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Von den Insassen in der Loge war nur Einer, der sich für die Vorgänge auf der Bühne interessirte: das war Welsheim. Die drei Anderen hatten ganz Anderes zu thun.
Ein größerer Gegensatz als der zwischen den beiden Damen, die auf den Vorderstühlen saßen, war kaum denkbar. Leonie strahlte im Luxus ihrer glänzenden Toilette. Sie fühlte sich wie zu Hause, vollkommen ungezwungen und frei, und musterte mit der durch die Gewohnheit erlangten Sicherheit durch ihr kleines Perlmutter-Duchesseglas die verschiedenen Logen und Parquetreihen – lediglich um sich darüber zu vergewissern, ob sie von Bekannten beobachtet werden könne. Sie schien befriedigt zu sein: sie sah nur fremde Gesichter.
Neben der schönen Weltdame wirkte Martha wie eine verschüchterte Gouvernante, die man aus Gnade und Erbarmen mitgenommen hat – unbeholfen und ängstlich. Sie kam sich jetzt im hellen Lichte der mächtigen Gaskrone so ärmlich, so geduldet vor. Während Leonie in lässiger Haltung, nach vorn gebeugt, den Ellbogen auf die Ballustrade stützte und in der vom knappen, vorzüglich sitzenden Handschuh umspannten Hand das reizende kleine Opernglas vor den Augen hielt, saß Martha gerade auf ihrem Sessel, wie ein Schulkind auf der Bank, und hatte die Hände auf den Schooß gelegt, weil sie bemerkt hatte, daß die oft getragenen, tieffaltigen dunkelbraunen Handschuhe an den Fingerspitzen eine verdächtige hellere Schattirung angenommen hatten. Das prächtige Kleid ihrer Nachbarin streifte ihr altes dunkles Wollenkleid. So verhaßt ihr der Anblick war, sie konnte nicht umhin, die Kostbarkeit des Stoffes, die leuchtende Schönheit der Farbe zu bewundern. Und leise seufzend hob sie das Auge, und es überkam sie ein Gefühl des Neides, als sie die in vornehmer Nachlässigkeit dasitzende Frau betrachtete, den entzückenden Umhang, der etwas herabgeglitten war, um die anmuthige Rundung der Schultern zu zeigen, das graziöse Hütchen, das federleicht auf dem von Künstlerhand geordneten Haar saß. Du lieber Gott! Das kleine Hütchen kostete mehr, als sie das ganze Jahr für den Aufwand ihrer Kleidung verausgaben durfte. Und diese herrlichen Brillantenboutons in den kleinen rosigen Ohren, und dieser Gardenienstrauß auf der Brust mit seinem penetranten Dufte sinnlicher Corruption … Ja, diese Frau durfte lächeln, durfte ihre wundervollen kleinen Zähne zeigen! Sie war glücklich, reich, gefeiert. Sie war das Bild des Wohllebens, der Gesundheit. Ihre runden Wangen waren blühend und frisch! …
Wie jämmerlich kam sich die arme Martha in ihrer dunklen Dürftigkeit daneben vor! Sie hatte sich zuviel zugemuthet. Sie fühlte sich niedrig, beschämt, kreuzunglücklich – ohnmächtig gegenüber einer Gegnerin, deren Kriegskasse gefüllt war, und die in ihrem Arsenal Waffen von unerreichbarer Ueberlegenheit besaß.
Was Martha geahnt hatte, wurde ihr nun zur Gewißheit. Sie konnte nicht mehr daran zweifeln, daß Hugo, den sie allein zu besitzen vermeint hatte, ganz und gar im Banne dieses übermüthig stolzen Weibes mit den unruhigen wasserblauen Augen war …
Wie glühend sie diese Leonie haßte, die sich jetzt nicht einmal mehr die Mühe gab, Freundlichkeit oder auch nur oberflächliche Theilnahme für sie zu heucheln, für die sie gar nicht mehr zu existiren schien, und die in geradezu schamloser Weise das laute Spiel des Orchesters dazu benutzte, um Hugo Verfängliches zuzutuscheln, arglos lächelnd und mit dem Fächer geschickt manövrirend. Ja, es waren sicherlich Verfänglichkeiten, die Leonie ihm zufächelte, wenn sie sich an den Rücken des Sessels lehnte und den Kopf nach hinten warf! Martha horchte mit fieberhafter Anspannung auf, aber sie vernahm nur abgerissene Laute der Beiden und das laute Klopfen ihres eigenen Herzens, das seine Blutwellen durch den armseligen Körper jagte, an den Pulsen der Handgelenke, am Halse, an den Schläfen hart hämmerte.
Was hatten sie sich nur zu sagen? Was besprachen sie?
