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XVII.

Am Dienstag der folgenden Woche trat Welsheim um die elfte Vormittagsstunde, wie gewöhnlich, in die kleine Loggia, in der Leonie zu frühstücken pflegte, um sich von ihr zu verabschieden, bevor er sein Bureau aufsuchte, und er traf Leonie, wie gewöhnlich, in einem lichten, kleidsamen Morgenrock bei der Chocolade, in die Lectüre der Theaternotizen, der Vermischten Nachrichten und Familienanzeigen vertieft.

»Das soll der Teufel verstehen!« rief er in seiner lauten Weise, die ihm Leonie abzugewöhnen schließlich aufgegeben hatte. »Dieser Lohausen! Schickt mir das Geld zurück … mit ein paar banalen Dankesworten … es sei keine Verwendung mehr dafür … Du weißt: das Geld, das ich ihm gegeben hatte, um die Kleine nach Italien zu schicken … Na, mir soll's recht sein! … Aber ich verstehe kein Wort! Verstehst Du's?«

Er reichte seiner Frau den Brief Lohausens mit den Banknoten.

»Bereichern will ich mich nicht!« setzte er jovial hinzu. »Kauf Du Dir was Hübsches dafür!«

»Ich danke!« erwiderte Leonie ernst, ohne den ihr hingehaltenen Brief zu berühren. »Ich habe keinen Wunsch.«

Das war ja wieder etwas Unerwartetes!

Welsheim ließ sich auf den kleinen Sessel neben seiner Frau nieder. Ohne ein Wort zu sagen, gab sie ihm die Zeitung, die sie eben gelesen hatte, und wies mit dem kleinen Finger auf eine schwarzumränderte Anzeige.

»Ach so!« sagte Welsheim, als er gelesen hatte. Auch er war nun ernst geworden.

»Da sind wir also zu spät gekommen!« versetzte er nach einer längeren Pause. »Es thut mir wirklich leid! … Es war eigentlich ein recht hübsches Mädchen! … Na, sterblich sind wir Alle … nicht wahr? Aber es thut mir leid! … Und unser Hugo – Doctor Hall,« verbesserte er sich, »thut mir auch leid, wenn er's auch nicht um uns verdient hat! … Ich bin nun einmal so! Ich kann nicht nachtragen! Und wenn er auch sehr ungezogen gegen Dich gewesen ist … jetzt thut er mir leid! Weiß Gott, er thut mir leid! Ich möchte nicht in seiner Haut stecken!«

Währenddem hatte er die Bankbillets in sein Portefeuille gesteckt und den Lohausen'schen Brief sorgfältig mit dem Daumennagel gefaltet.

»Was meinst Du?« fragte Felix. »Du sagst ja kein Wort! In solchen Fällen pflegt man doch irgend etwas zu sagen.«

»Ich habe aber nichts zu sagen!« erwiderte Leonie langsam. »Wenn ein armes junges Mädchen stirbt,« – Leonie nippte ein wenig an der heißen Chocolade – »traurig ist es immer!«

»Das eben meinte ich! Sehr traurig!«

»Das ist aber das Einzige, was mich berührt. Was Herrn Doctor Hall anbetrifft, so habe ich Dich sehr ernsthaft, und, wie Du wissen solltest, aus sehr stichhaltigen Gründen gebeten, den Namen des Herrn aus unserer Unterhaltung auszuscheiden, wie ich den Träger aus unserem Verkehr habe ausweisen müssen.«

»Ja, ja! Schon recht! Ich meinte ja nur …«

»Und diese Bitte,« fuhr Leonie, ohne Welsheims Einwurf einer Beachtung zu würdigen, in demselben Tone fort, »ist so gerechtfertigt wie nur möglich. Zwinge mich nicht, sie noch einmal zu wiederholen, zwinge mich nicht, durch schonungsloses Aufdecken der vollen Wahrheit sie noch kräftiger zu motiviren! Du bist doch sonst so feinfühlig! Das, was ich Dir gesagt habe, sollte Dir doch genügen!«

»Vollkommen, vollkommen, liebste Leonie!« rief Felix mit einer komisch abwehrenden Bewegung. »Ich mag von der ganzen Sache nichts mehr hören! Ich weiß schon mehr, als mir lieb ist! Ja, es ist schändlich, daß er uns so für alle Freundlichkeiten gedankt hat! Wer hätte das hinter dem Doctor gesucht! Unehrerbietig gegen Dich! Es ist nicht zu glauben! Er hätte Dich doch besser kennen sollen! Sein Triumph muß ihm zu Kopf gestiegen sein! Unerhört! … Wenn ich ihm begegne … Luft ist er für mich, nichts Anderes! Ich kenne ihn nicht mehr! Ich weiß, was ich Dir, was ich mir, was ich der Ehre meines Hauses schulde! Luft! Nichts Anderes! … Aber leid thut er mir doch! Ich bin nun einmal so! … Herr Gott, da schlägt's schon ein Viertel auf zwölf … Es ist die höchste Zeit für mich! Lebe wohl!«

Er küßte Leonies Stirn und ging schnell auf die Thür zu. Da blieb er plötzlich stehen. »Ob wir der Frau Räthin einen Kranz schicken?«

Leonie blickte unwillig auf.

»Ganz wie Du meinst,« fuhr Welsheim, der bereits den Hut aufgesetzt hatte, fort. »Ich dachte nur … wir sind mit dem jungen Mädchen doch einmal zusammen gewesen … weißt Du noch: in den Reichshallen? Und da dachte ich mir … aber wenn Du anderer Ansicht bist … mir auch recht … Das arme junge Ding! Und die arme Mutter … nicht wahr? … Na, nun aber adieu! Es ist die höchste Zeit!«

Leonie trank langsam ihre Chocolade aus und nahm die durch den Eintritt ihres Mannes unterbrochene Lectüre der Morgenblätter wieder auf. Wie gewöhnlich.

Just um dieselbe Zeit wurde der schmucklose Sarg, der Marthas irdische Hülle umschloß, in die Gruft gesenkt. Nur wenige Leidtragende umstanden das Grab. Aber diese Drei trauerten wahr.



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