Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hunderterstes Kapitel

Am Abend flog mich Siddons nach Guweira zurück; und in der Nacht traf ich in Akaba mit dem dort eben eingetroffenen Dawnay zusammen und sagte ihm, daß alles im vollen Gange sei, aber noch in aller Stille verliefe. Am nächsten Morgen brachte uns ein Flieger Nachricht, wie es Buxton bei Mudewwere ergangen war. Er hatte beschlossen, den Ort noch vor Hellwerden in drei Gruppen hauptsächlich durch Handgranatenwerfer anzugreifen; die eine sollte gegen die Station selbst vorgehen, die beiden anderen gegen die Hauptstützpunkte.

Um in der Dunkelheit den Weg zu den bestimmten Zielen zu finden, waren noch vor Mitternacht weiße Markierungen in entsprechenden Zwischenräumen angebracht worden. Die Eröffnung des Angriffs war auf ein Viertel vor vier Uhr angesetzt; doch durch Schwierigkeiten des Weges verzögerte sich der Vormarsch, und es war fast schon taghell, als die Sache mit dem Sturm auf den südlichen Stützpunkt ihren Anfang nahm. Nach kurzer wirksamer Vorbereitung wurde er im ersten Ansturm genommen – während bereits wenige Minuten zuvor die Station selbst erledigt worden war. Diese Überfälle alarmierten die Besatzung des mittleren Stützpunktes, doch zwanzig Minuten später ergab sie sich.

Die nördliche Schanze, durch ein Geschütz verstärkt, leistete beherzten Widerstand und sandte wohlgezielte Schüsse in den von unseren Truppen besetzten Stationshof. Buxton leitete von der Deckung des südlichen Stützpunktes aus das Feuer von Brodies Geschützen, die, mit gewohnter Genauigkeit bedient, Schrapnell auf Schrapnell in die Nordschanze warfen. Siddons half mit seinen Minenwerfern nach, während das Kamelkorps von Norden, Osten und Westen her Brustwehr und Gräben scharf mit Maschinengewehrfeuer bestrich. Um sieben Uhr morgens gab auch hier der Feind weiteren Widerstand auf und ergab sich. Wir hatten vier Tote und zehn Verwundete. Die Türken verloren einundzwanzig Tote, einhundertfünfzig Gefangene, zwei Feldgeschütze und drei Maschinengewehre.

Buxton veranlaßte sofort die Türken, das Pumpwerk am Wasserturm unter Dampf zu setzen, so daß die sämtlichen Kamele getränkt werden konnten; in der Zeit wurden die vorhandenen Brunnen, die Lokomotivwasserspeicher und zweitausend Yard Gleise zerstört. Am Abend wurden dann Sprengladungen an den Fuß des großen Wasserturms gelegt, und sein Mauerwerk flog zersplittert in die Luft. Wenige Minuten darauf kommandierte Buxton der Kolonne »Vorwärts Marsch«, und wie mit einem Schlage erhoben sich die vierhundert Kamele, brüllend wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts, alle zugleich, und fort ging es nach Dschefer. Dawnay kam nach Aba el Lissan, um Faisal zu begrüßen. Allenby hatte ihn geschickt, um Faisal zur Vorsicht zu mahnen. Er sollte ihn bitten, nichts Unüberlegtes zu tun, denn der englische Vorstoß sei immerhin ein Wagnis, und wenn er mißlänge, würden die Araber auf der falschen Seite des Jordan sein, so daß er ihnen keine Hilfe zukommen lassen könnte. Besonders ließ Allenby Faisal bitten, nicht gegen Damaskus vorzugehen, sondern sich so lange zurückzuhalten, bis die Ereignisse sich günstiger gestalteten.

Diese durchaus begründete Mahnung kam auf meine Rechnung. Ich hatte eines Abends im Hauptquartier, vom Ärger übermannt, geäußert, daß uns nach meiner Ansicht das Jahr 1918 die letzte Möglichkeit böte, und daß wir Damaskus nehmen würden, ganz gleich, was in Dera oder Ramleh geschehen mochte, denn es sei besser, die Stadt genommen und wieder verloren zu haben, als sie überhaupt nicht zu nehmen.

Faisal lächelte klug über Dawnays Predigt und erwiderte, daß er Damaskus in diesem Jahre zu nehmen versuchen werde, wenn auch der Himmel einstürzte; und wenn die Engländer nicht in der Lage seien, sich an diesem Unternehmen zu beteiligen, würde er im Interesse seines Volkes einen Separatfrieden mit der Türkei schließen.