»Sie haben – es giebt kein anderes Wort: eine nichtswürdige Komödie mit mir gespielt, mein Lieber! Und jetzt, da Sie mir nicht mehr gefährlich sein können, will ich Ihnen ehrlich bekennen, daß Sie mir gefährlich gewesen sind. Denn ich Thörin habe geglaubt, daß Sie mich liebten. Was haben Sie sich denn eigentlich bei Ihren Bewerbungen gedacht? Haben Sie sich etwa eingeredet, daß ich eine jener Frauen bin, die man gelegentlich einmal zur Geliebten nimmt? Dann haben Sie sich in mir getäuscht. Ich bin ein bischen ernsthafter, als ich wirke.«
Das Haus ertönte von dem schallenden Beifall, der den halsbrecherischen Luftsprüngen eines wundervoll gewachsenen, kaum dem Kindesalter entrückten Mädchens, das von einem schwebenden Trapez zum andern flog, gespendet wurde. Welsheim war ganz hingerissen von der Grazie und Sicherheit der jungen Künstlerin, und Hugo klatschte mit, während er, sich nach vorn beugend, mit zitternder Stimme erklärte:
»Ich habe Ihnen gegenüber niemals gelogen, weder in Worten noch in Handlungen. Ich habe nie daran gedacht, Sie zu unterschätzen. Die Frivolität, die Sie bei mir voraussetzen, liegt mir fern. Was ich durchgemacht habe, seit ich Sie kenne – ich kann's Ihnen nicht sagen … hier am allerwenigsten. Vielleicht werden Sie doch einmal einsehen, daß Sie mir schweres Unrecht anthun!«
»Und Ihre Braut?«
»Ich kann jetzt nicht davon sprechen! Es ist unmöglich! Ich weiche der Auseinandersetzung nicht aus! Im Gegentheil: ich bitte Sie inständig, mir die Gelegenheit dazu zu verschaffen.«
Vom Beifall der Stammgäste begrüßt, betrat jetzt die Wiener Volkssängerin die Bretter, eine stattliche Erscheinung, nicht mehr ganz jung, aber mit jugendlichen Bewegungen, flott und fesch in ihrem Auftreten, die die Schönheiten des lieben Wien in allen denkbaren Varianten pries. Während des Gesanges, der von der Kapelle discret begleitet und vom Publikum aufmerksam belauscht wurde, stockte die Unterhaltung zwischen den Beiden, und Hugo benutzte die Gelegenheit, um Martha, die zum Erschrecken bleich aussah, einige gleichgiltige Worte zu sagen. Martha fühlte sich von der Vernachlässigung ihres Bräutigams tödtlich verletzt. Ohne zu verstehen, was die Beiden sich zuflüsterten, wußte sie ganz genau, daß ein schnöder Verrath an ihr begangen wurde. Sie war vor schmerzhafter Aufregung fast besinnungslos und machte eine schroff abwehrende Bewegung. Es empörte sie, daß ihr jetzt ein Almosen hingeworfen wurde.
Bei der nächsten Nummer des Programms, japanische Akrobaten und Gaukler, war das Orchester wieder so laut, daß das unterbrochene Gespräch von Hugo wieder aufgenommen werden konnte.
»Ich begreife ja vollkommen, daß Sie an mir haben irre werden müssen,« sagte er, seinen Bart streichelnd und mit der Hand seine Lippen bedeckend. »Es ist mir lieb, daß Alles so gekommen ist, denn nun werde ich den Muth finden, Ihnen etwas zu sagen, was mir auf der Seele brennt. Und es wird und muß mir gelingen, den Irrthum aufzuklären.«
»Ich glaube es kaum.«
»Sie müssen mir Gehör geben! Wann kann ich Sie sprechen – ungestört?«
Leonie fächelte sich und blickte auf die Bühne.
»Ich bitte Sie inständig, sagen Sie mir, wann und wo?«
»Morgen Mittag halb eins bei mir,« antwortete Leonie, den Fächer in demselben Tempo wie vorher bewegend und ohne den Blick von der Bühne abzuwenden.
Martha hustete hart und trocken. Sie hatte Leonies Antwort gehört. Es durchschnitt ihr das Herz und wühlte grausam in der schmalen, kranken Brust. Und wiederum entflammte auf den Backenknochen die unheimliche Röthe. Sie drückte ihr Taschentuch fest an den Mund, um den Schall des heftigen Hustens zu dämpfen. Als sie es vom Munde nahm, war es röthlich befleckt. Sie allein sah es, und ein Lächeln von unendlicher Traurigkeit hob ihre Lippen.
»Das ist aber eine böse Erkältung!« bemerkte Welsheim mit Theilnahme. »In der Conditorei finden wir vielleicht Pastillen, jedenfalls Bonbons …« Er wollte sich erheben.
»Ich bitte Sie dringend,« entgegnete Martha, »bemühen Sie sich nicht! Es ist schon vorüber!«
Ihre Stimme klang so seltsam hohl, daß es Hugo auffiel.
