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X. Bayles zweite Kritik des Systems der vorherbestimmten Harmonie

Ich beginne mit der Erklärung, daß ich mich der gegen das System des Herrn Leibniz vorgebrachten kleinen Schwierigkeiten wegen glücklich schätze, da dieselben zu Erwiderungen Anlaß gaben, die mir den Gegenstand näher erläuterten und mich das Bewunderungswürdige daran besser kennen lehrten. Ich sehe jetzt dies neue System für eine wichtige Eroberung an, die die Grenzen der Philosophie erweitert. Bis jetzt hatten wir nur zwei Hypothesen, die der Scholastiker und die der Cartesianer: die erstere war ein Weg der Einwirkung des Körpers auf die Seele und der Seele auf den Körper, die andere ein Weg der Beihilfe oder der gelegentlichen Kausalität. Hier nun haben wir einen neuen Erwerb, den man mit dem Pater Lami Der Benediktiner François Lami oder Lamy (1636-1711), ein eifriger Cartesianer und Anhänger Malebranches, hatte im zweiten Bande seines Hauptwerkes: De la connaissance de soi-même (6 Bände, 1694-1698) ebenfalls eine Kritik der vorherbestimmten Harmonie gegeben, der jedoch Leibniz erst weit später (1709) in der Antwort auf die Einwürfe des Pater Lami (s. Nr. XIII) eine Berücksichtigung zuteil werden ließ. Wie es scheint, hat zuerst Lami den Ausdruck vorherbestimmte Harmonie (harmonie préétablié) in Aufnahme gebracht; bei Leibniz kommt derselbe zuerst in der Antwort an Foucher (Nr. V, S. 39) vor. Weg der vorherbestimmten Harmonie nennen kann. Wir verdanken denselben dem Herrn Leibniz, und es läßt sich nichts erdenken, was von der Einsicht und der Macht des Urhebers aller Dinge eine höhere Vorstellung gäbe. Dieser Umstand in Verbindung mit dem Vorzuge, daß es jeden Gedanken an eine Leitung auf dem Wege des Wunders beseitigt, würde mich nötigen, dies neue System dem der Cartesianer vorzuziehen, wenn ich mir von der Möglichkeit des Weges der vorherbestimmten Harmonie irgendeine Vorstellung machen könnte. Dabei bitte ich zu beachten, daß ich, wenn ich zugebe, daß dieser Weg jeden Gedanken an eine Leitung auf dem Wege des Wunders ausschließt, damit keineswegs meine frühere Behauptung zurücknehme, daß das System der Gelegenheitsursachen die göttliche Tätigkeit nicht auf dem Wege des Wunders eingreifen lasse. Ich bin mehr als je überzeugt, daß ein Vorgang, damit er ein Wunder sei, von Gott als eine Ausnahme von den allgemeinen Gesetzen hervorgebracht werden muß, und daß alle die Dinge, deren unmittelbarer Urheber er jenen Gesetzen gemäß ist, von einem Wunder im eigentlichen Sinne des Wortes verschieden sind. Bayle geht bei seiner Feststellung des Begriffs der Wunder vom okkasionalistischen Standpunkte aus, wonach alles Geschehen nach bestimmten Gesetzen unmittelbar durch Gott bewirkt wird: sobald die göttliche Tätigkeit gegen diese Gesetze oder allgemeinen Regeln verfährt, geschieht nach Bayle ein Wunder. Dadurch wird aber die Grenze des Begriffs einesteils wie bei Leibniz von unserer unsichern und unvollständigen Kenntnis (jener allgemeinen Regeln) abhängig gemacht und andernteils viel zu eng gezogen, denn nach Bayle würde z. B. der Tod des Ananias und der Sapphira – beiläufig bemerkt, ein recht häßliches Wunder, das dem heiligen Petrus wenig