geschehen müsse. »Wollen Sie sich,« schloß er, »noch einmal an Professor Rambert wenden?«

»Ich wollt' es ja, und habe ihm alles geschrieben, aber es widerstrebt mir, den Brief abzusenden.«

»Das begreife ich,« sagte Lauriston. »Einer von uns muß erst vorher mit ihm gesprochen haben. Sein letzter Brief war, wie ich höre –«

»Nicht sein Brief. Juron hat mir Herrn Ramberts Meinung geschrieben.«

»Ah, ah! Das ändert alles. Geduld, Mademoiselle, es wird sich alles ordnen.«

140»Ruhig hier bleiben,« sagte Zech im Fortgehen, »noch ein paar Tage ruhig hier bleiben! Rose soll heut' abend zu mir kommen, um uns über Einzelheiten noch nähere Auskunft zu geben. Mademoiselle möge ihr, damit sie das könne, alles erzählen, aber alles. Wir kommen morgen wieder; bis dahin adieu!«

Beide gingen. Rose gab ihnen das Geleit und nahm unbefangen eine Banknote, welche ihr Lauriston mit den Worten gab: »Ein Vorschuß, bis sie wieder ins Engagement getreten.«

»Darf ich sagen –?«

»Nein; es kommt von Zech!«

Zech lachte und – winkte Rose zutraulich mit der Hand seinen Abschied zu.

»Was wolltest du denn mit den Rezepten?« fragte Lauriston unterwegs. »Ist sie denn körperlich krank?«

»Ja, Idealist! Meinst du denn, eure Ideen fallen euch vom Himmel herab? Sie wachsen aus eurem Körper empor, gewöhnlich krankhaft, und wenn sie zerstört werden, so wird auch der Körper gestört. Die Nerven dieses Mädchens sind zerrissen. Können wir sie nicht wieder verbinden, so wird sie schwachsinnig oder gar verrückt. Ich kann übrigens da nur wenig helfen; die Hauptsache mußt du leisten. Sie hat keinen Glauben mehr, und du bist ja gläubig, ästhetisch gläubig, – oder nicht?«

»Allerdings! Zunächst aber muß sie entdecken, daß es noch gute Menschen gibt. Das müssen wir bewerkstelligen. Ich gehe also gleich zu Ferval, den ich zufällig näher kenne. Er hat mitgetan, wie Roses Äußerungen andeuten; er soll's verantworten. Er ist kein Held; er wird mir weitere Wege eröffnen. Adieu!«

Als er in Fervals Wohnhaus trat, begegnete ihm auf der Treppe Narziß. Lauriston kannte ihn nicht, sonst hätte er ihn sofort aufgehalten. Aber ein Diener Fervals kam 141ihm zu Hilfe, indem er von oben eine Bemerkung nachrief und dabei den Namen nannte. Den Namen Narziß wußte Lauriston von Rose. Rose haßte gerade ihn und schob ihm Schlimmes zu.

»Sie heißen Narziß?« fragte Lauriston rasch.

»Zu dienen!«

»Ich habe Aufträge für Sie. Ist Herr Ferval zu Hause?«

»Ja.«

»Dann bitte ich, mit mir hinaufzusteigen und eine Viertelstunde im Vorzimmer zu warten. Sie werden dann gerufen werden.«

Narziß folgte. Lauriston trat ein bei Ferval.

Lauriston stand in einem gewissen Ansehen bei diesen Sportsmännern, weil er ein literarischer Mann war und dabei doch »gentlemanlike« lebte. Die Journale hatten kleine Arbeiten von ihm gebracht, und man wußte, daß die Theaterdirektoren von seinen Manuskripten mit Achtung sprachen. Dazu kam, daß er mit diesen Jüngern des Sports gelegentlich verkehrte und doch ersichtlich ihre Gesellschaft nicht suchte, obwohl er mit Pferden und Waffen ganz besonders vertraut war. Die Waffen betreffend, galt er geradezu für eine der besten Klingen in Paris. Wenn solch ein Mann ihre Gesellschaft fast vermied und gewiß nicht suchte, so gab ihm das eine überlegene Stellung.

