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Hundertachtes Kapitel

Bei Morgengrauen brach auch die Hauptkolonne auf. Tausend davon gehörten zum Kontingent von Aba el Lissan, dreihundert waren Nuri Schaalans Nomaden zu Pferd. Er hatte auch zweitausend Rualla-Kamelreiter bei sich, und wir baten ihn, diese vorläufig im Wadi Sirhan zusammenzuhalten. Es wäre unklug gewesen, vor dem entscheidenden Tage eine so große Zahl unruhiger Beduinen auf die Dörfer im Hauran loszulassen. Die Nomaden zu Pferde dagegen waren Scheiks oder Diener von Scheiks, Männer von Wert und Selbstbeherrschung.

Besprechungen mit Nuri und Faisal hielten mich den ganzen Tag über noch in Asrak fest. Doch Joyce hatte mir ein Lastauto zurückgelassen, mit dem ich am nächsten Morgen die Armee einholte. Ich fand sie bei der Frühstücksrast im grasbewachsenen Hügelland von Giaan el Khuma. Die Kamele, froh, dem engen, abgegrasten Bezirk von Asrak entronnen zu sein, stopften sich hastig ihre Mägen voll mit dem saftigen Futter.

Joyce hatte schlechte Nachrichten. Peake war mit seiner Truppe zurückgekommen und hatte die Bahn gar nicht erreicht, infolge von Zusammenstößen mit arabischen Lagern ganz in der Nähe der vorgesehenen Sprengstelle. Wir hatten auf die Unterbrechung der Ammanlinie den größten Wert gelegt, und dieses Mißlingen war für uns eine arge Enttäuschung. Ich nahm eine Packung Schießbaumwolle, bestieg mein Kamel und ritt der Truppe voraus. Diese selbst machte einen Umweg, um die zerklüfteten Lavarücken zu vermeiden, die westwärts zur Eisenbahn abfielen. Aber wir, meine Ageyl und andere gut Berittene, kletterten geradenwegs einen steilen Schleichpfad zur offenen Ebene hinab bei den Ruinen von Um el Dschemal.

Ich dachte angestrengt über die Zerstörung bei Amman nach; ich war mir nicht klar, was am schnellsten und besten wirken würde. Und die Nähe dieser Ruinen verwirrte mich noch mehr. In diesen römischen Grenzstädten, Um el Dschemal, Em el Surab, Umtaije, schien eine geistige Stumpfheit zu liegen. Die unorganische Architektur dieser Gebäude war ein Beweis für den Mangel an Feingefühl ihrer Erbauer, fast wie eine noch ins Plumpere gehende Bestätigung des Rechts des Mannes (das Römische Recht), in allen seinen Zuständen unverändert zu leben. Diese Bauten im italienischen Stil – die nur von der Besteuerung der unterworfenen Provinzen bezahlt werden konnten – an diesem Ende der Welt enthüllten eine prosaische Blindheit für die Vergänglichkeit alles Staatlichen. Ein Haus, das so den Zweck seines Bauherrn überlebte, machte dem Geist, der es entworfen hatte, keine Ehre. Gewalttätig und frech schaute dieses Um el Dschemal drein.

Jenseits der Ebene lag die Ammanbahn vor mir in einer geradezu beleidigenden Unberührtheit. Und ich war so vertieft in den Anblick der Ruinen und in meine Überlegungen, auf welche Weise die Bahn am raschesten und sichersten unterbrochen werden könnte, daß mir ein Luftkampf ganz entging zwischen Murphy in unserm Bristolkampfflugzeug und einem feindlichen Doppeldecker. Der Bristol war arg durchlöchert, ehe der Türke schließlich brennend abstürzte. Unsere ganze Armee schaute begeistert zu; Murphy aber fand den Schaden an seinem Flugzeug zu erheblich für unsere geringen Hilfsmittel in Asrak und flog daher zur Ausbesserung nach Palästina. Von unsern geringen Luftstreitkräften blieb uns infolgedessen nur B.E. 12, ein so veralteter Typ, daß er für den Kampf überhaupt nicht und für Aufklärungszwecke nur wenig brauchbar war. Aber wir freuten uns doch mit der ganzen Truppe über den Sieg unseres Fliegers.