Ehre macht – gar nicht zur Klasse der Wunder gehören, weil die göttliche Tätigkeit dabei durchaus innerhalb der Schranken der allgemeinen Regel wirkte. Vgl. Anm. 51. Da ich jedoch bei diesem Streite möglichst viel Punkte beiseite zu setzen wünsche, so stimme ich bei, wenn man behauptet, das sicherste Mittel, jeden Gedanken an Wunder zu beseitigen, bilde die Annahme, daß die geschaffenen Substanzen in tätiger Weise die unmittelbaren Ursachen der natürlichen Wirkungen sind. Ich unterdrücke daher das, was ich gegen diesen Teil der Antwort des Herrn Leibniz geltend machen könnte. Ebenso enthalte ich mich aller der Einwürfe, die seiner Ansicht nicht mehr entgegen sind als der einiger anderer Philosophen. Demgemäß werde ich auch die Schwierigkeiten beiseite lassen, welche der Hypothese widerstreiten, daß das Geschöpf die Kraft der Bewegung von Gott erhalte. Dieselben sind groß und beinahe unüberwindlich, aber das System des Herrn Leibniz ist ihnen nicht mehr ausgesetzt als das der Peripatetiker, und ich bin nicht einmal sicher, ob die Cartesianer die Behauptung wagen würden, Gott vermöge nicht, unserer Seele die Kraft zu handeln mitzuteilen. Wenn sie es behaupten, wie können sie dann einräumen, daß Adam sündigte? Wagen sie es aber nicht zu behaupten, so entkräften sie die Gründe, durch welche sie beweisen wollen, daß der Stoff keiner Art von Tätigkeit fähig sei. Den Okkasionalisten zufolge ist nämlich der Stoff vollkommen unvermögend zu jeder Tätigkeit, so daß Gott nicht bloß bei Gelegenheit die Bewegungen in ihm bewirken, sondern ihn auch fortwährend in seiner Substanz erhalten muß. Ebensowenig glaube ich, daß es Herrn Leibniz weniger leicht sei als den Cartesianern und andern Philosophen, sich vor dem Einwand des mechanischen Fatums, dieser Vernichtung der menschlichen Freiheit, zu schützen. Lassen wir also das beiseite und sprechen wir nur von dem, was dem Systeme der vorherbestimmten Harmonie eigentümlich ist.

I. Meine erste Bemerkung soll die sein, daß dies System die Macht und die Geschicklichkeit der göttlichen Kunst über das Begreifliche hinaus erhebt. Man stelle sich ein Schiff vor, das ohne jedes Gefühlsvermögen und Bewußtsein und ohne jede Leitung durch ein erschaffenes oder unerschaffenes Wesen die Fähigkeit besitzt, sich von selbst so angemessen zu bewegen, daß es immer guten Wind hat, daß es den Wirbeln und den Klippen ausweicht, daß es Anker wirft, wo es nötig ist, und sich genau zur rechten Zeit in einen Hafen zurückzieht; man nehme dazu noch, daß ein solches Schiff in dieser Weise eine ganze Reihe von Jahren auf dem Wasser treibt, immer so gewendet und gestellt, wie es in Rücksicht auf die Luftveränderungen und die verschiedene Lage und Gestalt der Meere nötig ist, und man wird zugeben, daß die Unendlichkeit Gottes für die Mitteilung einer solchen Fähigkeit an ein Schiff nicht zu groß ist, und sogar behaupten, die dem Schiffe eigene Natur sei gar nicht imstande, diese Fähigkeit von Gott zu empfangen. Das, was Herr Leibniz von der Maschine des menschlichen Körpers annimmt, ist aber noch weit wunderbarer und überraschender als alles dies. Wenden wir sein System der Übereinstimmung zwischen Seele und Körper hier einmal auf die Person Cäsars an.