Ferval empfing ihn also sehr entgegenkommend.

»Ich bin beauftragt,« sagte Lauriston, »einige ernste Fragen an Sie zu richten, Herr Ferval.«

»O! ich höre.«

»Sie gehören zu dem Klub, dessen Mitglied ein Irländer ist, namens O'Brien?«

»Ja.«

»Die Journale haben erzählt, daß dieser O'Brien eine hohe Wette in Ihrem Klub abgeschlossen: er werde Demoiselle Louison dahin bringen, daß sie sich ihm ergebe.«

142»Er hat sie geheiratet.«

»Ich frage, ob die Wette bestanden hat?«

»Sie ist ganz loyal ausgezahlt worden, als O'Brien melden konnte, daß die Eheschließung stattgefunden. Ich selbst habe die Summe nach Dublin gesendet.«

»Sie selbst. So? Die Wette hat also wirklich statt gefunden. Ein Sport um Tugend, Ehre und Lebensglück einer unbescholtenen Künstlerin!«

»Wenn ich Ihnen sage, daß eine Heirat –«

»So sage ich Ihnen, daß es diesem Herrn O'Brien und Ihrem verehrlichen Klub viel lieber gewesen wäre, wenn die Heirat hätte umgangen werden können. Hab' ich recht?«

Ferval machte nur eine Bewegung mit der Hand.

»Ich bitte um Antwort.«

»Und ich bitte um Auskunft, wohin Sie, Herr Lauriston, mit dieser Frage wollen?«

»Das werden Sie sogleich des Näheren erfahren. Herr O'Brien hatte Demoiselle Louison zur Einwilligung in Abreise und Eheschließung dadurch vermocht, daß er feierlich versprochen, ihre Schulden zu bezahlen. Hat er das getan?«

»Das ist doch nicht meine Sache!«

»Einigermaßen doch; es ist eine Spielschuld auf Ehrenwort dabei, welche hier aus ihrem Hause stammt, und Sie hatten die Dame hierher geladen. Ist diese Spielschuld bezahlt? Sind die übrigen Schulden bezahlt? Ich bitte um Antwort.«

»Die Spielschuld – da haben Sie recht, die ist unangenehm, da sie hier – sie ist wahrscheinlich nicht bezahlt, denn Madame Legrand hat sich neulich beklagt.«

»Eine Ehrenschuld! Die Ehre der jungen Künstlerin verraten! Wie nennt man das?«

»Ja, ja – aber das alles ist doch nicht meine Sache; wenn O'Brien –«

143»Wußten Sie, daß die Schulden nicht bezahlt seien, als Sie Herrn O'Brien die hohe Wettsumme nach Dublin schickten, mit welcher Summe ja die Schulden bezahlt werden konnten – wußten Sie's?«

»Wie konnte ich –?«

»Sie konnten nicht? Wußten Sie's nicht von Ihrem früheren Diener Narziß, welchen Sie der Dame anempfohlen, welcher die Dame offenbar verraten hat und welcher heute noch in Verbindung mit Ihnen ist?«

»Mit mir in Verbindung?«

»Er steht draußen im Vorzimmer.«

Jetzt entstand eine Pause. Ferval konnte sich nicht mehr verleugnen, daß er sich solche Inquisition nicht länger mehr gefallen lassen durfte, sondern daß er sie durch ein herausforderndes Wort beendigen mußte. Sollte er?