Er stand schon seit langem mit einigen Elementen der Türkei in Verbindung; Dschemal-Pascha hatte die Korrespondenz eröffnet. Dschemal war im Tiefsten seines Wesens Mohammedaner, und deshalb hielt er den Aufstand Mekkas für eine Fügung Gottes. Er war fast zu allem bereit, um diesen Bruch im Islam zu überbrücken. In dieser Hinsicht waren seine Briefe sehr aufschlußreich. Faisal schickte sie nach Mekka und Ägypten, da er hoffte, daß man sie dort so lesen würde, wie wir es taten; aber sie wurden dort wörtlich genommen, und man wies uns an, ihm zu antworten, daß jetzt das Schwert das Urteil sprechen würde. Das war großartig gesagt, aber im Krieg durfte man sich eine so gute Gelegenheit zu einem Abkommen nicht entgehen lassen.

Es traf zu, daß ein Übereinkommen gerade mit Dschemal unmöglich war. Er hatte alle bedeutenden Führer Syriens hinrichten lassen, und wenn wir ihn in unseren Frieden einschlössen, hätten wir damit das für uns vergossene Blut unserer Freunde verleugnet; aber wenn wir in unserer Antwort geschickt darauf hinwiesen, so würden wir dadurch vielleicht den religiös-nationalen Riß in der Türkei noch erweitert haben.

Unsere Hauptzielscheibe war die antideutsche Gruppe im Generalstab unter Mustafa Kemal, die sich zu sehr auf das National-Türkische ihrer Mission versteifte, um den arabischen Provinzen des Osmanenreichs das Recht auf Selbstbestimmung völlig zu versagen. Demgemäß waren die Antworten, die Faisal zurückschickte, in bestimmter Art gefärbt; und die Korrespondenz nahm in schönster Weise ihren Fortgang. Die türkischen Soldaten begannen sich über die Frömmler zu beklagen, die Reliquien über die Kriegserfordernisse stellten. Die Nationalisten schrieben, daß sie Faisals Überzeugungen von der gerechten und unvermeidlichen Selbstbestimmung der Türkei teilten, nur daß Faisal sie in vorzeitiger und verhängnisvoller Weise in die Wirklichkeit umgesetzt habe.

Dschemal wußte von diesen Gärungen, und das beeinflußte seine Entscheidung. Zuerst bot man uns Autonomie für den Hedschas an, dann sollte auch Syrien diesen Vorzug genießen, und schließlich auch Mesopotamien. Faisal schien damit noch nicht zufrieden zu sein; deshalb gab Dschemals Abgesandter (während sein Herr in Konstantinopel war) noch kühnen Mutes eine Krone zu Husseins Anteil, das selbständige Mekka, dazu. Schließlich ließ man uns sagen, daß man den Anspruch der Prophetenfamilie auf die geistige Führung des Islam berechtigt fände.

Über der mehr komischen Seite dieser Verhandlungen durfte man nicht vergessen, daß sie uns wirklich zunutze kamen, denn sie verursachten eine Spaltung in der türkischen Oberleitung. Für die Mohammedaner alten Schlages war der Scherif ein unentschuldbarer Sünder. Die Modernen sahen in ihm einen ehrlichen, aber ungeduldigen Nationalisten, der durch die Versprechungen der Engländer verführt worden war. Sie wollten ihn lieber mit guten Gründen als mit militärischen Niederlagen auf den rechten Weg zurückführen.

Ihre stärkste Karte war der Sykes-Picot-Vertrag, die Aufteilung der Türkei im alten Stil zwischen England, Frankreich und Rußland, der von den Sowjets veröffentlicht worden war. Dschemal las die Stellen, die die Araber am meisten verletzen mußten, bei einem Bankett in Beirut vor. Eine Zeitlang taten uns diese Enthüllungen Schaden; und mit Recht, denn wir und die Franzosen hatten geglaubt, einen Bruch in der Politik durch eine Formel überpflastern zu können, die unbestimmt genug war, daß jeder sie auf seine Art für sich auslegen konnte.

Glücklicherweise hatte ich Faisal von dem Bestehen dieses Vertrages früh genug unterrichtet. Ich hatte ihn davon überzeugt, daß es, um den Folgen dieses Vertrages zu entgehen, notwendig war, den Engländern so viel Hilfe wie möglich zu leisten: dann würden sie nach Friedensschluß schon aus einem Gefühl der Scham heraus nicht in der Lage sein, in Erfüllung des Vertrages ihn, Faisal, einfach beiseite zu schieben. Ich bat ihn, nicht wie sein Vater unseren Versprechungen zu trauen, sondern nur seinen eigenen starken Taten.

