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Hundertviertes Kapitel

Ich war bis zu dieser Stufe meiner wirren Selbstbetrachtungen gelangt, als ich eine Unruhe von den Zelten der Toweiha her hörte. Schreiende Leute stürzten auf mich zu. Ich riß mich zusammen, da ich glaubte, es sei ein Kampf zwischen den Arabern und dem Kamelkorps zu schlichten; aber statt dessen ersuchten sie mich um Hilfe gegen einen Schammartrupp, der vor zwei Stunden einen Angriff auf Snainirat unternommen hatte. Achtzig Kamele waren fortgetrieben worden. Um nicht ganz unfreundlich zu erscheinen, machte ich vier oder fünf Mann, deren Freunde und Verwandte betroffen worden waren, aus unseren Reservekamelen beritten und schickte sie davon.

Buxton brach mit seiner Truppe am Nachmittag auf, ich selbst blieb noch bis zum Abend in Bair, indes meine Leute die sechstausend Pfund Schießbaumwolle auf die dreißig ägyptischen Lastkamele verluden. Meine Leibgarde war sehr wenig davon erbaut, nun als Kolonnenmannschaft Verwendung zu finden.

Wir hatten berechnet, daß Buxton kurz vor Abend am Fuße der Hadihöhen Nachtrast machen würde, und ritten daher dorthin, sahen aber kein Lagerfeuer und fanden nirgends Fußspuren. Als wir über einen Kamm hinweg Ausschau hielten, schlug uns ein kalter Nordwind vom Hermongebirge her in die erhitzten Gesichter. Die jenseitigen Hänge lagen schwarz und schweigend; und die Dorfsassen unter uns, geschult auf die verschiedenen Dünste von Rauch, Kochtöpfen und den herben Geruch frisch aufgeworfenen Erdreichs, vermeinten etwas Beunruhigendes, Verdächtiges, ja Gefahrdrohendes in dem stetigen Nordwind zu spüren. So zogen wir uns ein Stück zurück und verbrachten windgeschützt am Fuße eines Hanges die Nacht.

Am nächsten Morgen hielten wir von der Höhe Ausschau und sahen im Umkreis von fünfzig Meilen nichts als freies Land. Wir überlegten schon, wo Buxton hingeraten sein könnte, als Dahir plötzlich nach Südosten wies, wo die Kolonne auftauchte und näher kam. Sie hatte sich am Tage vorher sehr bald verirrt und haltgemacht, um das Morgengrauen abzuwarten. Scheik Saleh, ihr Führer, wurde von meinen Leuten nicht schlecht aufgezogen, wie er von Bair nach dem Thlaithukhwat den Weg verfehlen konnte, so etwa, wie wenn sich einer in London nicht von Marble Arch nach Oxford Zirkus fände.

Es war ein schöner Morgen; die Sonne schien uns heiß auf den Rücken, und ein frischer Wind blies uns ins Gesicht. Leicht und rasch marschierte das Kamelkorps vorbei an den drei schneebedeckten Gipfeln des Thlaithukhwat nach den grünen Niederungen des Wadi Dhirwa. Das waren jetzt nicht mehr jene steifgedrillten Kompagnien, wie sie in Akaba angekommen waren. Buxton, ein Mann mit offenem Sinn und Anpassungsfähigkeit, hatte sich die Erfahrungen irregulärer Kampfesweise zunutze gemacht und seine Truppen auf die neuen Anforderungen eingestellt.

Er hatte die Kolonnenformation umgestaltet und mit der alten Unterteilung in zwei genau gesonderte Kompagnien gebrochen. Ebenso hatte er die Marschordnung abgeändert, und anstatt wie früher in streng geschlossenen Reihen zu bleiben, waren sie jetzt in bewegliche Gruppen gelöst, die je nach Bedürfnis aufschließen oder wieder nachgeben konnten, so daß es nicht mehr wie früher bei jedem Geländehindernis oder Steigungswechsel zu Stockungen kam. Die Traglasten wurden vermindert und anders gepackt, wodurch die Marschgeschwindigkeit und Tagesleistung der Kamele erhöht wurde. Er hatte auch das von der Infanterie übernommene System der regelmäßigen und häufigen kurzen Halte (um den Kamelen Gelegenheit zum Stallen zu geben!) abgeschafft, und auf das tadellose Aussehen der Tiere wurde weniger Wert gelegt. In früheren Tagen hatten die Leute ihre Tiere geschniegelt und gestriegelt, sie verhätschelt wie Pekineserhündchen; und kaum hatte die Kolonne haltgemacht, so hatte jedesmal ein allgemeines Abreiben der Tiere mit der Satteldecke und eine laut klatschende Klopfmassage auf die freigelegten Höcker begonnen; während jetzt die kurze Zeitspanne der Marschrast dazu benutzt wurde, die Tiere grasen zu lassen.