Er war nicht gerade furchtsam, aber Lauriston war ein gefährlicher Duellgegner. Nun sollte gerade er für die ärgerlichen Unsauberkeiten des frechen O'Brien eintreten? Auch schämte er sich doch ein wenig der zu Tage tretenden unmoralischen Handlungsweise gegen eine wirklich unbescholtene Künstlerin. – Ach! – schloß er seinen Gedankengang – es ist gescheiter, hierbei nach Kräften auszugleichen, indem man das Unanständige von sich wegschiebt und ein bloßes Geldopfer nicht scheut. So sagte er denn, die Pause unterbrechend, folgendes:

»Herr Lauriston, Ihr Standpunkt mir gegenüber ist nicht ganz richtig. Ich gebe zu: die Sache ist unsauber. Aber daran habe ich keinen Teil. Das ist O'Briens Teil. Ich habe gedankenlos zugesehen, das mag wahr sein, und ich bin deshalb gern bereit, abzuhelfen. Die Spielschuld an Madame Legrand zum Beispiel, weil sie in meinem Hause kontrahiert worden ist, übernehme ich gern.«

»Positiv?«

»Positiv.«

144»Und die anderen Schulden? Bezahlen Sie die auch? Oder bezahlt sie der Klub für sein wortbrüchiges Mitglied?«

Ferval zuckte die Achseln.

»Wenn nicht, dann wird die schmutzige Affäre bekannt gemacht durch die Zeitungen; es wird bekannt gemacht, welche Mitglieder Ihr Klub in sich schließt, ein Klub, der so viel Geld bereit hat für – pikante Wetten.«

»Vielleicht aber sind die Schulden schon bezahlt.«

Lauriston maß den also sprechenden Ferval mit einem Blicke, welchen dieser denn doch übelnehmen mußte. Aber er kam nicht zur Äußerung, denn Lauriston riß die Tür auf und rief Narziß ins Zimmer.

»Sie haben,« sagte er, »damals im Vorzimmer der Demoiselle Louison den Auftrag übernommen, abends sechs Uhr die Gläubiger der Dame auszuzahlen. Haben Sie das getan?«

»Das hab' ich nicht gekonnt, denn Herr O'Brien hat kein Geld zurückgelassen.«

»Das wußten Sie vorher. Sie haben die Gläubiger wissentlich getäuscht und können zu gerichtlicher Verantwortung gezogen werden. Sie haben ferner Briefe unterschlagen an die Dame und von der Dame, Sie haben sich bestechen lassen gegen Ihre Herrschaft von O'Brien und von – andern. Ihre Verantwortung wird Ihnen schwere Not bringen, und ich werde dafür sorgen, daß Ihre Untaten öffentlich bekannt werden, damit Niemand mehr Sie in Dienst nehme.«

»Aber ich bitte, Herr Ferval, Sie selbst haben ja –«

»Hansnarr!« schrie Ferval. »Mir haben Sie bloß gesagt, daß die Gläubiger Wucherer wären und daß sie volle Quittung leisten würden, wenn sie die Hälfte bekämen.«

»Ist dem so?«

»Ja.«

»Würden Sie, Herr Ferval, diese Hälfte bezahlen für O'Brien? Oder würden Sie Ihren Klub bestimmen, daß er seinem Ruf zu Liebe diesen Betrug seines Mitgliedes ausgleiche?«

145»Wie groß ist die Summe?«

»Sechsundzwanzigtausend Frank,« sagte Narziß etwas kleinlaut.

»Vielleicht ist der Klub dahin zu bestimmen,« sagte Ferval, nicht viel weniger kleinlaut.

»Ich warte bis morgen früh zehn Uhr. Hier ist meine Adresse« – er gab Narziß seine Karte –; »sind bis morgen früh zehn Uhr die Quittungen in meiner Hand, so unterlasse ich die öffentliche Besprechung dieser – Unsauberkeiten. Narziß hat sein nächstes Schicksal in seiner Hand. Adieu, Herr Ferval.«

Er ging. Aber an der Tür wendete er sich noch einmal und sagte: »A propos Zahlung, Herr Ferval! Sie ist mit Fug und Recht von dem Herrn O'Brien einzutreiben, denn er hat die pikante Wette nicht gewonnen; er muß also nicht nur die ihm so eilig zugesendete Summe zurückschicken, sondern hat den Verlust der Wette zu zahlen. Ihr Klub ist also über und über gedeckt.«

