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Ich erinnere mich, mein Herr, daß ich Ihrem Wunsche nachzukommen glaubte, als ich Ihnen vor mehreren Jahren meine philosophische Hypothese mitteilte, obgleich ich Ihnen gleichzeitig versicherte, daß ich noch nicht entschlossen wäre, mich zu derselben zu bekennen. Ich bat Sie damals im Austausch um Ihre Ansicht darüber, entsinne mich aber nicht, Einwürfe von Ihnen empfangen zu haben, sonst würde ich, gelehrig wie ich bin, Ihnen keinen Anlaß gegeben haben, mir zweimal die nämlichen Einwendungen zu machen. Indessen kommen dieselben auch noch nach der Veröffentlichung zur rechten Zeit. Denn ich gehöre nicht zu denen, bei welchen die eingegangene Verbindlichkeit die Stelle der Vernunft vertritt, wie Sie erproben werden, wenn Sie irgendeinen ausdrücklichen und schlagenden Grund gegen meine Ansicht beigebracht haben werden, was diesmal dem Anscheine nach nicht in Ihrer Absicht gelegen hat. Sie haben als gewandter Akademiker sprechen und Anlaß zu einem tiefern Eingehen in den Gegenstand geben wollen.
Ich habe hier nicht die Prinzipien der Ausdehnung, sondern die des tatsächlich Ausgedehnten oder der körperlichen Masse darlegen wollen, und diese Prinzipien sind meiner Ansicht nach die wirklichen Einheiten, d. h. die mit einer wahrhaften Einheit begabten Substanzen. Die Einheit einer Uhr, deren Sie Erwähnung tun, ist bei mir etwas ganz anderes als die Einheit eines Tieres, da das letztere eine mit einer wahren Einheit gleich der, welche man das Ich in uns nennt, begabte Substanz sein kann, während eine Uhr nur eine Zusammenstellung ist. Auch setze ich das empfindende Prinzip bei den Tieren nicht in die Einrichtung der Organe und stimme Ihnen bei, daß diese nur die körperliche Masse betrifft. Sie scheinen mir auch nicht unrecht zu geben, wenn ich wahrhafte Einheiten verlange und deshalb die substantiellen Formen wieder zu Ehren bringe. Wenn Sie aber zu behaupten scheinen, die Seele der Tiere müsse auch Vernunft haben, sobald man ihr Empfindung beilege, so ziehen Sie eine Folgerung, deren Gültigkeit ich durchaus nicht einzusehen vermag.
Sie erkennen mit löblicher Offenheit an, daß meine Hypothese der Harmonie oder der Mitbegleitung möglich ist. Nichtsdestoweniger hegen Sie einigen Widerwillen dagegen, ohne Zweifel, weil Sie dieselbe für rein willkürlich gehalten haben, da Ihnen nicht bekannt war, daß sie aus meiner Ansicht über die Einheiten folgt, denn in meinem System ist alles miteinander verknüpft. Sie fragen daher, mein Herr, welchen Zweck dies ganze Kunststück haben soll, das ich dem Schöpfer der Natur beilege? als ob man demselben in dieser Beziehung zu viel beilegen könnte, und als ob diese genaue Übereinstimmung der Substanzen unter sich vermöge der eigenen Gesetze, welche jede von ihnen bei Anbeginn erhalten hat, nicht eine an sich bewunderungswürdig schöne und ihres Urhebers würdige Sache wäre. Diese Entgegnung ist keineswegs stichhaltig, denn einmal ist es für die vorherbestimmte Harmonie völlig gleichgültig, ob sie »eine bewunderungswürdig schöne und ihres Urhebers würdige Sache« ist, da sich das nämliche von hundert andern und z. B. auch von der Hypothese Lockes, Gott habe dem Stoffe die Fähigkeit zu denken verliehen, behaupten läßt, und zweitens verstößt die Behauptung, man könne Gott nicht zuviel beilegen, offenbar gegen den in § 13 des Neuen Systems aufgestellten Grundsatz (S. 25): »Zur Lösung von Problemen ist es nicht hinreichend, wenn man die allgemeine Ursache dazu verwendet und das herbeiholt, was man den Deus ex machina nennt. Denn wenn dies geschieht, ohne daß es eine andere Erklärung vermittelst der zweiten Ursache gibt, so ist das eigentlich nur ein Zurückgreifen auf die Wunder.