Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war prachtvolles Premièrenwetter. Der Abend war sehr kühl, beinahe kalt. Es hatte am Tage viel geregnet. Seit einer Stunde etwa hatte es aufgehört, aber der Himmel war immer noch schwarz.
Im hellen Theatersaale war es behaglich warm. Von drei Viertel auf sieben an füllten sich die Parquetreihen und die Logen. Einige Minuten nach sieben war das Haus, das vollkommen ausverkauft war, beinahe ganz gefüllt. Die Abendkasse war gar nicht geöffnet worden, und die Billethändler, die glänzende Geschäfte gemacht hatten, waren schon vor sieben Uhr unsichtbar geworden. Auf Leonie, die diesmal ausnehmend pünktlich war, richteten sich alle Gläser, als sie in der Loge erschien. Sie schien es gar nicht zu bemerken, war vollkommen ungezwungen und reichte den beiden Herren, die sie zu sich geladen hatte, Dr. Ringstetter und Herrn von Janow, einem jungen, in der Berliner Gesellschaft allgemein beliebten Sportsman, anmuthig die Hand. Sie sah entzückend aus. Welsheim fühlte sich sehr geschmeichelt, als er bemerkte, welchen Effect seine schöne und elegante Frau machte.
Die Aufregung, die sich Leonies jetzt wiederum bemächtigte, färbte ihre runden Wangen rosig. Sie fächelte sich ein wenig und tauschte mit den Herren hinter ihr einige gleichgiltige Worte, um sich auch im Profil zu zeigen; dann nahm sie ihr kleines Opernglas vor die Augen, wechselte mit den Bekannten Grüße und lächelte stärker als bei den Andern, als sie die auffällig tiefe Verbeugung eines Herrn, der in der gerade gegenüberliegenden Loge saß, erwiderte. Der Herr theilte übrigens mit Leonie die Ehre, vom Publikum, namentlich vom weiblichen, mit auszeichnender Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Wie seine Verbeugung, so hatte der ganze Mensch etwas Auffallendes: sein Gesicht, seine Gestalt, seine Kleidung, seine Haltung, seine Bewegungen. Der Kopf war zwar nicht bedeutend, aber eigentlich schön zu nennen, – wenigstens fanden ihn die Damen schön. Die Züge waren regelmäßig, die Augen groß und lebhaft, die Gesichtsfarbe war gesund. Das volle kastanienbraune Haar war sorgfältig frisirt und durch das Brenneisen sanft gelockt. Dem helleren, vollen und weichen Schnurrbart war ein kühner Schwung gegeben, er ließ die Oberlippe vollkommen frei und strebte an den Mundwinkeln keck auf. Der Herr lächelte viel, vielleicht ein bischen zu süßlich, und er zeigte beim Lächeln zwei Reihen prachtvoller Zähne. Die zu rundlichen Wangen gaben dein Gesichte etwas Weibisches. Das sehr tief ausgeschnittene Hemd, das den ungewöhnlich starken Hals bis zur Kehle frei ließ, war vorn durch drei große Brillantknöpfe geschlossen, die in bläulichem und röthlichem Feuer blitzten. Die breite Cravatte war in wohlüberlegter künstlicher Vernachlässigung leicht geschlungen. Er trug den Frack vom extravagantesten Schnitte der allerneuesten Mode mit großer Gewandtheit. Er bewegte sich viel und sprach lebhaft mit seinen Nachbarn; wer genauer hinsah, konnte ihm anmerken, daß er sich beobachtet wußte. Seine tiefe Verbeugung gegen Leonie war denn auch vom halben Parquet bemerkt worden.
»Diese Künstler machen doch Alles anders als gewöhnliche Sterbliche,« sagte Leonie, sich wieder nach hinten wendend. »Haben Sie gesehen, wie Vallini mich gegrüßt hat?«
»Ob ich's gesehen habe?« entgegnete Ringstetter. »Er grüßt eben … wie eine männliche Primadonna.«
»Machen Sie jetzt keine boshaften Bemerkungen über ihn! Sie wissen, daß Sie ihn heute Abend bei mir treffen werden. Ich muß ihn gut behandeln.«
»Heute? Dann wollen wir also morgen weiter über ihn sprechen. Vallini ist übrigens an gute Behandlung gewöhnt.«
»Das höre ich,« versetzte Leonie. »Er soll allen Weibern die Köpfe verdrehen … Das genügt mir schon, um ihm ohne Furcht gegenüberzutreten. Mir würde er nie gefährlich werden.«
»Na, er soll so etwas vom Rattenfänger … oder vom Postillon von Lonjumeau haben,« warf Herr von Janow ein. »Haben Sie ihn singen hören?«
»Natürlich! Und er hat mich entzückt wie alle Welt. Er hat ja eine ganz wundervolle Stimme, ich habe nie einen bessern Manrico gehört … Der Künstler hat mich hingerissen, aber der Mensch interessirt mich nicht … Ach so, das darf ich ja jetzt noch nicht sagen! … Ich kann schöne Männer nicht leiden.«
»So?!« fragte Ringstetter mit malitiösem Lächeln.