»Nicht gewonnen?«

»Nein. Er hat eine schriftliche Zusage, Demoiselle Louison nicht zu belästigen, in roher Weise brechen wollen, und Demoiselle Louison hat sich seiner vertragswidrigen Annäherung durch die Flucht entzogen. Sie hat sich also ihm nicht ergeben, wie die pikante Wettformel lautet, sondern ist nur seine leider angetraute Ehefrau geworden. Es ist ihm nur gelungen, durch solch ein unlösbares, weil katholisches Eheband eine große Künstlerin zu lähmen und vielleicht für immer ihrer Kunst zu entziehen, denn sie ist, obwohl aus seinem Bereiche, in einem Zustande der Verzweiflung, der Verzweiflung an allem Guten in der Welt, so daß für ihr Leben zu fürchten ist. Wer zu diesem Heldenstück beigesteuert hat, der ist um den Ruhm nicht zu beneiden. Adieu!«

Erregt, aber mit dem Resultate seines Schrittes wohl zufrieden, schritt Lauriston nach seiner Wohnung. Ferval, das wußte er, war leichtfertig, aber er war nicht ohne edle 146Wallungen. Er werde die Schuldenlast Louisons beseitigen, sei's mit Hilfe des Klubs, sei's im Notfalle aus seinen eigenen reichen Mitteln.

Lauristons Wohnung lag in dem vornehmen Faubourg St. Honoré, welcher rückwärts über Gärten nach den Champs Elysées bis zur Seine schaut. Dort bewohnte er ein hohes Mezzanin, ein sehr behagliches Appartement. Im Hofe hatte er Stallung für drei Pferde und Remise für die einspännigen Wagen, welche man in Paris so gern hat.

In seinem Arbeitszimmer, welches eine ausgesuchte kleine Bibliothek enthielt, lag auf dem Schreibtische ein zierlich eingebundenes Manuskript. Er trat an denselben, nahm es in die Hand und blätterte darin.

Es war dies jenes Theaterstück, dessen Zech gegen Louison erwähnt hatte, und welches von mehreren Theaterdirektoren zurückgewiesen worden war. Einer von ihnen hatte bei der Zurückweisung gesagt: es sei zwar in literarischer Form und Korrektheit der Verse ganz ausgezeichnet, aber es fehle ihm die Aktualität, welche für den Theatererfolg unerläßlich bleibe. Unter Aktualität verstehe er die Eigenschaft des Inhaltes, welche das Publikum wie etwas Echtes anmute, wie etwas, was noch heutigen Tages jeden Augenblick sich ereignen könne. Dadurch allein werde die theatralische Handlung dem Interesse des großen Publikums nahe gerückt.

Nachdenklich hielt er das Manuskript eine Zeitlang in der Hand und sagte vor sich hin: »Die Aktualität wäre da zur Umarbeitung.« Dann legte er es zur Seite, sich niedersetzend, um an seine Mutter zu schreiben.

Seine Mutter lebte noch in Grenoble, und er hegte die tiefste Pietät für dieselbe. Ebenso hingebend, ja schwärmerisch liebte sie ihn. Bei Lebzeiten des Vaters hatte sie die Partie des Sohnes genommen, als er zum Studium der Medizin gezwungen wurde, und das literarische Talent ihres Sohnes war ihr Stolz. Poetischen Wesens, war es ihr Ideal, ihren 147Alfred zu einer literarischen Notabilität heranwachsen zu sehen. In diesem Sinne war nach dem Tode des Vaters ein reger Briefwechsel im Gange zwischen Sohn und Mutter. Er teilte ihr seine Pläne, seine Arbeiten mit, und es lag also nahe, daß er ihr jetzt sein entstehendes Verhältnis zu der unglücklich gewordenen Louison nicht vorenthielt.

