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XV. Die Monadologie

1. Die Monade, von der hier die Rede sein wird, ist nichts anderes als eine einfache Substanz, die in den zusammengesetzten enthalten ist. Einfach bedeutet ohne Teile. Vgl. Theodizee B. § 10.

2. Einfache Substanzen muß es geben, weil es zusammengesetzte gibt. Denn das Zusammengesetzte ist nur eine Anhäufung oder ein aggregatum aus dem Einfachen.

3. Wo nun aber keine Teile vorhanden sind, gibt es auch keine Ausdehnung, keine Gestalt und keine mögliche Teilbarkeit. Diese Monaden sind die wahrhaften Atome der Natur und mit einem Wort: die Elemente der Dinge. Wenn, wie in Anm. 101 zu zeigen versucht wurde, das Dasein des Zusammengesetzten kein Argument für die Notwendigkeit des Daseins des absolut Einfachen abgibt, so kommt natürlich auch die hier aus der unbedingten Einfachheit gefolgerte Unräumlichkeit der Monade als nicht erwiesen und erweisbar in Wegfall.

4. Es steht auch keine Auflösung bei ihnen zu fürchten, und es gibt keine begreifliche Weise, in der eine einfache Substanz auf natürlichem Wege untergehen könnte. Theodizee B. § 89.

5. Aus demselben Grunde gibt es auch keine begreifliche Weise, in der eine einfache Substanz auf natürlichem Wege beginnen könnte, da sie durch Zusammensetzung nicht gebildet werden kann.

6. Man darf daher behaupten, daß die Monaden nur mit einem Schlage beginnen und enden können, d. h., daß sie nur durch Erschaffung beginnen und nur durch Vernichtung enden können, während das Zusammengesetzte aus Teilen entsteht und in Teile vergeht.

7. Auch läßt sich durch kein Mittel erklären, wie eine Monade in ihrem Innern durch ein anderes erschaffenes Ding beeinflußt oder verändert werden kann, da man weder etwas in sie übertragen noch sich in ihr eine innere Bewegung vorstellen kann, welche da drinnen erweckt, geleitet, vermehrt oder vermindert werden könnte, wie das bei den zusammengesetzten Substanzen möglich ist, wo eine Veränderung zwischen den Teilen stattfindet. Die Monaden haben keine Fenster, durch welche etwas ein- oder austreten könnte. Die Akzidenzen vermögen sich nicht von den Substanzen abzulösen und sich außerhalb derselben zu ergehen, wie das vorzeiten die sinnfälligen Eigenschaften der Scholastiker taten. Daher kann weder eine Substanz noch ein Akzidenz von außen in die Seele eintreten. Bei der Unkörperlichkeit der Monade ist allerdings das Eintreten eines Räumlichen in dieselbe nicht denkbar. Da aber die Monade in ihrem Innern Begehrungstriebe und Vorstellungen enthält, so ist die Möglichkeit des Eintretens unräumlicher Dinge in dies Innere keineswegs ausgeschlossen, denn in diesem Falle ersetzen die Triebe und Vorstellungen die Teile, zwischen denen eine Veränderung stattfinden kann.

8. Indessen müssen die Monaden einige Eigenschaften haben, denn sonst würden sie nicht einmal seiende Dinge sein. Und wenn die einfachen Substanzen sich nicht durch ihre Eigenschaften unterschieden, so wäre kein Mittel vorhanden, eine Veränderung an den Dingen wahrzunehmen, da der Inhalt des Zusammengesetzten nur von den einfachen Bestandteilen kommen kann, die Monaden aber, wenn sie keine Eigenschaften hätten, nicht voneinander unterschieden werden könnten, da sie sich auch in der Größe nicht voneinander unterscheiden: demzufolge würde, wenn man die Angefülltheit des Raumes annimmt, jeder Ort bei der Bewegung der Substanzen nur den Ersatz für das erhalten, was er vorher hatte, und somit würde kein Zustand der Dinge vom andern zu unterscheiden sein.

9. Es muß sogar jede einzelne Monade von jeder andern verschieden sein. Denn nie bestehen in der Natur zwei Dinge, die vollkommen einander gleich sind und bei denen es unmöglich wäre, einen innern oder einen auf einer innern Benennung beruhenden Unterschied aufzufinden. Es ist dies das sogenannte Prinzip des Nichtzuunterscheidenden (principium indiscernibilium) oder der Individuation, das Leibniz im fünften Briefe an Clarke (§ 21, Erdmann, S. 765) folgendermaßen entwickelt: »Ich folgere aus dem Prinzip des zureichenden Grundes unter anderm, daß es in der Natur nicht zwei wirkliche Dinge gibt, die gar nicht unterschieden werden könnten, denn wenn es deren gäbe, so würden Gott und die Natur ohne Grund handeln, wenn sie das eine anders behandelten als das andere, und demnach bringt Gott nicht zwei vollkommen gleiche und ähnliche Teile des Stoffes hervor.«

10. Ich nehme auch für zugestanden an, daß jedes geschaffene Ding, und folglich auch die geschaffene Monade, der Veränderung unterliegt, und sogar, daß diese Veränderung bei jeder Monade immerwährend stattfindet.

11. Aus dem Gesagten erhellt, daß die natürlichen Veränderungen der Monade einem innern Prinzipe entspringen, da eine äußere Ursache nicht auf ihr Inneres einwirken kann. Theodizee B. § 396, 400.

12. Neben dem Prinzipe der Veränderung muß es aber auch noch ein Einzelnes der Veränderung geben, das sozusagen die Spezifikation und die Verschiedenartigkeit der einfachen Substanzen bewirkt. Spezifikation (specificatio) bezeichnete bei den Scholastikern die Veränderung der Gestalt einer Sache, weil dieselbe durch die Umgestaltung gewissermaßen zu einer neuen Art (species) der Dinge wird, wie wenn z. B. die Raupe durch die Metamorphose zum Schmetterling wird.

13. Dies Einzelne muß eine Menge in der Einheit oder dem Einfachen umschließen. Denn da jede natürliche Veränderung sich allmählich vollzieht, so wechselt einiges, und einiges bleibt, und folglich muß es in der einfachen Substanz eine Mehrheit von Erregungen und Beziehungen geben, wenngleich dieselbe keine Teile hat. Die §§ 12, 13 zeigen, daß auch die Monade kein absolut Einfaches ist: sie enthält nicht bloß ein Streben oder Begehren (s. § 15), sondern auch ein »Einzelnes der Veränderung« (detail de ce qui change), d. h. eine Mehrheit von Vorstellungen, die man in Gedanken sehr wohl voneinander trennen kann. Demnach ist also auch bei der Monade eine Teilbarkeit vorhanden, und wenn Leibniz dagegen einwendet, daß diese Teilbarkeit nicht verwirklicht, d. h. keine tatsächliche Teilung stattfinden kann, so ist darauf zu erwidern, daß auch bei den Körpern die wirkliche Teilung eine Grenze hat und darüber hinaus ebenfalls nur in Gedanken vorgenommen werden kann. Daraus erhellt, daß auch die Monaden nur relativ einfach sind, d. h. einfach in bezug auf die aus ihnen zusammengesetzten Dinge, zusammengesetzt aber in bezug auf ihre Eigenschaften, das Begehren und das Vorstellen, die ihr Wesen ausmachen.

