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XVI.

Fort von Berlin! In eine andere Umgebung, wo ihn nichts mehr an die letzten Tage erinnern würde! Hier würde er, das fühlte er deutlich, den schauerlichen Eindruck, den die einst Geliebte jetzt, in der Entfesselung ihrer unschönen Leidenschaften, in ihrer rasenden Wuth auf ihn gemacht hatte, nicht wieder loswerden. Und sollte er sich langsam verwischen, so würde jede zufällige Begegnung mit ihr oder mit Vallini, der sich überall zeigte, und dem man beständig begegnete, das häßliche Bild wieder in frischen Farben aufleuchten lassen. Darum: fort von Berlin!

Nichts fesselte ihn mehr an diese große Stadt. Alles, was sie an Werthvollem für ihn geborgen hatte, war ihm im Gegentheil gründlich verleidet. Unwillkürlich führte Hugo seine Hand nach der Brusttasche, in der er sein Portefeuille trug. Er war ja reich! Daß er das auf einen Augenblick hatte vergessen können! Daß er an nichts Anderes zu denken vermochte, als an Leonie, nichts Anderes vor sich sah, als in einem plötzlich verzerrten Gesicht diese kleinen, blitzenden Augen, die ihn auf einmal so lieblos, so böse, so gehässig anblickten, nicht Anderes hörte, als diese heisere, rauhe, hohe Stimme! Weshalb sollte er nicht reisen? Nach dem Süden, nach dem es ihn gerade jetzt, in dem feurigen Kupferglanze der tiefstehenden Herbstsonne so sehnlich verlangte?

Nach dem Süden! Wie wohl würde er auch ihr thun, der armen kranken Martha, der der rauhe Hauch des Nordens so grausam mitspielte! Sie hatten so oft von einer Reise nach Italien wie von einem schönen, wenn auch kaum erfüllbaren Zukunftstraume gesprochen. Und jetzt hätte er ihr diese Wohlthat erweisen, hätte sein Wort, um das er die Zärtlichkeiten, die rührende Hingabe des vertrauenden Mädchens erkauft hatte, einlösen, hätte mit der durch das heilkräftige Glück zu neuem Leben erwachten jungen Frau die milden Gestade des Genfer Sees, das sonnige Oberitalien und die Riviera durchstreifen können, – wenn er die unglückliche Martha nicht belogen und betrogen hätte! Um Leonies willen!

Und neben dem garstig verzerrten Gesichte der wild erregten Frau, das unablässig vor seinen Augen stand, leuchtete ihm jetzt in sanftem Lichte das Bild jenes guten edlen Mädchens mit den großen, ausdrucksvoll fragenden, sonderbar glänzenden Augen entgegen, das er dereinst zu lieben geglaubt und das er so tief gekränkt, so elend gemacht hatte! Und neben der unheimlichen wilden Leonie erschien ihm nun die duldende, still klagende und still tragende Martha in ihrer Jungfräulichkeit und keuschen Reinheit wie eine verklärte Heilige. Während Leonies Bild wie aus nächtigem Grau an seine Seele sich herandrängte, hoben sich Marthas Züge wie von rosig schimmerndem Goldgrunde ab, und um die wundervolle Fülle der blonden Haare legte es sich in strahlendem Glanze wie ein Heiligenschein. Der Wiederhall der kreischenden Stimme, die ihm durch und durch gegangen war, summte ihm noch im Ohr. Martha aber schwieg. Sie hatte ja nie viel gesprochen. Sie war auch ohne ein Wort des Vorwurfs von ihm geschieden. Aber in dem Blicke, von dem er sich getroffen fühlte, lag eine fürchterliche stumme Anklage.

So konnte er sie nicht verlassen! Er mußte sie noch einmal sehen, mußte sie um Verzeihung bitten; und könnte sie ihm auch nicht vergeben – es würde ihm schon eine Erleichterung sein, wenn sie sich wenigstens von der Aufrichtigkeit seiner Reue, von der Strafe, die ihn für sein Vergehen an ihr so furchtbar schnell und roh getroffen hatte, überzeugen würde. Sie nur noch einmal sehen, – nur ein einziges Mal! – er hatte hier nichts Anderes mehr zu schaffen; seine Sachen waren gepackt, in einer Stunde konnte er alle Kleinigkeiten, die noch zu erledigen waren, abthun, und schon in der kommenden Nacht konnte er dem Süden zu rollen.