»Dir scheint wirklich nicht wohl zu sein. Kann ich irgend etwas für Dich thun?«
»Bringe mich an eine Droschke … Es thut mir unendlich leid, wenn ich das Vergnügen des Abends störe,« fügte sie hinzu, sich mehr an Welsheim als an Leonie wendend. »Aber ich muß Sie um Entschuldigung bitten, wenn ich gehe. Es ist mir hier zu heiß und zu viel Rauch. Um meine Lunge ist es nicht zum Besten bestellt, ich muß mich in Acht nehmen. Es ist noch früh, ich komme vor Thoresschluß nach Hause. Ich habe nur eine Bitte: incommodiren Sie sich meinethalben nicht!«
Sie hatte sich erhoben.
»Davon kann natürlich nicht die Rede sein,« erklärte Welsheim. »Wir haben Ihrer Mama versprochen … Unser Wagen …«
Martha hatte sich an Welsheim vorübergedrängt und war mit den Worten: »Entschuldigen Sie mich, bitte!« an die Logenthür getreten. Ihr Aufbruch war so plötzlich, daß man an eine acute Aeußerung ihrer Krankheit glauben mußte. Sie verließ die Loge mit einer hastigen Verbeugung. Hugo war aufgestanden, hatte seinen Hut ergriffen und rief:
»Ich hoffe, bald zurückzukommen und sie Ihnen wiederzubringen. Es hat nichts auf sich, es geht schnell vorüber.« Er folgte ihr.
Auch Welsheim schickte sich an, die Loge zu verlassen.
»Du wirst mich doch hier nicht allein lassen?« sagte Leonie. »Du hörst ja, es ist nichts von Bedeutung.«
Der Vorsicht halber nahm Hugo für alle Fälle an der Thür eine Contremarke.
Martha hatte das bestimmte Gefühl, daß sie sich nicht würde beherrschen können, wenn sie mit Hugo jetzt zusammenblieb. Und sie wollte sich nicht verrathen.
»Laß mich allein nach Hause fahren!« bat sie, als sie vor der Droschke standen, deren Kutscher sich gemächlich zur Abfahrt vorbereitete. »Mir ist schon wieder ganz wohl in der freien Luft. Du erweisest mir einen Gefallen, wenn Du mich nicht begleitest.«
»Aber das ist doch unmöglich! Du wirst einsehen …«
»Weshalb soll es unmöglich sein? Das Haus ist noch offen. Du verpflichtest mich, wenn Du von der Geschichte kein Aufheben machst. Ich bin jetzt am liebsten allein.«
»Aber Martha …«
»Quäle mich doch nicht! … Daß Du mich gern begleiten würdest, daran werden Deine Freunde ja keinen Augenblick zweifeln. Sie werden verstehen, daß Du meinen ernstgemeinten Wunsch erfüllt hast … Also bitte, kein Wort mehr! … Kutscher, Brüderstraße!«
Sie zog die Wagenthür fest an und grüßte mit der Hand, als sich das Pferd zu einem bequemen Trab entschloß. Dann aber warf sie sich zurück, weinte und schluchzte so heftig, daß ihr ganzer Körper erschüttert wurde, weinte um ihn, den sie verloren hatte.
Zum Glück hatte die Räthin das Licht schon gelöscht, als Martha vorsichtig in das Schlafzimmer trat. Die Mutter fuhr aus dem Halbschlaf auf: »Schon da? Was ist denn geschehen?«
»Nichts, Mama. Im Theater war so stickige, schlechte Luft, daß ich meines dummen Hustens wegen nicht länger bleiben mochte. Es war übrigens langweilig. Hugo hat mich begleitet … Schlaf wohl, Mama, gute Nacht!«
Sie beugte sich über ihre Mutter und küßte sie. Ohne Licht anzuzünden, entkleidete sie sich. Als sie im Bett lag, vergrub sie ihr Gesicht in das Kopfkissen und zog die Decke über sich, um unbemerkt weinen zu können. Ihre Mutter war, wie sie an den ruhigen, regelmäßigen Athemzügen erkannte, eingeschlafen.
Hugo mochte sich keine Rechenschaft davon ablegen, daß Martha ihn nicht besonders dringlich darum hatte zu bitten brauchen, sie nicht nach Hause zu begleiten. Es drängte ihn gewaltsam zu Leonie. Es war doch gut, daß er eine Contremarke genommen hatte.
Ein Lächeln der Befriedigung überflog Leonies Lippen, als Hugo in die Loge zurückkehrte. Er aber hatte eine Empfindung der Befangenheit und Scham und brachte ziemlich schwerfällig und unbeholfen die Erklärung hervor, daß Martha ihm geradezu befohlen habe, umzukehren. Es ginge ihr übrigens wieder vollkommen gut, sie fürchte nur die vom Tabaksqualm verdorbene Luft, sie sei heiter und vergnügt nach Hause gefahren und habe ihn noch beauftragt, den Herrschaften zu danken und insbesondere die gnädige Frau herzlich zu grüßen.
Leonie schloß dankend die Augen.
