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Da, wo die Felswand, auf der die Burgruine steht, einen breiten Absatz bildet, steht ein alter Haselbusch. Dicht verästelt ist er, und Schlehen und Weißdorn, Hundrose und Brombeere bilden um ihn ein dichtes Verhau, und über ihn erstreckt sich das Laubwerk eines krummen Lindenbaumes, der sein knorriges Wurzelwerk in die Risse der Wand getrieben hat.
Dieser alte Haselbusch birgt ein Geheimnis, von dem die vielen Leute, die die Ruine besuchen und unter der Veranda Kaffee und Kuchen verzehren, keine Ahnung haben. Aber der Zaunkönig, der in dem Schlehenbusch sein Nest hat, der weiß es, das heißt, so ganz genau auch nicht, denn dafür bleibt er nicht lange genug auf.
Es hat eine ganz sonderbare Bewandtnis mit diesem Haselbusch. Erstens sind seine Blütentroddeln rot, und seine Nüsse desgleichen; denn er ist ein Nachkomme jenes Strauches, den einst der Ritter aus einer Nuß zog, die er aus dem Kreuzzuge mitbrachte. Das Geschlecht des Ritters ist erloschen, die Burg ist von den Bundschuhmännern gebrochen, der fremde Haselbusch aber blieb in einem Nachkommen bestehen, weil der Eichelhäher eine der roten Nüsse in die Felsritze versteckte, aber vergaß.
Tagsüber merkt man es dem Busche nicht an, daß er ein Geheimnis birgt. Dann schlüpfen da die Grasmücken, zwitschern dort die Hänflinge, manchmal kreischt auch ein Häher dort, oder der Kuckuck läutet aus ihm heraus; allerlei helle und bunte Falter und Bienen und Fliegen flattern und schwirren um die Blumen der Akelei, des Labkrautes und der Lichtnelke, die das Felsenband blau, weiß, gelb und rot färben, und mancherlei Steinschnecken kriechen bei Regenwetter dort umher.
Wenn der Zaunkönig aber schlafen gegangen ist, das flatternde und schwirrende Kleinvolk verschwand, große Abendschwärmer über den betäubend riechenden Blumen des Jelängerjeliebers schweben, der die Wand umspinnt, wenn die Schatten aus dem Walde herauswachsen und über den fernen Bergen der Himmel seine Rosenröte eingebüßt hat, der letzte Drosselschlag verhallte, in der Quellschlucht die Salamander rascheln und im Walde der Kauz lacht, dann rührt sich geheimnisvolles Leben in dem alten Haselbusch; die Zweige nicken, die Blätter zucken, hier piept es fein, dort pfeift es dünn, und bald hier, bald dort huscht etwas, so klein wie eine Maus, aber mit buschigem Schwänzchen, ein Tierchen wie ein Eichkätzchen, aber viel kleiner, so klein, daß es in einer hohlen Hand Platz hat.
Haselmäuse sind es, seltsame Buschgespensterchen, Freunde der Nacht, geheimnisvolle Wesen, die nur wenige Menschen genau kennen. Schon an ihrer gelbroten Farbe zeigt es sich, daß sie wehrlose Nachttiere sind. Das rote Reh, das am Tage wie eine Flamme leuchtet, wird in der späten Dämmerung zum schwarzen Busch; das gelbrote Haselmäuschen ist nachts unsichtbar wie die Apfelsine im Laube. Es war nötig, daß die Natur ihm diese Farbe gab. Es ist ein ruhiger Kletterer, der sich nicht, wie die Waldmaus, mit jähen Sprüngen retten kann, wenn Kauz oder Krähe, Fuchs oder Iltis sie haschen wollen, und das Tierchen ist so wehrlos, daß es noch nicht einmal den Versuch macht zu beißen, wenn man es greift.
