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Abseits der Kampffront sahen wir in Akaba während des Stillstands die Kehrseite der Medaille: wie unsere Begeisterung untergraben und dadurch die moralische Festigkeit unserer Operationsbasis brüchig wurde. Wir freuten uns, als wir endlich in die reine, frische Luft der Berge von Guweira entkommen konnten. Der frühe Winter schenkte uns heiße und sonnige oder auch bedeckte Tage, an denen die Wolken sich um das neun Meilen entfernte Massiv des Hochlands türmten, wo Maulud in Nebel und Regen Wache hielt. Die Abende waren gerade kühl genug, um den Wert eines dicken Mantels und eines Feuers schätzen zu lernen.
In Guweira warteten wir auf Nachrichten über die Eröffnung unserer Operation gegen Tafileh, eine Gruppe von Dörfern, mit deren Besitz man den Südrand des Toten Meeres beherrschte. Der Platz sollte von Westen, Süden und Osten zugleich angepackt werden; die Ostgruppe sollte den Tanz eröffnen durch den Angriff auf Dschurf, die nächstgelegene Station der Hedschasbahn. Die Führung dieses Angriffes war Scherif Nasir, dem Glücklichen, anvertraut. Zu seiner Unterstützung hatte er Nuri Said, den Stabschef Dschaafars; er befehligte eine kleine Abteilung regulärer Truppen mit einem Geschütz und einigen Maschinengewehren und sollte von Dschefer aus vorgehen. Nach drei Tagen kam der erwartete Bericht. Wie stets hatte Nasir den Vorstoß mit Geschick und Umsicht geleitet. Dschurf, das Angriffsziel, eine Station von drei Steingebäuden, war durch Schützengräben und Außenwerke gut befestigt. Jenseits der Station lag ein niedriger Erdwall, vom Feinde gut ausgebaut und mit zwei Maschinengewehren und einem Gebirgsgeschütz bestückt. Auf einige Entfernung vor dem Erdwall lag ein hoher steiler Bergrücken, letzter Ausläufer der Berge, die Dschefer von Bair trennen.
In diesem Bergrücken lag die Schwäche der Verteidigung, denn die Türken waren nicht stark genug an Zahl, um ihn und die Station samt Erdwall zugleich zu besetzen, und sein Kamm überhöhte die Bahnlinie. Es gelang Nasir während der Nacht, vom Feinde unbemerkt die Höhe des Rückens zu besetzen, worauf er oberhalb und unterhalb der Station die Bahn unterbrach. Als es eben hell wurde, brachte Nuri Said sein Gebirgsgeschütz auf dem Kamm des Bergrückens in Stellung und mit dem dritten Schuß, einem Volltreffer, das feindliche Geschütz zum Schweigen.
Dieser erste Erfolg machte Nasir etwas allzu kühn: die Beni Sakhr saßen auf und schworen, sie würden unmittelbar die Stellung attackieren. Nuri erklärte das für eine Torheit, denn die türkischen Maschinengewehre waren noch in voller Tätigkeit; aber die Beduinen hörten nicht auf seine Mahnung. Verzweifelt eröffnete er mit allem, was er hatte, ein rasendes Schnellfeuer gegen die türkische Stellung, indes die Beduinen um den Fuß des Hauptrückens herumschwenkten und gegen den Erdwall vorstürmten. Als die Türken die wilde Kamelreiterhorde heranbrausen sahen, warfen sie die Gewehre fort und flüchteten in die Station. Nur zwei der Araber wurden schwer verwundet.
Nuri eilte vor zum Erdwall. Das türkische Geschütz war unbeschädigt. Er warf die Lafette herum und feuerte den noch im Rohr befindlichen Schuß mitten in den Fahrkartenraum hinein. Die Beni Sakhr jauchzten vor Freude, als sie Holz und Steine in die Luft fliegen sahen, sprangen wieder in die Sättel und jagten gegen die Station vor. In diesem Augenblick ergab sich die Besatzung. Fast zweihundert Türken, darunter sieben Offiziere, gerieten lebend in Gefangenschaft.