Da stand er wieder vor dem alten Hause in der Brüderstraße. Das Herz klopfte mächtig an seine Rippen. Er blickte sich scheu um, ob ihn auch Niemand beobachte, als ob er ein schweres Unrecht zu begehen im Begriff stände. Kein Mensch beachtete ihn. Der Kutscher des vor dem Hause haltenden Wagens war eingenickt. Aengstlich wie ein Dieb, der auf frischer That ertappt zu werden fürchtet, schlich er die enge, wohlbekannte Treppe hinauf. Vor der Glasthür mit den billigen, sauberen Gardinen blieb er unschlüssig stehen.

Auf dem verwinkelten Corridor der Wohnung hörte er etwas. Er hielt den Athem an und lauschte. Es waren Stimmen, die in gedämpftem Tone eine Unterhaltung führten: eine weibliche und eine männliche.

Hugo klopfte erst leise, dann etwas lauter an die Scheibe. Die Thür wurde behutsam geöffnet.

»Um Gottes willen!« rief die Räthin, die sich auf einen Augenblick vergessen hatte, mit ziemlich lauter Stimme, als sie unversehens Hugo vor sich erblickte. Der Ausdruck der Ueberraschung, der auf ihrem strengen Gesichte zu lesen war, war sogleich dem der völligen Bestürzung gewichen.

»Was wollen Sie hier?«

»Ich muß sie sehen!«

»Leise, ich beschwöre Sie!«

»Nur noch einmal sehen, ein einziges, ein letztes Mal! Noch heute will ich Berlin verlassen, und nichts soll Sie mehr an mich erinnern, wenn Sie es so befehlen … Aber was ist denn geschehen?« fuhr er in tödtlicher Unruhe fort, als jetzt sein Blick auf das sehr ernste Gesicht des ihm wohlbekannten Dr. Lohausen fiel. »Ist denn die arme Martha bedenklicher erkrankt?«

»Treten Sie vor allen Dingen ein!« sagte der Arzt in halblautem Tone. »Zwischen Thür und Angel läßt sich das nicht abmachen.«

Er hatte die Thür des Vorderzimmers geöffnet, während die Räthin mit ängstlicher Vorsicht die Corridorthür schloß. Die Drei traten möglichst geräuschlos in die Stube ein, die Hall jahrelang bewohnt hatte. Wie frostig kahl und nüchtern erschien sie ihm jetzt – ohne seine Bücher, ohne seine Schreibereien, ohne all die Kleinigkeiten, die sie gefüllt, durchwärmt, individuell belebt hatten!

So leise sie an der Berliner Stube, wo Martha seit gestern gebettet war, auch vorübergehuscht waren, es war der Kranken, deren Sinne in der fieberhaften Ueberreizung eine besondere Schärfe gewonnen hatten, nicht entgangen. Sie glaubte auch ganz deutlich Hugos Stimme gehört zu haben; und sie wunderte sich nicht darüber: sie hatte mit voller Bestimmtheit darauf gerechnet, daß er kommen werde. Mit großer Anstrengung richtete sie sich auf ihrem Lager ein wenig auf, und sich auf die beiden Hände und Unterarme stützend, den Kopf nach vorn geneigt, horchte sie. Sie hörte erst ein unverständliches Murmeln, dann das Knacken des Riegels an Hugos Stubenthür, dann nichts mehr. Aber sie horchte noch immer mit gespanntester Aufmerksamkeit, obwohl sie keinen anderen Laut vernehmen konnte, als das pfeifende und rasselnde Geräusch, mit dem ihr eigenes beschwerliches Athmen sich aus der kranken Brust rang.

»Ja, mein armer junger Freund!« sagte Lohausen theilnahmvoll. »Ich begreife Ihren Wunsch, ich kann Ihnen Ihre Unruhe nachempfinden, und ich möchte Ihnen gern dienlich sein. Ich würde auch meiner verehrten alten Freundin herzlich zureden, sich über alles Mögliche hinwegzusetzen … wenn es anders wäre. Aber … jetzt geht's nicht!«

»Doctor!« rief Hugo in tiefer Ergriffenheit.