Nach dem Motto: »Laß deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut«, zeigte sich das freundliche britische Kabinett zu diesem Zeitpunkt sehr freigebig. Man versprach den Arabern oder vielmehr einem nicht bevollmächtigten Komitee von sieben Gothamiten in Kairo, daß die Araber die Gebiete, die sie im Kriege von den Türken erobert hätten, für sich behalten könnten. Diese frohe Nachricht war in ganz Syrien bekannt.

Um den niedergeschlagenen Türken wieder Mut zu machen und uns zu zeigen, daß sie so viel Versprechungen geben konnten, als Parteien vorhanden waren, setzten die Engländer das Dokument A für den Scherif, das Dokument B für die Alliierten, das Dokument C für das arabische Komitee schließlich noch in Widerspruch zu Dokument D für Lord Rothschild, eine neue Macht, dessen Volk man zweideutige Versprechungen in Hinsicht auf Palästina machte. Der alte Nuri Schaalan rümpfte seine weise Nase, kam zu mir mit einem Haufen von Dokumenten und fragte mich verwundert, welchem von all diesen er Glauben schenken solle. Ich antwortete ihm wie schon einmal aalglatt: »Dem mit dem letzten Datum.« Und da der Emir die Ehre seines gegebenen Wortes hochhielt, erkannte er den Humor der Sache. Auch danach noch tat er sein Möglichstes für unser gemeinsames Ziel, nur verständigte er mich jedesmal, wenn er einem Versprechen nicht nachkam, daß es durch seine späteren Intentionen aufgehoben worden sei!

Dschemal aber hoffte weiter, denn er war ein halsstarriger und dickfelliger Mensch. Nach Allenbys Niederlage in Salt schickte er uns den Emir Mohammed Said, den Bruder unseres berüchtigten Abd el Kadir. Mohammed Said war ein degenerierter Mensch mit niedriger Stirn und böser Zunge; er war so falsch wie sein Bruder, doch nicht so tapfer. Als er vor Faisal stand und ihm Dschemals Friedensvorschläge unterbreitete, machte er einen sehr mäßigen Eindruck.

Faisal sagte ihm, daß er gerade zur rechten Zeit komme. Er könne Dschemal der Loyalität der arabischen Armee versichern, wenn die Türkei Amman räumte und die Provinz der arabischen Aufsicht unterstellte. Der einfältige Algerier, der glaubte, einen großen Erfolg eingeheimst zu haben, eilte nach Damaskus zurück, wo Dschemal ihn als Dank für seine Mühe beinahe hätte hängen lassen.

Mustafa Kemal war beunruhigt; er bat Faisal, Dschemal nicht in die Hand zu spielen, und verhieß, daß alle Unzufriedenen der Türkei, sobald die Araber sich in ihrer Hauptstadt festgesetzt hätten, sich ihnen anschließen und ihr Gebiet als Ausgangspunkt benutzen würden, um Enver und seine deutschen Verbündeten in Anatolien anzugreifen. Mustafa hoffte, daß alle türkischen Streitkräfte östlich des Taurus sich ihm anschließen würden, so daß er dadurch die Möglichkeit hätte, direkt auf Konstantinopel zu marschieren.

Aber schließlich ließen die Ereignisse diese verwickelten Verhandlungen scheitern; wir hatten davon weder Ägypten noch Mekka Mitteilung gemacht, da unser anfängliches Vertrauen enttäuscht worden war. Ich fürchtete, daß England, wenn es von Faisals geheimen Beziehungen hörte, wankend werden könne. Aber um den kämpfenden Arabern gerecht zu werden, konnten wir nicht alle Wege einer Verständigung mit der Türkei versperren. Wenn der Krieg in Europa verloren wurde, war dies ihr einziger Ausweg; und ich konnte mich nie der Besorgnis entschlagen, daß Großbritannien Faisal zuvorkommen und seinen eigenen Separatfrieden schließen könne: nicht mit den Nationalisten, sondern mit den türkischen Konservativen.

Die englische Regierung war in dieser Richtung sehr weit gegangen, ohne auch nur einen einzigen ihrer Verbündeten zu unterrichten. Kenntnis von den unternommenen Schritten und den Vorschlägen (die für so viele Araber, die auf unserer Seite kämpften, hätten verhängnisvoll werden können) kam mir nicht von offizieller, sondern von privater Seite. Es war dies einer von den vielen Fällen, daß Freunde mir mehr halfen als unsere Regierung, deren verschwiegenes Handeln für mich zugleich ein Vorbild, ein Antrieb und eine Vollmacht war, es ebenso zu machen.


 << zurück weiter >>