»Sie wollen mich wegen meiner Freundschaft für Dr. Hall hänseln? Nun denken Sie sich: ich finde den Doctor ganz und gar nicht schön. Er sieht klug aus interessant, aber schön ist er nach meinem Geschmack nicht. Vallini ist schön, und deshalb gefällt er mir nicht, so sehr ich für seine Stimme und seinen Gesang schwärme.«
»Das ist wirklich so!« bekräftigte Welsheim. »Meine Frau ist in der Beziehung komisch. Ich kenne sie doch gewiß genau … aus schönen Männern macht sie sich gar nichts.«
»Sie unterschützen sich,« erwiderte Ringstetter. Und sich zu Leonie wendend, setzte er hinzu: »Für eine Dame, auf die Vallini nicht wirkt, kokettiren Sie übrigens ziemlich heftig mit ihm.«
Die Beiden hatten sich in der That sehr ausdrucksvoll angelächelt.
»Er will ja heute bei uns singen,« antwortete Leonie. »Da muß man schon ein Uebriges thun … Worauf wird denn eigentlich gewartet? Es muß doch längst sieben sein.«
»Sie sehen ja, das Publikum ist noch sehr unruhig. Des schlechten Wetters wegen hat alle Welt Wagen genommen. Da dauert's immer ein bischen länger. Uebrigens ist das akademische Viertel noch nicht vorüber,« sagte Ringstetter, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte.
Von keinem Menschen im Hause wurde Leonie mit gespannterer Aufmerksamkeit gemustert, als von Martha Breuer, die neben ihrer Mutter auf der der Welsheim'schen Loge entgegengesetzten Seite des Hauses im Parquet am Eingange links saß, gerade unter Vallini. Sie hatte die schöne Frau seit dem Abende in den Reichshallen nicht wiedergesehen. Sie war darauf vorbereitet, daß sie ihr heute wiederbegegnen würde, und hatte beständig nach ihr Umschau gehalten. Als sie Leonie in die Loge treten sah, stockte ihr der Athem, sie erbleichte und kniff die Lippen zusammen, um den Seufzer, der sich gewaltsam aus ihrer Brust drängen wollte, zu ersticken. Sie fühlte dieselbe schreckliche Kühle auf der linken Seite und denselben stechenden Schmerz wie damals, und ihre großen Augen hatten denselben unheimlichen Glanz. Der Anblick war ihr qualvoll, aber sie vermochte es nicht, den Blick abzuwenden. Sie beneidete die Frau da oben um die Schönheit ihrer Erscheinung, um ihre Frische, die Eleganz ihrer Toilette, die unbefangene Sicherheit ihres Benehmens. Sie war empört darüber, wie diese Leonie jetzt schwatzen und lachen konnte, wie sie sich im Saale umsah und nickte. Sie dachte nicht daran, daß es sie noch viel mehr empört, wenn sie in Leonies Gebaren die Zeichen der Aufregung wahrgenommen haben würde.
In Wahrheit war Leonie viel erregter als Martha. Martha legte sich von der Bedeutung des Abends für Hugo nicht Rechenschaft ab, während Leonie ganz genau wußte, um was es sich handelte.
Die Glocke hinter der Bühne schlug an. Das dumpfe Gemurmel verstummte sogleich. Es wurde ganz still. Ein zweiter Anschlag des Timbres, und der Vorhang wurde rauschend aufgezogen.
Leonie fieberte während der ersten Scenen, die das Publikum aufmerksam, aber ohne sichtbare Zeichen des Wohlgefallens anhörte. Sie war innerlich entrüstet über diese frostige Gleichgiltigkeit, über diesen Mangel an Verständniß. Es erschien ihr unfaßbar, daß einige reizende Feinheiten des Dialogs, von denen sie sich eine sichere Wirkung versprochen hatte, kaum ein freundliches Lächeln hervorrufen, daß sie so gut wie unbeachtet bleiben konnten. Jetzt auf einmal vergegenwärtigte sich ihr die Möglichkeit eines Mißerfolges. Und in ihrer überreizten Phantasie sah sie das Schreckensbild in grausiger Anschaulichkeit, sah ringsumher die schadenfrohen, höhnisch grinsenden Gesichter und hörte die widerwärtigen scharfen Zischlaute des Spottes und der Schande.
Das Blut stockte ihr, ihre Lippen wurden kalt und bebten. Sie war wie abwesend, zwischen sie und die Bühne schob sich etwas wie ein dichter Schleier, der den Durchblick hemmte, sie wußte kaum noch, was da oben vorging, obwohl sie das Stück auswendig kannte. Ohne andere Absicht, als ihre Beklommenheit zu verbergen und sich eine Haltung zu geben, nahm sie das Glas vor die Augen und blickte geradeaus. Sie starrte in die Leere und sah nichts. Plötzlich aber wurde ihre Aufmerksamkeit rege. Sie merkte jetzt erst, daß sie während einer verhältnißmäßig langen Zeit gedankenlos beständig ihr Gegenüber ins Auge gefaßt hatte.