Die Beduinen machten reiche Beute. Außer den Waffen fanden sich fünfundzwanzig Maultiere und auf dem Nebengleise sieben Wagen mit allerlei Leckerbissen für die Offiziersmessen von Medina; es waren Sachen darunter, die die Stämme nur vom Hörensagen kannten, und andere wieder, von denen sie noch niemals gehört hatten; sie waren überglücklich. Sogar die sonst immer schlecht wegkommenden Mannschaften der regulären Truppen bekamen ihren Anteil und konnten auch einmal Oliven, Sesampaste, getrocknete Aprikosen und was es sonst gab an Süßem oder Pikantem aus ihrem heimatlichen, schon halbvergessenen Syrien genießen.
Nuri Said hatte seinen besonderen Geschmack und rettete das Büchsenfleisch und die Liköre vor den Wüstenbewohnern. Dann war ein ganzer Wagen mit Tabak da. Da die Howeitat nicht rauchten, wurde er zwischen den Beni Sakhr und den Regulären geteilt. Durch diesen Verlust blieb die Garnison von Medina ohne Tabak. Faisal, selbst leidenschaftlicher Raucher, hatte so viel Verständnis dafür, daß er später einige Lastkamele mit billigen Zigaretten belud und sie mit einigen höflichen Worten nach Medina schickte.
Nach der Plünderung zerstörten die Pioniere durch Sprengladungen die beiden Lokomotiven der Station, ferner Wasserturm, Pumpstation und Weichen. Die vorhandenen Waggons steckte man in Brand und sprengte eine Brücke; freilich nur oberflächlich, denn nach solchem Siege ist jeder viel zu sehr mit sich selbst und mit Beutemachen beschäftigt, um an etwas zu denken, was andern zugute kommt. Dann wurde hinter der Station Lager bezogen; um Mitternacht gab es Alarm, als das Geräusch und die Lichter eines Zuges von Süden her nahten; er hielt an, offenbar gewarnt durch die Zerstörungen vom Abend vorher. Auda schickte Patrouillen aus, die uns Bericht erstatten sollten.
Bevor sie zurückkehrten, kam ein einsamer Sergeant in Nasirs Lager, um als Freiwilliger in die Armee des Scherifs einzutreten. Er war von den Türken zur Erkundung der Station vorgeschickt worden. Er berichtete, daß nur sechzig Mann und eine Gebirgskanone im Hilfszug wären, und wenn er mit beruhigenden Nachrichten zurückkehre, könnten wir den Zug überraschend nehmen, ohne daß ein Schuß fiele. Nasir rief Auda herbei, der wieder seine Howeitat herbeirief, und in aller Stille zogen sie davon, um die Falle zu stellen. Aber just als es so weit war, beschlossen die ausgesandten Patrouillen, ohne Hilfe der andern die Sache zu erledigen und eröffneten Feuer auf die Wagen. Der Lokomotivführer, auf diese Weise gewarnt, stellte die Maschine rückwärts, und so rollte der Zug unbeschadet wieder nach Maan davon. Das war unser einziger Kummer bei dem Unternehmen in Dschurf.
Dann kam wieder schlechtes Wetter. Drei Tage lang schneite es fast ununterbrochen. Nasirs Streitkräfte konnten nur unter großen Schwierigkeiten wieder ihr Zeltlager bei Dschefer erreichen. Die Hochfläche von Maan lag zwischen drei- und fünftausend Fuß über Seehöhe, nach Norden und Osten allen Stürmen offen. Von Innerasien und dem Kaukasus kamen sie über die große freie Wüste herangefegt. Hier an dem niedrigen Bergland der alten Edomiter brach sich ihre erste Gewalt; dann leckten sie über die Kammhöhe und brachten über die Ebenen von Judäa und Sinai einen für dortige Verhältnisse strengen Winter.
Draußen um Bersaba und Jerusalem fanden es die Engländer schon sehr kalt; aber unsere Araber entflohen dorthin, um etwas Wärme zu haben. Bedauerlicherweise sah der britische Nachschubdienst reichlich spät ein, daß wir hier oben in einer Art von kleinen Alpen kämpften. Man schickte uns keine Unterkunftszelte, keine warme Kleidung, keine Stiefel, nicht einmal genug Decken, um jeden Mann der Gebirgsbesatzung mit zwei davon auszustatten. Unsere Soldaten, soweit sie nicht desertierten oder starben, führten das elendeste Dasein, das ihnen alle Zuversicht aus dem Leibe fror.