II. Nach diesem Systeme muß man annehmen, der Körper Julius Cäsars habe seine Bewegungsfähigkeit in der Weise ausgeübt, daß er von seiner Geburt bis zu seinem Tode eine ununterbrochene Reihe von Veränderungen vornahm, die mit der größten Genauigkeit den Veränderungen einer gewissen Seele entsprachen, die er nicht kannte und die keinen Einfluß auf ihn ausübte. Ferner muß man annehmen, daß die Regel, nach der diese Fähigkeit des Cäsarschen Körpers ihre einzelnen Handlungen hervorbringen mußte, derart war, daß er an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde in den Senat gegangen sein, daß er dort bestimmte Worte ausgesprochen haben würde usw., selbst wenn es Gott gefallen hätte, die Seele Cäsars am Tage nach ihrer Schöpfung wieder zu vernichten. Endlich muß man annehmen, daß diese Bewegungsfähigkeit sich genau nach der Beweglichkeit der Gedanken dieses ehrgeizigen Kopfes veränderte und modifizierte und daß sie sich gerade in diesen statt in einen andern Zustand versetzte, weil die Seele Cäsars gerade von diesem zu jenem Gedanken überging. Vermag nun wohl eine blinde Kraft, die nie erneuert worden und sich selbst überlassen ist, einzig infolge eines ihr dreißig oder vierzig Jahre früher mitgeteilten Eindrucks sich so zu modifizieren, ohne daß sie jemals Kenntnis von ihrer Aufgabe hat? Ist das nicht weit unbegreiflicher als jene Seefahrt, von der ich oben sprach?

III. Die Schwierigkeit wird noch dadurch vergrößert, daß eine menschliche Maschine eine fast unendliche Menge von Organen enthält und beständig dem Anprall der umgebenden Körper ausgesetzt ist Man beachte, daß nach Herrn Leibniz das Tätige an jeder Substanz eine Sache ist, die auf eine wirkliche Einheit zurückgeführt werden muß. Da nun der Körper jedes Menschen aus mehreren Substanzen zusammengesetzt ist, so muß jede ein Prinzip der Tätigkeit besitzen, das in Wirklichkeit von dem Tätigkeitsprinzipe jeder einzelnen andern verschieden ist. Er behauptet ferner, daß die Tätigkeit jedes Prinzips eine selbstbestimmte sei. Das muß aber ihre Wirkungen ins Unendliche vermannigfachen und sie stören, denn der Anprall der umgebenden Dinge muß der natürlichen Selbstbestimmung jedes einzelnen einigen Zwang antun., die durch zahllose verschiedene Erschütterungen tausend verschiedene Modifikationen in ihr erregen. Wie ist nun zu begreifen, daß nie eine Störung bei dieser vorherbestimmten Harmonie eintritt und daß sie während des längsten Menschenlebens ihren Gang geht, trotz der zahllosen Verschiedenheiten der aufeinander einwirkenden Tätigkeit so vieler Organe, die auf allen Seiten von einer Unzahl teils warmer, teils kalter, teils feuchter, teils trockener, immer tätiger, immer auf diese oder jene Weise die Nerven reizender Körperchen umgeben sind? Ich gebe zu, daß die Vielfältigkeit der Organe und die Vielfältigkeit der äußern Kräfte ein notwendiges Werkzeug für die beinahe unendliche Mannigfaltigkeit der Veränderungen des menschlichen Körpers sind, aber wird diese Mannigfaltigkeit auch jene Genauigkeit besitzen, deren es hier bedarf? Wird sie nie die Übereinstimmung dieser Veränderungen mit denen der Seele stören? Das scheint völlig unmöglich. Dieser Einwurf beruht auf einem offenbaren Mißverständnis. Allerdings ist nach Leibniz der Körper ein Aggregat von Substanzen, deren jede ihr eigenes Prinzip der Tätigkeit besitzt; aber alle diese Substanzen oder Monaden sind zugleich völlig und durchaus unabhängig voneinander, so daß keine die Tätigkeit der andern stören oder beeinflussen kann. Damit fällt der Baylesche Einwurf in Nichts zusammen.

