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An Christiane Dieterich

Werteste Frau Gevatterin

Schläge habe ich allerdings verdient, aber auch wahrlich welche gekriegt, das weiß der liebe Himmel und alle, die Ihren letzten Brief an mich lesen. Zweimal sagen Sie mir, daß ich die Unwahrheit geredet hätte; zweimal heißen Sie mich den kleinen Professor, als wenn ich etwas dazu könnte, daß ich nicht größer bin; einmal, und zwar bei Gelegenheit der langen Arme, sagen Sie mir, ich wäre ja kein großer Herr, eben als wenn man sich selbst zum großen Herrn machen könnte, dieses hat mir noch kein Mensch vorgeworfen und ist mir recht durch die Seele gegangen; dann sagen Sie, Sie wollten mich nicht mehr mit Ihren Briefen inkommodieren, sobald Ihr lieber Gemahl wieder da ist, ich glaube, Sie werden künftig gar anfangen mich in Göttingen nicht mehr mit Ihrer Gegenwart zu inkommodieren, aber da will ich Ihnen ein Billet schreiben, das sich wahrlich nicht mit Christelchen anfangen soll. Und nun am Ende gibt mir die gute Frau zu verstehen, daß ich die Gallabführkosten hätte bezahlen müssen, wenn der liebe Mann über mein Billet sich ein Gallenfieber an den Hals geärgert hätte. Daß sich nur der gute Dieterich über solche Sachen nicht ärgert, ja wenn ein Buchdruckerjunge gesagt hätte, er wäre nicht zünftig, oder wenn Rosenbusch durch die Hintertüre gegangen wäre, da hätte er sich geärgert, allein mein Billet hat ihn nur befremdet. Hätte ich auch nur im mindesten sehen können, daß es ihn ärgern würde, so hätte ich es nicht geschrieben. Der Ärgerer will dem Geärgerten immer übel, ich hingegen habe alles zur Warnung und als Freund getan. Ja ich habe ihm so wohl bei der Sache gewollt, daß ich ihm in dem Augenblick, da ich das Billet schrieb, eine gebratene Schnepfe hätte können in den Mund stecken. In der Art zu lehren und zu warnen bin ich freilich etwas von derjenigen abgegangen, deren sich die Apostel bedient haben; dafür habe ich aber auch schon gelitten, und dafür sollen Sie mir, wenn Sie wollen, die Nase noch einmal blutig zupfen.

Die Reise über Hamburg hieher, Christelchen, Christelchen, das war eine Reise! Tun Sie sie ja. Es könnte kommen, daß Sie es im Himmel bereuten, Hamburg nicht gekannt zu haben, so wie die schon halb verklärte Nonne in ihrer Zelle bereut – Riccaut de la Marliniere hat nicht unrecht, die deutsch Sprack ist ein plump Sprack, hier sitze ich nun – so wie die halb verklärte Nonne in ihrer Zelle zu spät bereut – nun was wähle ich lange – zu spät bereut, Hamburg nicht gekannt zu haben. Ich bitte Sie, tun Sie ja die Reise, es kostet Sie und Vater Dierck auf der Kutsche nicht mehr als eine Reise nach Gotha, wenigstens nicht mehr als die, die wir Gensmal zusammen getan haben, und wenn Sie in Hamburg sind, so haben Sie gewonnen Spiel, da lebt man vom Sehen. Wenn Sie aber allenfalls essen und trinken wollten, so verspreche ich Ihnen alles was Tafel, Tasse, Bouteille (aus schönen Mädchen machen Sie sich, wie ich weiß, nicht viel), reizende Aussichten zu Wasser und zu Land, auf Wasser und auf Land und Umgang nur Entzückendes gewähren können, das sollen Sie in 8 Tagen, die Sie in Hamburg zubringen, mit vollen Zügen genießen.