»Ja, Sie thun mir leid!« antwortete der Doctor herzlich. »Aber es geht einfach nicht! Es handelt sich nicht um eine verlassene Braut, um einen reuigen Sünder, es handelt sich ganz allein um eine Schwerkranke, für die jede Aufregung verhängnißvoll werden könnte! Also seien Sie vernünftig! … Es hilft Alles nichts! … Ich muß es Ihnen verbieten! … Es ist meine Pflicht! … Kommen Sie! … Ich fahre Sie, wohin Sie wollen … Wenn's der Martha besser geht, erfahren Sie's schon. Und dann … wollen sehen, wollen sehen … Aber jetzt kommen Sie!«

Er hatte seinen Arm auf Hugos Schulter gelegt und führte den völlig Gebrochenen der Thür zu, als sich von der Berliner Stube her das hastige, ungeduldige Bimmeln einer kleinen Klingel vernehmen ließ. Die Räthin erbleichte, und auch der Arzt blieb betroffen stehen.

»Hallo!« brummte er vor sich hin. »Was hat denn das zu bedeuten?«

»Können denn die da drinnen gar kein Ende finden!« hatte sich Martha gedacht, die noch immer, sich mit großer Mühe auf die Unterarme stützend, auf ihrem Bette halb saß, halb lag und endlich unwirsch den Kopf bewegte. Sie wollte Gewißheit haben. Sie wurde von Secunde zu Secunde unruhiger, erregter. Centnerschwer lag es ihr auf der Brust, jeder keuchende schnarrende Athemzug, den sie ausstieß, bereitete ihr Schmerzen, und dazu dieses unerträgliche Kitzeln in der Kehle, das in kleinen Zwischenräumen ein trockenes Hüsteln hervorrief.

Und die plauderten da nebenan! Und kein Mensch kümmerte sich um sie! Sie sollten sie nicht allein lassen! Sie sollten zu ihr kommen – Mama und der Arzt … Alle! Auch der Ungetreue, der Geliebte!

Sie fühlte, wie die Kräfte sie verließen, wie sie im nächsten Augenblicke aufs Kissen zurücksinken würde. Da raffte sie sich noch einmal auf, griff nach der Klingel, die neben ihr auf dem Nachttische stand, und schwang sie verdrießlich und in unruhigem Eifer hin und her.

Unmittelbar darauf erschienen die besorgte Mutter und Lohausen auf der Schwelle.

»Was fehlt Dir denn, mein Kind?« fragte die Räthin, die schnell an das Bett getreten war.

»Ihr sollt mich nicht stundenlang allein lassen!« keuchte Martha unwillig und weinerlich.

Es sind ja keine fünf Minuten vergangen, mein Herz,« suchte Frau Emilie zu besänftigen.

»Und Ihr sollt ihn nicht vor mir verstecken! Ich will ihn sehen!«

»Meine liebe Martha!« fiel jetzt der Arzt ein. »Sie haben mir doch versprochen, ganz artig zu sein und sich hübsch ruhig zu verhalten!«

»Ach! lassen Sie mich!« stieß Martha hervor. »Immer ruhig! Und immer ruhig! Sie haben gut reden! Ich kann nicht ruhig sein! Hier brennt's!« Sie fuhr mit der Hand auf die sich hebende und senkende Brust, und ein heftiger Anfall des trockenen Hustens hemmte ihren Redefluß.