IV. Vergebens steckt man sich hinter die Macht Gottes, um behaupten zu können, daß die Tiere nur Automaten seien, vergebens legt man dar, daß Gott so künstlich gearbeitete Maschinen habe herstellen können, daß die Stimme eines Menschen, das von einem Gegenstande zurückgeworfene Licht usw. sie genau so berührt, wie nötig ist, damit sie sich auf diese oder jene Weise bewegen. Mit Ausnahme eines Teils der Cartesianer verwirft alle Welt diese Annahme, und auch kein Cartesianer würde derselben beitreten, wenn man sie auch auf die Menschen ausdehnen, d. h. behaupten wollte, Gott habe Körper schaffen können, welche völlig mechanisch verrichten, was wir die Menschen verrichten sehen. Indem man dies bestreitet, will man der Macht und dem Wissen Gottes durchaus keine Schranken setzen, sondern nur andeuten, wie die Natur der Dinge es nicht zuläßt, daß die dem Geschöpfe mitgeteilten Fähigkeiten nicht notwendigerweise gewisse Grenzen haben. Die Tätigkeit der Geschöpfe muß mit aller Notwendigkeit ihrem wesentlichen Zustande angemessen sein und sich gemäß der Eigentümlichkeit vollziehen, die jeder einzelnen Maschine zukommt, denn nach dem philosophischen Axiome Quidquid recipitur, ad modum recipientis recipitur. (Was aufgenommen wird, wird nach Weise des Aufnehmenden aufgenommen.) paßt sich alles Aufgenommene der Fähigkeit des Gegenstandes an. Man kann daher die Hypothese des Herrn Leibniz als unmöglich verwerfen, weil sie größere Schwierigkeiten enthält als die Hypothese der Automaten: sie setzt eine beständige Harmonie zwischen zwei Substanzen voraus, die durchaus nicht aufeinander einwirken; wenn aber die Diener Automaten wären und jedesmal genau das ausführten, was ihr Gebieter ihnen befehle, so geschähe das immer noch nicht ohne eine wirkliche Einwirkung des Gebieters auf sie: er würde Worte aussprechen, Zeichen machen, die in realer Weise die Organe der Diener erschüttern würden.

V. Betrachten wir nun die Seele Cäsars: da werden wir noch mehr Unmöglichkeiten finden. Diese Seele befand sich in der Welt, ohne dem Einflüsse irgendeines Geistes zugänglich zu sein. Die Kraft, welche sie von Gott empfangen hatte, war das alleinige Prinzip der einzelnen Handlungen, welche sie in jedem Augenblicke hervorbrachte, und wenn diese Handlungen voneinander verschieden waren, so rührte das durchaus nicht daher, daß etwa die einen unter Mitwirkung einiger Antriebe hervorgebracht wurden, die bei den andern nicht mitwirkten, denn die menschliche Seele ist einfach, unteilbar und unkörperlich. Herr Leibniz gibt das selbst zu, wenn er es aber nicht zugäbe, sondern im Gegenteil mit dem gemeinen Haufen der Philosophen und einigen der ausgezeichnetsten Metaphysiker unseres Jahrhunderts Wie z. B. Herr Locke. annähme, daß eine Zusammensetzung aus verschiedenen, in bestimmter Weise geordneten Stoffteilen imstande sei, zu denken, so würde ich sogleich seine Hypothese als vollkommen unmöglich ansehen, und es würden sich andere Mittel zu ihrer Widerlegung darbieten, mit denen ich jedoch hier nichts zu schaffen habe, da er die Unkörperlichkeit der menschlichen Seele anerkennt und eben darauf seine Hypothese aufbaut. Kommen wir auf die Seele Cäsars zurück: Nennen wir dieselbe einen unkörperlichen Automaten Herr Leibniz selbst bedient sich dieses Ausdrucks. Die Seele, sagt er, ist ein höchst genau gefertigter, unkörperlicher Automat. und vergleichen wir sie mit einem Atome Epikurs, d. h. mit einem Atome, das auf allen Seiten vom leeren Räume umgeben ist und nie mit einem andern Atome zusammentrifft. Dieser Vergleich ist durchaus richtig, denn einerseits besitzt das Atom eine natürliche Kraft, sich zu bewegen, und übt dieselbe, ohne durch irgend etwas unterstützt und ohne durch irgendeine