Dem verabredeten Plan gemäß wurden jetzt, nach dem glücklichen Erfolg bei Dschurf, die Araber von Petra, unter ihrem Scherif Abd el Majen, aus ihren Bergen in die Wälder bei Schobek vorgeschickt. Es wurde ein beschwerlicher Marsch für dieses barfüßige und in Schaffelle gekleidete Bergvolk, durch steile Täler, zerrissene Schluchten und über gefährliche, schneeverwehte Hänge in eisigem Nebel. Mancher Mann und viele Tiere fielen dem Schnee und Frost zum Opfer. Aber die zähen Hochländer, gewöhnt an Kälte von ihren strengen Wintern her, kämpften sich beharrlich weiter.
Als die türkischen Wachen und Posten sie langsam immer näher kommen sahen, entflohen sie aus ihren Höhlen und Schutzhütten zwischen den Bäumen der Endstation der Bahnabzweigung zu; die Wege ihrer Flucht waren mit weggeworfenem Gepäck und Ausrüstungsstücken besät.
Die Endstation der Holzabfuhrbahn mit ihren Notschuppen wurde von den niedrigen Bergrücken aus durch das arabische Geschützfeuer beherrscht; es war eine richtige Falle. Die Araber kamen in einem Haufen herabgestürzt und fielen über die aus den brennenden, einstürzenden Schuppen herauskommenden Türken her. Eine gut disziplinierte Kompagnie geschulter Soldaten unter einem albanischen Offizier kämpfte sich ihren Weg zur Hauptlinie durch. Die Araber töteten alle anderen oder nahmen sie gefangen und erbeuteten auch die Vorräte in Schobek, der alten Festung der Kreuzritter von Monreale, hoch oben auf einem Kreidekegel über einem gewundenen Tal. Abd el Majen schlug dort sein Hauptquartier auf und benachrichtigte Nasir. Mastur wurde ebenfalls benachrichtigt. Er zog seine Motalga-Kavallerie und Infanterie aus ihren behaglichen Zelten in den sonnigen Tiefebenen Arabiens und erklomm mit ihnen den Höhenpaß gen Tafileh.
Nasir blieb nicht untätig. Er brach mit seiner Schar von Dschefer plötzlich auf, und im Morgengrauen, nach einer wilden Sturmnacht, erschien er auf dem Kamm der felsigen Schlucht, in deren Schutz Tafileh lag. Er forderte es zur sofortigen Übergabe auf, widrigenfalls der Ort zusammengeschossen würde; eine leere Drohung, da Nuri Said mit den Geschützen nach Guweira zurückgekehrt war. Im Dorf befanden sich nur fünfundachtzig Türken, doch hatten sich die Muhaisin, ein Clan ansässiger Beduinen, ihnen angeschlossen, nicht so sehr aus Freundschaft für die Türken, als weil Dhiab, der Häuptling eines andern Clans ihres Stammes, sich für Faisal erklärt hatte. Als Antwort erhielt daher Nasir einen Hagel schlechtgezielter Schüsse.
Die Howeitat schwärmten zwischen den Klippen aus, um das Feuer der Dörfler zu erwidern. Aber ein solches Verfahren mißfiel Auda, dem alten Löwen; er schäumte vor Wut, daß dieses schäbige Bauernvolk es wagen konnte, ihren langjährigen Meistern und Herren der Wüste, den Abu Taji, Widerstand zu leisten. Er griff in die Zügel, galoppierte mit seiner Stute den Pfad hinab und ritt allen sichtbar in die Ebene hinaus bis dicht unter die ersten Häuser des Dorfes. Dort hielt er, hob drohend die Faust gegen sie und rief mit seiner prachtvoll dröhnenden Stimme: »Ihr Hunde! Kennt ihr den Auda nicht?« Als die Dörfler erkannten, daß sie den unerbittlichen Sohn des Krieges vor sich hatten, entsank ihnen der Mut; eine Stunde später saß Nasir mit dem türkischen Kommandeur als seinem Gast im Gemeindehaus und suchte ihn bei einem Glase Tee über den jähen Glückswechsel zu trösten.