Umtaije erreichten wir kurz vor Sonnenuntergang. Die Truppe war noch fünf bis sechs Meilen zurück; und sobald unsere Tiere getränkt waren, machten wir uns zur Bahnlinie auf, vier Meilen hangabwärts nach Westen zu, in der Absicht, eine flüchtige Zerstörung zu versuchen. Dank der Dunkelheit kamen wir ungesehen bis dicht heran; gerade vor uns lagen zwei feste Brücken, und zu unserer Freude stellten wir fest, daß der Boden bis an die Bahn heran für Panzerautos fahrbar war.

Diese beiden Umstände bewogen mich, am nächsten Morgen mit Panzerautos und einer größeren Ladung Schießbaumwolle wieder hierher zurückzukehren, um die größere, vierbogige Brücke zu sprengen. Durch ihre Zerstörung, die den Türken viele Tage harter Arbeit kosten mußte, waren wir vor etwaigen Überraschungen von Amman her während der ganzen Zeit unseres ersten Vorstoßes gegen Dera vollkommen gesichert. Damit wäre Peakes fehlgeschlagene Unternehmung ihrer beabsichtigten Wirkung nach voll ausgeglichen. Froh über diese Entdeckung, ritten wir zurück und suchten in der zunehmenden Dunkelheit den Boden ab, um den besten Weg für die Wagen zu erkunden.

Als wir den letzten Höhenrücken erklommen, einen hohen und gleichmäßigen Kamm, der Umtaije vollkommen gegen Sicht von der Eisenbahn und ihren etwaigen Wachposten deckte, blies uns der frische Nordost den warmen Dunst und Staub von zehntausend Füßen ins Gesicht; und die römischen Ruinen oben auf dem Kamm erschienen uns so seltsam anders als noch vor drei Stunden, daß wir verblüfft anhielten. Der ganze sanft gebuchtete Grund prangte wie in Festbeleuchtung mit langen Reihen kleiner abendlicher Feuer, deren eben erst entzündete Flammen noch in den Rauch flackerten und leckten – rings um sie geschart die Gruppen dunkler Gestalten, geschäftig mit der Zubereitung von Brot oder Kaffee, während andere wiederum die dumpf brüllenden Kamele hin und her zur Tränke führten.

Ich ritt zu dem im Dunklen liegenden englischen Lager, setzte mich mit Joyce, Winterton und Young zusammen und sagte ihnen, was wir zuerst am Morgen tun müßten. Rings um uns lagen die englischen Soldaten, schliefen oder rauchten, schweigsam und ohne ein überflüssiges Wort sich auf diese Expedition wagend, weil wir es befohlen hatten. Das war bezeichnend und paßte genau so zu unserem Nationalcharakter wie das geschwätzige und lachende Durcheinander drüben bei den Arabern zu dem ihrigen. Wenn es in den Kampf ging, wurde das eine Volk schweigsam, das andere laut.

Am Morgen, als die Mannschaft beim Morgenimbiß lagerte und sich die vom kalten Tau der Frühe erstarrten Glieder wärmte, beriefen wir die arabischen Führer zusammen und sprachen mit ihnen von dem geplanten Panzerwagenüberfall auf die Eisenbahn. Es wurde beschlossen, daß zwei Wagen zur Brücke hinabfahren und sie angreifen sollten, indes die Hauptarmee ihren Marsch auf Tell Arar an der Damaskusbahn, vier Meilen nördlich von Dera, fortsetzte. In der Dämmerung des nächsten Tages, des 17. September, sollte sie dort Posten fassen und die Bahnlinie besetzen; noch vor diesem Zeitpunkt würden wir mit den Panzerautos die Brücke erledigt und sie wieder eingeholt haben.