Er hatte ihr schon früher einige Male über die neue Erscheinung dieses schönen und talentvollen Mädchens geschrieben. Louison hatte bei ihrem ersten Auftreten einen bezaubernden Eindruck auf ihn gemacht, aber als er sie öfter gesehen, hatte er der Mutter geschrieben: »Wie schade, daß dies Mädchen nichts weiter wird, als was sie ist, ein heiteres, ja lustiges Naturell mit der entsprechenden Gabe des Talents. Sie hat nichts, als was sie von Hause aus besitzt. Kein Gedanke anderer Regungen als derjenigen ihres Naturells ist ihr nahe getreten. So kann sie denn eigentlich nur lachen. Man muß aber lachen und weinen können, wenn man ein volles dramatisches Talent sein will. Schade! schade!« hatte er zu wiederholten Malen geschrieben.

»Und doch ist's gut,« hatte die Mutter geantwortet, »daß es so ist. Denn in dies Mädchen würdest du dich verlieben, das les' ich aus deiner Beschreibung heraus. Ich wünsche aber ganz und gar nicht, daß du dich in eine Schauspielerin verliebst. Ihrem Berufe gemäß sind sie alle leichtsinnig und treulos. In einer Liaison – und die muß man vermeiden – reiben sie den Liebhaber auf, sei's nur durch Eifersucht, welche sie ihm nahe legen, und zu einer Ehe eignet sich ihr Beruf und ihr Charakter nicht, denn ihr Charakter bildet sich nach ihrem Berufe.«

Louison war also in dem Briefwechsel zwischen Sohn und Mutter ein oft dagewesenes Thema, und es lag nahe, daß er ihr die neuesten Schicksale der Künstlerin, so wie er sie aus Roses Erzählung genau kannte, ausführlich schilderte. Nachdem er auch die Unterredung mit Ferval mitgeteilt, 148schloß er den Brief mit den Worten: »Das Mädchen ist bleich wie der Tod, und Freund Zech spricht es wohl nicht aus, aber er scheint sie für lebensgefährdet zu halten. Moralisch erliegt sie einer vollständigen Apathie, und so bin ich wie Zech entschlossen, alles zu tun, um sie zu erretten.«

Abends ging er zu Zech. Dort fand er Rose schon, welche berichtete, daß sie keinen Rat mehr wüßte mit ihrer Herrin. Sie habe ein Kleid für sie gekauft, um ihr einen Ausgang ins Freie, etwa in den nahen Park von Monceau, möglich zu machen, aber Louison habe sich ruhig ankleiden lassen, und dann sei sie absolut nicht aus dem Zimmer zu bringen gewesen. Sie schüttele den Kopf, setze sich immer wieder vor den Schreibtisch und lese immer wieder den Brief, welchen sie an den Professor Rambert geschrieben. »Was soll daraus werden?!« rief Rose und weinte.

Zech war zornig, zornig gegen sich selbst und seine Wissenschaft. »Solche Krankheiten bringen den ruhigsten Arzt aus dem Häuschen!« schrie er geradezu. »Wir wissen nicht nachzuweisen, wie und wo das Blut verdorben wird durch Traurigkeit des Patienten, wie und wo das verdorbene Blut die Nerven lähmt und die edlen Organe beschädigt. Solche Krankheiten gehören vor den Irrenarzt; ich bin aber keiner.«

Lauriston suchte beide zu trösten, indem er das Abkommen mit Ferval erzählte und dartat: Louison sei nun niemandem mehr einen Sou schuldig und könne also ruhig in ihre frühere Wohnung zurückkehren. »Sie war doch pränumerando bezahlt?«

»Ja wohl!« sagte Rose, »und wir haben ja noch vielerlei dort zurückgelassen, namentlich Kleidungsstücke. Aber das Fräulein wird nicht hinzubringen sein.«

»Versuchen wir's! Ich komme morgen Mittag und werd' ihr zureden.«

Lauriston kam am folgenden Mittage und erfuhr allerdings von Rose, daß all ihr Zureden bis jetzt nichts geholfen. 149Namentlich in jene Wohnung, wo sie zugrunde gegangen, wolle sie um keinen Preis zurück.

Sie saß, wie Rose erzählt hatte, vor dem Schreibtische und hatte die Hand auf den Brief an Rambert gelegt. Das Gesicht war überaus bleich, die Miene starr.