Vallini fühlte sich anscheinend geschmeichelt. Er lächelte zärtlich, schloß einigemal langsam und beziehungsvoll die Augen und streichelte seinen starken weichen Schnurrbart in einer Weise, die mit einem verstohlenen Kußhändchen einige Aehnlichkeit hatte. Und als er merkte, daß Leonie nach wie vor das Glas fest auf ihn gerichtet hielt, wurde er noch zuversichtlicher, nahm gleichfalls den Operngucker vor die Augen und bewegte in einer eigentümlich schmachtenden Art die Lippen, als ob er ihr leise ein süßes Geheimniß zuflüstere. Gerade in diesem Augenblicke erwachte Leonie aus ihrer Erstarrung. Sie sah plötzlich dicht vor sich zwei große kreisförmige Scheiben, die die gedämpften Lichter des Kronleuchters wiederspiegelten, sah hinter halboffenen Lippen glänzende Zähne, sah ein merkwürdiges Lächeln. Sie erschrak und nahm das Glas schnell von den Augen …
Ah, dieser Vallini hatte sich einen guten Augenblick ausgesucht, um mit ihr zu liebäugeln! Zuhören sollte er, sollte die Gewalt der Hall'schen Dichtung auf sich wirken lassen, anstatt sie selbstgefällig anzugaffen und anzuschmachten!
Und für solche Leute schrieb der arme Hugo! Das waren seine Richter! Er war ihr auf einmal unausstehlich, dieser verwöhnte, siegesbewußte Geck, der sich im Gefühls seiner Unwiderstehlichkeit hatte einbilden können, daß sie in diesem Augenblicke mit ihm tändelnde Zeichen der knospenden Sympathie austauschen würde!
Martha hatte allmählich Leonie ganz vergessen. Das Stück nahm sie ganz in Anspruch. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung und hätte auch wohl schwerlich zu sagen gewußt, ob die Zuschauer der Dichtung kühl oder mit warmer Theilnahme folgten. Sie staunte darüber, wie klug und schön Alles gesagt sei, und war stolz bei dem Gedanken, daß Hugo dieses Werk geschrieben habe. Sie lächelte glücklich und ließ keinen Blick von der Bühne.
Gegen Schluß des ersten Aufzuges hatte sich die Stimmung erheblich erwärmt, und als der Vorhang fiel, war der Beifall voll und echt. Die Hauptdarsteller erschienen unter lautem Händeklatschen zweimal vor der Gardine. Martha hatte es nicht anders erwartet und mit den Anderen fröhlich mitgeklatscht. Leonie war von dem einmüthigen Applause, der für sie durchaus unerwartet kam, ganz bestürzt. Dann athmete sie wie befreit auf und lächelte, – lächelte in einer eigenen Weise, verlegen, wie über eine unverstandene Pointe.
Während des ersten und zweiten Aufzuges war nur eine kurze Pause. Die Zuschauer blieben auf ihren Plätzen sitzen und unterhielten sich nur mit ihren nächsten Nachbarn. Aber die Unterhaltung war so lebhaft und laut, daß die Theaterkundigen schon jetzt einen guten Barometerstand erkennen und einen erfreulichen Erfolg in Aussicht zu stellen sich getrauten.
Der Einzige, der seinen Sitz verließ, war Vallini.
Es klopfte bald darauf an Welsheims Loge.
Lächelnd wie immer trat der schöne Künstler ein, grüßte die Herren und küßte Frau Leonie die Hand.
»Ich wollte mich nur nach dem Befinden meiner gnädigen Gönnerin erkundigen … Und darf man fragen, wie Sie sich amüsiren?«
Leonie, der in diesem Augenblicke jede Unterhaltung überaus unangenehm war, und die sich über Vallinis Besuch ärgerte, antwortete mit einem möglichst einfältigen Lächeln.
»Nicht wahr?« fuhr Vallini fort, als ob Leonie auf seine Frage etwas erwidert hätte. »Es scheint sich zu machen? Ich finde es wenigstens bis jetzt sehr nett.«
Leonie sah den Tenoristen ganz betroffen an. »Sehr nett« fand dieser Mensch die geistige Schöpfung Halls! Das Wort traf sie wie eine thätliche Beleidigung. Vallini sah Leonies sonderbaren Blick, aber er mißverstand ihn und sagte abschwächend: »Bis jetzt, sage ich! Wollen abwarten, wie es weiter geht … Ein bischen zu ernst kommt mir die Geschichte vor. Es ist nicht genug zum Lachen. Und wenn ich ins Theater gehe, dann will ich lachen!« Er schien sich auf diesen Satz etwas einzubilden, denn er blickte nun, im Lachen seine Zähne zeigend, die vier Insassen der Loge den Einen nach dem Anderen an, als ob er eine sehr beachtenswerthe Sentenz ausgesprochen hätte und Zustimmung forderte. »Da habe ich vor Kurzem in München ein Stück gesehen,« fuhr er fort, und den angefangenen Satz unterbrechend, bemerkte er zu Leonie: »Sie haben wohl gelesen, daß ich in München war? Alle Zeitungen waren voll davon. Einen Erfolg habe ich gehabt … kolossal! Auch Majestät hat die Gnade gehabt, mich besonders auszuzeichnen. Ich habe dreimal vor Majestät zu singen die Ehre gehabt, zweimal auf Schloß Berg, einmal in Hohenschwangau … jedesmal in einer besonderen königlichen Equipage abgeholt … Die Collegen, die sich sonst übrigens charmant benahmen, waren einfach paff! … Majestät ließ mir auch am Tage meiner Abreise durch den Hofmarschall persönlich mit den schmeichelhaftesten Worten Allerhöchster Anerkennung eine prachtvolle Uhr mit der königlichen Chiffre in Brillanten überreichen … Ach richtig, ich kann sie Ihnen ja zeigen, ich habe sie zufällig bei mir …« Er zog in der That eine sehr werthvolle Uhr aus der Tasche, die er mit einer offenbar durch häufige Hebung erlangten Gewandtheit vom Karabinerhaken löste, und reichte sie Leonie mit den Worten: »Sie schlägt die Stunden, Viertelstunden und Minuten.«
Mit verlegenem Lächeln nahm Leonie die Uhr entgegen. Der Mensch neben ihr war ihr jetzt geradezu verächtlich. Jetzt sollte sie sich um seine Triumphe in München, jetzt um seine mit Brillanten besetzte Repetiruhr bekümmern – zu dieser Stunde, in der Hugo fiebernd hinter den Coulissen stand, in der die Entscheidungsschlacht geschlagen wurde!
