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Da gegenwärtig zwischen mehreren ausgezeichneten Männern die Streitfrage über die wahren und die falschen Ideen verhandelt wird und dieser Gegenstand, hinsichtlich dessen selbst Descartes nicht allenthalben ausreicht, für die Erkenntnis der Wahrheit von großer Wichtigkeit ist, so mag es mir gestattet sein, hier in wenig Worten meine Ansicht über die Unterschiede und Kennzeichen der Ideen und der Begriffe darzulegen. Die Frage nach den Kennzeichen der Ideen war von Descartes im Discours de la méthode (1637) angeregt worden. Descartes hatte dort zwei Arten von Vorstellungen unterschieden: klare und deutliche; diesen beiden Arten fügte Spinoza in der Abhandlung De intellectus emendatione (1677) zwei weitere hinzu: die angemessenen (adaequatae) und die anschaulichen (intuitivae). Leibniz nimmt hier ebenfalls vier Arten von Vorstellungen an, bestimmt aber die Grenzen jeder Art anders und weit genauer, als dies von seinen Vorgängern geschehen war. Das Wissen ist also entweder dunkel oder klar, das klare entweder verworren oder deutlich, das deutliche aber entweder nichtangemessen oder angemessen und das angemessene entweder symbolisch oder anschaulich: das vollkommenste aber ist das, welches gleichzeitig angemessen und anschaulich ist.
Dunkel ist ein Begriff, der nicht ausreicht, eine vorgestellte Sache zu erkennen, wie z. B., wenn ich mich zwar einer früher gesehenen Blume oder eines früher gesehenen Tieres erinnere, aber nicht in hinlänglicher Weise, so daß ich das Vorgezeigte wiedererkennen oder es von einem Ähnlichen unterscheiden könnte; oder wenn ich einen in der Schule wenig erklärten Ausdruck in Betracht nehme, wie z. B. die Entelechie des Aristoteles oder die Ursache, so wie sie dem Stoff, der Form, dem Bewirkenden und dem Zweck gemeinsam ist, oder ein anderes derartiges Wort, von dem wir keine bestimmte Definition haben: daher wird auch der Satz dunkel, der einen solchen Begriff enthält. Klar ist demgemäß ein Wissen, wenn ich es so besitze, daß ich dadurch die vorgestellte Sache wiedererkennen kann, und dies ist wiederum entweder verworren oder deutlich. Verworren ist es, wenn ich die Kennzeichen, welche zur Unterscheidung einer Sache von andern ausreichen, nicht einzeln aufzählen kann, sofern nämlich jene Sache wirklich derartige Kennzeichen und Bestimmungen besitzt, in die der Begriff derselben aufgelöst werden kann. Auf diese Weise erkennen wir zwar die Farben, die Gerüche, den Geschmack und andere besondere Sinnesgegenstände mit hinlänglicher Klarheit und unterscheiden sie unter sich voneinander, aber nur auf das bloße Zeugnis der Sinne hin und nicht durch Merkmale, die sich bezeichnen lassen. Daher können wir auch einem Blinden nicht erklären, was rot ist, und auch andern dergleichen nur dadurch deutlich machen, daß wir sie zu der gegenwärtigen Sache hinführen und sie sehen, riechen oder schmecken lassen oder daß wir sie wenigstens an eine frühere ähnliche Wahrnehmung erinnern, ungeachtet feststeht, daß die Begriffe dieser Eigenschaften zusammengesetzt sind und aufgelöst werden können, da sie allerdings ihre Ursachen haben. In ähnlicher Weise sieht man oft Maler und andere Künstler ganz wohl erkennen, was an einem Kunstwerke richtig oder fehlerhaft ist, während sie dagegen häufig den Grund für ihr Urteil nicht anzugeben vermögen und auf Befragen erwidern, sie vermißten an dem Gegenstande, der ihnen mißfällt, ich weiß nicht was. Ein deutlicher Begriff ist dagegen der, welchen die Münzwardeine vermöge der Merkmale und Proben, die zur Unterscheidung der Sache von allen andern ähnlichen Körpern ausreichen, vom Golde haben. Dergleichen Begriffe pflegt man von solchen Vorstellungen, die mehreren Sinnen gemeinsam sind, wie z. B. die Vorstellungen der Zahl, der Größe, der Gestalt, und von vielen Seelenzuständen, wie der Furcht und der Hoffnung, zu