Auf diese Weise war unser Kaiserliches Kamelreiterkorps zu einer leichter beweglichen, ausdauernden Truppe geworden, die sogar ziemlich geräuschlos marschieren konnte, außer wenn sie in einem großen geschlossenen Pulk ritt. Denn dann stimmten die Kamelhengste ein Brüllkonzert an, daß man uns auf Meilen hin durch die Nacht hören konnte. Mit jedem Tage gewöhnten sich die Leute mehr an die neuen Verhältnisse, fühlten sich mehr zu Hause auf ihren Tieren, wurden zäher, magerer, gewandter und frischer. Das enge Zusammenleben von Offizier und Mann schuf eine heitere zufriedene Atmosphäre.

Meine Reitkamele waren auf arabische Gangart dressiert, jenen freien, weitausgreifenden Schritt mit lose gebogenem Knie und stark federndem Sprunggelenk, der ein wenig länger und rascher war als der normale Schritt. Buxtons Kamele schlenderten in ihrem natürlichen Gang dahin; und der Reiter hatte infolge seiner steifschäftigen Stiefel mit dem hohen Gerüst des Manchester-Bocksattels nicht die geringste Einwirkung auf das Tier.

Wenn ich daher auch beim Aufbruch anfangs an Buxtons Seite in der Vorhut war, so prellte ich mit meinen fünf Begleitern ständig weit vor, namentlich wenn ich meine Baha ritt, ein riesiges, starkknochiges, hochbeiniges Tier, benannt nach ihrer merkwürdigen Blökstimme, der Folge einer Geschoßverwundung am Unterkiefer. Sie war reines Vollblut, aber hitzig und schwierig, halbwild noch, und konnte sich nie zu ruhiger, gleichmäßiger Gangart bequemen. Statt dessen zog sie mit hocherhobener Nase und windgesträubtem Haar los in einem unbequemen tänzelnden und hart stoßenden Schritt, den meine Ageyl verabscheuten, weil er ihrem empfindlichen Kreuz wehe tat, der mir jedoch ganz unterhaltsam war.

Meist waren wir so den Engländern um drei Meilen voraus, suchten uns dann ein Fleckchen Gras oder etwas saftiges Dorngesträuch und ließen unsere Tiere weiden, indes wir uns im Schatten ausstreckten und warteten, bis uns die Kolonne eingeholt hatte.

Ihr Herankommen bot immer ein prächtiges Bild. In dem spiegelnden Geflimmer der erhitzten Luft über dem glänzenden Kalksteinrücken sah man sie zuerst auftauchen als eine geballte braune Masse, wie freischwebend in dem vibrierenden Dunst. Dann, im Näherkommen, löste sich der Klumpen in einzelne Gruppen, die hin und her glitten, sich voneinander trennten und wieder zusammenflossen. Zuletzt, als sie dicht heran waren, konnte man die einzelnen Reiter unterscheiden, gleichsam wie große schwimmende Wasservögel in dem silbrigen Dunst über dem Boden; und dann erkannte man die athletische Gestalt Buxtons, herrlich im Sattel, an der Spitze seiner fröhlichen, sonnenverbrannten Khakischar.

Es war sonderbar zu beobachten, wie ganz verschieden sie ritten. Einige saßen im natürlichen freien Sitz, trotz dem plumpen Bocksattel, einige streckten ihr Hinterteil in die Luft und hockten vornüber wie arabische Bauern, andere wieder hingen nachlässig im Sattel, als säßen sie auf australischen Rennpferden. Meine Leute, nach dem äußeren Bild urteilend, waren zu spöttischen Bemerkungen geneigt. Ich sagte, ich könnte ihnen aus diesen dreihundert leicht vierzig Kerle heraussuchen, die beliebigen vierzig Mann aus Faisals Armee im Reiten, Fechten und an Ausdauer sich überlegen zeigen würden.

