Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich nehme mir die Freiheit, mein Herr, Ihnen die vorliegende Erläuterung über die Schwierigkeiten zu übersenden, die Herr Bayle in der Hypothese aufgefunden hat, die von mir zur Erklärung der Verbindung zwischen Körper und Seele aufgestellt worden ist. Nichts kann verbindlicher sein als die Art und Weise, in der er sich in bezug auf mich geäußert hat, und ich fühle mich durch die Einwürfe geehrt, die von ihm im Artikel Rorarius seines Wörterbuchs aufgestellt sind. Zudem konnte ein so tiefer und gründlicher Geist, wie der seine, dies nicht tun, ohne zugleich zu belehren, und ich werde die lichtvollen Bemerkungen zu benutzen suchen, die er an dieser Stelle wie an andern Orten seines Werkes über den berührten Gegenstand ausgesprochen hat. Er verwirft nicht, was ich über die Erhaltung der Seele und selbst des Tieres gesagt hatte, ist aber, wie es scheint, noch nicht mit der Weise zufrieden, in der ich im Journal des Savans vom 27. Juni und 4. Juli 1695 und in der Histoire des Ouvrages des Savans vom Februar 1696 D. h. im Neuen System und in der Zweiten Erläuterung des Neuen Systems, Nr. III und Nr. VI unserer Übersetzung. die Verbindung und den Verkehr zwischen Seele und Körper zu erklären suchte.
Hier seine eigenen Worte, die den Punkt zu bezeichnen scheinen, wo ihm Schwierigkeiten aufgestoßen sind: Ich kann nicht begreifen, sagt er, wie die Verknüpfung innerer, freiwilliger Handlungen es zustande bringen sollte, daß die Seele eines Hundes, unmittelbar nachdem sie Freude empfunden hat, Schmerz empfände, selbst wenn sie ganz allein im Universum wäre. Darauf erwidere ich, daß ich, als ich sagte, die Seele würde alles empfinden, was sie jetzt empfindet, selbst wenn nur Gott und sie in der Welt wären, mich eben nur einer Fiktion bediente, indem ich etwas annahm, was auf natürliche Weise niemals eintreten kann, um dadurch anzudeuten, daß die Empfindungen und Gedanken der Seele nur eine Folge von dem sind, was bereits in ihr ist. Auch hier verkennt Leibniz den Schwerpunkt dieses schon von Foucher (S. 32) vorgebrachten Einwurfs. Über das Wesen der Fiktion als solcher können Foucher und Bayle unmöglich im Zweifel gewesen sein, sie betonten dieselbe also nur als schlagendste Illustration der sich aus der vorherbestimmten Harmonie ergebenden Überflüssigkeit der Körperwelt. Der Einwurf bezieht sich also gar nicht auf die tatsächliche Unmöglichkeit der Fiktion, sondern darauf, daß die Körper sind, während nach der Leibnizschen Hypothese kein Grund oder Zweck dieses Daseins angegeben werden kann. Nun könnte Leibniz allerdings geltend machen, daß die Vorstellungen der Seele erst durch das Sein der Körperwelt ihre gegenständliche Wahrheit erhalten, da aber die Seele völlig von den Körpern unabhängig ist, so ist diese gegenständliche Wahrheit ihrer Vorstellungen durchaus überflüssig und um so unbegreiflicher, da es nach Leibniz keine unnützen Substanzen geben kann. Vgl. Anm. 49. Ich weiß nicht, ob der Beweis für die Unbegreiflichkeit, die Herr Bayle in jener Verknüpfung findet, einzig in dem gesucht werden soll, was er weiter unten sagt, oder ob er denselben gleich von vornherein durch das Beispiel des freiwilligen Übergangs von der Freude zum Schmerz hat andeuten