« Leibniz hat damit seinem Systeme selbst das Urteil gesprochen. Man beachte noch, daß Leibniz hier, und so fast überall, namentlich auch in der Theodizee, unter Schönheit immer nur die Zweckmäßigkeit versteht. Ferner fragen Sie, welchen Vorteil ich darin finde? Ich könnte mich da einfach auf das beziehen, was ich bereits gesagt habe; trotzdem antworte ich, daß es, wenn eine Sache nicht umhinkann, zu sein, nicht nötig ist, daß man, um sie gelten zu lassen, fragt: wozu kann sie nützen? Wozu nützt es, daß es kein gemeinschaftliches Maß für die Seite und die Diagonale des Quadrates gibt? Leibniz sucht sich hier durch eine rein sophistische Wendung zu helfen, indem er das, was für die Dinge gilt, »die nicht umhinkönnen, zu sein«, zugunsten seiner Hypothese geltend macht, d. h. eines Dinges, das sehr wohl umhinkann, Zu sein. Der gebrauchte Vergleich ist daher völlig unzutreffend, denn die Inkommensurabilität der Seite und der Diagonale ist eine bewiesene und beweisbare Tatsache, die vorherbestimmte Harmonie aber eine unwahrscheinliche und höchst willkürliche Annahme, bei der die Frage: wozu nützt sie? durchaus berechtigt ist. Zweitens aber erwidere ich, daß diese Übereinstimmung zur Erklärung des Verkehrs zwischen den Substanzen und der Verbindung zwischen Seele und Körper vermöge der im voraus festgestellten Naturgesetze nützt, ohne daß man zu einer Übertragung der Eigenschaften, die unbegreiflich ist, noch zu einer neuen Beihilfe Gottes zu greifen braucht, die wenig angemessen erscheint. Denn man muß wissen, daß es Naturgesetze für die Seelen oder Formen gibt, wie es deren für den Stoff gibt, und diese Gesetze enthalten eben das, was ich gesagt habe. Das ist eben die Frage. Wäre der Inhalt der Gesetze für die Seele von Leibniz nachgewiesen worden, so wäre die vorherbestimmte Harmonie keine Hypothese mehr, sondern ein Ding, »das nicht umhinkann, zu sein« – gerade dieser Beweis aber ist nirgends von ihm erbracht worden.
Man wird mich auch fragen, woher es komme, daß Gott sich nicht begnügt, alle Gedanken und Modifikationen der Seele hervorzubringen, ohne jene unnützen Körper, die (sagt man) die Seele weder in Bewegung setzen noch erkennen kann. Die Antwort darauf ist leicht: Gott hat gewollt, daß es eher mehr als weniger Substanzen gebe, und für gut befunden, daß jene Modifikationen der Seele einem außer ihr Befindlichen entsprächen. Es gibt gar keine unnütze Substanz: sie wirken alle zu der Absicht Gottes mit. Diese Antwort ist allerdings sehr leicht: mit dem angeblichen Willen und Fürgutbefinden Gottes lassen sich alle Schwierigkeiten spielend beseitigen – nur kann eine solche Methode nicht für philosophisch gelten. Überdies erlaubt sich Leibniz bei der Anwendung des Satzes: es gibt keine unnütze Substanz die nämliche Verdrehung des Sachverhalts, die schon in Anm. 33 besprochen worden. In der Wirklichkeit mag es allerdings keine unnütze Substanz geben, in der Leibnizschen Hypothese jedoch sind die Körper durchaus unnütz und überflüssig, wie Foucher treffend dargelegt hat. Vgl. Anm. 37, 47. Ich denke auch nicht daran, zuzugeben, daß die Seele die Körper nicht erkenne, wenn auch diese Erkenntnis sich ohne Einfluß des einen auf das andere vollzieht. Ebensowenig trage ich Bedenken, zu sagen, daß die Seele den Körper bewegt: denn so wie ein Kopernikaner im Ernste vom Aufgehen der Sonne, ein Platoniker von der Realität des Stoffs, ein Cartesianer von der Wirklichkeit der sinnfälligen Qualitäten spricht, mit der Voraussetzung, daß man ihn richtig verstehe, so glaube ich gleicherweise mit Wahrheit sagen zu dürfen, daß die Substanzen aufeinander einwirken, eben mit der Voraussetzung, daß man darunter verstehe, daß die eine Substanz infolge der Gesetze der Harmonie die Ursache der Veränderungen in der andern sei. Alle Freiheiten im Gebrauche der Ausdrücke zugestanden, kann doch nicht eingeräumt werden, daß nach dem Leibnizschen Systeme in irgendeinem Sinne gesagt werden könne: die Seele bewegt den Körper, d. h., sie ist infolge der Gesetze der Harmonie die Ursache der Veränderungen im Körper. Denn nimmt man auch an, daß Gott die Körperwelt nach der Welt der Formen reguliert habe, so kann doch nie diese letztere als die Ursache der Veränderungen in der erstem betrachtet werden, sowenig wie die Uhr A, nach der eine andere Uhr B gestellt wird, die dann vermöge ihres eigenen Mechanismus ihre Bewegung fortführt und »infolge der Gesetze der Harmonie« gleichzeitig mit A zwölf Uhr schlägt, als die Ursache dieses gleichzeitigen Zwölfuhrschlagens gelten kann. Überhaupt ist nicht einzusehen, was der Philosoph eigentlich mit der