14. Der dem Wechsel unterworfene Zustand, der eine Menge in der Einheit oder einfachen Substanz umschließt und vorstellt, ist nichts anderes als was ich Vorstellung nenne, die, wie sich in der Folge zeigen wird, von der Wahrnehmung und dem Bewußtsein seiner selbst unterschieden werden muß. Die Cartesianer irrten eben darin sehr, daß sie die Vorstellungen, deren man sich nicht bewußt wird, für nichts rechneten. Das brachte sie auch zu der Meinung, daß nur die Geister Monaden seien und daß es keine Tierseelen und andere Entelechien gäbe. Daher haben sie denn auch eine lange Betäubung mit dem eigentlichen Tode verwechselt, was sie dann zur Annahme der irrtümlichen Ansicht der Scholastiker vom Dasein völlig für sich bestehender Seelen verführte und die schlimmen Köpfe in der Ansicht von der Sterblichkeit der Seelen bestärkt hat.

15. Die Tätigkeit des innern Prinzips, das die Veränderung oder den Übergang von einer Vorstellung zur andern bewirkt, kann man Begehrungstrieb nennen. Allerdings kann der Begehrungstrieb nicht immer völlig zu der ganzen Vorstellung gelangen, der er zustrebt, aber er erlangt immer einiges davon und gelangt zu neuen Vorstellungen. In der Entgegnung auf die zweite Kritik Bayles erwidert Leibniz auf den Einwurf, daß die Seele behufs Vornahme der Veränderung ihrer Vorstellungen die Folge derselben deutlich kennen müsse: » es reicht hin, daß sie dieselben in ihre verworrenen Gedanken eingeschlossen besitzt« (s. S. 84). Hier behauptet er nun, es finde ein Begehren in der Seele statt – wie ist aber ein solches denkbar und möglich, wenn ihr die Kenntnis des Begehrten mangelt? Der Übergang von einer Vorstellung zur andern wird also auch durch den Begehrungstrieb nicht erklärt.

16. Wir lernen an uns selbst durch die Erfahrung eine Menge in der einfachen Substanz kennen, wenn wir finden, daß der geringfügigste Gedanke, dessen wir uns bewußt werden, eine Mannigfaltigkeit im Gegenstande einschließt. Wer daher anerkennt, daß die Seele eine einfache Substanz ist, muß auch jene Menge in der Monade anerkennen, und Herr Bayle hätte keine Schwierigkeit darin finden dürfen, wie er in seinem Wörterbuche, Artikel Rorarius, getan hat.

17. Überdies muß eingeräumt werden, daß die Vorstellung und das, was davon abhängt, sich aus mechanischen Gründen, d. h. durch die Gestalten und die Bewegungen, nicht erklären läßt. Angenommen, es gäbe eine Maschine, die vermittelst ihrer Einrichtung ein Denken, Fühlen und Vorstellen bewirkt, so wird man sich dieselbe unter Beibehaltung derselben Verhältnisse so vergrößert denken können, daß man in sie wie in eine Mühle eintreten kann. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung des Innern immer nur Teile finden, die einander treiben, nie aber etwas, wodurch eine Vorstellung erklärt werden könnte. Demzufolge muß diese in der einfachen Substanz und nicht im Zusammengesetzten oder in der Maschine gesucht werden. Auch vermag man eben nur dies, nämlich die Vorstellungen und deren Veränderungen, in der einfachen Substanz aufzufinden. Und ebenso können alle innern Handlungen der einfachen Substanzen nur eben in den Vorstellungen und deren Veränderungen bestehen. Theodizee, Vorwort § 29.

18. Alle erschaffenen einfachen Substanzen oder Monaden könnte man Entelechien nennen, denn sie tragen eine gewisse Vollkommenheit in sich (ἔχουσι τὸ ἐντελές), eine Selbstgenügsamkeit (αὐτάϱϰεια), die sie zu Quellen ihrer innern Handlungen und gleichsam zu unkörperlichen Automaten macht. Theodizee B. § 87. – Mit Selbstgenügsamkeit (suffisance) oder genauer Selbstgenugheit bezeichnet hier Leibniz das, was er im Neuen System Selbstbestimmung (spontanéité) nennt, d. h. die von jeder äußern Beeinflussung freie Tätigkeit der Seele. Dieser Begriff der Selbstgenügsamkeit deckt sich jedoch nicht mit dem des griechischen αὐτάϱϰεια, denn nach Epikur und den Stoikern führt die Autarkie nicht zur Tätigkeit, sondern vielmehr zur Ruhe (ἀταϱαξία) und zur Lust in der Ruhe (ἡδονή ϰαταστηματιϰή), während die Leibnizsche Selbstgenugheit mit dem Schmerze und dem Affekte verträglich ist.

19. Wenn man alles, was in dem dargelegten allgemeinen Sinne Vorstellungen und Begehrungstriebe hat, Seele nennen will, so könnten alle erschaffenen einfachen Substanzen oder Monaden Seelen genannt werden. Da aber der Gedanke etwas mehr als eine einfache Vorstellung ist, so bin ich einverstanden, daß der Gemeinname Monade oder Entelechie die einfachen Substanzen bezeichne, die nur einfache Vorstellungen haben, und daß man nur die einfachen Substanzen Seelen nenne, deren Vorstellen deutlicher und mit Erinnerung verbunden ist.

20. Denn durch die Erfahrung lernen wir an uns selbst einen Zustand kennen, wo wir uns an nichts erinnern und keine deutliche Vorstellung haben, wie z. B., wenn man in Ohnmacht fällt oder in einen tiefen, traumlosen Schlaf versunken ist. In diesem Zustande unterscheidet sich die Seele nicht merklich von einer einfachen Monade, da derselbe aber nicht von Dauer ist und die Seele sich ihm entzieht, so ist sie etwas mehr. Theodizee B. § 64.

21. Daraus folgt aber keineswegs, daß die einfache Substanz dann ohne jede Vorstellung sei. Es ist das aus den oben dargelegten Gründen nicht einmal möglich, denn sie kann nicht untergehen und kann auch nicht ohne jede Erregung sein, die eben nichts anderes ist als ihr Vorstellen. Ist aber eine große Menge von kleinen Vorstellungen vorhanden, in denen nichts Deutliches enthalten ist, so ist man betäubt, wie z. B., wenn man sich mehrere Male in derselben Richtung um sich selbst dreht, wo dann ein Schwindel eintritt, der uns ohnmächtig machen kann und uns nichts zu unterscheiden gestattet. Der Tod vermag die Geschöpfe für eine Zeitlang in diesen Zustand zu versetzen.