Als es dunkel wurde, zog Mastur in Tafileh ein. Seine Motalga blickten finster auf ihre Blutsfeinde, die Abu Taji, die es sich in den schönsten Häusern bequem gemacht hatten. Die beiden Scherifs mußten den Ort aufteilen, um ihre ungebärdige Gefolgschaft getrennt zu halten. Sie besaßen wenig Autorität, um zu vermitteln, denn im Laufe der Zeit war Nasir fast ein Abu Taji geworden und Mastur beinahe ein Dschasi.
Am nächsten Morgen hatte der Zank zwischen den beiden Parteien schon begonnen, und der Tag verlief unter Aufregungen; denn außer diesen Blutfeindschaften kämpften die Muhaisin um ihre Herrschaft über die Dörfler, und weitere Verwicklungen entstanden außerdem noch durch zwei fremde Elemente in der Bevölkerung: eine Kolonie Senussi-Freibeuter aus Nordafrika, die die Türken hier auf reichem, aber nur zum Teil herrenlosem Ackerland angesiedelt hatten, und eine armselige, aber betriebsame Kolonie von tausend Armeniern, Überlebenden der ruchlosen Deportation durch die Jungtürken im Jahre 1915.
Die Bewohner von Tafileh gerieten in Todesangst um ihre Zukunft. Wie meist waren wir knapp an Nahrungs- und Transportmitteln, und sie wollten nichts herausgeben. Sie hatten Weizen oder Gerste in ihren Scheuern, aber versteckten sie. Sie hatten Lasttiere, Esel und Maultiere, im Überfluß, aber sie trieben sie weg, so daß sie für uns unerreichbar waren. Sie hätten uns ebenfalls vertreiben können, aber zum Glück sahen sie nicht unseren schwachen Punkt, wo sie hätten einhaken können. Sorglosigkeit war immer unser mächtigster Bundesgenosse bei der von uns aufgezwungenen Ordnung; denn im Osten beruhte die Regierung nicht auf der Zustimmung der Untertanen oder auf Gewalt, sondern auf der allgemeinen Stumpfheit, Fahrlässigkeit und Gleichgültigkeit, wodurch einer Minderheit ein unvergleichlich großer Einfluß eingeräumt wurde.
Faisal hatte die Oberleitung des Vorstoßes gegen das Tote Meer seinem jungen Halbbruder Seid übertragen. Es war Seids erstes selbständiges Kommando im Norden, und er ging mit Feuereifer an die Sache heran. Als Ratgeber war ihm Dschaafar-Pascha, der frühere türkische General, beigegeben. Seine Infanterie, Artillerie und Maschinengewehre mußten, wegen Verpflegungsmangels, bei Petra halten bleiben. Seid selbst aber kam mit Dschaafar nach Tafileh geritten.
Dort standen die Dinge auf Biegen oder Brechen. Auda trug eine geringschätzige Großmut zur Schau gegenüber den beiden jungen Motalgas, Metaab und Annad, den Söhnen Abtans, der von Audas Sohn getötet worden war. Die beiden, geschmeidige entschlossene und selbstbewußte Burschen, begannen von Rache zu sprechen – Tauben, die einem Falken drohten. Auda erklärte, er werde sie öffentlich auf dem Marktplatz auspeitschen lassen, wenn sie sich ungehörig aufführten. Gut und schön; aber ihre Anhängerschaft war der Audas an Zahl doppelt überlegen, und es bestand Gefahr, daß das ganze Dorf in Aufruhr geraten würde. Die beiden jungen Motalgas stolzierten bereits zusammen mit Rahail, meinem Raufbold, gespreizt durch alle Straßen.
Seid machte dem ein Ende. Er sprach Auda seinen Dank aus, bezahlte ihn und schickte ihn heim in seine Wüste. Die hitzigsten Köpfe der Muhaisin wurden als Zwangsgäste in Faisals Lager gesandt. Dhiab, ihr Feind, war unser Freund; das brachte uns mit Bedauern den Satz in Erinnerung, daß die besten Bundesgenossen eines aufgezwungenen, erfolgreichen Regiments nicht seine Anhänger, sondern stets seine Gegner sind. Seid brachte viel Geld mit, was unsere wirtschaftliche Lage verbesserte. Wir ernannten einen Offizier zum Gouverneur des Distrikts und bereiteten uns in den fünf eroberten Dörfern zu weiterem Angriff vor.