Es war Hugo unmöglich, die rechte Stimmung wiederzufinden. Eine unerklärliche Macht hatte ihn in Leonies Nähe getrieben. Nun, da er sie fühlte, wenn seine Hand auf der Lehne ihres Sessels ruhte, da er sie in ihrem vollem Liebreiz vor sich sah und den betäubenden Duft ihrer Gardenien einsog, da sein Verlangen gestillt war, da er zwangloser als vorher mit ihr hätte plaudern dürfen – denn Welsheim hatte Auge und Ohr nur für das, was auf dem Podium vorging –, nun verstummte er und wurde von einer tief verstimmenden Unbefriedigung beherrscht, die er nicht abschütteln konnte. Er machte sich Vorwürfe. Er dachte an Martha, die jetzt in der alten Droschke allein ihrer unerfreulichen Behausung zufuhr. Er suchte nichts mehr zu beschönigen. Er sagte sich, daß er sich gegen ein armes krankes Kind, das er aus seiner Seelenruhe aufgescheucht hatte, in unverantwortlichster Weise benahm. Wenn ein Irrthum begangen worden war, so war es ausschließlich seine Schuld, und er allein hatte dafür zu büßen. Die Wahrheit, daß er sie nicht so liebe, wie er sich und ihr eingeredet hatte, durfte er ihr nicht eingestehen: es würde ihr das Herz gebrochen haben. Er traute sich Willenskraft genug zu, um diese Wahrheit ewig verborgen vor ihr zu halten. Sie sollte nicht leiden, die Aermste! Und wer weiß, das gerechte Geschick würde ihn für seinen Heroismus am Ende doch noch belohnen und ihn glücklich machen in der Erfüllung seiner sittlichen Pflicht. Er würde Martha anders lieben, als er zu lieben einst geträumt hatte, aber vielleicht nicht schlechter.
Sein Entschluß war gefaßt: er wollte sich dem verhängnißvollen Einflusse Leonies entziehen, so sehr er darunter auch leiden mochte. Sein Leben sollte fortan lediglich den Pflichten gehören, die er Martha gegenüber übernommen hatte. Freilich würde er einen harten Kampf zu bestehen haben … um so verdienstlicher und edler der Sieg. Nur sich selbst, nur seine eigenen Gelüste hatte er zu bekämpfen: er wußte, daß die stolze Leonie keinen Versuch machen würde, ihn zurückzuhalten, wenn er zu gehen entschlossen war. Er brauchte ihr nur anzudeuten, daß er sich in seinem Gewissen beunruhigt fühle, daß er den ferneren Verkehr mit ihr als ein Unrecht gegen seine Braut betrachte, um sicher zu sein, von ihr selbst den Laufpaß zu erhalten. Noch hatten sie nur in Gedanken und Worten gesündigt, noch waren nicht Fesseln zu sprengen, die sie durch geheime schuldige Thaten aneinandergeschmiedet hatten. Noch war es möglich, daß sie sich über Jahr und Tag einander gegenübertreten konnten, ohne die Augen niederzuschlagen, daß sie über das Geschehene wie über eine holde Jugendeselei lachen durften.
Es mußte sein!
Er gab sich keinen Täuschungen darüber hin, daß das Ausscheiden Leonies aus seinem Dasein eine erschreckliche Leere schaffen würde. Der Reiz ihrer Erscheinung war nur der erste Vermittler gewesen. So empfänglich seine Sinne auch für die äußeren Vorzüge waren, für Leonies eigenartige Schönheit, für die vom Wohlstande ihr gewährten Bedingungen, diese Schönheit mit ausgesuchtester Sorgfalt zu pflegen und durch den Geschmack und Luxus und durch die ausgeklügeltsten Toilettenkünste zu heben, für die behagliche und prächtige Umrahmung ihrer Häuslichkeit – nicht das war es gewesen, was ihn an Leonie gefesselt, was sein Herz und seine Seele ihr zugewandt hatte. Es war ihr feinfühliges Verständniß für seine geistigen Bestrebungen und Leistungen, ihre ungeheuchelte Theilnahme an dem, was er schuf, ihre stete Anregung und Förderung. Er gestand sich ganz ehrlich, daß er das Schauspiel, an dem er jetzt mit reinster Schaffensfreude arbeitete, und das seiner Vollendung zureifte, ohne sie so, wie es sich in den letzten Wochen gestaltet hatte, niemals hätte schreiben können. Er fühlte einen mächtigen Drang, ihr jede Zeile, die er niedergeschrieben hatte, vorzulesen. Niemals sagte sie eine Banalität, jede ihrer Bemerkungen traf in's Schwarze. Ihren Bedenken wußte sie die verbindlichste und klügste Form zu geben, sie verstand es, ihn zu überzeugen, ohne ihn jemals durch eine Schroffheit zu verletzen. Ihr Lob war warm wie Sonnenschein, der Verkehr mit ihr war ihm eine unausgesetzte Aufmunterung.