Als Lauriston sie begrüßte, blickte sie ihn lange schweigend an, und ein Hauch von Röte flog über ihre Wangen. »Endlich,« sagte sie – zu großer Überraschung Lauristons mit schwacher Stimme. – »Ich habe Sie schon im Theater gesehen. Nicht wahr?«

»Ich weiß nicht –«

»Sie saßen auf der ersten Bank und schauten ohne Glas auf mich.«

»Ja.«

»Und dann sind Sie noch zweimal wiedergekommen und haben auch einmal ganz allein in die Hände geklatscht – für mich.«

»Ja ja! Konnten Sie das von der Bühne herab mitten im Spiel bemerken?«

»Gewöhnlich nicht, aber das hab' ich bemerkt.«

Lauriston war betroffen von dieser Bemerkung, sehr angenehm betroffen, und suchte nun ein Gespräch einzuleiten über den Eindruck einer Schauspielerin, welche die Welt von den Brettern herab anschaut – über die alles verklärenden Lampen hinweg.

»Verklärend?« fragte sie. Sie folgte also doch dem Gedankengange, und leise setzte sie hinzu, indem sie mit dem Haupte nickte: »Sie täuschen, die Lampen, sie täuschen.«

»Das sollen sie ja auch. Man ist in einer erhöhten Welt auf den Brettern, in der Welt der Poesie.«

Sie nickte wieder, aber es zog ein schmerzliches Lächeln um ihren Mund.

Lauriston versuchte nun dies Thema auszuführen und auf ihren Zustand, auf ihr Schicksal anzuwenden: daß man sich als Künstlerin nicht stören lassen dürfe durch die 150gemeine Prosa des Lebens, welche niemand so arge Täuschungen bringe als höheren Naturen. Das sei doch nur Schatten zum Lichte. Schatten sei überall nötig, sonst geriete man ins Verschwommene. Je härtere Schicksale der Künstler erlebe, desto mehr Inhalt gewinne er für seine Kunst, desto wahrhaftiger entwickele sich sein Talent.

Sie erwiderte nichts. Es war unklar, ob sie dem Sinne der Worte folge. Sie folgte vielleicht doch und widersprach im Innern, denn ihre schneeweiße Hand krampfte den Brief an Rambert ein wenig zusammen.

»Schenken Sie mir den Brief!« sagte Lauriston.

»Wozu?«

»Sie haben darin ihren Schmerz ausgedrückt, ausgehaucht möchte ich sagen. Dies könnte mir ein Hilfsmittel werden für eine Aufgabe, welcher ich nicht recht gewachsen bin. Ich schreibe ein Stück.«

»Ein Theaterstück?«

»Ja. Eine Künstlerin ist der Mittelpunkt, und ich bin bei einer Szene, welche den tiefen Schmerz meiner Heldin ausdrücken soll über Kränkungen, die sie erlitten, den Schmerz über die Zerstörung ihrer Ideale.«

»Die Arme! Hat sie Talent?«

»Großes Talent. Es ist Vittoria Accorombona. Aber ich habe nicht Talent genug, sie über den Abgrund hinwegzuheben, welchen sie vor sich zu sehen glaubt.«

»Glaubt?«

»In ihrer Einbildung. Sie ist eben sehr stark, ihre Einbildung, weil ihr Talent stark ist.«

»Und darüber hinweg –?«

»Und darüber hinweg wird mir Ihr Brief helfen.«

»Da! da!« – und hastig reichte sie ihm den Brief.

Hocherfreut meinte er nun so weit zu sein, daß er ihr den Wechsel der Wohnung, das Beziehen ihrer früheren Wohnung vorschlagen dürfte.

151Das war aber ein Irrtum. Bei diesem Vorschlage fuhr sie zusammen und machte eine scharf ablehnende Bewegung.

Er mußte es aufgeben, und erschüttert von der unberechenbaren Geistesabwesenheit, in welcher doch plötzlich wieder das Verständnis aufleuchtete, stand er auf.

Sie tat desgleichen und machte ihm eine leichte Verbeugung, welche Verabschiedung bedeutete.