Um zwei Uhr nachmittags, als wir der Eisenbahn zufuhren, sahen wir oben in der Luft den surrenden Schwarm unserer Bombenflieger, die zum Überfall auf Dera flogen. Der Ort war bis dahin mit Vorbedacht von Luftangriffen verschont geblieben, daher war die Wirkung auf die überraschte und dagegen nicht gewappnete Garnison außerordentlich schwer. Die Moral der Leute litt ebenso stark wie der Eisenbahnverkehr; und bis dann später unser Vorstoß von Norden her sie überraschte, war die Garnison ausschließlich damit beschäftigt, bombensichere Fliegerdeckungen herzustellen.

Die beiden Panzerwagen nebst zwei Lastautos schlängelten sich etwas mühsam zwischen Blöcken und Steinfeldern und über weiche Grasflächen dahin, kamen aber sämtlich wohlbehalten hinter den letzten kleinen Höhenrücken just gegenüber unserm Ziel. Am südlichen Aufgang zur Brücke lag ein steinernes Blockhaus.

Wir beschlossen, die Lastautos hier in Deckung zurückzulassen. Ich bestieg mit hundertfünfzig Pfund Schießbaumwolle, zündungsfertig, den einen Panzerwagen in der Absicht, mit diesem das Tal hinab bis zur Brücke zu fahren, und wenn ich dann durch die Brückenbogen gegen das Feuer des Postens im Blockhaus gedeckt war, die Ladung anzulegen und in Brand zu stecken. Inzwischen sollte das zweite Panzerauto auf kurze Schußweite das Blockhaus unter Feuer nehmen und es so lange beschäftigen, bis ich mit allem fertig war.

Die beiden Wagen fuhren gleichzeitig los. Als die Besatzung der kleinen Schanze am Blockhaus, sieben oder acht Türken, uns kommen sah, gingen sie – entweder infolge Mißverständnisses oder einer Panik oder auch aus einem geradezu übernatürlichen Mut – aus dem Graben heraus und in Schützenlinie gegen uns vor.

In wenigen Minuten trat der zweite Panzerwagen gegen sie in Tätigkeit, indes vier weitere Türken seitlich der Brücke erschienen und auf uns schossen. Unsere Maschinengewehrschützen richteten und gaben dann eine kurze Feuergarbe ab. Ein Mann fiel, ein zweiter wurde verwundet, der Rest lief ein Stück zurück, besann sich dann aber eines Besseren und kehrte, freundschaftliche Zeichen machend, wieder um. Wir nahmen ihnen die Gewehre ab und sandten sie das Tal hinauf zu den Lastwagen, deren Führer uns von der Höhe aus scharf überwachten. Kurz darauf ergab sich das Blockhaus. Wir waren sehr zufrieden, die Brücke und ihren Bahnabschnitt innerhalb fünf Minuten ohne Verluste in Besitz genommen zu haben.

Joyce kam im zweiten Lastauto mit noch mehr Schießbaumwolle heran, und in aller Eile wurden die Ladungen über die ganze Brücke verteilt. Es war ein hübsches kleines Bauwerk, geziert mit einer schimmernd weißen Marmorplatte, die den Namen und die Hoheitstitel Sultan Abdul Hamids trug. In den Abzugslöchern des Oberbaus wurden im Zickzack sechs kleine Ladungen eingebaut; und durch ihre Explosion wurden die Brückenbogen kunstgerecht angesplittert. Es war ein schönes Beispiel von Zerstörungen der feinsten Art: das Gerüst der Brücke blieb intakt, hatte aber keine Widerlager mehr, so daß es stark schwankte; und der Feind mußte erst das ganze Werk abbrechen, ehe er an den Wiederaufbau denken konnte.

Als alles fertig war, gaben uns nahende feindliche Patrouillen anständige Entschuldigung, schleunigst Reißaus zu nehmen. Die wenigen Gefangenen, wertvoll für uns zur Erlangung von Nachrichten, wurden auf die Lastautos gesetzt, und wir ratterten los. In unserer Freude aber waren wir allzu unbedacht darauf los gerattert; und beim ersten Wasserlauf gab es einen Krach unter meinem Wagen. Eine Seite des Wagenkastens senkte sich nach unten und legte sich auf den Reifen des Hinterrads: wir saßen fest.

