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Nasir, Nuri Schaalan und Tallal stießen in der Dunkelheit an uns vorbei. Am nächsten Morgen waren wir wieder vereint und rückten nach Norden weiter, durch blühende, glückliche Dörfer dieses fetten Ackerlandes, immer gegen einen frischen Wind an. Auf den abgeernteten Feldern, deren Getreide meist nicht abgemäht, sondern einfach ausgerauft war, wuchsen Disteln halb mannshoch, aber schon gelb und dürr und tot. Der Wind riß sie von den hohlen Wurzeln los und wirbelte sie über den flachen Grund, so daß Distel mit Distel und Dorngestrüpp sich verfilzte und sie schließlich in richtigen Klumpen wie lebendig gewordene Heuhaufen über das Brachland jagten.
Arabische Frauen, unterwegs mit ihren Eseln, um Wasser zu holen, kamen zu uns gelaufen und riefen, eben wäre dicht vor uns ein Flugzeug gelandet; es trüge auf seinem Körper die beiden Ringe, den Kamelbrandstempel des Großscherifs. Pisani ritt hin und fand zwei Australier, von denen Bristol bei einem Flug über Dera einen Schuß in den Kühler bekommen hatte. Sie waren erfreut, wenn auch einigermaßen erstaunt, hier in dieser Gegend Freunde anzutreffen. Das Loch wurde verstopft, die Frauen brachten Wasser herbei, um den Kühler zu füllen, und die Australier flogen wohlbehalten heimwärts.
Von Stunde zu Stunde wurden unser mehr: berittene Männer kamen und schlossen sich uns an, indes aus jedem Dorf die abenteuerlustige Jugend herbeiströmte, um zu Fuß in unsere Reihen zu treten. Als wir so dahinzogen, vom goldenen Sonnenlicht gleichsam miteinander verwoben, hatten wir das seltene Erlebnis, uns als ein Ganzes zu sehen und zu fühlen; wie von selbst wurden wir zu einem Organismus, zu einer ausgeprägten Gemeinschaft, und der Stolz eines jeden hob sich in dem Bewußtsein, ein lebendiger Teil der Gesamtheit zu sein.
Gegen Mittag kamen wir in Wassermelonenfelder. Die Leute machten sich darüber her, indessen wir vorritten zur Erkundung der Bahn, deren Strecke verlassen dalag, flimmernd in der hellen Sonne. Doch während wir noch beobachteten, fuhr ein Zug vorüber. Die Bahn war erst in der vergangenen Nacht wieder betriebsfähig gemacht worden, und heute war das schon der dritte Zug. Darauf ging ein Teil unserer Truppen, auf zwei Meilen auseinandergezogen, gegen die Bahn vor, ohne Widerstand zu finden; und jeder, der etwas Material bei sich hatte, begann eiligst Sprengungen vorzunehmen, wo es ihm gerade passend schien. Die Zerstörungen, von Hunderten von Unerfahrenen mit viel Eifer ausgeführt, gelangen zwar nicht ganz der Regel nach, aber waren doch wirksam genug.
Das Wiedererscheinen der arabischen Armee nördlich von Dera bedeutete eine Überraschung für den zurückgehenden Feind, die noch weiter ausgenutzt werden mußte. Wir wandten uns daher an die Führer unserer Stämme: Nuri Schaalan, Auda und Tallal, und fragten, was jeder für diese Nacht zu unternehmen bereit wäre. Tallal, der Feurige, wollte Esra angreifen, das große Getreidedepot nördlich an der Bahn. Auda wollte sich an Khirbet el Ghasala machen, die entsprechende Station südlich. Nuri Schaalan beabsichtigte, die große Straße nach Dera mit seinen Reitern zu besetzen, um einzelne türkische Truppenteile auf ihrem Rückzug abzufangen.
Das waren drei gute Vorschläge; und die Führer machten sich an die Ausführung. Die Hauptkolonne wurde wieder in Marsch gesetzt und zog ihre Straße weiter, vorbei an der zerstörten Kolonie Scheik Miskin, deren öde Ruinen im blassen Mondlicht ragten. Das wirre Netz von Bewässerungskanälen jenseits in der Ebene brachte die Reihen durcheinander und behinderte den Marsch. Daher wurde auf abgeernteten Feldern halt gemacht, um die Morgendämmerung abzuwarten. Der Mond war untergegangen, die Welt ringsumher schwarz und kalt.