Wort-Spiegelfechterei bezweckt, denn es handelt sich in diesem Falle doch nicht um eine Verständlichmachung seines Systems, sondern um eine Verteidigung desselben, bei der alle Ausdrücke im eigentlichsten Sinne genommen werden müssen. Was mir endlich bezüglich der Erstarrung der Körper, die in Untätigkeit verharren könnten, während die Seele sie in Bewegung glaubt, entgegengehalten wird, so kann dergleichen nicht stattfinden, eben jener nämlichen unausbleiblichen Übereinstimmung wegen, welche die göttliche Weisheit festgesetzt hat. Ich kenne überhaupt jene überflüssigen, unnützen, in Untätigkeit befindlichen Massen nicht, von denen man spricht. Tätigkeit ist überall vorhanden, und ich nehme noch mehr an als die landläufige Philosophie, weil ich glaube, daß es keinen Körper ohne Bewegung und keine Substanz ohne Kraftäußerung gibt. Auch diese Ausführung ist vom Standpunkte des Leibnizschen Systems aus unzutreffend, denn da die Seelenmonade in keiner Weise des Körpers bedarf, so ist der letztere allerdings überflüssig und unnütz, und wenn es trotzdem keinen Körper ohne Bewegung gibt, so beweist dieser Umstand eben gegen und nicht für das System der vorherbestimmten Harmonie. Vgl. Anm. 47.
Ich verstehe nicht, was der Einwurf eigentlich besagen will, dem Sie folgenden Ausdruck gegeben haben: Wahrhaftig, mein Herr, sieht man nicht, daß diese Ansichten ausdrücklich gemacht und diese hintennach kommenden Systeme nur fabriziert worden sind, um gewisse Prinzipien zu retten? Alle Hypothesen werden ausdrücklich gemacht, und alle Systeme kommen hintennach, um die Erscheinungen oder das Wahrgenommene zu retten, aber ich vermag nicht einzusehen, welches die Prinzipien sind, für die ich eingenommen sein soll und die ich retten will, wie man behauptet. Wenn das besagen soll, ich sei auch durch Gründe a priori oder durch gewisse Prinzipien zu meiner Hypothese geführt worden, wie in der Tat der Fall ist, so ist dies eher ein Lob für eine Hypothese als ein Tadel. Für gewöhnlich genügt es, daß eine Hypothese sich a posteriori als richtig erweist, indem sie den Erscheinungen Genüge leistet; hat man aber auch noch Gründe von anderswoher und a priori dafür, so ist dies um so besser. Vielleicht aber soll der obige Einwurf besagen, daß ich, nachdem ich mir eine neue Ansicht zurechtgemacht, sehr erfreut gewesen sei, sie anwenden zu können, mehr um mir das Ansehen eines Entdeckers zu geben, als weil ich ihre Nützlichkeit eingesehen hätte. Ich weiß nicht, mein Herr, ob Sie schlecht genug von mir denken, um mir dergleichen Gedanken unterzuschieben. Sie wissen, daß ich die Wahrheit liebe und daß ich, wenn ich eine solche Vorliebe für die neuen Ansichten hegte, mich mehr beeifern würde, dieselben zur Schau zu stellen, namentlich solche, deren Gründlichkeit und Zuverlässigkeit anerkannt ist. Damit jedoch diejenigen, welche mich weniger kennen, Ihre Worte nicht in einem Sinne nehmen, der meinen Absichten widerspricht, wird hier die Bemerkung genügen, daß es meiner Meinung nach unmöglich ist, die ausströmende Tätigkeit Ausströmende Tätigkeit (action émanante) ist nur ein anderer Ausdruck für das, was Leibniz sonst Einwirkung einer Substanz auf eine andere nennt. in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen auf andere Weise zu erklären, und daß ich glaubte, der Nutzen meiner Hypothese würde durch die Schwierigkeit erkennbar werden, welche höchst tüchtige Philosophen unserer Tage in dem Verkehre der Geister mit den Körpern und sogar in dem Verkehre der körperlichen Substanzen unter sich gefunden haben: und vielleicht haben sogar Sie selbst dergleichen darin entdeckt. Allerdings gibt es nach meiner Meinung bei allen Substanzen Kraftäußerungen, aber diese Kraftäußerungen bestehen eigentlich nur in der Substanz selbst, und das, was bei den andern daraus folgt, erfolgt nur vermöge einer vorherbestimmten Harmonie (wenn ich so sagen darf), nicht aber durch einen wirklichen Einfluß oder durch eine Übertragung irgendeiner Eigenschaft oder Beschaffenheit. Da ich Aufschluß darüber gegeben habe, was die Einwirkung und was das Erleiden ist, so kann man auch daraus abnehmen, was die Kraftäußerung und der Widerstand ist.