Hugo konnte nicht ahnen, daß Martha ebenso richtig und vielleicht noch tiefer mit seiner Arbeit fühlte. Martha war im Ausdruck aller ihrer Empfindungen unbeholfen. Sie besaß für ihre Gefühle nur ein höchst mangelhaftes Vocabular. Sie wagte nicht zu tadeln, sie verstand nicht zu loben. Sie hörte ihm mit ihren seltsam leuchtenden Augen aufmerksam zu, lächelte befriedigt oder verlegen, schwieg oder sagte Nichtssagendes. Und so stellte sich bei Hugo regelmäßig eine lähmende Verstimmung ein, wenn er seiner Braut die eben geschriebene Scene vorlas, während er von Leonie mit gehobener Arbeitsfreudigkeit an sein Pult zurückeilte. Martha belastete ihn mit Blei, Leonie gab ihm Schwingen. So war es gekommen, daß Hugo seit einiger Zeit überhaupt darauf verzichtet hatte, Martha, von der er meinte, daß sie ihn ja doch nicht verstände, mit dem, was er schuf, bekannt zu machen, während ihm Leonies echte, kluge und mittheilsame Theilnahme der Sporn zu fröhlichster Thatkraft geworden war.
Aber gleichviel! Auch damit hatte er sich nun abzufinden, nachdem er es als seine Pflicht erkannt hatte, dem unerträglichen und unmöglichen Doppelspiel ein Ende zu machen und der armen Martha gegenüber zu handeln, wie er als ehrlicher Mann handeln mußte. Er gab die Hoffnung nicht auf, Martha mit der Zeit heranzubilden und zu seiner Höhe zu erheben.
Alles das schoß durch Hugos Hirn, als er jetzt wieder hinter Leonie saß, nun ernst und schweigsam. Schweigsam seit einigen Minuten, die Leonie eine Ewigkeit dünkten.
Ohne Hugos Gesicht sehen zu können, errieth sie, was in ihm vorging. Sie wollte sich indessen von der Richtigkeit ihrer Vermuthungen noch überzeugen. Wenn sie sich doch täuschen möchte!
»Da wir leider auf das Vergnügen verzichten müssen,« begann sie vorsichtig, »Fräulein Breuer heut Abend in unserer Gesellschaft zu sehen, hat unser Zusammenbleiben nach der Vorstellung eigentlich keinen Zweck mehr – es fehlt ihm der Mittelpunkt. Ich denke, wir verschieben die intime Feier auf einen andern Tag …«
»Die Feier, meinethalben!« fiel Welsheim ein. »Aber wir können doch gemüthlich zusammenbleiben und irgendwo ein Glas Wein trinken …«
Hugo schwieg.
»Was meinen Sie?« fragte Welsheim.
»Ich kann der gnädigen Frau eigentlich nicht Unrecht geben,« antwortete Hugo trocken.
Leonie erbleichte ein wenig, sie preßte die Lippen zusammen und athmete durch die Nase. Sie hatte sich also nicht getäuscht! Wie würde er sonst, gestern noch, noch vor ein paar Stunden, alles Erdenkliche gethan haben, um das Zusammensein mit ihr zu verlängern! Und jetzt, da er nur ein Wort zu sagen brauchte, um das zu erreichen, war er außer Stande, dieses eine Wort über seine Lippen zu bringen, und er beeiferte sich, durch die Thür, die Leonie ihm geöffnet hatte, zu entschlüpfen.
Nach einer kurzen Pause nahm Leonie wieder das Wort: »Uebrigens muß ich gestehen, daß meine Wißbegier befriedigt ist. Ich denke, wir brechen auf …«
Hugo schwieg wiederum.
»Aber das Beste kommt ja erst! Die Pantomime!« warf Welsheim ein.
Leonie wartete eine Secunde, ob Hall sich melden würde. Da er in seinem Schweigen beharrte, sagte sie mit gespielter Mattigkeit: »Ich fühle mich ein wenig angegriffen … Mir wär's lieber …«
»Wenn Du Dich unwohl fühlst, ist mir Dein Wunsch natürlich Befehl. Ist es aber keine zu starke Zumuthung … mir würde es Spaß machen, mir die Pantomime anzusehen …«
Jetzt mischte sich endlich Hugo ein: »Da die gnädige Frau abgespannt zu sein scheint … wir versäumen sicher nicht viel, wenn wir uns die Pantomime schenken. Es ist ja immer die alte Geschichte: Prügel, Fußtritte, Stolpern und Fallen …«
»Also gehen wir!« sagte Leonie, indem sie sich unwillig erhob.
Welsheim schickte sich in das Unvermeidliche und folgte mit Bedauern seiner Frau, der Hugo den Arm geboten hatte.
»Also es bleibt dabei,« flüsterte er ihr zu, als sie die Treppe hinabstiegen, »morgen Mittag halb eins?«
Leonie schloß zustimmend langsam die Augen.
Welsheims Einladung, seinen Wagen mit zu benutzen, lehnte Hall dankend ab. Er wolle noch ein paar Freunde und Collegen aufsuchen, die er in einer in unmittelbarer Nähe gelegenen Restauration sicherlich finden werde.