»Ich beschwöre Dich, Kind, beherrsche Dich! Bleibe nur einige Augenblicke ruhig liegen … Bitte, mein geliebtes, gutes Kind!«

»Ich kann nicht!« keuchte Martha, sich wieder mit Anspannung aller ihrer Kräfte etwas aufrichtend. »Ich halte es nicht aus!« Der Arzt stützte sie. »Ah!« seufzte sie etwas erleichtert. »Danke, Doctor!« Sie führte die durchsichtige magere Hand wieder auf die Brust. »Ich weiß gar nicht, wie mir ist … Hier wird es jetzt so warm! …« Und wieder von der Unruhe erfaßt, rief sie mit hellerer Stimme: »Ich will ihn sehen! Wenn Ihr mich nicht quälen wollt, ruft ihn! … Oder ich springe aus dem Bett und suche ihn selbst … wahrhaftig! …« Und noch heller, noch lauter rief sie: »Hugo!« Dann sank sie auf ihr Lager zurück, schloß die Augen und hauchte kaum vernehmbar: »Wie warm!«

Ganz leise hatte sich die Thür geöffnet. Hugos bleiches Gesicht wurde in der Oeffnung sichtbar. Fragend, flehend blickte er die Mutter an. Die Räthin und der Arzt hatten einen flüchtigen Blick der Verständigung getauscht. Lohausen hatte die Achsel gezuckt, als wolle er sagen: die Erregung ist ohnehin nicht zu überbieten, jetzt wird ihr das Wiedersehen kaum noch schaden können, sie verlangt stürmisch danach, wozu ihr die Freude noch versagen?

Emilie bedeutete Hugo mit einer leichten Kopfbewegung, näher zu treten. Er schloß behutsam die Thür. Martha hörte ihn nicht, sie hustete jetzt stärker und böser als je zuvor. Die eigenthümliche Wärme, die in ihr aufstieg, fühlte sie jetzt beim Husten auch im Munde. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Taschentuche und führte es an ihre Lippen. Als sie es entfernte, war es in ihrer krampfhaft geschlossenen Hand schaumig hellroth befleckt.

Lohausen beugte sich sichtbar erschrocken über die fest zusammengeballte Hand, die das Tuch umspannt hielt, und prüfte aufmerksam und tief ernst die unheimlichen Flecke. Darauf wandte er sich mit einem beredten Blicke an Hugo und gab diesem in unzweideutiger Weise zu verstehen, sich schleunig zu entfernen.

Hugo gebot allen seinen eigenen Empfindungen Schweigen und stand im Begriff, dem stummen Befehle des Arztes zu folgen, als Martha die Augen aufschlug.

Sie lächelte, als sie Hugo erblickte, und senkte wie zum Gruß langsam die Lider. Hugo war unschlüssig stehen geblieben.

»Ich wußte, daß Du kommen würdest,« sagte sie leise. »Ich habe Dich gleich an der Stimme erkannt! … Sehen Sie, Doctor, nun bin ich ruhig … und ganz artig.«

Sie lächelte wiederum, blickte zärtlich zu Hugo hinüber, und hob ein wenig die Hand, um sie dem Geliebten zu reichen. Das befleckte Tuch blieb auf der Bettdecke liegen.

Hugo war stumm neben ihrem Lager auf die Kniee gesunken, und obwohl ein unsägliches Weh sein Herz durchschnitt, bemühte er sich doch zu lächeln, und langsam führte er ihre heiße kleine trockene Hand an seine brennenden Lippen.

»Du kannst mir vergeben, Martha?« flüsterte er zerknirscht.

»Von ganzem Herzen,« antwortete Martha ganz leise, aber ganz deutlich.

»Ich will Alles wieder gut machen!« sagte Hugo, der die kleine Hand mit inbrünstigen Küssen bedeckte, mit kaum halblauter Stimme. »Und jetzt darfst Du mir vertrauen, meine gute Martha. Ich verlasse Dich nie wieder! Und wenn Du erst gesund bist, fahren wir zusammen …«

Er unterbrach sich plötzlich. Martha hatte ihm ihre Hand jäh entzogen und sich mit einer Kraft, die ihr nicht zuzutrauen war, aufgerichtet. Ein starker, mühsamer, schrecklicher Husten durchrüttelte sie, während der herbeigesprungene Arzt ihren Rücken stützte. Sie wollte irgend etwas sagen, aber es wurde durch ihr anhaltend heftiges Husten vereitelt, sie zeigte mit der Hand auf die linke Seite der Brust und fuhr mehrfach schnell von der Herzgegend bis zum Halse auf und nieder. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn. Ihre weitgeöffneten Augen glänzten jetzt wahrhaft erschrecklich, und plötzlich drang aus dem Munde ein Strom hellen Blutes. Erschöpft fiel sie darauf auf ihr Kissen zurück.