Eilf Briefe haben hier auf mich gewartet, und die, die sie geschrieben haben, warten alle auf Antwort, wäre dieses nicht, so führte ich Sie jetzt ein bißgen durch Hamburg, ich wollte wetten, Sie sollten nicht müde werden. Doch dieses geschieht vielleicht künftig einmal, wenn ich selbst besser zu Fuße bin. Heute will ich Sie einmal ein wenig in den Speisesaal der Königin von Dänemark zu Celle gucken lassen. Am 12ten Mai um halb 8 des Abends langte ich äußerst ermüdet, ob ich gleich nur 5 Meilen gereiset war, in Celle an. Die Ursache war, ich hatte die Nacht vorher keine Stunde geschlafen. Von Hannover reisete ich in der Hoffnung ab, in Celle wenigstens bis um 4 schlafen zu können, weil die Kutsche nach dem Kalender alsdann erst wieder fort geht. Allein, Madam, trauen Sie keinem Kalender, Ihr Mann müßte ihn denn gedruckt haben, der verdammte Kerl hatte sich um 4 Stunden verrechnet, und die Kutsche ging um 12 ab. Ich ließ mich in das beste Wirtshaus bringen mit dem festen Entschluß, daß meine Augen dafür, daß sie diese Nacht wieder offen stehen mußten, auch etwas sehen sollten. Das erste, was sie zum besten bekamen, war ein eingelegter polierter Fußboden, auf dem ich fast in demselben Augenblick schon gesessen hätte, in welchem ich ihn erblickte. Zum Glück glitschte ich noch wider ein mitleidiges Dienstmädchen, die den Fall brach. Hierauf trippelte ich nach einem bepolsterten Armsessel hin, dem ich nunmehr aus eignem Entschluß den Teil meines Körpers zukommen ließ, den sich der Fußboden vorher wider meinen Willen anmaßen wollte. Hier saß nun der Professor in Celle. Damals wußte er es freilich noch nicht gewiß, nachher erfuhr er aber aus einem gewissen Umstand, daß der Postillon ein ehrlicher Kerl gewesen war und ihn nicht etwa in Hildesheim oder in Langenhagen oder in Neustadt am Rübenberge oder in Wunstorf (denn alle diese Örter hätten es sein können) abgesetzt hatte. Am Tor hatte uns zwar ein Unteroffizier gefragt, wer wir wären, allein keiner von den 5 Köpfen, den meinigen mitgerechnet, die in der Kutsche waren, hatte so viel Vorsicht wieder zu fragen, ob dieses Celle wäre. Ja was die Sache noch mehr verwirrte und würklich machte, daß ich in Gedanken mein rechtes Bein über den rechten Arm des Sessels schlug, welches ich gewöhnlich tue wenn ich Gründe abwäge, war dieses, daß ich auf dem Posthause zu Hannover mit keiner Silbe gesagt hatte, daß ich nach Celle wollte. Sondern 4 Tage vorher hatte ich meinem Bedienten befohlen, mir einen Platz zu bestellen, und dieser hatte die Ordre wieder an den Hausknecht indossiert. Aus dieser Verlegenheit setzte mich auf einmal der Wirt, den ich gradeweg fragte: kann ich die Königin von Dänemark speisen sehen, in der Tat nahm ich an, was ich eigentlich erst wissen wollte, nämlich, daß ich in Celle wäre. O ja, versetzte der Wirt, gleich hier hinten. Ich. Ist das Schloß weit von hier? Der Wirt. Verzeihen Sie, nur einen Schritt. (Im Hingehen habe ich die Schritte gezählt, es waren grade 382), auf dieser Stube haben ehmals der Herr Kammerherr von Busch logiert. Ich. Um wieviel Uhr speist die Königin? Der Wirt. Um neun, mein Herr. Ich. Und wenn werde ich speisen? Der Wirt. Gleich, wenn Sie befehlen (Er wollte mit einem gebundenen Lächeln abgehen, weil er den Kontrast zwischen meinem Tisch und der Tafel der Königin anschauender erkennen mogte als ich, der Passagier, der weder den Zustand der Küche der Königin noch des Wirts kannte.) Er war schon beinah hinaus, als ich ihn mit einem Apropos wieder zurückzog. Ich. Apropos, Herr Wirt, Sie müssen mir jemanden mitgeben, der mir den Speisesaal zeigt. Der Wirt. O zu dienen, mein Hausknecht soll Sie hinbringen. Er hatte dieses kaum gesagt, so war er schon so weit, daß er durch kein Apropos mehr erreicht werden konnte. Mein Essen, das bald darauf erschien, war reinlich und wohlschmeckend und mein Appetit verhältnismäßig gut, so daß damals eine Vergleichung zwischen dem Dänischen Thron und meinem Cellischen Armsessel vermutlich sehr zum Nachteil des ersteren ausgefallen sein würde. Um 9 Uhr kam mein Führer. Ich trabte ohne ein Wort zu sprechen, denn in der Tat zählte ich die Schritte, hinter ihm her. An der Treppe, die sehr erleuchtet war, dachte ich bei mir selbst: Professor, was für seltsamen Konjunkturen hat Dich nicht Dein Schicksal aufbehalten. In England stellte Dich ein König einem Glasschleifer vor, der armseliger als dieser Knecht da stund, und nun führt Dich ein Hausknecht vor eine Königin, die unter allen jetzt lebenden die größten Artikel in der Geschichte bekommen wird. Nun stund ich vor dem Speisesaal, dessen Türe halb offen und von drei Soldaten bewacht war. Weil ich anfangs keine Zuschauer sah, so wollte ich nicht hinein, Gehen Sie nur zu, sagte der Hausknecht. Gehen Sie nur getrost hinein, sagte eine Schildwache, es sind schon mehr Leute drin. So sei es denn, dachte ich, zupfte noch einmal an meiner Weste und Halsbinde und marschierte hinein.

Ich verharre mit vollkommenster Hochachtung

Meiner wertesten Frau Gevatterin
ergebenst gehorsamster Diener und Freund

G. C. Lichtenberg

Stade, den 20ten Mai 1773

Meine vielfältigen Komplimente an den Herrn Professor Baldinger und Herrn Dumont.

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