haben, kurzum von allen Dingen, von denen wir die Nominal-Definition besitzen, die eben nichts anderes ist als die Aufzählung der hinreichenden Merkmale. Doch gibt es auch ein deutliches Wissen von einem undefinierbaren Begriffe, wenn derselbe nämlich ursprünglich oder sein eigenes Merkmal ist, d. h., wenn er nicht auflösbar und nur durch sich selbst zu erfassen ist und mithin der Bestimmungen ermangelt. Da aber bei den zusammengesetzten Begriffen die dieselben bildenden einzelnen Merkmale bisweilen allerdings klar, aber doch nur verworren bekannt sind, wie z. B. die Schwere, die Farbe, das Scheidewasser und andere Merkmale des Goldes, so ist ein solches Wissen vom Golde allerdings deutlich, aber nicht angemessen. Wenn jedoch alles, was zu einem deutlichen Begriffe gehört, wiederum deutlich bekannt ist oder die Analyse des Begriffs bis zu Ende geführt werden kann, so ist das Wissen angemessen: Ob die Menschen ein vollkommenes Beispiel eines solchen bieten können, weiß ich nicht, doch kommt der Begriff der Zahlen demselben sehr nahe. Meistens aber, und besonders bei einer längern Analyse, berücksichtigen wir nicht zugleich die ganze Natur der Sache, sondern bedienen uns statt der Dinge der Zeichen, deren Erklärung man in einem solchen Falle der Kürze halber zu unterlassen pflegt, da man sie in der Gewalt hat oder doch zu haben glaubt. Wenn man sich also z. B. ein Tausendeck oder ein Vieleck von tausend gleichen Seiten vorstellt, so faßt man nicht immer die Natur der Seite, der Gleichheit und der Zahl Tausend (oder der Kubikzahl der Zehn) ins Auge, sondern gebraucht in Gedanken diese Ausdrücke (deren Sinn dem Geiste zum wenigsten dunkel und unvollständig vorschwebt) anstatt der Vorstellungen, die man davon hat, weil man sich bewußt ist, daß man die Bedeutung jener Worte innehat, die Erklärung derselben aber für den Augenblick nicht für nötig erachtet. Eine solche Erkenntnis pflege ich eine blinde oder auch eine symbolische zu nennen, von der auch in der Algebra und der Arithmetik, ja nahezu überall Gebrauch gemacht wird. Auch vermögen wir, wenn der Begriff sehr zusammengesetzt ist, nicht gleichzeitig alle darin enthaltenen Vorstellungen uns vorzustellen; wo dies aber dennoch angeht oder wenigstens insofern es angeht, nenne ich dies Wissen ein anschauliches. Von einem ursprünglichen deutlichen Begriffe gibt es keine andere Erkenntnis als eine anschauliche, wie von den zusammengesetzten Begriffen meistens nur eine symbolische. Diese Entwicklung über die Arten der Vorstellungen und deren Abgrenzung ist an sich vollkommen klar und bedarf keiner Erläuterung. Nur läßt sich manches gegen die Berechtigung dieser Einteilung einwenden. Namentlich läßt sich schwer einsehen, woher die Definition der angemessenen Vorstellungen entnommen und worin dieser Begriff begründet ist, wenn es, wie der Philosoph selbst bemerkt, eigentlich gar keine solchen Vorstellungen beim Menschen gibt (S. 206). Dasselbe gilt von den anschaulichen Vorstellungen, denn bei einem inhaltlich reichen Begriffe dürfte selbst der beste Kopf nicht imstande sein, sich gleichzeitig sämtliche Merkmale in ihrer Auflösung bis zu den einfachsten hinauf vorzustellen. Ferner erscheint der zwischen den verworrenen und den deutlichen Vorstellungen gemachte Unterschied sehr wenig in der Wirklichkeit begründet: Man wird kaum je eine Sache von einer andern unterscheiden, ohne wenigstens einige Merkmale des Unterschieds angeben zu können, wofern nämlich, wie Leibniz ausdrücklich hervorhebt (S. 205), die Sache wirklich dergleichen Kennzeichen besitzt. Besonders zu beachten ist die auf S. 205 gegebene Ausführung, wonach alle durch die Wahrnehmung vermittelst eines einzigen Sinnes gewonnenen Vorstellungen verworrene sein sollen. Es ist schon in Anm. 116 dargelegt worden, daß Leibniz in diesem Falle die Ursache der Vorstellung mit deren Inhalt verwechselt.