Sache behindert oder gestört zu werden, und andererseits ist die Seele Cäsars ein Geist, der die Fähigkeit empfangen hat, sich Gedanken zu verleihen und dieselbe ohne Beeinflussung von Seiten eines andern Geistes oder irgendeines Körpers ausübt. Nichts unterstützt sie, nichts hindert sie. Wenn man nun die Gemeinbegriffe und die Vorstellungen von der Ordnung zu Rate zieht, so wird man finden, daß jenes Atom niemals innehalten darf und daß es, wenn es sich im verflossenen Augenblicke bewegt hat, sich auch im gegenwärtigen und in allen folgenden bewegen muß und daß dabei die Art seiner Bewegung immer die nämliche sein muß. Es ist dies die Folgerung aus einem von Herrn Leibniz gutgeheißenen Axiome, dem zufolge ein Ding immer in dem Zustande verharrt, in welchem es sich einmal befindet, wenn nicht ein Umstand eintritt, der es zum Wechsel nötigt ... Wir schließen, sagt er Herr Leibniz erklärt, daß er diesem Axiome beipflichte. Und ich behaupte sogar, fügt er hinzu, daß es zu meinen Gunsten spricht, wie es denn in der Tat eine meiner Hauptstützen bildet., nicht bloß, daß ein ruhender Körper immer im Zustande der Kühe bleiben, sondern auch daß ein sich bewegender Körper immer diese Bewegung oder diese Veränderung, d. h. dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Richtung, beibehalten wird, wenn kein Umstand eintritt, der ihn hindert. Jeder sieht danach klar und deutlich ein, daß jenes Atom, mag es sich nun infolge einer angestammten Kraft, wie Demokrit und Epikur behaupteten, oder infolge einer vom Schöpfer empfangenen Kraft bewegen, immer gleichförmig und gleichmäßig in derselben Richtung vorrücken wird, ohne daß es vorkommt, daß es bisweilen zur Linken oder zur Rechten von seinem Wege abgeht oder gar zurückweicht. Man machte sich über Epikur lustig, als er die abweichende Bewegung der Atome erfand: er nahm dieselbe ohne allen Grund an, um sich dadurch aus dem Labyrinthe der unvermeidlichen Notwendigkeit der Dinge herauszuwinden, vermochte aber keine Begründung für diesen neuen Teil seiner Hypothese vorzubringen. Derselbe verstieß gegen die klarsten Begriffe unseres Geistes, denn jeder sieht ein, daß ein Atom, um, nachdem es zwei Tage lang eine gerade Linie beschrieben hat, zu Anfang des dritten vom Wege abzuweichen, entweder auf ein Hindernis stoßen oder unversehens von einer Lust zu dieser Abweichung angewandelt werden oder endlich irgendeine Triebfeder enthalten muß, die in jenem Augenblicke zu wirken beginnt. Der erste dieser Gründe ist im leeren Raume undenkbar. Der zweite ist unmöglich, da ein Atom nicht die Fähigkeit besitzt, zu denken. Der dritte ist bei einem völlig und unbedingt einheitlichen Körper gleichfalls unmöglich. Machen wir von alledem etwas Gebrauch.

VI. Die Seele Cäsars ist ein Ding, dem die Einheit im strengsten Sinne des Wortes zukommt. Die Fähigkeit, sich Gedanken verleihen zu können, ist eine Eigentümlichkeit ihrer Natur Nach dem Systeme des Herrn Leibniz nämlich.: sie hat dieselbe bezüglich des Besitzes wie bezüglich der Ausübung von Gott empfangen. Wenn nun der erste Gedanke, den sie sich verleiht, ein Lustgefühl ist, so ist nicht einzusehen, warum der zweite nicht ebenfalls ein Lustgefühl sein soll, denn wenn die Totalursache einer Wirkung dieselbe bleibt, so kann auch die Wirkung nicht wechseln. Nun empfängt aber diese Seele im zweiten Augenblicke ihres Daseins keine neue Fähigkeit zu denken, sie behält nur die Fähigkeit, die sie bereits im ersten Augenblicke besaß, und ist auch im zweiten Augenblicke ebenso unabhängig von der Mitwirkung jeder andern Ursache wie im ersten: sie muß also im zweiten Augenblicke denselben Gedanken hervorbringen, den sie im ersten hervorbrachte. Wenn man mir einwirft, daß sie sich in