wollen, indem er vielleicht zu verstehen geben wollte, daß dieser Übergang dem Axiome widerspricht, demzufolge ein Ding immer in dem Zustande verharrt, in welchem es sich einmal befindet, wenn nicht ein Umstand eintritt, der es zum Wechsel nötigt, und daß also das Tier, wenn es einmal Lust empfindet, dieselbe immer empfinden wird, sofern es allein ist oder nichts Äußeres das Übergehen zum Schmerze bewirkt. Wie dem aber auch sein mag, auf jeden Fall stimme ich jenem Axiome bei und behaupte sogar, daß es zu meinen Gunsten spricht, wie es denn in der Tat eine meiner Hauptstützen bildet. Schließen wir in der Tat nicht nach diesem Axiome, nicht bloß, daß ein ruhender Körper immer im Zustande der Ruhe bleiben, sondern auch, daß ein sich bewegender Körper immer diese Bewegung oder diese Veränderung, d. h. dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Richtung beibehalten wird, wenn kein Umstand eintritt, der ihn hindert? Demnach bleibt also ein Ding, soweit das von ihm abhängt, nicht bloß in dem Zustande, in welchem es sich befindet, sondern fährt auch, wenn dieser Zustand ein Zustand der Veränderung ist, immer demselben Gesetze gemäß in der Veränderung fort. Nun liegt es aber meines Erachtens in der Natur der geschaffenen Substanz, sich stetig zu verändern, und zwar nach einer gewissen Ordnung, durch welche sie selbsttätigerweise (wenn ich mich dieses Wortes bedienen darf) durch alle die Zustände geführt wird, die ihr begegnen sollen, so daß der, welcher alles sieht, in ihrem gegenwärtigen Zustande alle ihre vergangenen und künftigen Zustände sieht. Dieses Gesetz der Ordnung aber, welches die Individualität jeder besondern Substanz begründet, steht in genauer Beziehung zu dem, was in jeder andern Substanz und im gesamten Universum geschieht. Vielleicht ist es keine zu kühne Behauptung von mir, wenn ich sage, daß ich alles das zu beweisen vermag, für jetzt aber handelt es sich nur darum, es als eine mögliche und zur Erklärung der Erscheinungen geeignete Hypothese aufrechtzuerhalten. Danach führt nun das Gesetz für die Veränderung der Substanz des Geschöpfes dasselbe in obiger Weise in dem Augenblicke, wo eine Unterbrechung der Stetigkeit in seinem Körper erfolgt, von der Freude zum Schmerz, weil es in dem Gesetze der unteilbaren Substanz dieses Geschöpfes liegt, alles vorzustellen, was in seinem Körper in der Weise vorgeht, daß wir es empfinden, ja sogar in gewisser Weise und in bezug auf diesen Körper alles vorzustellen, was in der Welt geschieht, da die substantiellen Einheiten nichts anderes sind als verschiedene Konzentrationen des Universums, das nach den verschiedenen Gesichtspunkten vorgestellt wird, durch welche sich jene Einheiten voneinander unterscheiden. Leibniz liebt es, Gesetzen, die nur für bestimmte Fälle bewiesen sind und Geltung haben, ohne weiteres auf andere Fälle zu übertragen, ohne sich auf einen Beweis einzulassen. So überträgt er hier das Gesetz der Beharrlichkeit, das nur für die räumlichen Verhältnisse eines Dinges und deren Veränderung gilt (s. Anm. 27), ohne weiteres auf alle Veränderungen überhaupt, um daraus den Wechsel in den Vorstellungen der Seele zu erklären, obschon weder bei den Seelen noch bei den Vorstellungen von räumlichen Verhältnissen die Rede sein kann.