Schrecken und Entsetzen hatte die Umstehenden erfaßt.

Der Arzt rieb der Kranken Stirn und Schläfe mit Eau de Cologne. Es schien ihr eine momentane Erleichterung zu gewähren. Er reichte ihr Wasser mit Essig, das die Räthin auf sein Geheiß herbeigeschafft hatte. Martha trank gierig. Sie nickte wie dankbar. Lohausen legte sein Ohr an ihre Brust, die grollenden, gurgelnden Töne, die er hörte, bestätigten seine schlimmen Erwartungen.

Nach wenigen Minuten kam über Martha eine abermalige marternde Unruhe, ihren schwachen Bewegungen sah man den Unwillen an, und ihre Stirn legte sich in Falten. Sie schlug mit der einen Hand mehrfach auf die Bettdecke.

»So warm!« sagte sie. »So schrecklich w …« Sie vermochte das Wort nicht auszusprechen, ein neuer, noch heftigerer Blutstrom entquoll dem Munde.

Nun lächelte sie noch einmal und schlug die Augen auf. Dankbar sah sie zum Arzte auf, der sich über sie gebeugt hatte. Ein unendlich zärtlicher, liebevoller Blick traf ihre Mutter. Dann suchte sie Hugo. Er stand ja dicht vor ihr. Daß sie ihn nicht gesehen hatte! Es wurde auch auf einmal so sonderbar dunkel ringsumher. Aber sie konnte ihn auch in der Finsterniß noch sehr wohl erkennen, konnte ihm zulächeln, konnte den sanften Druck seiner Hand, die die ihrige sanft umfing, herzlich erwidern.

»Zusammen!« kam es wie ein Hauch von ihren Lippen. Sie wiederholte glücklich das letzte Wort, das Hugo ihr gesagt hatte.

Es wurde immer finsterer um sie her. Die tiefste Nacht schien eingebrochen zu sein, und es war doch wohl noch gar nicht so spät. Sie schloß die Augen … Sie war auch recht müde geworden …

Ihr Gesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen. Jetzt lag sie regungslos da. Noch einmal machte sie eine heftige Bewegung mit den Armen. Sie schien nach Luft zu ringen. Aber diese Pein währte nur einen Augenblick. Der friedliche, sanft lächelnde Ausdruck ihres Gesichts deutete auf völlige Schmerzlosigkeit. Noch einmal schlug sie die schönen blauen Augen auf. Nun war es wieder hell und sonnig geworden. Nur auf einen Augenblick freilich. Aber der genügte, um die drei Lieben, die neben ihr standen, noch einmal zärtlich und herzlich zu begrüßen … Nun schloß sie die Augen, glücklich und froh, und der Kopf drückte sich tiefer in das Kissen, während sie wie befreit leicht aufseufzte.

Sie hatte ausgerungen und war in Freuden gestorben.

Der westliche Himmel flammte tiefroth im Lichte der scheidenden Octobersonne, und der mattgoldige Wiederschein fiel durch das schräge Fenster auf Marthas Lager und überhauchte die Todte mit einem wundersamen Schimmer.

Als aber das Abendroth erstarb, flößte die wachsähnliche schreckliche Blässe des Gesichts der trauernden Mutter, von der sich Lohausen soeben mit Thränen im Auge verabschiedet hatte, und deren Mienen wieder zu finsterer Ausdruckslosigkeit erstarrt waren, und dem bleichen Geliebten, der die Hand der Mutter fest in der seinigen hielt, Grausen ein.

Aber der Ausdruck des entsetzlich blassen Gesichts war so glückselig, so friedfertig, so völlig mit Allem versöhnt, daß die Beiden, die da Hand in Hand neben der Leiche saßen, das Gefühl des Grausigen bald überwanden und mit tiefster Wehmuth, mit lindernder Rührung, im Schmerze vereint, unablässig auf das wundersam ruhige, von allem Jammer befreite, verklärte Antlitz der Entschlafenen blickten.



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