einem Zustande der Veränderung befinden soll und sich also nicht in dem Falle befinde, den ich angenommen habe, so entgegne ich, daß ihre Veränderung der des Atoms gleichen wird, denn ein Atom, das sich beständig in derselben Richtung bewegt, erlangt in jedem Augenblicke eine neue Lage, die jedoch der vorhergehenden Lage ähnlich ist. Damit also eine Seele im Zustande der Veränderung beharre, reicht es schon hin, wenn sie sich einen neuen Gedanken verleiht, der dem vorhergehenden ähnlich ist. Halten wir sie aber nicht so eng gebunden, bewilligen wir ihr die Umwandlung der Gedanken: dabei muß aber der Übergang von einem Gedanken zu einem andern wenigstens einen auf der Ähnlichkeit beruhenden Grund haben. Wenn ich nun annehme, daß die Seele Cäsars in einem bestimmten Augenblicke einen Baum sieht, der Blätter und Blüten hat, so kann ich allerdings begreifen Ich sage dies nur einräumungsweise, d. h., ich will hier nicht die Gründe geltend machen, denen zufolge wir nicht begreifen können, wie ein erschaffener Geist sich selbst Vorstellungen zu verleihen vermag., daß sie sogleich einen Baum zu sehen wünscht, der nur Blätter und sodann einen andern, der nur Blüten hat, und daß sie sich auf diese Weise mehrere Bilder schaffen wird, die eins aus dem andern entstehen die exzentrischen Übergänge von Schwarz zu Weiß, von Ja zu Nein und jene ungeordneten Sprünge von der Erde zum Himmel, die dem menschlichen Gedanken so geläufig sind, kann man sich jedoch nicht als möglich vorstellen. Man vermag nicht zu begreifen, wie Gott in die Seele Cäsars jenes Prinzip habe legen können, von dem hier die Rede ist. Ohne Zweifel ist es ihm mehr als einmal geschehen, daß er, während er die Brust nahm, von einer Nadel gestochen wurde. Nach der hier in Rede stehenden Hypothese müßte nun seine Seele nach den angenehmen Vorstellungen der Süßigkeit der Milch, die sie zwei oder drei Minuten gehabt hatte, sich unmittelbar von selbst zu einer Schmerzempfindung modifiziert haben. Aber durch welchen Antrieb wurde sie denn bestimmt, ihr Lustgefühl zu unterbrechen und sich unversehens ein Schmerzgefühl zu verleihen, ohne daß etwas sie benachrichtigt hatte, sich auf die Veränderung vorzubereiten, und ohne daß etwas Neues in ihrer Substanz vorgegangen war? Wenn man das Leben dieses ersten römischen Kaisers durchgeht, wird man bei jedem Schritte Stoff zu einem noch stärkern Einwurfe finden, als dieser ist.

VII. Einigermaßen begreiflich würde die Sache werden, wenn man annähme, die menschliche Seele sei nicht ein Geist, sondern vielmehr eine Legion von Geistern, von denen jeder seine Verrichtungen hat, die genauso beginnen und enden, wie die Veränderungen, die im Körper vorgehen, es erfordern. Demgemäß müßte dann gesagt werden, daß etwas, was einem großen Gerät von Rädern und Federn oder voneinander reizenden Stoffen gleicht und der Veränderlichkeit unserer Maschine Maschine hieß bei den Cartesianern gemäß ihrer Anschauung von der vollkommenen Passivität des Stoffs der organische Körper. gemäß angeordnet ist, die Tätigkeit jedes einzelnen von diesen Geistern für diese oder jene Zeit erweckt oder einschläfert; aber alsdann würde die menschliche Seele keine Substanz mehr, sondern ein ens per aggregationem (durch Anhäufung entstandenes Ding), ein Gefüge und ein Haufen von Substanzen sein, ganz wie die stofflichen Wesen. Wir suchen jedoch hier ein einheitliches Wesen, das bald die Freude, bald den Schmerz usw. bildet, und nicht mehrere Wesen, von denen eins die Hoffnung, ein anderes die Verzweiflung usw. hervorbringt.

Die vorstehenden Einwürfe bilden nur eine umfassendere Entwicklung derjenigen, welche Herr Leibniz zu prüfen mir die Ehre erwies. Nun noch einige Bemerkungen über seine Antwort.