Ich begreife wohl, fährt Herr Bayle fort, warum ein Hund unmittelbar von der Lust zum Schmerze übergeht, sobald man dem ausgehungerten, der eben ein Stück Brot verzehrt, plötzlich einen Stockstreich versetzt. Ich weiß nicht, ob man das hinlänglich begreift. Niemand weiß besser als Herr Bayle selbst, daß die große Schwierigkeit, die es zu erklären gilt, eben darin besteht, weshalb das, was im Körper vorgeht, eine Veränderung in der Seele bewirkt, und daß gerade diese Tatsache die Verteidiger der Gelegenheitsursachen gezwungen hat, die Sorgwaltung zu Hilfe zu rufen, mit der Gott sich nach ihrer Ansicht bemühen soll, der Seele beständig die Veränderungen vorzustellen, die sich in ihrem Körper vollziehen, während ich dagegen glaube, daß es in der ihr von Gott verliehenen Natur der Seele selbst liegt, sich vermöge ihrer eigenen Gesetze das vorzustellen, was in den Organen geschieht. Herr Bayle fährt dann fort:
Aber daß seine Seele derart eingerichtet sei, daß er in dem Augenblicke, wo er geschlagen wird, Schmerz empfinden würde, selbst wenn man ihn nicht schlüge, selbst wenn er ohne Störung und Behinderung an seinem Brote weiterfräße, das vermag ich durchaus nicht zu begreifen. Das entsinne ich mich auch nicht behauptet zu haben, und man kann es auch nur in metaphysischer Fiktion sagen, wie wenn man annimmt, daß Gott irgendeinen Körper vernichte, um ein Leeres zu schaffen, da das eine wie das andere der Ordnung der Dinge widerstreitet. Denn da die Natur der Seele bei Anbeginn in einer zur aufeinanderfolgenden Vorstellung der Veränderungen des Stoffes geeigneten Weise gebildet worden ist, so kann der angenommene Fall in der natürlichen Ordnung nicht eintreten. Gott konnte jeder Substanz ihre Erscheinungen unabhängig von denen jeder andern Substanz geben, allein auf diese Weise würde er sozusagen eben so viele Welten ohne Zusammenhang geschaffen haben, als es Substanzen gibt, ungefähr wie gesagt wird, daß man, wenn man träumt, in seiner besondern Welt sei, und daß man in die gemeinsame Welt eintrete, wenn man erwacht. Allerdings haben auch die Träume eine Beziehung zu den Organen und den andern Teilen des Körpers, aber in einer weniger deutlichen Weise. Wie schon in Anm. 46 dargetan worden, handelt es sich bei diesem Einwurfe gegen das System der vorherbestimmten Harmonie nicht um die Ursache der Übereinstimmung zwischen den Bewegungen des Körpers und den Vorstellungen der Seele, sondern um den Grund derselben. Die Ursache ist der Beschluß Gottes, der Grund aber ist nach der Leibnizschen Hypothese völlig unfindlich, denn danach könnten die Seelen ganz wohl ohne die Körper bestehen, ohne daß der Gottesstaat die geringste Einbuße erlitte. Einen grundlosen Beschluß Gottes anzunehmen ist aber unstatthaft, wie Leibniz selbst anerkennt, indem er begründet, weshalb Gott nicht jeder Monade sozusagen eine eigene Welt geschaffen habe. Fahren wir mit Herrn Bayle fort.