»Sehr kostbar! In der That!« begnügte sie sich zu bemerken, um wenigstens irgend etwas zu sagen. Und nachdem sie die Uhr gerade lange genug, um nicht unhöflich zu erscheinen, in der Hand behalten hatte, gab sie sie mit dem Worte: »Prachtvoll!« dem glücklichen Besitzer zurück.
»Bitte meine Herren! Es ist keine Indiscretion,« sagte Vallini und überließ das werthvolle Stück der Musterung der drei Herren; und sich wieder an Leonie wendend, fuhr er fort: »Es wird mich sehr interessiren, den Dichter heute Abend bei Ihnen kennen zu lernen. Ja, diese Dichter haben's gut! Sie schreiben, wann sie wollen, was sie wollen, wie sie wollen, – im Schlafrock, wenn's ihnen so paßt, – unsereins hat immer mit seiner ganzen Persönlichkeit einzutreten. Wir sind abhängig von allem Möglichen, von den Mitwirkenden, vom Orchester, von der Akustik des Saales, von der Witterung! In Dresden, wo ich mit ganz riesigem Erfolge neulich gesungen habe – Sie werden es wohl in den Blättern gelesen haben? so ein Erfolg ist seit Jahren nicht dagewesen, die braven Sachsen tobten wie die Besessenen – was wollte ich doch sagen? Ach ja! In Dresden mußte ich die letzte Vorstellung absagen, weil ich mich erkältet hatte … ganz einfach erkältet! Für einen gewöhnlichen Sterblichen, für einen Schriftsteller oder Maler, ist eine Erkältung eine Lappalie. Der bleibt zu Hause, trinkt Kamillenthee, und die Sache ist abgemacht. Für unsereins ist es ein Verlust von so und soviel, und davon abgesehen, – ich bin weiß Gott nicht eitel, aber es ist doch eine Unannehmlichkeit, wegen so einer dummen Erkältung auf alle die Ovationen, die vorbereitet waren, verzichten zu müssen. Es wäre ein großartiger Abend geworden! Ein paar Dutzend Lorbeerkränze hat man mir noch ins Hotel geschickt – mit Schleifen … wunderbar! Aber das ist doch schließlich nicht dasselbe, nicht wahr? Und der gesammte Hof hatte sich angesagt … Sie können sich denken, wie fatal mir die Sache war! Majestät geruhten, als die Abänderung der Vorstellung pflichtschuldig gemeldet wurde, Allergnädigst zu bemerken: ›Schade! ich hatte mich auf den Abend gefreut.‹ Majestät hatten sich gefreut! Und wegen der elenden Erkältung …«
Das Licht der Lampen wurde gedämpft, und der Glockenanschlag verkündigte den Beginn des zweiten Aufzugs.
»Pardon!« unterbrach sich Vallini. »Ich will meine Nachbarn nicht stören. Wir sehen uns ja noch.« Er empfahl sich schnell mit tiefem Gruß.
Leonie seufzte erleichtert auf, als der eitle Narr die Logenthür hinter sich geschlossen hatte. Ringstetter und Janow tauschten mit überlegenem Lächeln Blicke des Einvernehmens, und Welsheim bemerkte wohlwollend: »Er hat eine so schöne Stimme, und er singt heute Abend bei uns!«
Während des zweiten Actes befestigte sich der Erfolg. Die gutgeführte Handlung fesselte ungemein, und die lyrisch stimmungsvolle Schlußscene brachte eine tiefe Wirkung hervor, die beim Fallen der Gardine in stürmischen Beifall ausbrach. Nach wiederholtem Hervorruf der Schauspieler wurde auch das Verlangen nach dem Dichter laut. Hall ließ sich ein wenig nöthigen, gab aber, als ihn die erste Heldin energisch bei der Hand faßte, den sanften Widerstand auf und erschien, vom Jubel des ganzen Hauses begrüßt, hinter der Rampe, geführt von der Künstlerin, deren vortrefflichem Spiel er viel zu danken hatte.
Martha war selig. Erst jetzt, da sie den Geliebten auf den Brettern sah, gefeiert als den Helden des Tages, vermochte sie die Bedeutung dieser Stunde einigermaßen zu erfassen, und ein Schauer der Wonne überrieselte sie. Ihre großen Augen funkelten mehr als je, und die hektische Röthe ihrer Wangen erglühte wundersam und unheimlich. Aber ihr Glück währte nur einen Augenblick. Hugo wußte ganz genau, wo sie saß. Sie dürstete nach dem Blicke, der ihr Einssein besiegelte. Eine mächtige Enttäuschung überfiel sie und drückte sie zu Boden, als sie sah, wie Hugo, der sich auf der Bühne merkwürdig unansehnlich ausnahm und sich ungewöhnlich linkisch verbeugte, seine Blicke flüchtig nach der entgegengesetzten Seite des Hauses richtete und mit einem ganz eigenthümlichen Ausdruck nach dem ersten Range hinauf sah – da, wo Leonie saß. Martha beobachtete auch, wie die elegante Frau den Blick des Freundes aufgefangen und mit einem müden, langsamen Schließen der Lider und einer kaum merklichen Neigung des Kopfes erwidert hatte. Martha war sehr unglücklich und führte die Linke an die Brust. Sie fühlte wiederum jene häßliche Kälte, die ihr so wehe that.