Ich hieß meine Leibgarde satteln, und dann ritten wir in so gutem Tempo durch die Nacht, daß wir Scheik Saad mit Morgengrauen erreichten. Als wir aus dem Felsgestein herauskommend die von Bäumen umsäumten Felder vor uns liegen sahen, erwachte die Erde zu neuem Leben im Licht des jungen Tages. Der Morgenwind durchfurchte die Olivenhaine silbrig. Von einem großen Ziegenhaarzelt zur Rechten riefen uns Leute an und baten uns, zu ihnen zu Gast zu kommen.
Wir fragten, wessen Lager es sei. »Das von Ibn Smeir«, wurde uns geantwortet. Das drohte zu Verwicklungen zu führen. Raschid war ein unversöhnlicher Feind Nuri Schaalans und durfte ihm nicht begegnen. Wir schickten Nasir sofort eine Warnung. Glücklicherweise war Ibn Smeir abwesend. So würde seine Familie vorübergehend unser Gastgeber sein, und Nuri mußte als Gast die Sitte wahren.
Das war eine Erlösung für uns, denn unter unseren Leuten gab es Hunderte von Todfeinden, deren Fehden nur durch Faisals Frieden auf Zeit aufgehoben waren. Die Mühe, sie in Schach zu halten und die Hitzköpfe in getrennten Bereichen zu beschäftigen, und den Dienstbetrieb so einzurichten, daß unsere Führung über ihre Eifersüchteleien siegte – das alles war schlimm genug. Die Kriegführung in Frankreich wäre wohl etwas schwierig geworden, wenn jede Division oder sogar jede Brigade unserer Armee der anderen mit tödlichem Haß begegnet wäre, und wenn sie sich bei jeder Begegnung in die Haare geraten wären. Immerhin hatten wir unsere Leute zwei Jahre lang ruhig gehalten, und jetzt dauerte es ja nur noch ein paar Tage.
Die drei Abteilungen kehrten von ihren nächtlichen Unternehmungen beladen mit Beute zurück. Esra war von Abd el Kadir, dem Algerier, besetzt gewesen mit seinen Anhängern, einigen Freiwilligen und geringen Truppen. Als Tallal erschien, gingen die Freiwilligen zu ihm über, die Truppen entflohen, und Abd el Kadir hatte mit seiner kleinen Schar Anhänger den Platz kampflos räumen müssen. Unsere Reiter waren zu schwer mit Beute beladen, um ihn zu fangen. Auda hatte Ghasale im Sturm genommen, einen verlassenen Zug und Geschütze erobert und zweihundert Gefangene gemacht, darunter einige Deutsche. Nuri Schaalan meldete vierhundert Gefangene nebst Maultieren und Maschinengewehren.
Ein englischer Flieger kreiste über uns, offenbar ungewiß, ob wir die arabische Armee wären. Young gab Signale, und das Flugzeug warf eine Nachricht ab, die besagte, daß Bulgarien sich den Alliierten ergeben habe. Wir hatten gar nichts von einer Offensive auf dem Balkan gewußt; so kam uns diese Nachricht einigermaßen überraschend und zusammenhanglos. Aber das eine schien klar: das Ende nicht nur des großen Krieges, sondern auch unseres Krieges war nahe, und mit ihm Frieden und Ruhe.
Später traf auch die Armee ein. Die Gärten und Haine bevölkerten sich, jede ankommende Abteilung suchte sich den besten freien Platz zum Absatteln, zwischen Feigenbäumen, unter Palmen und Oliven; und ganze Wolken aufgescheuchter Vögel flogen mit ohrenbetäubendem Gelärm und Geschrei aus den Baumgruppen auf. Die Mannschaften führten ihre Tiere zum Fluß hinab, der sich zwischen üppig grünenden Büschen, Blumenbeeten und Obstkulturen dahinwand – uns fremd anmutenden Dingen nach all den Jahren des Wanderns durch öde Kalksteinwüsten.
Die Bevölkerung von Scheik Saad kam scheu und zaghaft herbei, sich die Armee Faisals anzusehen, um die sich schon so etwas wie eine Legende gesponnen hatte, und die nun plötzlich hier bei ihrem Dorf erschienen war, an ihrer Spitze Namen von berühmtem oder berüchtigtem Klang: Tallal el Hareidhin; Scherif Nasir; Nuri Schaalan; Auda abu Taji. Wir hinwiederum blickten mit heimlichem Neid auf ihr friedliches Bauerndasein.