Ich finde auch, sagt er, die Selbstbestimmung dieser Seele mit den Schmerzgefühlen und überhaupt allen Vorstellungen, die ihr mißbehagen, sehr wenig verträglich. Diese Unverträglichkeit würde unzweifelhaft vorhanden sein, wenn selbstbestimmt und freiwillig ein und dasselbe wäre. Alles Freiwillige ist selbstbestimmt, aber es gibt selbstbestimmte Handlungen, bei denen keine Wahl besteht und die folglich nicht freiwillig sind. Es hängt nicht von der Seele ab, sich immer die Empfindungen zu geben, die ihr behagen, weil die Empfindungen, welche sie haben wird, abhängig sind von denen, die sie gehabt hat. Schon nach dem von Leibniz aufgestellten Gesetze der Stetigkeit (s. Anm. 2) ist ein plötzlicher Übergang von Lust in Schmerz unmöglich, völlig unbegreiflich aber wird derselbe, wenn wirklich die neue Vorstellung der Seelenmonade von der frühern abhängig ist, da der Übergang in diesem Falle ein durch nichts motivierter Sprung von einem Extrem ins andere sein würde. Siehe Bayles zweite Kritik § VI (Nr. X, S. 66 f.). Die Ausdrücke Selbstbestimmung (spontanéité) und selbstbestimmt (spontané) sind augenscheinlich ohne Rücksicht auf ihre sonst übliche Bedeutung von Leibniz nur gewählt worden, um den Gegensatz seines Systems zum Systeme der Okkasionalisten zu markieren, nach welchem die Verrichtungen der Seele in jedem Augenblicke von Gott hervorgebracht oder bestimmt (déterminé) werden. Selbstbestimmt heißt daher bei ihm eine Handlung, die aus dem eigenen Vermögen des Handelnden erfolgt, ohne daß ein Entschluß dazu erforderlich wäre, und Selbstbestimmung bezeichnet demgemäß bei ihm nur das Vermögen der Tätigkeit infolge eigener innewohnender Kraft und ohne eine von außen kommende Veranlassung. In diesem Sinne kann natürlich auch einer einmal aufgezogenen und in Gang gesetzten Uhr während der Dauer ihrer Tätigkeit Selbstbestimmung zugesprochen werden. Dem Leibnizschen Begriffe des Wortes spontanéité würde der Ausdruck Selbsttätigkeit (statt Selbstbestimmung) mehr entsprechen, dadurch fiele aber der Doppelsinn weg, der vielleicht sogar in der Absicht des Philosophen lag.
Übrigens, fährt Herr Bayle fort, scheint mir der Grund, weshalb dieser tüchtige Mann nicht dem Systeme der Cartesianer beipflichtet, auf einer falschen Voraussetzung zu beruhen, denn man kann durchaus nicht behaupten, daß das System der Gelegenheitsursachen die göttliche Tätigkeit auf dem Wege des Wunders (Deus ex machina) bei der wechselseitigen Abhängigkeit des Körpers und der Seele eingreifen lasse: denn da Gott nur den allgemeinen Gesetzen gemäß eingreift, so wirkt er hier durchaus nicht auf außergewöhnlichem Wege. Es ist dies nicht der einzige Grund, weshalb ich nicht dem cartesianischen Systeme beipflichte, und wenn man das meine ein wenig näher ins Auge faßt, so sieht man wohl, daß ich in ihm selbst das finde, was mich bestimmt, mich zu ihm zu bekennen. Wenn übrigens auch die Hypothese der Gelegenheitsursachen keine Wunder erforderte, so scheint mir doch meine eigene Hypothese noch andere Vorzüge zu besitzen. Ich habe gesagt, man könne zur Erklärung des Verkehrs, den man zwischen der Seele und dem Körper wahrzunehmen glaubt, drei Systeme aufstellen, nämlich
1. das System der Einwirkung beider Substanzen aufeinander, das in den Schulen gelehrt wird und das ich, im gewöhnlichen Sinne genommen, mit den Cartesianern für unmöglich halte;
2. das System eines beständigen Überwachers, der in der einen Substanz vorstellt, was in der andern geschieht, ungefähr wie wenn ein Mensch immerfort zwei schlechte Uhren, die von selbst nie imstande wären, die Übereinstimmung miteinander zu erreichen, in Übereinstimmung zu erhalten hätte – das ist das System der Gelegenheitsursachen; und