Geräuschvoll erhoben sich die Zuschauer, um in den schmalen Gängen und in der primitiven Conditorei ihre Meinungen über das Stück zum Besten zu geben, ihre Weisheit auszukramen und das Bonmot des Premièrenwitzbolds zu vernehmen und weiterzutragen. Die allgemeine Stimmung war dem Schauspiel und dessen Verfasser so günstig wie nur denkbar. Auch die Kritiker schienen zufrieden zu sein. Sie bewahrten eine wohlwollende Zurückhaltung. Absprechend im eigentlichen Sinne waren nur einige wenig erfolgreiche Collegen und diejenigen Theateragenten, zu deren Debit das Stück nicht gehörte.
Während Martha mit gebeugtem Rücken dasaß und auf die leeren Sitze vor sich starrte – sie hatte ihre Mutter gebeten, bei ihr zu bleiben –, bildete Leonie in ihrer Loge Cercle. Sie strahlte und nahm die Huldigungen der zahlreichen Besucher als etwas Selbstverständliches entgegen. Man gratulirte ihr zu dem Erfolge wie dem guten Kameraden: als wär's ein Stück von ihr. Sie hatte ihre volle Sicherheit wiedergewonnen und ärgerte sich nicht mehr über Vallini, der auf ein paar Minuten in der Loge erschien, um zu erklären, das; das Stück in Hamburg großartig gespielt werden würde. Er habe da vor Kurzem eine Schauspielerin gesehen, die für die Hauptrolle wie geschaffen sei.
»Ueberhaupt Hamburg!« fuhr er fort. »Das ist doch noch eine Theaterstadt! Sie werden's ja in den Zeitungen gelesen haben, wie man mich dort gefeiert hat. Es war einfach kolossal! … Ich habe sofort für's nächste Jahr wieder abgeschlossen … aber unter andern Bedingungen!« fügte er lächelnd hinzu. »Ich sehe gar nicht ein, wozu wir den Directoren allein das Gold in die Tasche singen sollen. Wir Künstler geben Alles, unsere ganze Seele, unser Herzblut … Habe ich nicht Recht?«
»Natürlich haben Sie Recht!« bekräftigte Ringstetter mit steinernem Ernste. »Herzblut kann gar nicht theuer genug bezahlt werden. Und Sie vergessen noch den göttlichen Funken …«
»Nicht wahr? … Ah, da sehe ich die blonde Commerzienräthin, der ich längst einen Besuch schulde. Sie verzeihen?« Mit Handkuß und höflicher Verbeugung empfahl sich Vallini, um dem nächsten Besuche Raum zu geben.
»Der Glückliche!« rief ihm Janow nach …
»Da oben sitzt Frau Welsheim,« sagte Frau Emilie zu ihrer Tochter.
»So?« antwortete Martha gedankenlos und müde.
»Sie benimmt sich recht auffällig,« setzte die Räthin hinzu.
Martha wandte langsam den Kopf nach Leonies Loge.
»Sie scheint sich über Hugos Erfolg zu freuen,« sagte Martha gleichgiltig.
»Das Stück ist aber auch zu schön! Und wie sich das auf der Bühne Alles ganz anders macht! … Auf den letzten Act bin ich am gespanntesten. Den hat uns Hugo gar nicht vorgelesen … Ich habe mich eigentlich darüber gewundert, aber jetzt ist es mir ganz lieb. Nun hat man doch noch die Freude vor sich … Aber Du bist ja so still, Kind? Fühlst Du Dich nicht wohl?«
»Doch, Mama! Ich kann nur so schlecht sagen, was ich sagen möchte.«
»Strenge Dich nicht an. Du mußt nach dem Theater recht frisch sein. Kind, ich bin sehr glücklich! Das ist wirklich der schönste Abend, den ich seit langer, langer Zeit verbracht habe!«
Währenddem hatte sich das Haus allmählich wieder gefüllt. Jetzt drängten sich nur noch einige Nachzügler durch die engen Reihen des Parquets. Mit wohlwollender Spannung und in erwartungsvollem Schweigen harrten die Zuschauer der Dinge, die da kommen sollten. Und die Erwartung wurde nicht getäuscht. Bis zur Mitte des Aufzugs war die Stimmung überaus günstig. Da kam eine verstimmende Scene, die den Erfolg des ganzen Abends zu gefährden schien. Das Publikum wurde unruhig, räusperte sich, hustete; das geheimnißvolle Band zwischen den Künstlern auf den Brettern und den Zuschauern im Hause lockerte, löste sich … es sah höchst bedenklich aus. Aber ein glückliches Wort führte die entscheidende Wendung zum Guten wieder herbei. Und von diesem Augenblicke bis zum Schlusse steigerte sich die Theilnahme stetig, und als der Vorhang zum letzten Male fiel, brach ein wahrer Beifallssturm los.