Daraus erhellt schon, daß wir auch von den Dingen, welche wir deutlich erkennen, keine Ideen erlangen, insoweit wir nicht von der anschaulichen Erkenntnis Gebrauch machen. Auch geschieht es in der Tat häufig, daß wir unbegründeterweise Ideen von Dingen im Geiste zu haben meinen, wenn wir ohne Grund annehmen, daß gewisse Ausdrücke, die wir gebrauchen, schon von uns erläutert worden seien, wie es auch nicht richtig oder doch ohne Zweifel doppelsinnig ist, wenn einige behaupten, wir könnten von einem Dinge nichts aussagen und das Gesagte verstehen, wenn wir nicht die Idee desselben haben. Denn oft verstehen wir doch die einzelnen Benennungen oder erinnern uns, sie früher verstanden zu haben; weil wir indessen mit dieser blinden Erkenntnis zufrieden sind und die Analyse der Begriffe nicht zur Genüge ausführen, so bleibt uns der Widerspruch verborgen, den der zusammengesetzte Begriff vielleicht enthält. Zu dieser nähern Betrachtung veranlaßte mich schon früher jener Beweis für das Dasein Gottes, der längst schon bei den Scholastikern berühmt war, von Descartes erneuert worden ist und also lautet: Was aus der Idee oder der Definition eines Dinges folgt, kann von dem Dinge ausgesagt werden. Das Dasein folgt aus der Idee Gottes (oder des vollkommensten Wesens, neben welchem man sich kein größeres vorstellen kann, denn das vollkommenste Wesen enthält alle Vollkommenheiten, zu denen auch das Dasein gehört), folglich kann das Dasein von Gott ausgesagt werden. Der hier in Rede stehende Beweis für das Dasein Gottes ist der sogenannte ontologische, der nach seinem Hauptvertreter, dem Scholastiker Anselm von Canterbury (1033-1109), bisweilen auch der anselmische genannt wird. Anselm begründete denselben in seinem Prologium in folgender Weise: Gott ist das schlechthin Vollkommenste, und dieser Inhalt der Gottesvorstellung ist in unserm Geiste wirklich. Im Begriffe des schlechthin Vollkommensten liegt aber, daß dasselbe nicht bloß im Verstande, sondern auch im äußern Sein Wirklichkeit habe, weil sich sonst etwas Vollkommeneres als das Vollkommenste denken ließe. Folglich existiert Gott nicht bloß im Denken, sondern auch im Sein. Nach der Ansicht Leibnizens ist dieser Beweis nur unvollständig; er hält zur Vervollständigung noch den Nachweis für nötig, daß Gott überhaupt möglich sei. Aber auch nach Hinzufügung dieses Nachweises wird durch den anselmischen Beweis für das Dasein Gottes nichts bewiesen, einmal, weil aus der Möglichkeit eines Dinges noch durchaus nicht dessen wirkliches Sein folgt, und zweitens weil kein Grund vorliegt, das Sein in der Wirklichkeit für etwas Höheres zu nehmen als das Sein im Wissen, oder mit andern Worten: weil das Sein in der Wirklichkeit nicht ohne weiteres als eine Vollkommenheit eines Dinges aufgefaßt werden kann. Wollte man aber behaupten, bei Gott sei ausnahmsweise Gedachtwerden und Sein ein und dasselbe, so müßte man, abgesehen von der petitio principii, die dann in dem Beweise läge, auch zugeben, daß Nichtgedachtwerden und Nichtsein ein und dasselbe sei, und würde damit den ganzen Beweis wieder zunichte machen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß sich daraus nur ergibt: Wenn Gott möglich ist, so folgt, daß er existiert, denn man kann sich der Definitionen nur dann mit Sicherheit zu Schlußfolgerungen bedienen, wenn man zuvor weiß, daß sie Real-Definitionen sind oder keinen Widerspruch in sich schließen. Der Grund dafür liegt darin, daß aus Definitionen, die einen Widerspruch enthalten, gleichzeitig das Entgegengesetzte gefolgert werden kann, was widersinnig ist. Zur