3. das System der natürlichen Übereinstimmung beider Substanzen, so wie dieselbe zwischen zwei mit größter Sorgfalt gearbeiteten Uhren bestehen würde; und eben dies finde ich ebenso möglich wie das System des beständigen Überwachers und dabei des Urhebers jener Substanzen, Uhren oder Automaten würdiger. Sehen wir indessen einmal nach, ob das System der Gelegenheitsursachen in der Tat kein beständiges Wunder voraussetzt. Man verneint dies, weil Gott diesem Systeme zufolge nur nach allgemeinen Gesetzen handeln würde. Das gebe ich zu, allein meiner Meinung nach genügt das nicht, um die Wunder zu beseitigen: Wenn Gott deren auch fortwährend verrichtete, so würden es nichtsdestoweniger Wunder bleiben, sobald man nur das Wort nicht im volkstümlichen Sinne als Bezeichnung für eine seltene und Verwunderung erregende Sache, sondern im philosophischen Sinne als Bezeichnung für das nimmt, was die Kräfte der Geschöpfe übersteigt. Es reicht nicht hin, wenn man sagt, daß Gott ein allgemeines Gesetz für dies oder jenes aufgestellt habe, denn neben dem Beschlusse bedarf es noch eines natürlichen Mittels zur Ausführung desselben, d. h. das, was geschieht, muß aus der von Gott den Dingen verliehenen Natur erklärt werden können. Die Naturgesetze sind nicht so willkürlich und gleichgültig, wie verschiedene Leute meinen. Wenn Gott z. B. bestimmte, alle Körper sollten sich im Kreise bewegen und die Radien der Kreise sollten im Verhältnis zu der Größe der Körper stehen, so würde man angeben müssen, daß es ein Mittel gäbe, dies durch einfachere Gesetze zu bewirken, oder man wird einräumen müssen, daß Gott es durch Wunder oder wenigstens durch Engel bewirken wird, die ausdrücklich mit dieser Mühewaltung beauftragt sind, ungefähr wie jene, die man ehemals für die Bewegung der Himmelssphären annahm. Ganz das nämliche würde der Fall sein, wenn jemand behauptete, Gott habe den Körpern eine natürliche und ursprüngliche Schwere verliehen, vermöge deren jeder nach dem Mittelpunkte seines Weltballs strebe, ohne von andern Körpern getrieben zu werden, denn meines Erachtens würde dieses System eines ununterbrochenen Wunders oder wenigstens der Beihilfe der Engel bedürfen. Das Gesetz der Gravitation, dessen Ausführung Leibniz nur durch Wunder für möglich hielt, gilt jetzt so allgemein für eine natürliche, auf dem Wesen der Dinge beruhende Sache, daß schon aus diesem Beispiele die Unzulänglichkeit der Leibnizschen Definition des Wunders erhellt. Indem der Philosoph die Grenze des Begriffs nach den Kräften der Geschöpfe oder der Natur der Dinge bestimmt, macht er sie von der Erkenntnis des Einzelnen abhängig und somit zweifelhaft, denn jene Kräfte sind weder völlig noch gleichmäßig bekannt, und die Grenze des Begriffs würde demnach von dem einen weiter, von dem andern enger gezogen werden, je nach dem Maße des Wissens der betreffenden Individuen. Die Unerklärlichkeit eines Vorgangs kann überhaupt nie Ursache sein, diesen Vorgang ein Wunder zu nennen, vielmehr fällt er erst dann in die Klasse derselben, wenn man ihm eine übernatürliche Ursache zugrunde legt; daher können auch ganz natürliche Vorkommnisse unter den Begriff des Wunders geraten, sobald man sie nämlich von einer übernatürlichen Ursache herleitet. Die Behauptung Bayles, das beständige Eingreifen Gottes zur Erzielung der Übereinstimmung zwischen Seele und Körper sei kein Wunder, ist demgemäß ebenfalls unzutreffend, denn dies Eingreifen gehört allerdings ins Gebiet des Übernatürlichen. Diesen Grund konnte aber Leibniz dem Antagonisten nicht entgegenhalten, weil auch bei ihm die Ursache der Übereinstimmung eine übernatürliche ist. Vgl. Anm. 59.