Leonie hatte Recht gehabt: es war ein großer, ein durchschlagender Erfolg!
Drei-, viermal mußte Hall auf den Brettern erscheinen, zuerst mit seinen Künstlern, schließlich allein, und jedesmal wurde sein Erscheinen mit brausendem Jubel begrüßt; jedesmal grüßte er in etwas unbeholfener Weise, zunächst ins Allgemeine hinein, dann aber mit einem verstohlenen Blicke noch besonders zu Leonies Loge hinauf. Jedesmal dankte Leonie in derselben Weise durch langsames Schließen der Augen und ein sonderbares Lächeln des halbgeöffneten Mundes, und jedesmal wurde dieser vertraute Austausch von der fiebernden Martha beobachtet.
In dem Augenblicke, als der überglückliche Hall sich zum letzten Male verneigte, fiel ihm plötzlich Martha ein; als er den Kopf erhob, blickte er nach der Richtung hin, wo er sie zu finden wußte. Es war eine Secunde zu spät. Der herabfallende Vorhang war schon so tief, daß Hugo nur noch die ersten beiden Parquetreihen auf einen flüchtigen Moment erspähen konnte. Dann trennte ihn die graufarbene Leinwand von seinen Zuschauern, die nun den Ausgängen zu drängten.
Auf der Bühne empfing der Dichter noch die überschwänglichen Beglückwünschungen der Künstler, die glücklich über den Erfolg waren. Er wurde umarmt, geküßt. Er stammelte einige Worte des Dankes, drückte dem Regisseur noch ein Dutzend mal kräftig die Hand, holte aus dem Conversationszimmer seinen Hut, Ueberzieher und Schirm und ging dann ganz langsam und nachdenklich über die labyrinthischen Gänge und Treppen nach dem Ausgange auf die Charlottenstraße.
Das Wetter war abscheulich geworden. Es regnete in Strömen. Der Schein der Laternen spiegelte sich in den kleinen Pfützen, die sich zwischen den Steinen des mangelhaften Pflasters gebildet hatten und sich unter den herabfallenden Tropfen ringelten. Dabei war es kalt. Hugo merkte es kaum; in seinem Innern war warmer Sonnenschein. Der scharf muffige, stockige Geruch der geschlossenen Droschke, die der Portier hatte vorfahren lassen, belästigte ihn nicht. Er war wie entrückt, und er fuhr ganz erstaunt auf, als der Kutscher vor dem Hause in der Brüderstraße hielt.
Während er wiederum sehr langsam die Treppe hinaufstieg, beschlich ihn wohl ein Gefühl des Bedauerns darüber, daß er nicht gleich zu Leonie eilen durfte; aber mit der armen Martha hatte er doch aufrichtiges Mitleid und es war ihm eine gewisse Beruhigung, daß er ihr jetzt, wie er sich einredete, ein Opfer zu bringen hatte. Wenn es doch nur ein Mittel gäbe, ihr schonend die brutale Wahrheit beizubringen, daß er, bei aller Würdigung ihrer guten Eigenschaften, sie nicht liebte, daß sein Herz einer Anderen gehörte! Dies Doppelspiel war ihm mit der Zeit unerträglich geworden. Er mußte ihm ein Ende machen. Wüßte er nur, wie er seinen Irrthum eingestehen, wie er dafür büßen solle, ohne das unglückliche Mädchen unter seiner Schuld allzusehr leiden zu lassen.
Zögernd hatte er den Drücker in das Schlüsselloch gesteckt. Er sah sehr ernst aus. Dann gab er sich einen Ruck, richtete sich auf, fuhr mit der Hand über die Augen, als wolle er ein unerfreuliches Bild, das er vor sich sah, wegwischen, und trat geräuschvoll ein.
Sogleich öffnete sich die Thür der Berliner Stube, Martha erschien auf der Schwelle, Frau Emilie hinter ihr. Die arme Braut war keines Wortes fähig, sie schlang ihren Arm um Hugos Hals und schluchzte vor Rührung, als ob ein Unglück zu beklagen gewesen wäre. Hugo war ganz ergriffen, auch ihm war das Weinen jetzt näher als das Lachen. Langsam und freundlich entzog er sich Marthas Umarmung, um nun an die Räthin heranzutreten, die ihm freudestrahlend die Hand entgegenstreckte. Als er ihre Hand an seine Lippen führen wollte, überkam auch die arme Frau Emilie die Rührung; sie umarmte ihn herzlich und küßte ihn auf die beiden Wangen. Martha konnte sich noch immer nicht beruhigen, die heftigen Stöße des Schluchzens erschütterten ihren zarten Körper.
»Ist es nicht ein merkwürdiges Mädchen? So freut sie sich nun!« rief Frau Emilie mit liebkosendem Vorwurf. »Sei vernünftig, Kind! Komm! Laß Dich von Deinem Bräutigam zu Tisch führen.«
Jetzt erst bemerkte Hugo den festlichen Schmuck des Tisches. Es war Alles eben so gut gemeint wie dürftig. Außer der Petroleumlampe standen heut noch zwei brennende Kerzen auf dem Tisch. Der kalte Aufschnitt war in doppelter Portion aufgetragen. Auf Hugos Platz lag ein armseliges kleines Kränzchen von Lorbeer, mit einer von Marthas Hand gearbeiteten wundervollen Schleife: »Meinem geliebten Hugo. Martha«, auf dem einen, auf dem andern Bande: »Herkules und Omphale. 30. September 1873.«, umrahmt von gestickten Lorbeer- und Eichenblättern. Neben Hugos Teller lag in einer Bowle, die zu einem Eiskühler verwerthet war, eine halbe Flasche Champagner.