Darlegung dessen pflege ich mich des Beispiels der schnellsten Bewegung zu bedienen, das einen Widersinn in sich schließt. Denn gesetzt, daß ein Rad sich mit der schnellsten Bewegung drehe, so wird sich doch bei Verlängerung einer Speiche des Rades diese an ihrem Endpunkte schneller bewegen als ein Nagel in der Radfelge: die Bewegung des Nagels ist also der Voraussetzung entgegen nicht die schnellste. Bei alledem aber scheint es beim ersten Anblick, als könnten wir die Idee der schnellsten Bewegung haben, denn wir verstehen durchaus, was wir sagen -- und doch haben wir keine Idee von unmöglichen Dingen. Gleicherweise reicht es nicht hin, wenn man sich das höchste Wesen vorstellt, um zu behaupten, daß man die Idee desselben habe, vielmehr muß bei dem obenerwähnten Beweise die Möglichkeit des vollkommensten Wesens entweder dargetan oder vorausgesetzt werden, damit der Schluß richtig sei. Indessen ist nichts wahrer, als daß wir sowohl die Idee Gottes haben, wie daß das höchste Wesen möglich, ja notwendig ist; der Beweis enthält jedoch keinen vollständigen Schluß und ist daher schon von Thomas von Aquino verworfen worden.
Damit haben wir auch den Unterschied zwischen den Nominal-Definitionen, welche nur die Merkmale zur Unterscheidung der Sache von andern enthalten, und den Real-Definitionen, aus denen sich die Möglichkeit der Sache ergibt, und auch Hobbes wird auf diese Weise Genüge getan: Dieser wollte die Wahrheiten für willkürlich gelten lassen, da sie von Nominal-Definitionen abhingen, weil er nicht bedachte, daß die Wirklichkeit der Definition nicht von der Willkür abhängig ist und daß nicht alle beliebigen Begriffe miteinander verbunden werden können. Die Nominal-Definitionen genügen auch nicht zum vollkommenen Wissen, wenn nicht schon anderweitig feststeht, daß die definierte Sache möglich ist. Daraus erhellt auch endlich, welche Idee wahr und welche falsch ist: eine wahre ist sie, wenn der Begriff möglich ist, eine falsche, wenn er einen Widerspruch enthält. Nominal-Definitionen sind also nach Leibniz solche, welche die Merkmale eines Dinges aufzählen, Real-Definitionen aber solche, aus denen sich die Möglichkeit eines Dinges ergibt. Dabei läßt der Philosoph es aber zweifelhaft, ob er hier die reale oder die formale Möglichkeit (s. Anm. 138) meint, und demgemäß ist seine Bestimmung des Begriffs der wahren Idee nach der Möglichkeit des Inhalts derselben höchst schwankend und unzuverlässig, wenn man nicht etwa annehmen will, daß er überhaupt alle Ideen, die keinen Widerspruch gegen die Gesetze des Denkens enthalten, für wahre ansieht. Das wäre aber eine Erweiterung des Begriffs des Wahren, die den Unterschied zwischen möglich und wirklich aufheben würde. Auch die reale Möglichkeit kann hier nicht gemeint sein, da auch dann noch der Begriff des Wahren zu weit gefaßt wäre, denn der größte Teil der Lügen z. B. enthält real mögliche Ideenverknüpfungen, und dessenungeachtet reine Wahrheit. Der Ausdruck Möglichkeit ist demnach hier von dem Philosophen in einem ganz besondern Sinne gebraucht worden, der sich aus der weiter unten auf S. 209 gegebenen Ausführung entnehmen läßt. Leibniz erklärt dort die Erkenntnis der Möglichkeit eines Dinges auf dem Wege a priori für höchst zweifelhaft – wenn aber eine solche Erkenntnis nur auf dem Wege a posteriori durch die Erfahrung möglich ist, so erhellt, daß Leibniz hier alle seienden Dinge unter die möglichen zählt, und daß für den Ausdruck Möglichkeit geradezu das Wort Wirklichkeit gesetzt werden kann. Die Möglichkeit eines Dinges aber läßt sich teils a priori, teils