22. Da nun jeder gegenwärtige Zustand einer einfachen Substanz eine natürliche Folge ihres vorhergehenden Zustandes ist, so daß die Gegenwart darin mit der Zukunft schwanger geht Theodizee B. § 360.,

23. so muß, weil man beim Erwachen aus der Betäubung sich seiner Vorstellungen bewußt wird, man auch unmittelbar zuvor Vorstellungen gehabt haben, wenngleich man sich ihrer nicht bewußt ist, denn eine Vorstellung kann auf natürlichem Wege nur aus einer andern Vorstellung entspringen, wie eine Bewegung nur aus einer Bewegung entspringen kann. Theodizee B. § 401-403. – Dieser Beweis für das Dasein der verworrenen oder kleinen Vorstellungen unter Umständen, wo man sich ihrer durchaus nicht bewußt ist, würde nur dann stichhaltig sein, wenn Leibniz zuvor dargetan hätte, daß wirklich jeder gegenwärtige Zustand der Monade eine Folge ihres vorhergehenden Zustandes ist und daß eine Vorstellung immer nur aus einer Vorstellung entspringen kann.

24. Daraus erhellt, daß, wenn wir nichts Bestimmtes und sozusagen Hervorgehobenes und stärker Anregendes in unsern Vorstellungen hätten, wir uns immer in der Betäubung befinden würden, wie dies der Zustand der reinen Monaden ist.

25. Daß die Natur den Tieren erhöhte Vorstellungen gegeben hat, ersehen wir auch aus der Sorgfalt, mit der sie ihnen Organe verlieh, die mehrere Lichtstrahlen oder Luftwellen zusammenfassen, um sie durch diese Vereinigung wirksamer zu machen. Etwas Ähnliches findet beim Riechen, Schmecken, Fühlen und vielleicht noch bei vielen andern Sinnen statt, die uns noch unbekannt sind. Ich werde sogleich auseinandersetzen, wie das, was in der Seele vorgeht, das vorstellt, was in den Organen geschieht.

26. Das Gedächtnis versieht die Seelen mit einer Art Verbindung der Vorstellungen, welche eine Nachahmung der Vernunft ist, aber von dieser unterschieden werden muß. Daher sind die Tiere, bei Wahrnehmung einer Sache, die einen lebhaften Eindruck auf sie macht und von der sie schon früher eine gleiche Vorstellung gehabt haben, infolge der Vorstellung ihres Gedächtnisses auf das gefaßt, was bei jener frühern Vorstellung damit verbunden war, und neigen zu gleichen Gefühlen wie damals. Zeigt man z. B. den Hunden den Stock, so erinnern sie sich des Schmerzes, den derselbe ihnen verursacht hat, und suchen heulend das Weite. Theodizee A. § 65.

27. Die starke bildliche Vorstellung aber, die einen lebhaften Eindruck auf sie macht und sie erregt, kommt entweder von der Größe oder von der Menge der frühern Vorstellungen. Denn oft bringt ein starker Eindruck die Wirkung einer langen Gewohnheit oder vieler wiederholter mäßiger Vorstellungen mit einem Schlage hervor.

28. Soweit die Verbindung ihrer Vorstellungen nur durch das Prinzip des Gedächtnisses erfolgt, handeln die Menschen wie die Tiere, gleich den empirischen Ärzten, die eine einfache Praxis ohne Theorie haben, und bei drei Vierteln unserer Handlungen sind wir bloße Empiriker. Wenn man z. B. erwartet, daß es morgen Tag werden wird, so handelt man als Empiriker, weil es bis jetzt immer so gewesen ist. Nur der Astronom folgert es aus Gründen.

29. Die Kenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten dagegen ist das, was uns von den bloßen Tieren unterscheidet und uns die Vernunft und die Wissenschaften verschafft, indem sie uns zur Erkenntnis unserer selbst und Gottes erhebt. Und eben das nennt man die vernünftige Seele oder den Geist in uns.

30. Auch erheben wir uns vermöge dieser Kenntnis der notwendigen Wahrheiten und ihrer Abstraktionen zu den Akten der Selbstbetrachtung, die uns bewegen, an das zu denken, was das Ich genannt wird, und in Erwägung zu ziehen, daß dies oder jenes in uns ist. Und indem wir auf diese Weise an uns selbst denken, denken wir an das Sein, an die Substanz, an das Einfache oder das Zusammengesetzte, an das Unstoffliche und sogar an Gott, da wir einsehen, daß das, was bei uns in Schranken eingeschlossen ist, bei ihm ohne Schranke ist. Diese Akte der Selbstbetrachtung liefern die Hauptgegenstände für unsere Verstandestätigkeit. Theodizee, Vorwort § 4.

31. Unsere Verstandestätigkeit beruht auf zwei großen Prinzipien, dem Prinzip des Widerspruchs, demzufolge wir das für falsch erachten, was einen Widerspruch enthält, für wahr aber das, was dem Falschen entgegengesetzt ist oder ihm widerstreitet Theodizee B. § 44, 196.;

32. und dem Prinzip des zureichenden Grundes, demzufolge wir erwägen, daß keine Begebenheit wirklich oder seiend und keine Aussage wahr sein kann, ohne daß ein zureichender Grund dafür vorhanden wäre, warum es gerade so und nicht anders ist, wenn man auch diese Gründe in den meisten Fällen nicht zu erkennen vermag. Theodizee B. § 44, 196.

33. Es gibt auch zwei Arten von Wahrheiten: die logischen Wahrheiten und die tatsächlichen Wahrheiten. Die logischen Wahrheiten sind notwendige und ihr Gegenteil ist unmöglich, die tatsächlichen Wahrheiten aber sind zufällige und ihr Gegenteil ist möglich. Wenn eine Wahrheit notwendig ist, so vermag man den Grund dafür durch Analysierung aufzufinden, indem man sie so lange in einfachere Ideen und Wahrheiten auflöst, bis man schließlich zu den ursprünglichen gelangt. Theodizee B. § 170, 174, 189, 280-282, 367. Anhang I, Einwurf 3.

34. Auf diese Weise werden bei den Mathematikern die theoretischen Lehrsätze und die praktischen Regeln durch die Analyse auf Definitionen, Axiome und Aufgaben zurückgeführt.

35. Schließlich aber finden sich einfache Ideen, die sich nicht weiter definieren lassen. Auch gibt es Axiome und Forderungen oder, kurz gesagt, ursprüngliche Prinzipien, die nicht bewiesen werden können und dessen auch nicht bedürfen; das sind die identischen Aussagen, deren Gegenteil einen ausdrücklichen Widerspruch enthält.