Frau Emilie weidete sich stillvergnügt an Hugos freudigem Erstaunen über diese ungewöhnlichen Anstrengungen; sie schmunzelte befriedigt vor sich hin, als wollte sie sagen: »Nicht wahr, wir können uns sehen lassen?«
Von Marthas Arbeit war Hugo tief gerührt und wahrhaft beschämt. Er wagte kaum, sich zu bedanken. Er fühlte sich des liebevollen Geschenkes unwürdig. Mit herzlicher Innigkeit küßte er die zarten schmalen Finger, die die mühsame Arbeit so kunstvoll gefertigt hatten.
»Also Ihr seid zufrieden gewesen,« nahm er endlich das Wort, während die Räthin sich damit plagte, den Draht der Verkorkung zu lösen. »Und ich darf auch zufrieden sein, nicht wahr? Es scheint mir doch ein wirklicher Erfolg gewesen zu sein?«
»Ich finde es wunderschön,« entgegnete Martha, die sich allmählich gesammelt hatte.
»Und welchen Eindruck hast Du vom Publikum gewonnen?«
»Ach Gott, darauf habe ich wenig geachtet.«
»Du meinst doch aber auch, daß das Stück gefallen hat?«
»So weit ich es beurtheilen kann, gewiß! Aber ich verstehe mich so schlecht darauf, das Publikum richtig zu schätzen. Das mußt Du ja viel besser wissen.«
Sie sagte das ganz einfach und aufrichtig. Hugo war aber einigermaßen enttäuscht. Er hatte eine begeisterte Zustimmung zu seiner Auffassung mit Sicherheit erwartet.
»Und was meinen Sie?« fragte er die Räthin, die endlich den gequollenen Pfropfen aus dem Flaschenhalse herausgebracht hatte.
»Ich glaube, es ist ein sehr schöner Erfolg. Es wurde ja auch soviel geklatscht, nicht wahr? Es war ganz gewiß ein Erfolg, und darauf, mein lieber Hugo, wollen wir anstoßen!« Sie hatte die nicht genügend abgekühlten Gläser kaum bis zur Hälfte füllen können, da der Schaum beim Eingießen gleich bis an den Rand gestiegen war. Sie stießen an, die Gläser klirrten, Hugo leerte den Inhalt bis auf die Neige, die beiden Damen nippten nur.
Es trat eine Pause ein. Hugo wurde von dem Verlangen verzehrt, von dem Stücke und von dessen Wirkung im Einzelnen, von der Aufnahme, die es gefunden hatte, etwas zu hören. Martha hatte ihm auch tausend schöne Dinge zu sagen, aber ihre Unbeholfenheit im Ausdruck verschloß ihre Lippen. Sie lächelte wehmüthig und nickte Hugo zu.
»Aber so greifen Sie doch zu!« ermunterte die Räthin, die Hugos Glas aufs Neue gefüllt hatte.
»Was hat Dir denn nun am besten gefallen?« fragte Hugo, der die Nöthigung der Räthin ganz überhört hatte.
»Mir hat das ganze Stück gefallen,« antwortete Martha.
»Nun ja,« versetzte Hugo, den die Einsilbigkeit sehr unangenehm berührte. »Aber es gelingt Einem doch nicht Alles in gleichem Maße. Da ist eine Scene, die den Zuschauer packt, da eine andere, die weniger anspricht. Ich meine, was hat nun besonders stark auf Dich gewirkt?«
»Ich verstehe schon,« entgegnete Martha, nach Worten ringend. »Aber ich kann's wirklich nicht so sagen. Ich dachte, der erste Act sei der beste. Aber der zweite hat mir gerade so gefallen, und der dritte auch.«
»Und die andern Leute, Deine Nachbarn, was sagten denn die?«
»Die fanden ja auch alles wunderschön, wie ich glaube. Ich habe mich aber, wie ich Dir schon sagte, so wenig um die Anderen gekümmert. Da mußt Du schon einen Klügeren fragen!«
Hugo bekämpfte den wachsenden Unwillen und leerte das Glas zum zweiten Male.
»Aber Sie essen ja gar nichts!« mahnte die Räthin. »Der kalte Wein auf leeren Magen, – es kann Ihnen ja nicht bekommen.«
»Ich habe gar keinen Appetit, ich danke!« erwiderte Hugo. Er sah nach der Uhr. Die Minuten krochen schwerfällig dahin. Er war verdrießlich, ungeduldig, gelangweilt. Um diese Stunde wurde er in dem glänzendsten Salon der Hauptstadt erwartet. Da war Alles vereinigt, was ihn froh und glücklich machen konnte. Da waren geistvolle Männer, die ihm in kluger und redegewandter Form das sagen würden, was er jetzt so gern hören wollte. Da waren schöne Frauen, die ihn mit süßen Schmeichelworten verwöhnten. Da war sie, die schönste, die klügste, die theilnehmendste, die geliebte Frau, Leonie! Da wurde er umringt, gefeiert, da fühlte er sich als der Held des Tages. Und all die klugen und gebildeten Männer, und all die eleganten Damen in der glänzendsten Umgebung, in den wohlbehaglichen, geschmackvollen Räumen des Luxus und des Ueberflusses! Und nun saß er hier in diesem ärmlichen Stübchen gegenüber einer einfachen älteren Dame in dunklem Wollenkleid, neben einem wortkargen, bedauernswerthen kranken Mädchen. Die beiden Kerzen flackerten trübselig. Das kleine, fast schon geleerte Fläschchen erhöhte die betrübende Wirkung der dürftigen Tafel, und die reichgestickten Schleifen blickten ihn vorwurfsvoll an. So sollte sein erster Triumph gefeiert werden?!