Kennt die innere tätige Kraft, welche den Formen der Körper mitgeteilt worden, die Folge der Handlungen, welche sie hervorbringen soll? Durchaus nicht, denn wir wissen aus Erfahrung, daß wir nicht wissen, ob wir binnen einer Stunde diese oder jene Vorstellung haben werden. Darauf erwidere ich, daß diese Kraft oder vielmehr diese Seele oder Form dieselben zwar nicht deutlich kennt, aber sie doch verworren wahrnimmt. In jeder Substanz gibt es Spuren alles dessen, was ihr geschehen ist und geschehen wird. Die unendliche Menge dieser Vorstellungen aber hindert uns, dieselben deutlich zu unterscheiden, so wie man beim Anhören des lauten, verworrenen Lärms einer großen Volksmenge keine Stimme von der andern zu unterscheiden vermag. Hier treten zum ersten Male die petites perceptions, die kleinen oder verworrenen Vorstellungen auf, die in der weitern Ausbildung des Systems eine so bedeutende Rolle spielen. Aus dem Umstande, daß Leibniz diese Erweiterung seiner Lehre hier weder näher entwickelt noch auch nur den Schatten eines Beweises dafür beizubringen sucht, läßt sich schließen, daß er selbst noch nicht hinlänglich mit derselben vertraut war und daß einzig der Einwurf Bayles ihn auf diese Hypothese gebracht hat. Für eine wirkliche Beseitigung des Einwurfs kann dieselbe schon wegen des Mangels jedes Beweises nicht gelten, ganz abgesehen von den Bedenken, die sich im übrigen dagegen erheben lassen; s. Anm. 73.
Die Formen, fährt Herr Bayle fort, müßten also durch irgendein äußeres Prinzip bei der Hervorbringung ihrer Handlungen geleitet werden. Würde das aber nicht der Deus ex machina sein, ganz wie im System der Gelegenheitsursachen? Die eben gegebene Antwort beseitigt diese Folgerung. Im Gegenteil ist der gegenwärtige Zustand jeder Substanz die natürliche Folge ihres vorhergehenden Zustandes, aber nur ein unendlicher Verstand vermag diese Folge zu erkennen, denn dieselbe umfaßt das Universum sowohl in den Seelen wie in jedem Teile der Materie. Da die »eben gegebene Antwort« nichts weniger als überzeugend ist (s. Anm. 52), so ist natürlich auch diese kurze Abfertigung unzureichend. -- Der in seiner Knappheit etwas dunkle Kausalsatz soll besagen: Bei der Festsetzung der Folge der Vorstellungen der Seele hat Gott gleichzeitig alle Vorstellungen und Vorgänge in den übrigen Monaden des ganzen Universums berücksichtigt – daher umfaßt diese Folge das ganze Universum und kann nur von einem unendlichen Verstände übersehen werden.
Herr Bayle schließt mit folgenden Worten: Endlich kann man, da Herr Leibniz die Seelen mit vielem Rechte für einfach und unteilbar hält, nicht begreifen, wie dieselben mit einer Uhr verglichen werden können, d. h., wie sie vermöge ihrer ursprünglichen Beschaffenheit ihre Verrichtungen auf mannigfache Art verändern können, indem sie sich der selbstbestimmten Tätigkeit bedienen, die sie von ihrem Schöpfer empfangen haben. Man sieht klar und deutlich ein, daß ein einfaches Wesen immer gleichförmig handeln wird, wenn keine fremde Ursache es von seiner Bahn ablenkt. Wäre es aus mehreren Stücken zusammengesetzt wie eine Maschine, so würde es auf mannigfache Weise handeln, weil die besondere Tätigkeit jedes einzelnen Teils in jedem Augenblicke den Gang der Tätigkeit der andern Teile verändern könnte – worin aber soll man bei einer einfachen Substanz die Ursache für die Veränderung der Verrichtung suchen? Dieser Einwurf ist des Herrn Bayle würdig und gehört zu denen, welche eine Erläuterung am meisten verdienen. Allein ich meine, hätte ich dem nicht gleich von vornherein vorgesehen, so würde mein System gar nicht der Prüfung wert sein. Ich habe die Seele mit einer Uhr nur hinsichtlich der geregelten Genauigkeit der Veränderungen verglichen, die selbst bei den besten Uhren nur