Leonie heuchelte Kopfweh, wie immer, wenn sie nicht sprechen wollte.
Als sie zu Hause angekommen waren, wo in dem kleinen Speisezimmer, in dem nur in den ziemlich seltenen Fällen, daß sie keinen Gast hatten, die Mahlzeiten eingenommen wurden, die Vorbereitungen zum Abendessen getroffen waren, bat Leonie ihren Mann, sie zu entschuldigen, daß sie ihm nicht Gesellschaft leiste, sie fühle sich wirklich recht elend und wolle sich gleich zur Ruhe begeben. Sie fügte sogleich hinzu, Felix brauche sich durchaus nicht zu beunruhigen. Ein paar Stunden Ruhe, und Alles würde vorüber sein. Sie bot ihrem Mann die Stirn zum Kusse und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, das neben dem ihres Gatten lag. Sie schloß die Verbindungsthür.
Germaine hatte der gnädigen Frau Hut und Ueberwurf abgenommen und harrte nun der weiteren Befehle der Herrin.
Es war ein großer Raum, dem Garten zu gelegen, in hellen Farben gehalten. Auch die Möbel waren aus lichtem Ahorn gefertigt; das breite Bett stand in einer tiefen Nische mit verschließbaren Vorhängen, die in Uebereinstimmung mit den Bezügen der niedrigen Polstermöbel aus einem leichten Seidenstoff in zarten Tönen mit einem Blumenmuster im Zopfstile gefertigt waren. Am Fuße des Bettes stand eine Ottomane mit einem schwellenden Kissen und einer federleichten Decke aus Eiderdaunen. Dort pflegte Leonie am Nachmittage hinter den halb herabgelassenen Vorhängen zu ruhen. Gegenüber zwischen den beiden breiten Fenstern befand sich eine mächtige Chiffonnière, mit einem großen Spiegel in der Mitte, der bis auf den Fußboden hinabreichte, an beiden Seiten größere und kleinere Kasten, die einen verschließbar, die anderen offen, in denen allerhand Krimskrams untergebracht war Handschuhe, Fächer, Taschentücher, Fichus, der einfache Schmuck, den sie gewöhnlich trug, auch Briefe und Schreibereien leichte Lectüre aller Art, alles Mögliche mit einem Worte. An jeder Seite des Spiegels waren dreiarmige Leuchter angebracht, in denen jetzt die Kerzen brannten, denn Leonie liebte auch am Abend Tageshelle.
Sie hatte eine Weile auf der Couchette gesessen und ziemlich gedankenlos auf die Rosensträuße und den kastanienbraunen Rand des Aubussonteppichs geblickt. Sie erhob sich nun mit einer gewissen Anstrengung und winkte ihrer Germaine, die kerzengerade in einer Ecke stehen geblieben und bemüht gewesen war, ihre Anwesenheit nicht durch die leiseste Bewegung, nicht durch einen Athemzug zu verrathen.
Germaine getraute sich nun, während sie das Kleid der Herrin abstreifte, mit gutmüthigem Ausdruck zu bemerken:
»Gnädige Frau sollten immer nur helle Kleider tragen. Gnädige Frau sehen heute Abend zu schön aus.«
Leonie lächelte müde.
»Gnädige Frau scheinen aber etwas abgespannt zu sein. Vielleicht trinken gnädige Frau eine Tasse Thee? Das thut so gut! Und es ist ja noch früh. Kaum elf Uhr.«
Während sie das sagte, hatte sie das Kleid wie liebkosend in die richtigen Falten gestreichelt und trug es nun in das anstoßende Toilettenzimmer, um es in dem riesigen Schranke an dem dafür schon bestimmten Platz aufzuhängen.
Leonie hatte nicht geantwortet.
Germaine war zurückgekommen, kniete vor ihr nieder, zog die koketten Halbschuhe von Leonies kleinen Füßchen und legte ihr die Pantoffeln an.
»Darf ich der gnädigen Frau eine Tasse Thee bringen?« wiederholte Germaine, wie verliebt zu Leonie aufblickend.
»Nein, ich danke … Sie können gehen.«
Germaines Gesicht nahm den Ausdruck großer Verwunderung an.
»Wollen sich denn die Gnädige allein die Haare lösen?«
»Ja! Gute Nacht!«
»Soll ich nicht wenigstens die Lichter am Spiegel löschen.«
»Wünsche der gnädigen Frau recht wohl zu ruhen,« sagte Germaine ganz betroffen. Als sie die Thür hinter sich geschlossen hatte, schüttelte sie den Kopf. Das war ja etwas ganz Ungewöhnliches! »Ach Gott!« seufzte sie mit einer gewissen Bangigkeit und begab sich nachdenklich in ihr Stübchen.