a posteriori erkennen, und zwar a priori, wenn man den Begriff in seine Bestimmungen oder in andere Begriffe auflöst, deren Möglichkeit bekannt ist und von denen man weiß, daß sie nichts einander Widersprechendes enthalten. Dies findet unter andern dann statt, wenn man die Weise kennt, in der das Ding hervorgebracht werden kann, wobei besonders die Kausal-Definitionen von Nutzen sind. A posteriori dagegen wird die Möglichkeit eines Dinges erkannt, wenn man auf dem Wege der Erfahrung findet, daß das Ding tatsächlich besteht, denn das, was tatsächlich besteht, ist auf alle Fälle möglich. Sobald man eine angemessene Erkenntnis hat, hat man auch die Erkenntnis der Möglichkeit a priori, denn wenn bei völliger Durchführung der Analyse kein Widerspruch zutage tritt, so ist der Begriff unter allen Umständen möglich. Ob aber von den Menschen jemals eine vollkommene Analyse der Begriffe ausgeführt werden kann oder ob der Mensch seine Vorstellungen auf die ersten Möglichkeiten und unauflösbaren Begriffe oder (was dasselbe ist) auf die unbedingten Eigenschaften Gottes, nämlich die ersten Ursachen und den letzten Grund der Dinge zurückführen könne, das wage ich für jetzt nicht zu entscheiden. Meistens ist man zufrieden, wenn man die Wirklichkeit gewisser Begriffe durch die Erfahrung kennengelernt hat, woraus man dann nach dem Beispiele der Natur andere bildet.
Hieraus wird man endlich meines Erachtens entnehmen können, daß man sich nicht immer mit Sicherheit auf die Ideen berufen kann und daß viele dies schöne Aushängeschild zur Begründung ihrer Erdichtungen mißbrauchen, denn, wie ich oben an dem Beispiele mit der größten Geschwindigkeit gezeigt habe, man hat nicht sogleich die Ideen von der Sache, die man sich zu denken sich bewußt ist. Auch sehe ich, daß man zu unserer Zeit nicht minder mit dem vielgebrauchten Grundsatz Mißbrauch treibt: Was man klar und deutlich von einer Sache weiß, das ist wahr und kann von derselben ausgesagt werden; denn dem unbesonnen urteilenden Menschen erscheint oft klar und deutlich, was dunkel und verworren ist. Daher ist dies Axiom nutzlos, wenn nicht die Kennzeichen des Klaren und des Deutlichen dabei benutzt werden und wenn nicht die Wahrheit der Ideen feststeht. Das in Rede stehende Prinzip ist das bekannte Descartessche Kriterium der Wahrheit. Leibniz sucht der Unzulänglichkeit desselben durch seine Definitionen der Ausdrücke klar und deutlich abzuhelfen, aber auch damit ist nicht das geringste gewonnen, denn eine Vorstellung kann durchaus deutlich, d. h., von andern unterscheidbar und in ihre Merkmale zerlegbar sein (wie z. B. die des Pegasus), ohne daß damit ein Anhalt für ihre Wahrheit, d. h., die Wirklichkeit ihres Inhalts gegeben wäre. Überdies sind als Kennzeichen der Wahrheit der Aussagen auch die Regeln der gewöhnlichen Logik nicht zu verachten, von denen auch die Geometer Gebrauch machen, so daß ihnen nämlich nichts für gewiß gilt, was nicht durch sorgfältige Prüfung oder sichern Beweis dargetan worden ist. Ein sicherer Beweis ist aber ein solcher, der die von der Logik vorgeschriebene Form hat, nicht etwa so, daß es dabei immer der schulmäßig geordneten Syllogismen bedürfte (wie Christian Herlin und Conrad Dasypodius sie zu den sechs ersten Büchern des Euklid geliefert haben), aber doch wenigstens so, daß die Begründung durch die Kraft der Form Schlußkraft gewinnt, wie man ja auch eine richtig durchgeführte Rechnung als Beispiel einer solchen Begründung in erforderter Form betrachten könnte. Daher darf kein notwendiger Vordersatz weggelassen werden und müssen