VIII. Er sagt: Das Gesetz für die Veränderung der Substanz des Geschöpfes führt dasselbe in dem Augenblicke, wo eine Unterbrechung der Stetigkeit in seinem Körper erfolgt, von der Freude zum Schmerz, weil es in dem Gesetze der unteilbaren Substanz dieses Geschöpfes liegt, alles vorzustellen, was in seinem Körper in der Weise vorgeht, daß wir es empfinden, ja sogar in gewisser Weise und in bezug auf diesen Körper alles vorzustellen, was in der Welt geschieht. Diese Worte geben eine sehr gute Erklärung der Grundlagen dieses Systems: sie sind sozusagen die Lösung und der Schlüssel – gleichzeitig aber bilden sie den Gesichtspunkt für die Einwürfe derjenigen, welche diese neue Hypothese unmöglich finden. Das Gesetz, von welchem darin die Rede ist, hat einen Beschluß Gottes zur Voraussetzung und zeigt, worin dies System mit dem der Gelegenheitsursachen übereinstimmt. Die beiden Systeme treffen in dem Punkte zusammen, daß es Gesetze gibt, denen zufolge die menschliche Seele sich das vorstellen muß, was im Körper des Menschen in der Weise geschieht, daß wir es empfinden. Sie weichen aber hinsichtlich der Weise der Ausführung voneinander ab. Die Cartesianer behaupten, Gott sei der Vollzieher jener Gesetze: Herr Leibniz ist der Ansicht, daß die Seele selbst sie ausführe. Eben das scheint mir unmöglich, da die Seele nicht die Werkzeuge besitzt, die sie behufs einer solchen Ausführung haben müßte. Wie unendlich aber auch das Wissen und die Macht Gottes sei, so vermag er doch nicht durch eine Maschine, der ein gewisser Bestandteil fehlt, das zu bewirken, was die Mitwirkung dieses Bestandteils erfordert. Er müßte die Stelle des mangelnden Stücks vertreten – aber in diesem Falle würde er und nicht die Maschine es sein, was die Wirkung hervorbringt. Zeigen wir nun, daß die Seele nicht die zur Ausführung des in Rede stehenden göttlichen Gesetzes erforderlichen Werkzeuge besitzt, und bedienen wir uns dabei eines Vergleichs.

Denken wir uns nach Belieben ein von Gott erschaffenes Tier, das bestimmt ist, unausgesetzt zu singen. Es wird immerfort singen, das ist unzweifelhaft, wenn aber Gott ihm eine gewisse Tabulatur bestimmt, so muß er ihm dieselbe durchaus entweder vor Augen stellen oder sie ihm ins Gedächtnis einprägen oder endlich ihm eine Muskeleinrichtung verleihen, die den Gesetzen der Mechanik gemäß bewirkt, daß ein bestimmter Ton immer genau nach der Ordnung der Tabulatur dem andern folgt. Andernfalls ist nicht zu begreifen, wie jenes Tier jemals imstande sein sollte, sich der ganzen Folge der Noten anzupassen, die Gott aufgestellt hat. Wenden wir nun einen gleichen Plan auf die menschliche Seele an. Herr Leibniz will, daß dieselbe nicht nur die Fähigkeit empfangen habe, sich unausgesetzt Gedanken zu verleihen, sondern auch das Vermögen, immer einer gewissen Ordnung von Gedanken zu folgen, die den beständigen Veränderungen der körperlichen Maschine entspricht. Diese Gedankenreihenfolge gleicht der Tabulatur für das Singtier, von dem wir oben sprachen. Müßte nun die Seele, um ihre Vorstellungen oder ihre Modifikationen jener Gedankentabulatur gemäß in jedem Augenblicke zu wechseln, nicht die Folge der Noten kennen und tatsächlich daran denken? Die Erfahrung zeigt aber, daß sie nichts davon weiß. Müßte es in Ermanglung dieser Kenntnis nicht wenigstens eine Reihe von besondern Werkzeugen in ihr geben, die jedes eine notwendige Ursache dieses oder jenes Gedankens wären? Müßten nicht diese Werkzeuge eine solche Lage haben, daß genau eines nach dem andern seine Verrichtung täte, gemäß der vorherbestimmten Übereinstimmung zwischen den Veränderungen der körperlichen Maschine und den Gedanken der Seele? Nun ist aber sicher, daß eine unkörperliche, einfache und unteilbare Substanz nicht aus dieser zahllosen Menge besonderer Werkzeuge zusammengesetzt sein kann, die gemäß der Anordnung in besagter Tabulatur eins vor dem andern ihren Platz haben. Es ist also unmöglich, daß die menschliche Seele jenes Gesetz in Ausführung bringe.