Leonie blieb lange Zeit halb entkleidet auf dem niedrigen Polster sitzen. Sie fühlte eine merkwürdige Schwere im Kopfe, eine dumpfe Denkfaulheit, ein allgemeines Unbehagen. Sie dachte eigentlich an gar nichts Bestimmtes. Sie war wie von einem wirren Traum befangen. Auf ihrer Stirn zeichnete sich immer schärfer und schärfer eine Falte, die senkrecht zwischen den dunklen Brauen zum Haaransatze aufstieg.
Mühsam erhob sie sich endlich und ging träge in das Toilettenzimmer, ohne den leichten Schlafrock, den Germaine bereit gelegt hatte, überzuwerfen. Sie setzte sich an den Toilettenspiegel, ohne sich, wie sonst, aufmerksamer zu betrachten. Sie nahm eine Nadel um die andere aus dem üppigen, weichen, fast schwarzen Haar, das sich in welligen Strähnen löste und in sanften Ringeln auf ihren Nacken und die entblößten Schultern herabfiel. Dann warf sie den Kopf nach hinten und schüttelte ihn, so daß das volle Haar nun wie ein Mantel in gleichmäßiger Dichtigkeit sie umwallte. Sie bemerkte gar nicht, wie schön sie jetzt war. Gleichgiltig löschte sie die Kerzen und trat in das hellbeleuchtete Schlafzimmer zurück. Sie setzte sich wieder auf die Ottomane und verfiel auf's Neue in ihre unerfreulichen Grübeleien.
Allmählich lichtete sich die Wirrniß. Aus der nebelhaften Verschwommenheit trat eine Gestalt in scharfen Umrissen und hellem Lichte hervor: Hugo!
Der vertraute Verkehr, der unausgesetzte geistige Austausch mit ihm war ihr zur Gewohnheit geworden. Sie hatte es als etwas Selbstverständliches zu betrachten sich gewöhnt, daß sie Hugo fast täglich sah, mit ihm Alles besprach, was für ihn von Interesse sein konnte und was sie selbst betraf – Dinge, von denen sie keinem Anderen gegenüber sprechen mochte –, daß sie seine Werbungen, die mitunter, durch die Gelegenheit geschürt, ziemlich stürmisch wurden, mit erdichteter Freundschaft und Schwesterlichkeit milde zurückwies. Hugo gehörte zu ihr und ihrem Dasein mehr als irgend ein Anderer. Und jetzt stand sie der Möglichkeit gegenüber, ihn zu verlieren, ja der Wahrscheinlichkeit! Ein böses Lachen umspielte ihren Mund. O über die Undankbarkeit der Männer! Sie hatte ganz Recht, mit ihnen allen wie mit Marionetten zu spielen! Unrecht hatte sie nur gehabt, zu Gunsten dieses Einzigen eine Ausnahme zu machen. Er war auch nicht mehr werth, als die Anderen alle!
Ja wahrhaftig, der beste von ihnen allen war noch ihr Mann, der glücklich war, wenn er ihr einen Wunsch von den Augen ablesen konnte, der sie auf Händen trug. Wäre er nicht ihr Mann gewesen, so hätten sie die Beweise seiner Verehrung vielleicht sogar rühren können. Daß sie ihm aber als unwissendes Kind auf Gnade und Ungnade zu eigen gegeben war, daß sie ihm angehörte, ohne Liebe – das war es, was sie ihm nicht vergeben konnte, was sie innerlich aufbrachte, was sie mit Widerwillen erfüllte, ja ein Gefühl des Ekels in ihr hervorrief. Jetzt fühlte sie, daß die Reinheit ihres Umgangs mit Hugo ihr zu einem nothwendigen idealen Gegengewicht gegen die rechtmäßig erworbene Intimität ihres Mannes, die ihr nun wie eine abscheuliche Unkeuschheit erschien, geworden war. Sie bedurfte des liebenden Freundes, um an der Seite des ungeliebten Mannes athmen zu können. Daß sie Felix nicht liebte, war ihr erst zum Bewußtsein gekommen, als Hugo ihr nahe gerückt war. Und für diese Erkenntniß, so qualvoll sie war, war sie dem Freunde dankbar aus dem tiefsten Grunde ihrer Seele. Willig ertrug sie seine Launen, die Wallungen seiner lästigen Eifersucht. Was sollte aus ihr werden, wenn er ihr fehlen würde?
Mußte es denn wirklich sein? Konnte es sein?
Sie hob den Kopf, den sie in ihren trübseligen Betrachtungen allmählich auf die Brust hatte sinken lassen, und ihr Blick traf von ungefähr ihr Bild im Spiegel gegenüber. Es machte einen so unerwarteten Eindruck auf sie, daß sie das Auge fester als gewöhnlich auf das Spiegelbild richtete. Die Frau, die sie in voller Beleuchtung da erblickte, auf dem hellen Polster etwas nach vorn gebeugt, mit dem aufgelösten vollen Haar, das sich zufällig so gelegt hatte, daß es die rechte Schulter und den wunderbaren Arm frei ließ, im Spitzenhemd, das von dem dunkelfarbigen Atlascorsett umspannt war, mit den graziösen Pantoffeln, die auf dem kleinen Fuß tanzten – ja, die Frau war schön und begehrenswerth.