Eine der hinteren Federn war nahe am Gelenk glatt durchgebrochen, die Reparatur konnte nur in einer Werkstatt vorgenommen werden. Wir standen und blickten voller Verzweiflung; wir waren nur dreihundert Yard von der Eisenbahn entfernt, der Feind konnte in zehn Minuten heran sein, und dann mußten wir den Wagen im Stich lassen.

Rolls, der Führer, unser erfahrenster und nie um Aushilfe verlegener Mechaniker, dessen Geschick und Rat unsere Wagen stets in bester Fahrbereitschaft gehalten hatte, war über den Unfall den Tränen nahe. Wir alle, Offiziere und Mannschaften, Engländer, Araber, Türken, standen dichtgedrängt um ihn herum und blickten ihm voll ängstlicher Spannung ins Gesicht. Als er erfaßte, daß er, der Zivilist, in dieser Notlage zu befehlen habe, schienen sich sogar die Bartstoppeln an seinem Kinn in düsterer Entschlossenheit zu sträuben. Nach genauer Untersuchung erklärte er, daß es gerade noch eine Möglichkeit gäbe. Man konnte das herabgefallene Ende der Feder hochwinden und es durch Balken auf dem Chassisrahmen ungefähr in seiner alten Lage verkeilen. Mit Hilfe von festgezogenen Stricken konnte die stählerne Eckschiene das vermehrte Gewicht vielleicht zur Not tragen.

Auf jedem unserer Wagen führten wir eine Lage Planken mit, die, falls der Wagen im tiefen Sand oder Morast steckenblieb, unter die Doppelbereifung geschoben wurden. Drei solcher Hölzer mochten wohl die benötigte Höhe ergeben. Sägen hatten wir nicht, also wurde die Planke an der gewünschten Stelle hin und her so lange mit Kugeln beschossen, bis sie durchgebrochen werden konnte. Die Türken hörten das Schießen und hielten sich wohlweislich fern. Auch Joyce hörte uns und kam zurück, um uns zu helfen. Die Lasten wurden in seinen Wagen geladen, dann die Feder und das Chassis hochgewunden und die hölzernen Blöcke festgebunden; der Wagen wurde heruntergelassen (die Versteifung trug herrlich), angekurbelt und wir fuhren los. Rolls fuhr mit größter Langsamkeit über jeden Stein oder Graben, während wir anderen samt den Gefangenen mit Ermunterungsrufen nebenher oder vorneweg liefen und die Bahn frei machten.

Im Lager wurden die Balken neuerdings mit erobertem Telegraphendraht versteift und mit Chassis und Feder fest zusammengebunden, bis es denkbar sicher aussah, und dann die Lasten wieder aufgeladen. Die Eckschiene erwies sich als so widerstandsfähig, daß der Wagen die ganzen nächsten Wochen seine gewöhnliche Arbeit tat und schließlich noch mit in Damaskus einzog. Ein großer Mann war Rolls und eine große Sache der Royce-Wagen. Sie beide wogen hier in der Wüste hundert Mann auf.

Das Ausbessern des Wagens hielt uns mehrere Stunden auf, und wir übernachteten in Umtaije. Brachen wir früh genug auf, so konnten wir morgen rechtzeitig Nuri Said an der Damaskuslinie treffen und ihm berichten, daß die Ammanlinie durch den Verlust einer ihrer Hauptbrücken mindestens für eine Woche lahmgelegt war. Dera konnte so nicht verstärkt werden und wir waren sicher. Sogar dem armen Seid unten in Aba el Lissan war dadurch geholfen worden, denn die schon in Tafileh versammelten türkischen Kräfte mußten den Angriff aufschieben, bis ihre rückwärtigen Verbindungen wieder offen waren. Unser letzter Feldzug ließ sich recht verheißungsvoll an.


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