36. Der zureichende Grund aber muß auch bei den zufälligen oder tatsächlichen Wahrheiten vorhanden sein, d. h. in der Aufeinanderfolge der im Universum der Geschöpfe verbreiteten Dinge, wo die Auflösung in besondere Gründe wegen der unermeßlichen Mannigfaltigkeit der Dinge in der Natur und der ins Unendliche gehenden Teilung der Körper zu Einzelheiten ohne Ende führen könnte. Es gibt eine unendliche Anzahl von gegenwärtigen und vergangenen Gestalten und Bewegungen, die an der bewirkenden Ursache dieser meiner Schrift Anteil haben, und ebenso gibt es eine unendliche Anzahl von gegenwärtigen und vergangenen kleinen Neigungen und Trieben in meiner Seele, die zu der Zweckursache derselben gehören. Theodizee B. § 36, 37, 44, 45, 49, 52, 121, 122, 323, 340, 344. – Die Zweckursache einer Handlung (cause finale) ist die Vorstellung eines Zieles, das durch diese Handlung, welche die bewirkende Ursache (cause efficiente) bildet, erreicht oder verwirklicht wird. Die Zweckursachen sind aber ebensowenig mit der vorherbestimmten Harmonie verträglich wie die Akte der Selbstbetrachtung: s. Anm. 104, 106.

37. Da aber alle diese Einzelheiten nur wieder andere frühere oder mehr zerteilte Zufälligkeiten einschließen, von denen jede zu ihrer Begründung einer gleichen Analyse bedarf, so ist man mit jener Auflösung noch um keinen Schritt weiter vorgerückt, und der zureichende oder letzte Grund muß daher außerhalb der Folge oder Reihe jener einzelnen Zufälligkeiten liegen, so unendlich dies Einzelne auch sein mag.

38. Daher muß der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in der als in der Quelle das Einzelne der Veränderungen nur wesentlich enthalten ist, und eben diese Substanz nennen wir Gott. Theodizee B. § 7.

39. Da nun diese Substanz ein zureichender Grund für all jenes Einzelne ist, das überall miteinander verknüpft ist, so gibt es nur einen Gott, und dieser Gott reicht zu.

40. Auch darf man schließen, daß diese höchste Substanz, die einzig, allumfassend und notwendig ist, da nichts außer ihr von ihr unabhängig und sie eine einfache Folge des möglichen Seins ist, keine Schranken haben kann und so viel Wirklichkeit wie möglich enthalten muß.

41. Daraus folgt nun, daß Gott unbedingt vollkommen ist, da die Vollkommenheit, indem sie die Schranken oder Grenzen bei den Dingen, welche solche haben, beiseite rückt, in nichts anderm besteht als in der Größe der eigentlichen positiven Wirklichkeit. Dort aber, wo es keine Schranken gibt, d. h. bei Gott, ist die Vollkommenheit unbedingt unendlich. Theodizee B. § 22. Vorwort § 4.

42. Ferner folgt daraus, daß die Geschöpfe ihre Vollkommenheiten vom Einflusse Gottes, ihre Unvollkommenheiten aber von ihrer eigenen Natur haben, die nicht ohne Schranken sein kann. Denn eben dadurch sind sie von Gott verschieden. Theodizee B. § 20, 27-31, 153, 167, 377 ff.

43. Auch ist Gott nicht bloß die Quelle des Seienden, sondern auch die Quelle der Wesentlichkeiten, soweit sie wirklich sind oder soweit Wirkliches in der Möglichkeit enthalten ist, und zwar deshalb, weil der Verstand Gottes die Region der ewigen Wahrheiten oder der Ideen ist, von denen sie abhängen, und weil es ohne ihn nichts Wirkliches in den Möglichkeiten und nicht bloß nichts Seiendes, sondern auch nichts Mögliches geben würde. Theodizee B. § 20. – Das Wirkliche in der Möglichkeit bezeichnet hier die dem Seienden entsprechenden Wesentlichkeiten in der Vorstellung eines Dinges. Die Scholastiker unterschieden nämlich zwischen einer formalen (d. h. denkbaren) und einer realen (d. h. tatsächlichen) Möglichkeit. Die formale Möglichkeit stand allen Dingen zu, deren Inhalt keinen Widerspruch in sich trägt (Pegasus), die reale Möglichkeit nur denen, welche wirklich zum Dasein gelangen (Pferd). Alles real mögliche muß demnach auch formal möglich sein, nicht aber umgekehrt, denn die Vorstellung eines formal möglichen Dinges kann sehr wohl Wesentlichkeiten umfassen, die dem Seienden nicht entsprechen. So enthält z. B. die Vorstellung des Pegasus die Wesentlichkeit der Flügel, die sich in der Wirklichkeit am Pferdekörper nicht finden; der Pferdekörper aber ist real möglich, und insofern ist – nach der Leibnizschen Ausdrucksweise -- in der formalen Möglichkeit des Pegasus Wirkliches enthalten.

44. Indessen muß, wenn in den Wesentlichkeiten oder Möglichkeiten oder vielmehr in den ewigen Wahrheiten eine Wirklichkeit enthalten ist, diese Wirklichkeit auf etwas Seiendem oder Tatsächlichem und folglich auf dem Dasein des notwendigen Wesens beruhen, bei dem die Wesentlichkeit das Dasein einschließt oder bei welchem es genügt, möglich zu sein, um wirklich zu sein. Theodizee B. § 184, 189, 335.

45. Nur Gott (oder das notwendige Wesen) hat also das Vorrecht, daß er sein muß, wenn er möglich ist. Und da nichts die Möglichkeit einer Sache verhindern kann, die keine Grenzen, keine Verneinung und folglich auch keinen Widerspruch enthält, so genügt schon dies allein, um das Dasein Gottes a priori zu erkennen. Auch durch die Wirklichkeit der ewigen Wahrheiten habe ich es gezeigt, a posteriori aber habe ich es ebenfalls bewiesen, da zufällige Wesen bestehen, die ihren letzten oder zureichenden Grund nur in dem notwendigen Wesen haben können, das den Grund für sein Dasein in sich selbst trägt.

46. Indessen darf man sich nicht mit einigen Philosophen einbilden, daß die ewigen Wahrheiten, weil sie von Gott abhängig sind, willkürlich seien und von seinem Willen abhängen, wie Descartes und später Herr Poiret angenommen zu haben scheinen. Dies ist nur von den zufälligen Wahrheiten richtig, deren Prinzip die Angemessenheit oder die Wahl des Besten ist, während die notwendigen Wahrheiten einzig von seinem Verstande abhängen und den innern Gegenstand desselben bilden. Theodizee B. § 180, 184, 185, 335, 351, 380.