Zu Mittag machten wir bei Ras Muheiwer eine zweistündige Rast; die Hitze war heute zwar nicht so groß wie etwa im August in Ägypten, aber Buxton wollte seine Truppe nicht unnötig abhetzen. Man ließ die Kamele frei laufen; wir lagerten uns, aßen und versuchten etwas zu schlafen, ewig gestört von den Fliegenschwärmen, die den Marsch von Bair her, zu dichten Kolonnen auf unseren durchschwitzten Rücken geballt, mitgemacht hatten. Mittlerweile zog meine gesamte Leibgarde vorüber; sie murrten über ihre Herabwürdigung zu Troßknechten, riefen den Himmel zum Zeugen an, daß ihnen noch nie solche Schande zugefügt worden wäre, und beteten ungeniert zu Gott, die Welt möge nie erfahren, was für eine Tyrannei ich über sie ausübte.

Doppelt schwer lastete auf ihnen der Kummer, weil die Kolonne aus Somali-Lastkamelen bestand, deren Höchstgeschwindigkeit nur drei Meilen die Stunde betrug. Buxtons Truppe marschierte nahezu vier, ich selbst machte über fünf; so wurden die Märsche für Saagi und seine vierzig Spitzbuben eine Qual langsamen monotonen Dahinwanderns, belebt höchstens von bockenden Kamelen oder verrutschten Lasten.

Wir verhöhnten sie noch ob ihrer Schwerfälligkeit, nannten sie Viehtreiber und Kulis und boten uns als Käufer an für ihre Waren, wenn sie damit zu Markt kämen; bis sie zu guter Letzt notgedrungen selbst lachen mußten über ihre Rolle. Nach dem ersten Tage gelang es ihnen auch, mit uns Schritt zu halten, indem sie die Märsche bis in den Abend ausdehnten (nicht zu spät, denn ihre augenkranken Tiere waren blind in der Dunkelheit) und die Rasten abkürzten. Sie brachten schließlich auch ihre Karawane durch, ohne auch nur eine der Lasten einzubüßen; eine schöne Leistung für solche vergoldeten Gentlemen und nur möglich, weil sie unter ihrer Vergoldung die besten Kamelführer waren, die man in Arabien auftreiben konnte.

Zur Nacht lagerten wir bei Ghadaf. Während der Rast holte uns das Panzerauto ein; oben auf dem Beobachtungstürmchen saß der begeisterte Scherari-Wegführer mit triumphierendem Grinsen. Ein bis zwei Stunden danach traf Saagi ein und meldete, bei der Kolonne wäre alles in Ordnung. Nur bat er Buxton, die auf dem Marsch niedergebrochenen Kamele nicht unmittelbar neben der Straße töten zu lassen, denn jede der Tierleichen am Wege gab seinen Leuten Vorwand zu einer Festerei, was ständig Verzögerungen verursachte.

Abdulla konnte nicht begreifen, warum die Engländer die Tiere erschössen, die sie marschunfähig zurücklassen mußten. Ich wies darauf hin, daß wir Araber uns ja auch gegenseitig erschössen, wenn wir im Kampf schwer verwundet würden. Abdulla entgegnete, das geschähe doch nur, um zu verhindern, daß wir so gemartert würden, daß wir uns vor uns selbst schämen müßten. Sicher, so meinte er, gäbe es kaum einen lebenden Menschen, der nicht ein allmähliches Versiegen des Lebens in der Wüste dem raschen Ein-Ende-Machen vorzöge. Seiner Anschauung nach war wirklich der langsamste Tod der mildeste von allen, denn ein Zustand, in dem man nichts mehr zu hoffen habe, bewahre einen vor der Bitternis aussichtslosen Widerstandes und ermögliche es der Menschenseele, sich ungehemmt auf die Gnade Gottes zu bereiten. Unsere englische Auffassung, daß es menschenfreundlicher wäre, jede Kreatur, außer den Menschen selbst, rasch zu töten, vermochte er nicht ernst zu nehmen.


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