Sie erhob sich und trat ganz dicht an den Spiegel heran. Sie lächelte und schüttelte mit kindischer Freude den dunkeln natürlichen Mantel, der vom Scheitel herabfiel. Ohne es zu wollen, nahm sie die kecke Positur einer spanischen Tänzerin an, die sich zum Bolero anschickt und hob unwillkürlich die eine Seite ihres Rockes etwas auf, um mit Wohlbehagen ihre zarten Knöchel unter der verschönenden Umhüllung des hellen straffen Seidenstrumpfs zu betrachten. Und den Kopf langsam nach hinten beugend, mit halbgeschlossenen Augen, öffnete sie lächelnd den Mund und hauchte: »Hugo!«
Mußte sie ihn denn wirklich verlieren? Konnte es sein?
Zu Tode erschreckt fuhr sie mit einem leisen Aufschrei zusammen. Die Thür öffnete sich, und Welsheim erschien auf der Schwelle. Mit einem Sprunge war sie in die Nische geflüchtet und warf nun in fieberhafter Hast den Schlafrock über.
»Ja, was ist denn das?« fragte er in höchstem Erstaunen. »Ich denke. Du liegst seit einer Stunde in tiefem Schlafe, und als ich vorsichtig in mein Zimmer trete, sehe ich durch die Thürspalte den Lichtschimmer …«
»Wie kann man Einen nur so erschrecken!« rief Leonie unwillig. »Ich zittere an allen Gliedern!« Und in steigender Entrüstung fuhr sie fort: »Es ist doch unerhört, daß eine Frau auch nicht ein Plätzchen hat, so groß wie eine Hand, an dem sie nicht zu jeder Stunde des Tages und der Nacht überfallen werden darf.«
Leonie hatte sich noch nie zu einer Heftigkeit Felix gegenüber hinreißen lassen. Sie hatte bisher mit Kühle und Gelassenheit Alles durchgesetzt.
Welsheim sah ganz verdutzt auf die weiße Gestalt, die sich hinter dem Vorhänge vor ihm verbarg.
»Verzeihe,« stammelte er betroffen. »Aber es ist doch ganz natürlich, daß ich hier eintrete … Du klagst über Unwohlsein … ich sehe Licht … ich bin beunruhigt und trete ein … es ist doch ganz natürlich!«
»Nun ja!« lenkte Leonie ein. »Aber Du hast mich so furchtbar erschreckt … Ich habe bis jetzt auf dem Divan gelegen … ich fühlte mich so unwohl … ich wollte mich gerade zur Ruhe begeben, als Du unerwartet …«
»Verzeihe! … Und wie geht es Dir denn jetzt?«
»Besser, ich danke.«
»Na, dann schlafe recht wohl!«
Er hatte sich Leonie genähert, seinen Arm um sie gelegt und drückte sie an sich. Leonie suchte sich der Umarmung sanft zu entwinden.
»Ich bitte Dich!« sagte sie leise.
Er schloß sie noch fester an sich und küßte sie.
»Ich bitte Dich!« wiederholte sie.
»Und Du hast mir verziehen?« flüsterte Felix zärtlich, Leonie noch immer in seinem Arm haltend.
»Ja, aber ich bitte Dich, laß mich jetzt allein. Ich bin matt zum Umsinken.«
»Gute Nacht denn!« flüsterte Felix, sie abermals zärtlich küssend.
»Gute Nacht!« erwiderte Leonie und athmete tief auf, als Felix sie freigab.
»Soll ich die Lichter ausmachen?«
»Nein, ich danke. Ich will sie brennen lassen. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Als Felix die Thür hinter sich geschlossen hatte, schauderte Leonie zusammen. Mit einem wahren Ekel warf sie den Schlafrock ab, der in seinen Falten noch die Spuren seiner Umarmung wies. Sie entkleidete sich hastig und geräuschlos, als habe sie Angst, dem nebenan ihre Gegenwart zu verrathen, ließ die Kerzen brennen und gab sich nicht einmal mehr die Mühe, ihr Haar aufzustecken. Sie zog die Vorhänge ihrer Nische so fest zu, daß kein Lichtschimmer durchdrang, und huschte ins Bett.
Noch einige Minuten lag sie angstvoll mit klopfendem Herzen da, dann beruhigte sie sich allmählich und schlief ein …
Zu verhältnißmäßig früher Stunde, viel früher, als Martha erwartet hatte, hörte das fiebernde arme Kind den Schlüssel in der Corridorthür. Hugo hatte sich geraden Wegs von den Reichshallen nach Hause begeben.
»Gott sei Dank,« seufzte sie leise und preßte ihre Handfläche auf die linke Seite, als wolle sie den harthämmernden Schlag ihres Herzens dämpfen.