Da schoß ihm ein dreister Gedanke durch den Sinn, und er sagte getrost: »Das wird aber dem guten Professor sehr leid tun.«

»Wem? Was?«

»Dem Professor Rambert.«

»Sie kennen ihn?«

»O, ja wohl! Ich war früher ein Hörer seiner Vorträge, und da ich selbst Schriftsteller werden wollte, hab' ich seine persönliche Bekanntschaft gesucht. Ich war mehrmals in seinem Hause und habe auch Sie dort gesehen. Und heute bin ich ihm in der Akademie begegnet und habe ihm erzählt, daß Sie von einem Nichtswürdigen außer Landes gelockt und betrogen worden, vorgestern aber in verzweifelter Stimmung nach Paris zurückgekehrt seien. Da war er sehr erschrocken und fragte, ob er Sie sehen könnte.«

»Ah!«

»Ja wohl, habe ich geantwortet. Sie sitzt traurig in ihrer früheren Wohnung am Boulevard.«

»Der Onkel!«

»›Morgen Mittag,‹« sagte er rasch, »›werde ich sie aufsuchen und zu trösten versuchen‹.«

»Der Onkel! Der gute Onkel!« und ihr starres Gesicht belebte sich, und ihre Hände zuckten.

»Der Onkel Rambert, ja! Da sollten Sie aber heute dort wieder einziehen, um morgen eingerichtet zu sein und ihn empfangen zu können.«

152»Freilich! freilich! – Rose! Rose!«

Rose trat ein.

»Du hast Recht gehabt, Rose, wir müssen sogleich in unsere alte Wohnung, damit der gute Onkel nicht umsonst – aber – aber die schlimmen Leute, die Gläubiger und gar die Gerichtsdiener, vielleicht auch O'Brien, der Lügner, sie alle werden da –«

»Das ist alles beseitigt, alles geordnet.«

»Von wem?«

»Von Ihren Freunden, und der Lügner darf sich nicht mehr nach Paris wagen, man kennt ihn jetzt. Das Nähere morgen, wenn ich mit dem Onkel komme. Also auf Wiedersehen dort!«

»Auf Wiedersehen!« sagte sie mit gesunder Stimme.

Lauriston war über sich selbst erschrocken, über seine Lüge. Aber sie hatte doch günstig gewirkt, und vielleicht war sie wahr zu machen.

Es war richtig, daß er den Professor kannte, näher kannte, und mitunter über literarische Fragen mit ihm verkehrte.

Er fuhr also sofort zu ihm in die Champs Elysées und las unterwegs den Brief Louisons.

Es war Mittagszeit, und er fand Rambert beim Frühstück. Juron war bei ihm.

Sie hatten eben gespeist und zündeten ihre Zigarren an. Lauriston bat um ein Privatgespräch und Juron ging.

Rambert bot Lauriston einen Sessel, und letzterer begann mit den Worten:

»Ich komme im Interesse Ihres früheren Schützlings, der Demoiselle Louison.«

»Sie ist mein Schützling nicht mehr. Wie ich aus den heutigen Journalen ersehe, ist sie ihrem Direktor durchgegangen, und zwar in die weite Welt mit einem gewalttätigen Irländer.«

Dabei reichte er Lauriston ein Journal. Dies enthielt die erste öffentliche Nachricht über Louisons Schicksal; sie lautete also:

153»Die beliebte Künstlerin Dlle. Louison hat plötzlich ihr Theater im Stich gelassen und ist mit einem irländischen Kavalier von dannen gefahren. Selbiger Kavalier war eine große Wette eingegangen, daß er diese bisher männerscheue Dame für sich gewinnen werde, und er hat also seine Wette gewonnen. Die Theaterwelt hofft, die reizende Künstlerin werde nach einiger Zeit munter zurückkehren und in ihrem neuesten Stücke auftreten.«

»Diese unangenehme Notiz, welche ich nicht gekannt,« sagte Lauriston, »ist nicht richtig; sie enthält aber Richtiges. Demoiselle Louison ist allerdings mit einem Irländer O'Brien abgereist –«