Ich weiß, sagen Sie, mein Herr, daß noch sehr viele Fragen zu tun sind, bevor die entschieden werden können, über welche wir hier verhandelt haben. Vielleicht aber werden Sie finden, daß ich das bereits getan habe, und ich glaube kaum, daß Ihre Akademiker das Gute an ihrer Methode mit größerer Strenge und tatsächlicher in Ausübung gebracht haben als ich. Ich billige es durchaus, daß man die Wahrheiten von den ersten Prinzipien aus zu beweisen suche: es ist das nützlicher, als man meint, und ich habe auch diese Vorschrift bereits in Anwendung gebracht. Daher stimme ich auch dem bei, was Sie darüber sagen, und möchte, daß Ihr Beispiel unsere Philosophen veranlaßte, in gehöriger Weise daran zu denken. Noch will ich eine Bemerkung hier beifügen, die mir des bessern Verständnisses der Wirklichkeit und des Nutzens meines Systems wegen beachtenswert erscheint. Wie Sie wissen, war Herr Descartes der Meinung, daß sich in den Körpern die gleiche Menge von Bewegung erhalte. Es ist bewiesen, daß er sich in diesem Punkte geirrt hat, ich habe indessen gezeigt, daß sich in Wahrheit immer die gleiche Menge von bewegender Kraft erhält, die er mit der Menge der Bewegung verwechselt hatte. Nun brachten ihn aber die Veränderungen, welche sich infolge der Modifikationen der Seele im Körper vollziehen, in Verlegenheit, weil sie gegen dies Gesetz zu verstoßen schienen. Er glaubte daher einen in der Tat sinnreichen Ausweg gefunden zu haben, indem er sagte, man müsse zwischen der Bewegung und der Richtung unterscheiden. Die Seele, meinte er, könne zwar die bewegende Kraft weder vermehren noch vermindern, wohl aber ändere sie die Richtung oder Bestimmung des Laufes der Lebensgeister, und dadurch träten dann die willkürlichen Bewegungen ein. Freilich dachte er dabei nicht daran, darüber Aufschluß zu geben, wie die Seele es anstellt, um den Lauf der Körper zu ändern, was ebenso unbegreiflich erscheint, wie wenn man sagt, die Seele verleihe ihnen Bewegung ? wenigstens so lange man nicht mit mir die vorherbestimmte Harmonie zu Hilfe nimmt. Man muß aber wissen, daß es ein anderes Naturgesetz gibt, das ich entdeckt und bewiesen habe und das Herr Descartes nicht kannte: es erhält sich nämlich nicht bloß die gleiche Menge der bewegenden Kraft, sondern auch die gleiche Menge ihrer Richtung, nach welcher Seite in der Welt man sie auch annehmen mag. D. h. mit andern Worten: wenn man eine beliebige gerade Linie zieht und beliebig viele beliebige Körper annimmt, so findet man, wenn man alle diese Körper zusammen betrachtet, ohne einen von denen außer acht zulassen, die auf irgendeinen der angenommenen Körper einwirken, daß in allen Parallelen zu der angenommenen geraden Linie immer die gleiche Menge von Fortbewegung nach der nämlichen Seite hin stattfindet, wobei jedoch zu beachten, daß nur die Summe der Fortbewegung nach Abzug der Summe der Bewegung jener Körper, die in einer der angenommenen entgegengesetzten Richtung laufen, in Rechnung gezogen werden darf. Wie aus der Leibnizschen Darstellung ersichtlich, liegt diesem Gesetze die Regel vom Parallelogramm der Kräfte zugrunde, durch welche sich die mittlere, einer angenommenen Richtung parallel laufende Bewegung verschiedener und nach verschiedenen Seiten laufender Bewegungen bestimmen läßt. Dies Gesetz, das ebenso schön und gemeingültig ist wie das erste, verdiente ebenso wenig verletzt zu werden, und das wird eben durch mein System vermieden, welches die Kraft und die Richtung und mit einem Worte alle die natürlichen Gesetze für die Körper beibehält, ungeachtet der Veränderungen, die sich infolge der Modifikationen der Seele in den Körpern vollziehen.