47. Daher ist Gott allein die Ureinheit oder die ursprüngliche einfache Substanz. Alle erschaffenen oder abgeleiteten Monaden sind Erzeugnisse derselben und entstehen sozusagen durch beständige Ausblitzungen der Gottheit von Augenblick zu Augenblick, die durch die Empfänglichkeit des Geschöpfes beschränkt wird, zu dessen Wesentlichkeiten das Beschränktsein gehört. Theodizee B. § 382-391, 398, 395.

48. In Gott besteht die Macht, die die Quelle von allem ist, dann das Wissen, welches das Einzelne der Ideen enthält, und endlich der Wille, der nach dem Prinzipe des Besten die Veränderungen oder Hervorbringungen bewirkt. Diese Eigenschaften entsprechen dem, was bei den geschaffenen Monaden das Individuum oder die Grundlage ausmacht, nämlich die vorstellende und die begehrende Fähigkeit. Bei Gott aber sind diese Eigenschaften unbedingt unendlich oder vollkommen, bei den geschaffenen Monaden oder den Entelechien (oder perfectihabiis, wie Hermolaus Barbaras das Wort übersetzte) sind sie dagegen nur Nachahmungen je nach dem Maße der Vollkommenheit dieser Substanzen. Theodizee B. § 7, 87, 149, 150.

49. Von dem Geschöpfe wird gesagt, es handle nach außen, insofern es Vollkommenheit hat, und es leide von einem andern, insofern es unvollkommen ist. Daher schreibt man der Monade ein Handeln zu, soweit sie deutliche Vorstellungen, und ein Leiden, soweit sie verworrene Vorstellungen hat. Theodizee B. § 32, 66, 386.

50. Ein Geschöpf ist vollkommener als ein anderes, wenn sich in ihm das findet, was zur Begründung a priori dessen dient, was in dem andern geschieht, und das ist der Grund, weshalb man von ihm sagt, es wirke auf das andere ein. Es sind dies höchst gewaltsame und nahezu unverständliche Verrenkungen der Begriffe Handeln und Leiden, zu denen Leibniz wohl einzig durch das Bestreben veranlaßt wurde, seine Hypothese einigermaßen mit der gewöhnlichen Auffassungs- und Ausdrucksweise in Einklang zu bringen. Das klare Verständnis seines Systems wird durch diese Verdrehungen nichts weniger als gefördert.

51. Bei den einfachen Substanzen ist dies jedoch nur eine ideale Einwirkung einer Monade auf die andere, die ihre Wirkung nur durch die Vermittlung Gottes haben kann, insoweit nämlich eine Monade in den Vorstellungen Gottes mit Recht fordert, daß Gott bei der Regelung der übrigen zu Anbeginn der Dinge auf sie Rücksicht nehme. Denn da keine geschaffene Monade einen physischen Einfluß auf das Innere der andern haben kann, so kann nur auf diese Weise die eine von der andern abhängig sein. Theodizee B. § 9, 54, 65, 66, 201. Anhang I, Einwurf 3.

52. Und eben daher sind die Handlungen und die Erleidungen zwischen den Geschöpfen gegenseitig. Denn wenn Gott zwei einfache Substanzen miteinander vergleicht, so findet er in jeder Gründe, die ihn nötigen, die zweite der ersten anzupassen, und folglich ist das, was in gewisser Hinsicht handelnd ist, einem andern Gesichtspunkte zufolge leidend: handelnd insoweit, als das, was man deutlich in der einen erkennt, zur Begründung dessen dient, was in der andern geschieht, leidend aber insofern, als der Grund für das, was in der einen geschieht, sich in dem findet, was in der andern deutlich erkannt wird. Theodizee B. § 66.

53. Da es nun aber in den Vorstellungen Gottes eine unendliche Anzahl von möglichen Welten gibt, während nur eine einzige sein kann, so muß es einen zureichenden Grund für die Wahl Gottes geben, der ihn mehr zu dem einen als zum andern bestimmt. Theodizee B. § 8, 10, 44, 173, 196 ff., 229, 414-416.

54. Dieser Grund aber kann nur in der Angemessenheit liegen, in den Graden von Vollkommenheit, welche diese Welten enthalten, da jede mögliche das Recht hat, nach Maßgabe der in ihr enthaltenen Vollkommenheit auf das Dasein Anspruch zu machen. Theodizee B. § 74, 167, 350, 201, 130, 352, 345 ff., 354.

55. Und eben dies ist der Grund für das Dasein des Besten: die Weisheit macht es Gott bekannt, seine Güte treibt ihn, es zu wählen, und seine Macht läßt ihn es hervorbringen. Theodizee B. § 8, 78, 80, 84, 119, 204, 206, 208. Anhang I, Einwurf 8.

56. Diese Verknüpfung oder Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes einzelne und jedes einzelnen an alle übrigen hat nun aber zur Folge, daß jede einfache Substanz Beziehungen hat, die alle übrigen ausdrücken, und daß sie folglich ein beständiger lebender Spiegel des Universums ist. Theodizee B. § 130, 360.

57. Wie nun eine Stadt, von verschiedenen Seiten betrachtet, eine ganz andere und gleichsam perspektivisch vervielfältigt erscheint, so geschieht es auch, daß es infolge der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Universa gibt, die indessen nur die Ansichten des einen einzigen je nach den verschiedenen Gesichtspunkten jeder einzelnen Monade sind. Theodizee B. § 147. – Diese Erklärung der verschiedenen Auffassungen des Universums seitens der Monaden paßt weder zur vorherbestimmten Harmonie (s. § 7, S. 117: »Die Monaden haben keine Fenster!«) noch läßt sie sich mit der Leibnizschen Auffassung des Raumes als einer bloßen »Ordnung der gleichzeitig seienden Dinge« (S. 90) vereinen, denn ist der Raum eine bloße Vorstellung, so kann natürlich nicht von »verschiedenen Ansichten je nach den verschiedenen Gesichtspunkten« die Rede sein, da in diesem Falle ein verschiedener Gesichtspunkt, d. h. eine verschiedene Stellung oder Örtlichkeit der Monaden rein unmöglich wäre. Vgl. Anm. 131.

58. Dies ist das Mittel, um mit der größtmöglichen Ordnung so viel Mannigfaltigkeit zu erlangen, als möglich ist, d. h. das Mittel, so viel Vollkommenheit zu erlangen, als nur erlangt werden kann. Theodizee B. § 120, 124, 241 ff., 214, 243, 275.

59. Auch hebt nur diese Hypothese (die ich für bewiesen zu erklären wage) die Größe Gottes gehörigermaßen hervor. Herr Bayle anerkannte dies auch, als er in seinem Wörterbuche (Artikel Rorarius) Einwürfe dagegen machte, wobei er sich sogar zu der Ansicht versucht fühlte, ich legte Gott zuviel und mehr als möglich ist bei. Er vermochte jedoch keinen Grund anzuführen, weshalb diese allumfassende Harmonie, welche bewirkt, daß jede Substanz vermöge der Beziehungen, die sie dazu hat, alle andern abspiegelt, unmöglich sein sollte.

