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An Christiane Dieterich

Liebste Frau Gevatterin

Ihren vortrefflichen Brief habe ich wenigstens so oft gelesen, als der andere, den mir Ihr und mein Dieterich und mein Boie zusammen geschrieben haben, Abteilungen hatte, denn so oft ich dort mit einer Periode zu Ende war, so holte ich wieder einmal den Ihrigen herbei. Morgen früh soll er in das noch nicht sehr dicke Paket, das ich Archiv meines Herzens überschrieben habe und in welchem ich die besten Briefe meiner Freunde aufbewahre, beigelegt werden. In das Büchschen hätte ich ihn gerne gelegt, aber es ging nicht wohl an, ohne die andern Raritäten, die so lange vorher da waren, daraus zu verdrängen.

Sie haben recht, ich erkenne es, daß Sie mir das gute Wetter erbeten (erbittet) haben, und ich gönne Ihnen sogar das etwas unchristliche Vergnügen, mir diese Wohltat vorzurücken, allein da Sie so ziemlich boshaft hinzusetzen, daß Sie mir ebenso leicht brechende Achsen und Branntewein-Mangel hätten vom Himmel erbitten können, so muß ich Ihnen doch im Vorbeigehen sagen, daß, was den Branntewein anbetrifft, Sie sich vielleicht vergeblich an den Himmel gewendet haben würden, denn aus gewissen Umständen zu urteilen, bekomme ich den meinigen anders woher.

Also wird doch noch zuweilen in Ihrer Stube an mich gedacht? Aber warum wünscht man, daß ich ohne meinen Teufel kommen möge? Diese Trennung gehe ich nicht leicht ein, und ich fürchte fast, wenn ich je wieder nach Göttingen komme, so bringe ich, anstatt diesen zu Hause zu lassen, sieben andere mit, die ärger sind als er. Auf meiner Stube wird auch an Leute gedacht und gewünscht, ich will wahrlich nicht mehr lachen, wenn ich von Leuten lese, die mit Büschen (ich hätte beinah geschrieben Büchschen), Feldern und Wäldern gesprochen haben; ich habe, seitdem ich böse Augen habe, schon oft mit dem Hut gesprochen, den ich in der letzten Woche zu Göttingen trug, und die Schuhe zu Zeugen angerufen, die ich am letzten Abend anhatte und die noch ungeputzt unter meinem Tische stehen. Du lieber Gott! Frau Gevatterin, nicht wahr, man ist zuweilen gerne empfindlich, aber ist es nicht ein höchst stiefmütterlicher Streich der sonst gütigen Natur, daß sie uns diese Empfindlichkeit so ganz ohne allen Überzug, den wir bei Widerwärtigkeiten überwerfen könnten, gegeben hat! Was ist doch der Mensch. Ich, der leichtsinnige, mutwillige Lacher, der noch immer sich mit natürlichem Gewehr geholfen hat, wo andere Leute schon nach dem Schild des Glaubens griffen, der nämliche kann nicht einmal von Leuten Abschied nehmen, wenn er eine Reise von eilf Meilen machen soll, ja nicht einmal von Leuten, die vielleicht Ursache haben – – soll ichs sagen – – Ursache haben, hinter ihm herzuflüstern: Nun Gott Lob, daß der Tollkopf einmal aus der Stadt ist – Hätte mich Dietrich damals geküßt, so wäre meine Standhaftigkeit zusammen gefallen wie ein Kartenhäuschen, in welches der Wind stößt.

Die Kleckse in Ihrem Brief habe ich erst gesehen, nachdem ich Ihre Entschuldigung wegen derselben gelesen hatte. Ich glaube, während als ich den Brief las, hätten Sie mir welche in das Gesicht machen oder mir mit gebranntem Kork einen zollbreiten Streifen von einem Ohr zum andern ziehen können, ich hätte es wahrlich nicht gemerkt, so sehr war ich in den angenehmen Brief verloren. Nun etwas!

In 4 Wochen ungefähr, wenn Sie einmal einen schönen Freitagmorgen am Hainberge heraufkommen sehen, so schütteln Sie die Kissen des Canapees für den Sonnabend zurecht. Denn ich poche gewiß einmal an Ihrer Türe zu der Zeit, da Sie glauben, ich säße in Hannover und rechnete oder schwärmte oder spielte um das höchste Los. Glauben Sie sicherlich, meine Freunde zu sehen und nur 6 Stunden vergnügt zuzubringen, achte ich eine Reise, und wäre sie von 30 Meilen, nicht so viel als eine Stecknadel.

Jetzo will ich noch ein paar Zeilen an Ihren Dieterich schreiben, verzeihen Sie mir aber, wenn Sie meine Briefe an ihn lesen, daß ich ihm mit so ungleicher Münze diene, schießen Sie die Zeilenpfennige aus, denn ich weiß es wohl, ich führe viel falsches Geld, aber ich könnte fürwahr nicht bezahlen, wenn man mir auferlegen wollte erst sorgfältig zu sortieren.

Ohne mich diesesmal um das Rotlauf zu bekümmern, küsse ich Sie mit unschuldiger Dreistigkeit und bin zeitlebens

Hannover, am Sonntage den 15. März 1772

Ihr ergebenster Diener und aufrichtiger Freund
G. C. Lichtenberg

In das Journal, das ich führe, habe ich folgendes geschrieben: Donnerstags den 27ten Februar machte ich einen kleinen Lärm in Herrn Dieterichs Haus und Madame hätte beinah zugeschlagen, donnerstags darauf den 5ten März machten die Studenten einen großen ditto auf der Straße und die Schnurren schlugen würklich zu.

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