unvollkommen, bei den Werken Gottes aber vollkommen ist; und man darf sagen, daß die Seele ein höchst genau gefertigter, unkörperlicher Automat ist. Wenn oben gesagt wird, ein einfaches Wesen werde immer gleichförmig handeln, so ist dabei ein Unterschied zu machen: wenn gleichförmig handeln soviel bedeutet als beständig ein und demselben Gesetze der Ordnung oder Fortsetzung folgen wie bei einer gewissen Zahlenreihe oder -folge, so räume ich ein, daß jedes einfache und sogar jedes zusammengesetzte Wesen von selbst gleichförmig handelt; soll gleichförmig aber soviel heißen wie ähnlich, so lasse ich jene Behauptung nicht gelten. Hier ein Beispiel zur Erläuterung dieses Unterschiedes: eine parabolische Bewegung ist gleichförmig im ersten Sinne, nicht aber im zweiten, da die Teile der parabolischen Linie nicht unter sich ähnlich sind wie die Teile der geraden Linie. Allerdings beschreibt (im Vorbeigehen gesagt) ein einfacher, sich selbst überlassener Körper immer nur gerade Linien, wenn man nur das Zentrum ins Auge faßt, das die Bewegung des ganzen Körpers vorstellt; da aber ein einfacher und starrer Körper, wenn er einmal eine Wirbelung oder Drehung um seinen Mittelpunkt empfangen hat, dieselbe in demselben Sinne und mit derselben Geschwindigkeit beibehält, so erhellt, daß ein sich selbst überlassener Körper vermittelst seiner vom Zentrum entfernten Punkte kreisförmige Linien, wenn das Zentrum ruht, und sogar gewisse Vierungslinien, wenn das Zentrum sich in Bewegung befindet, beschreiben kann, Vierungslinien, die zur Ordinate die Linie haben werden, welche sich aus der vom Zentrum durchlaufenen Geraden und dem Sinus zusammensetzt, dessen Sinus versus die Abszisse ist, indem der sich drehende Punkt an der Peripherie liegt, da jene Gerade eine gegebene ist. Ein Bild von der hier beschriebenen Bewegung eines Körpers bietet die Mondbahn in ihrem Verhältnis zur Erdbahn, wie sie sich in den Handbüchern der Astronomie und einigen populären Atlanten dargestellt findet. Auch muß beachtet werden, daß die Seele, so einfach sie ist, doch immer eine gleichzeitig aus mehreren Vorstellungen zusammengesetzte Empfindung hat, was für unsern Zweck dieselbe Wirkung tut, als wenn sie aus Stücken zusammengesetzt wäre wie eine Maschine. Denn jede vorhergehende Vorstellung hat gemäß einem Gesetze der Ordnung, das für die Vorstellungen wie für die Bewegungen gilt, Einfluß auf die folgenden. Auch geben seit mehreren Jahrhunderten die meisten Philosophen, die den Seelen und den Engeln, die sie für völlig körperlos halten, Gedanken zuschreiben (der rein geistigen Wesen des Aristoteles gar nicht zu gedenken), eine selbstbestimmte Veränderung in einem einfachen Wesen zu. Ich füge noch hinzu, daß die Vorstellungen, welche sich gleichzeitig zusammen in ein und derselben Seele befinden, eine wahrhaft unendliche Menge von kleinen, ununterscheidbaren Empfindungen enthalten, welche die Folge zur Entwicklung bringen soll, und daß man sich daher nicht über die unendliche Mannigfaltigkeit dessen wundern darf, was mit der Zeit daraus entstehen soll. Alles das ist nur eine Folge der vorstellenden Natur der Seele, die infolge des Zusammenhangs oder der Verbindung aller Teile der Welt das, was in ihrem Körper und in gewisser Weise in allen andern Körpern vorgeht, und sogar das, was vorgehen wird, abspiegeln muß. Vielleicht hätte die Bemerkung hingereicht, daß Gott, da er körperliche Atome geschaffen habe, auch wohl unkörperliche geschaffen haben könne, welche die erstern vorstellen, aber ich meinte, es würde gut sein, etwas näher auf die Sache einzugehen. Gegen diese Ausführung macht Bayle (Zweite Kritik § VIII) mit Recht geltend, daß es der Seele an Instrumenten zur selbstbestimmten Veränderung der Vorstellungen fehle; s. Anm. 73.