60. Überdies ersieht man aus dem vorstehend Angeführten die Gründe a priori, weshalb die Dinge keinen andern Lauf haben können: weil nämlich Gott bei der Regelung des Ganzen jeden einzelnen Teil und besonders jede einzelne Monade berücksichtigt hat, die bei ihrer vorstellenden Beschaffenheit durch nichts darauf beschränkt werden kann, nur einen Teil der Dinge vorzustellen, obgleich diese Vorstellung des ganzen Universums nach den Einzelheiten seines Inhalts allerdings nur eine verworrene ist und deutlich nur bei einer kleinen Anzahl der Dinge sein kann, d. h. bei denen, die in bezug auf die einzelne Monade entweder die nächsten oder die größten sind; andernfalls würde jede Monade eine Gottheit sein. Die Monaden sind, also nicht in bezug auf den Gegenstand, sondern in bezug auf den Grad der Kenntnis des Gegenstandes beschränkt. Sie erstrecken sich sämtlich in verworrener Weise auf das Unendliche, auf das Ganze, sind aber durch die Grade der deutlichen Vorstellungen beschränkt und voneinander verschieden. Leibniz spricht hier ganz ausdrücklich von einer Nähe der Dinge in bezug auf die Monaden – es muß daher zweifelhaft bleiben, ob er zur Zeit der Abfassung der Monadologie (1714) von der Idealität des Raumes in dem Maße überzeugt war, wie diese Überzeugung im Briefwechsel mit Clarke zutage tritt. Freilich gehört es zu den wenig empfehlenswerten Eigenheiten der eklektischen Gelegenheitsphilosophie Leibnizens, daß in derselben manche bedeutende Aufstellungen je nach Bedürfnis beiseite geschoben oder aber mit allem Nachdruck geltend gemacht werden, je nachdem sie eben mit der gerade behandelten Frage in Widerstreit oder in Harmonie stehen.

61. Die zusammengesetzten Dinge stehen dabei in einem gewissen Zusammenhange mit den einfachen. Denn da alles angefüllt und daher der gesamte Stoff miteinander verknüpft ist und da bei der Angefülltheit jede Bewegung nach Maßgabe der Entfernung einige Wirkung auf die entfernten Körper ausübt, so daß jeder Körper nicht bloß von denen, die ihn berühren, erregt wird und gewissermaßen alles nachempfindet, was ihnen geschieht, sondern vermittelst ihrer auch die Einwirkung derer erfährt, welche an die ihn unmittelbare Berührenden anstoßen – so erhellt, daß diese Mitteilung und Verbindung sich auf alle und jede Entfernung erstreckt. Und demzufolge empfindet jeder Körper die Nachwirkung alles dessen, was im Universum geschieht, so daß jemand, der alles sieht, in jedem einzelnen lesen könnte, was im gesamten Universum geschieht und sogar was geschehen ist oder geschehen wird, indem er im Gegenwärtigen sowohl das der Zeit wie dem Orte nach Entfernte erkennt; σύμπνοια πάντα (das gleichzeitige Sehen des Ganzen) nannte es Hippokrates. Die Seele jedoch kann in sich nur das lesen, was deutlich in ihr vorgestellt ist, und vermag nicht mit einem Schlage seine Regeln zu entwickeln, weil dieselben sich ins Unendliche erstrecken.

62. Obgleich daher jede geschaffene Monade das gesamte Universum vorstellt, stellt sie doch den Körper, der ihr besonders angewiesen ist und dessen Entelechie sie bildet, deutlicher vor; und da dieser Körper infolge des Zusammenhangs des gesamten Stoffes im angefüllten Räume das ganze Universum abspiegelt, so stellt auch die Seele durch die Vorstellung dieses Körpers, der ihr in besonderer Weise zugehört, das ganze Universum vor. Theodizee B. § 400. – Diese Ausführungen in den §§ 61, 62 stehen in offenbarem und direktem Widerspruch mit dem ersten Grundsatze des Systems der vorherbestimmten Harmonie, denn danach findet zwischen den Monaden kein Verkehr und keine Verbindung irgendwelcher Art statt, während Leibniz hier offenbar einen solchen annimmt.

63. Der einer Monade, die seine Entelechie oder Seele ist, angehörende Körper bildet mit der Entelechie das, was man ein Lebendiges nennen kann, und mit der Seele das, was man ein Tier nennt. Dieser Körper eines Lebendigen oder eines Tiers ist aber immer organisch, denn da jede Monade nach ihrer Weise ein Spiegel des Universums und das Universum in vollkommener Ordnung geregelt ist, so muß es auch eine Ordnung in dem Vorstellenden geben, d. h. in den Vorstellungen der Seele und folglich auch im Körper, nach welchem das Universum in der Seele vorgestellt wird. Theodizee B. § 403.

64. Daher ist jeder organische Körper eines Lebendigen eine Art von göttlicher Maschine oder natürlichem Automaten, der alle künstlichen Automaten unendlich übertrifft, weil eine durch menschliche Kunst hergestellte Maschine nicht in jedem ihrer einzelnen Teile Maschine ist. So hat z. B. der Zahn eines Messingrades Teile oder Stücke, die für uns nichts Künstliches mehr sind und nichts mehr an sich haben, was in bezug auf den Gebrauch, zu dem das Rad bestimmt war, die Maschine verrät. Die Maschinen der Natur aber, d. h. die lebendigen Körper, sind noch in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche Maschinen. Eben darin liegt der Unterschied zwischen der Natur und der Kunst, d. h. zwischen der Kunst Gottes und der unsrigen. Theodizee B. § 134, 146, 194, 403.

65. Der Schöpfer der Natur aber hat dies göttliche und unendlich wunderbare Kunstwerk zustande zu bringen vermocht, weil nicht bloß, wie schon die Alten erkannt haben, jeder Teil des Stoffes ins Unendliche teilbar, sondern auch jeder Teil wirklich ohne Ende in Teile zerlegt ist, von denen jeder eine eigene Bewegung hat: andernfalls wäre es unmöglich, daß jeder Teil des Stoffes das Universum ausdrücken kann. Theodizee A. § 70. B. § 195. – Auf den Widerspruch, der in dem Begriffe der wirklichen Geteiltheit eines ins Unendliche Teilbaren liegt, ist bereits in Anm. 65 hingewiesen worden.

66. Daraus ersieht man, daß es eine Welt von Geschöpfen, von Lebendigem, von Tieren, Entelechien, Seelen im kleinsten Teile des Stoffes gibt.

67. Jeder Teil des Stoffes kann als ein Garten voller Pflanzen und ein Teich voller Fische angesehen werden. Aber auch jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Tieres, jeder Tropfen seiner Säfte ist noch ein solcher Garten und ein solcher Teich.