Martha merkte es Hugo an, daß seine Gedanken in die Weite schweiften, daß er nach etwas Anderem verlangte, als sie ihm bieten konnte. Zweimal setzte sie an, um etwas zu sagen, das ihm Freude machen, das die Stimmung auffrischen würde. Aber sie brachte kein Wort über die Lippen.
Träge und mühsam schleppte sich die Unterhaltung hin. Hugo hörte kaum noch, was gesagt wurde, und sprach mit, ohne recht zu wissen, was. Er war zerstreut, abwesend. Martha wußte ganz genau, wo er jetzt im Geiste weilte. Und als er wieder verstohlen nach der Uhr blickte, überkam sie die schmerzliche Lust, ihm den Aufbruch zu erleichtern.
»Ich finde es eigentlich nicht in der Ordnung, daß Du einen Abend wie diesen so still mit uns allein verbringen sollst …«
»Wenn ich's Dir ehrlich sagen darf … ich habe eigentlich eine Verabredung mit den Schauspielern … das ist so Sitte! Das heißt: es eilt gar nicht! Ich habe gleich erklärt, daß ich wahrscheinlich erst spät kommen würde … wenn es Dich irgendwie unangenehm berührt …«
»Ich verstehe es vollkommen,« fiel Martha ein, »Du brauchst auf uns keine Rücksicht zu nehmen. Ich würde ohnehin nicht mehr lange in Deiner Gesellschaft bleiben können, denn ich fühle mich doch recht angegriffen.«
Sie erhob sich, und Hugo folgte ihrem Beispiel mit merklichem Eifer. Er küßte dankbar ihre kalte Stirn, drückte der Räthin die Hand und wollte sich möglichst schnell entfernen, als ihm Marthas Kranz einfiel. Er kehrte um, trat an den Tisch und nahm das so gutgemeinte, liebevolle Geschenk.
»Laß den Kranz lieber hier!« sagte Martha. »Ich habe noch eine Kleinigkeit daran zu arbeiten.«
»Aber was fällt Dir ein?!« rief Hugo frisch, der nun auf einmal wieder lustig geworden war. »Wenn Du glaubst, daß ich mich von meiner ersten Trophäe heute trennen werde, dann bist Du im Irrthum! Morgen will ich ihn Dir allenfalls anvertrauen, wenn wirklich noch etwas daran zu basteln ist … aber heute: mein ist der Kranz, und mir gehört er zu!«
Martha schwieg.
»Nochmals herzlichen Dank und gute Nacht!« rief Hugo und verließ hastig das Zimmer.
Die Räthin schüttelte den Kopf, als er die Thür hinter sich geschlossen hatte.
»Merkwürdig!« sagte sie langsam. »Ich hatte mir den Abend anders gedacht.«
Martha war auf's Tiefste gekränkt. Sie fühlte sich belogen und betrogen. Wenn es wirklich die Schauspieler waren, die er jetzt aufsuchte, dann wollte sie ihm Alles vergeben, wollte reuig Abbitte leisten, – drängte es ihn aber zu jener Anderen, dann …
Sie mußte Gewißheit haben.
»Geh nur schlafen, Mama! Dir fallen ja die Augen zu. Ich besorge schon Alles!«
»Aber Du sagtest doch. Du fühltest Dich …«
»Das habe ich nur so gesagt, um es Hugo bequem zu machen.«
»Ja, ja … Hugo … Kind, weißt Du, wenn ich offen mit Dir sprechen darf, es gefällt mir Manches nicht …«
»Es ist spät, Mama, beinahe elf Uhr. Leg Dich zu Bett. Wir sprechen zu gelegener Zeit über Alles, was Du willst.«
»Gut, mein Kind! Und Du fühlst Dich wirklich …«
»Vollkommen wohl! Gute Nacht, Mama!«
»Na, dann gute Nacht, mein liebes Herz! Trödle nicht zu lange hier herum … Ich bin wirklich müde zum Umsinken! … Gute Nacht!«
Die Räthin, die während der letzten Worte schon mit dem Aufknöpfen des Kleides begonnen hatte, zog sich langsam zurück. Martha blies die Kerzen aus und stellte sie an ihren alten Platz, deckte den Tisch ab und setzte sich dann, Unerquickliches grübelnd, auf das harte Sopha. Ihr Herz that ihr wieder recht wehe, und sie drückte fest die Handfläche auf die linke Seite der Brust.
Sie hörte nun, wie Hugo, der sich zur Gesellschaft umgezogen hatte, seine Wohnung verließ und lauter als sonst die Treppe hinabstieg. Sie hörte auch, wie die Hausthür zugeworfen wurde.