Herr Leibniz nimmt an, daß dieselbe zwar ihre künftigen Vorstellungen nicht deutlich kenne, aber sie doch verworren wahrnimmt, und daß es in jeder Substanz Spuren alles dessen gibt, was ihr geschehen ist und geschehen wird. Eben das vermag man bei einer unteilbaren, einfachen, unkörperlichen Substanz nicht zu begreifen. Aber die unendliche Menge dieser Vorstellungen hindert uns, dieselben zu unterscheiden ... Der gegenwärtige Zustand jeder Substanz ist die natürliche Folge ihres vorhergehenden Zustandes ... Die Seele, so einfach sie ist, hat doch immer eine gleichzeitig aus mehreren Vorstellungen zusammengesetzte Empfindung, was für unsern Zweck dieselbe Wirkung tut, als ob sie aus Stücken zusammengesetzt wäre wie eine Maschine. Denn jede vorhergehende Vorstellung hat gemäß einem Gesetze der Ordnung, das für die Vorstellungen wie für die Bewegungen gilt, Einfluß auf die folgenden ... Die Vorstellungen, welche sich gleichzeitig zusammen in ein und derselben Seele befinden, enthalten eine wahrhaft unendliche Menge von kleinen, ununterscheidbaren Empfindungen, welche die Folge zur Entwicklung bringen soll, und man darf sich daher nicht über die unendliche Mannigfaltigkeit dessen wundern, was mit der Zeit daraus entstehen muß. Alles das ist nur eine Folge der vorstellenden Natur der Seele, die infolge des Zusammenhangs oder der Verbindung aller Teile der Welt das, was in ihrem Körper und in gewisser Weise in allen andern Körpern vorgeht, und sogar das, was vorgehen wird, abspiegeln muß. Ich habe darauf nicht viel zu erwidern: ich sage nur, daß diese Hypothese, sobald sie gehörig entwickelt sein wird, das richtige Mittel ist, um alle Schwierigkeiten zu lösen. Herr Leibniz hat bei dem Scharfblick seines großen Geistes den ganzen Umfang und die ganze Stärke des Einwurfs erfaßt und zugleich erkannt, wo die Quelle für das Mittel gegen die Hauptschwierigkeit gesucht werden muß. Ich bin überzeugt, daß er alles Bedenklichere in seinem Systeme beseitigen und uns treffliche Dinge über die Natur der Geister mitteilen wird. Niemand kann mit mehr Nutzen und größerer Sicherheit Wanderungen durch die übersinnliche Welt machen als er. Ich hoffe, daß seine trefflichen Erläuterungen die Unmöglichkeiten beseitigen werden, die sich bis jetzt meinem Geiste aufdrängen, und daß er meine Einwürfe und sogar die des Dominus François Lami lösen wird, und eben in dieser Hoffnung habe ich ohne Schmeichelei sagen können, daß sein System für eine wichtige Eroberung angesehen werden muß.

Darüber, daß Gott, während es nach der Annahme der Cartesianer nur ein einziges allgemeines Gesetz für die Verbindung aller Geister mit den Körpern gibt, nach seiner Ansicht jedem Geiste ein besonderes Gesetz gibt, woraus zu folgen scheint, daß die ursprüngliche Verfassung jedes Geistes spezifisch von jeder andern verschieden ist, wird er sich keine Sorgen machen. Es gibt nie zwei Menschen, die, ich sage nicht: einen Monat, sondern nur zwei Minuten lang dieselben Gedanken hätten. Das Prinzip des Denkens muß also bei jedem eine besondere Natur und Regel haben. Behaupten nicht auch die Thomisten, daß es in der Gattung der Engel ebenso viele Arten wie Individuen gäbe?


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