Übrigens habe ich mit Vergnügen gelesen, was Herr Bayle im Artikel Zenon sagt. Das Folgende bezieht sich auf die remarques F, G und I des Artikels Zenon d'Elée des Bayleschen Dictionnaire, in denen Bayle die Begriffe der Ausdehnung und der Bewegung erörtert. Vielleicht wird er innewerden, daß die Folgerungen daraus besser mit meinem Systeme harmonieren als mit jedem andern, denn das Wirkliche an der Ausdehnung und an der Bewegung besteht nur in der Begründung der Ordnung und der geregelten Folge der Erscheinungen und der Vorstellungen. Sowohl die Akademiker und Skeptiker wie ihre Gegner scheinen hauptsächlich nur deshalb in Verlegenheit geraten zu sein, weil sie in den sinnlichen Außendingen eine größere Wirklichkeit als die geregelter Erscheinungen suchten. Wir machen uns einen Begriff von der Ausdehnung, indem wir uns einen Begriff von einer Ordnung bei den gleichzeitig bestehenden Dingen machen; in der Weise einer Substanz aber dürfen wir sie uns so wenig vorstellen wie den Raum. Es verhält sich damit gerade wie mit der Zeit, die dem Geiste nur eine Ordnung in den Veränderungen vorstellt. Und was die Bewegung anlangt, so ist das darin enthaltene Wirkliche nur die Kraft oder das Vermögen, d. h. etwas, das im gegenwärtigen Zustande enthalten ist, der eine Veränderung für die Zukunft in sich trägt. Über die Auffassung der Bewegung als Folge einer den Körpern innewohnenden Kraft vgl. Anm. 26. Alles übrige ist nur Erscheinung und Beziehung. Die nähere Erwägung meines Systems zeigt auch, daß sich, wenn man den Dingen auf den Grund geht, bei der Mehrzahl der philosophischen Sekten mehr Vernunft findet, als man glaubte. Die geringe substantielle Wirklichkeit der sinnlichen Dinge bei den Skeptikern, die Zurückführung aller Dinge auf Harmonien oder Zahlen, Ideen oder Vorstellungen bei den Pythagoräern und Platonikern, das eine und zugleich alles ohne jeden Spinozismus bei Parmenides und Plotin, die mit der Selbstbestimmung der andern verträgliche Verknüpfung der Stoiker, die Philosophie des Lebendigen der Kabbalisten und Hermetiker, die allen Dingen Empfindung beilegen, die Formen und Entelechien des Aristoteles und der Scholastiker und im Gegensatze dazu die mechanische Erklärung aller einzelnen Erscheinungen nach Demokrit und den Neuern usw. – alles dies findet sich gleichsam in ein perspektivisches Zentrum vereinigt, von wo aus der Gegenstand, der beim Anblick von jedem andern Orte aus verworren erscheint, seine Regelmäßigkeit und die Angemessenheit seiner Teile erkennen läßt. Man hat aus Sektengeist gefehlt, indem man sich durch Verwerfung der übrigen Systeme Schranken setzte. Die formalistischen Philosophen tadeln die materialistischen oder Korpuskularphilosophen, und umgekehrt. Man zieht sowohl der Einteilung und Feinheit wie dem Reichtum und der Schönheit der Natur übel angebrachte Grenzen, wenn man Atome und Leeres annimmt, wenn man – wie selbst die Cartesianer – sich gewisse erste Elemente statt der wahrhaften Einheiten vorstellt und wenn man nicht in allem das Unendliche und im Kleinsten den genauen Ausdruck des Größten in Verbindung mit dem Streben eines jeden Dings anerkennt, sich in einer vollkommenen Stufenfolge zu entwickeln, was die bewunderungswürdigste und schönste Wirkung des höchsten Prinzips ist, dessen Weisheit denen, welche die Einrichtung des Ganzen zu erfassen vermöchten, nichts Besseres zu wünschen übriglassen würde.