»Mit einem ruchlosen Manne!«

»Ja wohl – und ist mit ihm in Dublin vermählt worden.«

»Vermählt?!«

»Durch einen katholischen Priester. Sie ist O'Briens angetraute Gattin.«

»Das arme Geschöpf!«

»Und Sie, verehrter Herr, sind die Veranlassung gewesen zu diesem unseligen Schritte.«

»Ich?«

»Leider ja. Sie haben ihr einen Brief schreiben lassen, welcher die verhängnisvollen Zeilen enthielt: ›Sie können nur noch eine Maitresse werden, nie aber eine Ehefrau.‹«

»Das hätte ich –?«

»In ihrer übrigens schon verzweifelten Lage hat sie wenigstens beweisen wollen, daß sie eine Ehefrau werden könne.«

»Das hätte ich –?«

»Das haben Sie ihr schreiben lassen durch Ihren Freund Juron.«

»Niemals! Er hat mir erzählt, daß er sie am Spieltische gefunden, daß sie mit dem nichtswürdigen O'Brien eine Liaison habe und ein abscheuliches Leben führe.«

»Darauf haben Sie auf das arme Mädchen bitterlich gescholten –«

154»Allerdings.«

»Und er ist hingegangen und hat ihr in Ihrem Namen und Auftrage, wie in dem Briefe gesagt ist, vernichtende Worte und unter ihnen jene gefährlichen Worte von der Maitresse und Ehefrau geschrieben. Diese Worte allein haben Louisons trostlosen Entschluß veranlaßt, O'Briens Ehefrau zu werden.«

Rambert hatte längst die Zigarre weggelegt und sah jetzt sprachlos auf Lauriston.

Dieser erzählte nun die Vorgänge von Louisons Abreise bis zu ihrer Wiederkehr und überreichte ihm dann den zerknitterten Brief derselben, welcher mit den Worten begann: »Ich kann nicht mehr lachen.«

Rambert las ihn, und als er ihn beendigt, sagte er mit bebender Stimme: »Junger Freund, das ist ja entsetzlich!«

»Das ist es. Da ich die Ehre hatte, Sie zu kennen, so war ich der Meinung, ein Brief wie jener Juronsche könnte nicht von Ihnen ausgegangen sein –«

»Nein, nein! Und ich kündige dem boshaften Juron sofort meine Freundschaft auf.«

»Und ich rechnete auf Ihre Hilfe.«

»Mit Recht. Aber wie ist da zu helfen, wenn sie vermählt ist?!«

»Sie ist aber außerdem in Lebensgefahr durch stille Verzweiflung, welche sich ihrer bemächtigt hat. Nur ein Mensch ist vorhanden, der noch Einfluß auf sie übt und der sie trösten könnte. Dieser eine Mensch sind Sie!«

»Ich?«

»Ja. Ich komme soeben von ihr. Meine Trostsprüche waren ganz wirkungslos, als ich aber Ihren Namen nannte, da geriet sie in zitternde Bewegung, und als ich ihr sagte: Sie würden zu ihr kommen, da war sie wie verwandelt und versprach, sogleich in ihre alte Wohnung zurückzukehren, was sie bis dahin hartnäckig verweigert hatte.«

»Gehen wir sogleich!«

155»Wir müssen mit Vorsicht verfahren. Auf Ihr edles Herz vertrauend, verehrter Herr, hab' ich Sie für morgen Mittag angekündigt, und um den Erfolg zu sichern, müssen wir uns verständigen. Wir müssen gemeinsam eine Methode befolgen. Sie glaubt offenbar an nichts mehr, was ihre Persönlichkeit, was ihr Verhältnis zur Kunst, was die Kunst überhaupt betrifft: sie fühlt sich, mit einem trivialen Worte ausgedrückt: bankerott.«

Beide Männer berieten nun eine Heilungsmethode, wie man einen Erziehungsplan berät, und kamen darin überein, daß Lauriston am nächsten Tage den Professor abholen werde.


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