68. Und wenn auch die Erde und die Luft zwischen den Pflanzen des Gartens und das Wasser zwischen den Fischen des Teiches weder Fisch noch Pflanze ist, so enthalten sie doch deren noch, die jedoch meistens von einer Feinheit sind, daß wir sie nicht wahrnehmen können.

69. Daher gibt es nichts Unbewohntes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes im Universum und nur dem Anschein nach ein Chaos oder eine Verworrenheit, ungefähr wie wenn man in einem Teiche aus der Entfernung nur eine verworrene Bewegung und sozusagen ein Gewimmel von Fischen sähe, ohne die Fische selbst zu unterscheiden. Theodizee Vorwort § 32, 33.

70. Daraus erhellt, daß jeder lebende Körper eine herrschende Entelechie besitzt, welche beim Tiere die Seele ist. Die Glieder dieses lebenden Körpers aber sind angefüllt mit anderm Lebendigen, Pflanzen und Tieren, von denen jedes ebenfalls seine Entelechie oder herrschende Seele hat.

71. Indessen darf man, wie einige getan haben, die mich falsch verstanden hatten, sich nicht einbilden, daß jede Seele eine Masse oder einen Teil des Stoffes habe, der ihr zu eigen gehöre oder ihr für immer zugewiesen sei und daß sie folglich andere untergeordnetere lebende Wesen besitze, die immer zu ihrem Dienste bestimmt seien. Denn alle Körper befinden sich wie Ströme in einem beständigen Fließen, und es treten fortwährend Teile hinzu und aus.

72. Daher wechselt die Seele den Körper nur allmählich und stufenweise, so daß sie niemals mit einem Schlage aller ihrer Organe beraubt wird. Demgemäß gibt es häufig eine Umwandlung bei den Tieren, niemals aber eine Metempsychose oder Seelenwanderung und ebenso wenig gänzlich abgesonderte Seelen und Genien ohne Körper. Nur Gott allein ist völlig davon frei. Theodizee B. § 90, 124.

73. Daher gibt es auch nie eine völlige Erzeugung noch einen vollkommenen Tod im eigentlichen Sinne, der in der Trennung des Körpers von der Seele besteht. Das, was wir Erzeugung nennen, sind nur Entwicklungen und Vergrößerungen, wie das, was wir Tod nennen, nur Einfaltungen und Verkleinerungen sind. Augenscheinlich nimmt Leibniz die uranfängliche Verbindung jeder Seele mit einem organischen Körper nur deshalb an, um eine Rechtfertigung für das Dasein der Körper zu gewinnen, für das sich in der vorherbestimmten Harmonie absolut kein Grund ausfindig machen läßt.

74. Die Philosophen sind über den Ursprung der Formen, Entelechien oder Seelen sehr in Verlegenheit gewesen. Heute aber, wo man infolge genauer Untersuchungen an den Pflanzen, Insekten und Tieren innegeworden ist, daß die natürlichen organischen Körper nie aus einem Chaos oder einer Fäulnis hervorgehen, sondern immer aus Samen entstehen, in welchem ohne Zweifel irgendwelche Vorherbildung bestand, ist man zu dem Schlüsse gekommen, daß nicht bloß der organische Körper, sondern auch eine Seele in diesem Körper, kurzum das Tier, selbst schon vor der Empfängnis im Samen bestanden hat, und daß dies Tier vermittelst der Empfängnis nur zu einer großen Umgestaltung veranlaßt worden ist, um ein Geschöpf anderer Art zu werden. Etwas Ähnliches sieht man sogar außerhalb der Erzeugung, wie wenn z. B. die Maden zu Fliegen und die Raupen zu Schmetterlingen werden. Theodizee B. § 86, 89. Vorwort § 32 ff. B. § 90, 187, 188, 403, 86, 397.

75. Die Tiere, von denen einige vermittelst der Empfängnis zur Stufe der größten Tiere erhoben werden, kann man Samentiere nennen. Diejenigen von ihnen aber, die in ihrer Art verbleiben, d. h. die meisten von ihnen, werden geboren, vermehren sich und gehen unter wie die großen Tiere, und nur eine kleine Anzahl von Auserwählten geht auf einen größern Schauplatz über.

76. Dies war jedoch nur die Hälfte der Wahrheit: ich folgerte daher, daß, wenn das Tier niemals auf natürlichem Wege beginnt, es auch niemals auf natürlichem Wege endet und daß es nicht nur keine Erzeugung, sondern auch keine völlige Zerstörung, keinen eigentlichen Tod geben wird. Diese a posteriori gemachten und der Erfahrung entnommenen Schlußfolgerungen stimmen aber vollkommen mit meinen oben a priori abgeleiteten Prinzipien überein. Theodizee B. § 90.

77. Man darf also behaupten, daß nicht bloß die Seele (der Spiegel eines unzerstörbaren Universums), sondern auch das Tier selbst unzerstörbar ist, wenngleich seine Maschine oftmals teilweise untergeht und organische Stücke annimmt oder abstößt.

78. Diese Prinzipien haben mir das Mittel zur natürlichen Erklärung der Verbindung oder vielmehr der Übereinstimmung der Seele und des organischen Körpers geboten. Die Seele folgt ihren eigenen Gesetzen und ebenso der Körper den seinen, sie begegnen sich aber vermöge der zwischen allen Substanzen vorherbestimmten Harmonie, da sie sämtlich Darstellungen des nämlichen Universums sind. Theodizee Vorwort § 32. B. § 340, 352, 353, 358.

79. Die Seelen handeln nach den Gesetzen der Zweckursachen durch Begehrungstriebe, Zwecke und Mittel. Die Körper handeln nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder der Bewegungen. Und diese beiden Reiche, das der bewirkenden Ursachen und das der Zweckursachen, stehen in Harmonie miteinander.

80. Descartes hat anerkannt, daß die Seelen dem Körper keine Kraft mitzuteilen vermögen, weil im Stoffe immer die nämliche Menge von Kraft enthalten ist. Indessen meinte er, die Seele vermöge die Richtung der Bewegung der Körper zu ändern. Das war aber nur eine Folge davon, daß man zu seiner Zeit noch nicht jenes Naturgesetz kannte, wonach im Stoffe auch die Erhaltung der nämlichen Gesamtrichtung stattfindet. Hätte Descartes dies erkannt, so würde er auch auf mein System der vorherbestimmten Harmonie gekommen sein. Theodizee Vorwort § 32. B. § 22, 59, 60, 61, 63, 66, 345, 346 ff., 354, 355.

81. Dies System bewirkt, daß die Körper so handeln, als ob es – das Unmögliche angenommen – keine Seelen gebe, und daß die Seelen so handeln, als ob es keine Körper gebe, beide aber in der Weise handeln, als ob eins auf das andere einwirkte.