Während sich die Leute ihre vom langen Ritt steifgewordenen Glieder ein wenig vertraten, gingen wir zur Höhe hinauf zu den Ruinen, von wo aus man die weithin nach Süden sich dehnende Ebene überblicken konnte im beruhigten Gefühl vollkommener Sicherheit. Zu unserer Überraschung entdeckten wir, gerade seitlich von uns, eine Kompanie des Feindes – Türken, Österreicher, Deutsche – mit acht Maschinengewehren auf Packtieren. Sie strebten, nach der Niederlage in Galiläa, auf Damaskus zu und marschierten jetzt, wenn auch ohne Hoffnung, so doch sorgenfrei, denn sie glaubten sich an die fünfzig Meilen von jedem Krieg entfernt.
Wir gaben kein Alarmzeichen, um unserer ermüdeten Truppe Ruhe zu lassen. Nur Dursi ibn Dughmi mit den Khaffadschireitern und andern des Stammes stiegen rasch in die Sättel, machten ausbiegend eine Umgehung und fielen, aus einer verdeckenden Schlucht hervorbrechend, über die Zurückgehenden her. Die Offiziere machten Miene zur Gegenwehr und waren augenblicklich niedergemacht. Die Mannschaften ergaben sich daraufhin, waren binnen fünf Minuten durchsucht und ausgeraubt und wurden dann in langen Reihen am Bewässerungskanal entlang bis zu einer gemauerten Viehhege getrieben, die als Gewahrsam geeignet schien. Unsere Stellung bei Scheik Saad machte sich gut und rasch bezahlt.
Nach Osten zu in der Ferne sah man drei oder vier dunkle Menschenknäuel nordwärts sich bewegen. Wir schickten die Howeitat gegen sie vor. Eine Stunde später kehrten sie lachend zurück, jeder ein Maultier oder Packtier am Zügel führend – verhungerte, müde, wunde Geschöpfe, stumme Zeugen vom Verfall der geschlagenen Armee. Ihre Reiter waren waffenlose Soldaten gewesen auf der Flucht vor den Engländern. Die Howeitat hatten es verschmäht, solcherart Gefangene zu machen. »Wir haben sie den Burschen und Mädchen der Dörfer als Knechte geschenkt«, meinte Saal mit einem höhnischen Grinsen seines dünnlippigen Mundes.
Meldung kam, daß im Westen sich einige schwache türkische Kompanien vor dem Angriff General Chauvels in die umliegenden Dörfer zurückzögen. Wir schickten bewaffnete Trupps der Naim dorthin, eines Bauernstammes, der sich erst in der letzten Nacht uns angeschlossen hatte. Die Massen dieses Landes, deren Erhebung wir schon so lange im stillen vorbereitet hatten, waren in Fluß gekommen, und mit jedem unserer Erfolge strömten mehr Aufständische zu uns. Innerhalb von zwei Tagen hätten wir an die sechzigtausend Bewaffnete in Bewegung bringen können.
Später sahen wir hinter dem Hügel, hinter dem Dera lag, dichte Rauchwolken aufsteigen. Ein Reiter kam heran und berichtete, daß die Deutschen alle Magazine und die Flugzeuge in Brand gesteckt hätten und bereitständen, die Stadt zu räumen. Dann warf ein englischer Flieger eine wichtige Meldung ab, die besagte, daß General Barrows Truppen bereits dicht vor Remthe ständen, und ferner: daß zwei türkische Kolonnen, die eine viertausend, die andere zweitausend Mann stark, von Dera beziehungsweise Meserib in der Richtung auf uns hin im Rückzug wären.
Meinem Dafürhalten nach waren diese Sechstausend die Reste der vierten türkischen Armee, die auf Dera zurückgegangen war, und der siebenten türkischen Armee, die der Armeegruppe des Generals Barrow gegenübergestanden hatte. Waren sie aufgerieben, so hatte unsere Aufgabe hier ein Ende. Doch um sicher zu gehen, mußten wir bis dahin Scheik Saad unbedingt in Besitz halten. Um beiden Kolonnen gegenüberzutreten, waren wir nicht stark genug; daher überließen wir die Viertausend ihrem Schicksal und entsandten gegen sie nur Khalid mit seinen Rualla, um sie in Flanke und Rücken dauernd zu beunruhigen.