alle Vordersätze entweder schon vorher bewiesen sein oder wenigstens als Hypothesen angenommen werden, in welchem Falle dann auch der Schluß nur ein hypothetischer ist. Wer diese Vorschriften sorgfältig beachtet, wird sich leicht vor trügerischen Ideen schützen. Ganz in Übereinstimmung damit sagt der scharfsinnige Pascal in der berühmten Abhandlung über das mathematische Genie (von der sich ein Bruchstück in dem vortrefflichen Werke des berühmten Antoine Arnauld über die Kunst zu denken findet), es sei Pflicht des Mathematikers, alle einigermaßen dunkeln Ausdrücke zu definieren und alle einigermaßen zweifelhaften Wahrheiten zu beweisen. Antoine Arnauld (1612-1694), von den Jansenisten der »große Arnauld« genannt, war ein Anhänger Descartes' und ein so hervorragendes Mitglied dieser Schule, daß die erwähnte Kunst zu denken, die er unter Mitwirkung Pascals und Nicoles verfaßte, für das beste Kartesianische Lehrbuch galt. Das Werk, das gewöhnlich unter der Bezeichnung der Logik von Port-Royal zitiert wird, erschien 1662 ohne den Namen des Verfassers unter dem Titel La Logique ou l'Art de penser. Eine spanische Übersetzung »Arte de pensar ó logica admirabile« kam 1759 in zwei Bänden in Madrid heraus, eine englische wurde 1851 von Thomas Spencer Baynes veröffentlicht. Eine deutsche Übertragung ist bis jetzt nicht erschienen. Leibniz stand während seines Aufenthaltes in Paris mit Arnauld in regem persönlichem Verkehr, der dann von 1676 bis 1690 durch einen ziemlich lebhaften Briefwechsel ersetzt wurde. Doch wäre zu wünschen, daß er die Grenzen angegeben hätte, über die hinaus ein Begriff oder eine Aussage nicht weiter »einigermaßen« dunkel oder zweifelhaft ist. Indessen kann das Angemessene hier bei genauer Erwägung des Gesagten ermittelt werden, denn nun werden wir uns der Kürze befleißigen.
Was die Streitfrage anlangt, ob wir alles in Gott schauen Es war dies die Lehre Malebranches, der Leibniz eine eigene Abhandlung gewidmet hat, s. Nr. XXV. Insbesondere vergleiche man hierzu die Anm. 196. (eine alte Anschauung, die, richtig verstanden, nicht gänzlich zu verwerfen ist) oder aber ob wir auch eigene Ideen haben, so muß man wissen, daß wir, wenn wir auch alles in Gott schauten, doch auch eigene Ideen haben müßten, d. h. nicht gleichsam gewisse Bilderchen, sondern Erregungen oder Veränderungen unseres Geistes, die dem entsprächen, was wir in Gott wahrnehmen würden: Denn beim Eintritt anderer Vorstellungen vollzieht sich in unserm Geiste eine gewisse Veränderung, während die Ideen der nicht wirklich von uns vorgestellten Dinge in unserm Geiste ist wie die Gestalt des Herkules im rohen Marmorblocke. In Gott muß aber notwendigerweise nicht bloß wirklich die Idee der unbedingten und unendlichen Ausdehnung, sondern auch die Idee jeder Gestalt bestehen, die ja nichts anderes ist als eine Modifikation der unbedingten Ausdehnung. Bei der Wahrnehmung von Farben oder Gerüchen haben wir übrigens keine andere Wahrnehmung als die von Figuren und Bewegungen, die jedoch so vielfältig und so klein sind, daß unser Geist in seinem gegenwärtigen Zustande nicht zur Betrachtung der einzelnen ausreicht und daher nicht inne wird, daß seine Wahrnehmung aus bloßen Wahrnehmungen kleinster Gestalten und Bewegungen zusammengesetzt ist, wie wir z. B. bei der Wahrnehmung der aus gelben und blauen Stäubchen zusammengemischten grünen Farbe nur Gelb und Blau in feinster Mischung wahrnehmen, wenn wir dessen auch nicht innewerden und uns vielmehr ein neues Ding vorstellen. Diese Anschauung Leibnizens ist bereits in Anm. 162 beleuchtet worden.