82. Was die Geister oder vernünftigen Seelen angeht, so finde ich zwar, daß es sich im Grunde genommen bei allem Lebendigen und allen Tieren ganz ebenso verhält, wie eben dargelegt worden ist (daß nämlich das Tier und die Seele nur mit der Welt beginnen und ebenso nur mit der Welt enden) – indessen besteht doch bei den vernünftigen Geschöpfen das Besondere, daß ihre kleinen Samentiere, solange sie nur eben dies sind, nur gewöhnliche oder empfindende Seelen haben; sobald aber diejenigen, welche sozusagen auserwählt sind, durch eine wirkliche Empfängnis zur menschlichen Natur gelangen, werden auch ihre empfindenden Seelen zur Stufe der Vernunft und zum Vorrecht der Geister erhoben. Theodizee B. § 91, 397.

83. Neben andern Unterschieden zwischen den gewöhnlichen Seelen und den Geistern, die ich zum Teil bereits angegeben habe, findet sich auch noch der, daß die Seelen im allgemeinen lebende Spiegel oder Bilder des Universums der geschaffenen Dinge, die Geister aber Bilder der Gottheit oder des Urhebers der Natur selbst und fähig sind, das System des Universums zu erkennen und einen Teil davon durch aufbauende Proben nachzuahmen, da jeder Geist in seinem Bereiche gleichsam eine kleine Gottheit ist. Theodizee B. § 147.

84. Dies hat zur Folge, daß die Geister imstande sind, in eine gewisse Gemeinschaft mit Gott zu treten, und daß Gott zu ihnen nicht bloß in dem Verhältnis eines Erfinders zu seiner Maschine (wie das bei den übrigen geschaffenen Dingen der Fall ist), sondern auch im Verhältnis eines Fürsten zu seinen Untertanen und sogar eines Vaters zu seinen Kindern steht.

85. Daraus ist nun leicht zu schließen, daß die Vereinigung aller Geister den Gottesstaat bilden muß, d. h. den vollkommensten Staat, der unter dem vollkommensten aller Monarchen möglich ist.

86. Dieser Gottesstaat, diese wahrhaft allumfassende Monarchie ist eine moralische Welt in der natürlichen und das erhabenste und göttlichste unter den Werken Gottes. In ihm besteht der wahrhafte Ruhm Gottes, denn es würde keinen solchen geben, wenn seine Größe und Güte nicht von den Geistern erkannt und bewundert würden. Auch zeigt Gott seine Güte eigentlich nur in bezug auf diesen göttlichen Staat, während seine Weisheit und seine Macht sich allenthalben zeigen. Theodizee B. § 146. Anhang I, Einwurf 2.

87. Wie wir nun oben eine vollkommene Harmonie zwischen zwei natürlichen Reichen, dem der bewirkenden und dem der Zweckursachen, festgestellt haben, so müssen wir hier noch eine zweite Harmonie zwischen dem physischen Reiche der Natur und dem moralischen Reiche der Gnade hervorheben, d. h. zwischen Gott, dem Erbauer der Maschine des Universums, und Gott, dem Monarchen des göttlichen Staates der Geister. Theodizee B. § 62, 74, 118, 248, 112, 130, 247.

88. Diese Harmonie hat zur Folge, daß die Dinge durch die eigenen Wege der Natur zur Gnade führen und daß z. B. der Erdball auf natürlichem Wege genau zu den Zeitpunkten zerstört und wiederhergestellt werden muß, wo die Regierung der Geister es der Züchtigung der einen und der Belohnung der andern wegen erheischt. Theodizee B. § 18 ff. § 110, 244, 245, 340.

89. Man darf auch behaupten, daß Gott der Baumeister Gott den Gesetzgeber in allem befriedigt und daß daher die Sünden vermöge der Ordnung der Natur und sogar infolge der mechanischen Einrichtung der Dinge ihre Strafe mit sich führen müssen und daß ebenso die guten Handlungen in bezug auf die Körper ihren Lohn auf mechanischem Wege herbeiführen werden, obgleich dies nicht immer auf der Stelle geschehen kann und darf.

90. Kurzum, unter dieser Regierung wird es keine gute Handlung ohne Belohnung, keine böse ohne Strafe geben und muß alles zum Besten der Guten ausschlagen, d. h. derer, die nicht zu den Unzufriedenen in diesem großen Staate gehören, die, nachdem sie ihre Pflicht getan haben, der Vorsehung vertrauen und die den Urheber alles Guten gebührendermaßen lieben und ihm nachahmen, indem sie sich an der Betrachtung seiner Vollkommenheiten erfreuen gemäß der Natur der wahrhaften reinen Liebe, die sich an der Glückseligkeit des Geliebten ergötzt. Eben dies veranlaßt die weisen und tugendhaften Menschen, sich für alles zu bemühen, was mit dem mutmaßlichen oder vorhergehenden Willen Gottes übereinzustimmen scheint, und dennoch mit dem zufrieden zu sein, was Gott vermöge seines geheimen, nachfolgenden oder entscheidenden Willens wirklich eintreten läßt, denn sie erkennen, daß wir, wenn wir die Ordnung des Universums hinlänglich zu begreifen vermöchten, finden würden, daß sie alle Wünsche der Weisesten übertrifft und unmöglich besser gemacht werden kann, als sie ist, nicht bloß für das Ganze im allgemeinen, sondern auch für uns selbst im besondern, wenn wir nur dem Urheber von allem gebührendermaßen ergeben sind, nicht bloß als dem Baumeister und der bewirkenden Ursache unseres Seins, sondern auch als unserm Gebieter und der Zweckursache, die das ganze Ziel unseres Wollens bilden soll und allein unser Glück bewirken kann. Theodizee B. § 134. Vorwort § 32. B. § 278. – Alles in allem hebt auch die Monadologie die Bedenken nicht, die sich von vornherein gegen das System der vorherbestimmten Harmonie geltend machen, obschon der Philosoph ersichtlich bestrebt gewesen ist, alle seine Sätze a priori zu begründen. Namentlich bleiben zwei Haupteinwände bestehen, nämlich 1. daß die vorherbestimmte Harmonie keine wirkliche Erklärung der Verbindung zwischen Leib und Seele gibt, sondern einfach die Ursache für die Übereinstimmung der Tätigkeit beider in Gott verlegt und somit den Inhalt der Erscheinungen nicht auf einfachere Prinzipien zurückführt, sondern ihn nur in seiner ganzen Verschlungenheit einer höhern Substanz zuschiebt; und 2. daß der Grundbegriff des ganzen Systems, die Monade, eine reine, unbewiesene und unbeweisbare Hypothese ist (vgl. Anm. 101, 102, 119). Man kann daher die vorherbestimmte Harmonie wohl als möglich zugeben, ganz entschieden aber muß bestritten werden, daß der Beweis für ihre Wirklichkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit erbracht worden sei, wie Leibniz in § 59 (S. 129) behauptet.


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