Es ist immer in Angst, ewig in Sorge. Ungern wagt es sich aus dem Astgewirre und dem Blätterversteck hervor, und wenn es mit den scharfen Nagezähnen einen Käfer oder eine Raupe zerraspelt, so gehen die großen schwarzen Augen fortwährend hin und her; alle Augenblicke hält es inne und richtet die großen, breiten Ohren auf, und erst wenn es heraus hat, daß es nur ein Weinfalter war, der in den Geißblattblüten rispelte, daß dort die Zwergmaus in den Ranken der Waldrebe raschelt und hier die Kröte im Laube watschelt, fährt es in seiner Mahlzeit fort. Aber dann duckt es sich; das Käuzchen quiekte und strich dicht über den Haselbusch hin, und dem Haselmäuschen schlägt das Herzchen; denn das Käuzchen, das ist der grimme Tod. Aber das Eulchen schwebt nach dem Dorfe hinab, und die Haselmaus kann wieder aufatmen.
Über der gedoppelten Feldzinne hinter den Fichten kommt der Mond herauf und wirft seinen Schein gegen die Felswand und über den Haselbusch. Das paßt der Haselmaus nicht, und vorsichtig klettert sie in den Schlehenbusch hinein, ihren guten Freund, der mit tausend harten, starken Dornen für sie eintritt, wenn Eule oder Iltis ihr zu Leibe wollen. Dort findet sie Gesellschaft; denn eine kugelrunde Haselmausmutter klettert dort in dem zackigen Astwerk umher, und da, wo der Rosenbusch sich mit dem Jelängerjelieber, der Waldrebe und dem Bocksdorn verfilzt, lebt und webt es auch von Haselmäusen. Hier erquickt sich eine an einer Erdbeere, dort verspeist eine andere einen Abendfalter, drüben turnt eine dritte eine Ranke hinauf, da macht sich die vierte über einen Tautropfen her, und munter sitzt eine auf dem knieförmig gebogenen Stamm der jungen Espe und putzt sich den langen Schnurrbart und das weiße Vorhemdchen mit den rosenroten Vorderpfötchen.
Wo die Schlehenzweige eine Brutgabel bilden, sitzt eine runde Kugel aus Grasblättern. Das ist das Nest der Haselmaus. Es sitzt auf einem guten Platze. Kein Iltis, kein Marder kann daran; denn rundherum starren die stahlfarbigen Dornen. Auch der Wind kann nicht hineinpusten; denn Efeuranken, Vorjahrslaub, Grasbüschel und Farnwedel umgeben es von allen Seiten. Das ist die Wiege der jungen Haselmäuse. Darunter ist eine Felsspalte, deren Eingang Farne verdecken. Darin sitzt noch ein Nest; aber es ist keine Wiege, es ist das Winternest der Haselmaus, ein dicker Ballen von Laub, Gras und Moos.
Wenn das Buchenblatt sich vom Zweige löst, die Blumen die Köpfe hängen lassen und die Rauchschwalben zur Südlandsfahrt rüsten, dann friert es die Haselmäuse. Sie entstammen milderen Gegenden, wo es keinen harten Winter gibt, der sie töten würde, wenn sein Hauch sie berührte. Beginnt der Wind kälter zu blasen, fallen die Früchte von dem Holzapfelbaum, dann baut sich die Haselmaus in einer Felsritze, in einem Baumstumpf ein weiches, warmes Lager, kriecht hinein, stopft das Schlupfloch zu, kugelt sich zusammen, legt ihr Schnäuzchen über den Bauch, drückt ihre Pfötchen vor die Augen und verfällt in einen tiefen Schlaf.
Mögen auch noch warme Tage kommen, sie merkt davon nichts; ihre Blutwärme ist gesunken, ihr Puls rührt sich kaum, ihr Herz steht fast still, und ihr Atem ist schwach und dünn. Sie schläft und schläft und schläft und zehrt von dem Speck, den sie sich mit süßen Haselnüssen, fetten Bucheckern, Lindenfrüchtchen, Beeren und Obst anmästete, sie schläft noch, wenn schon die Märzdrossel vom Fichtenwipfel in das Tal hinabsingt, und wenn die Windröschen und Leberblümchen ihre weißen und blauen Sterne über dem Fallaub leuchten lassen, schläft sie immer noch.
Erst dann, wenn das Buchenlaub sich breitet, wenn keine kalten Nächte mehr kommen, die Meisen füttern und die Finken brüten, dann wacht sie auf, reibt sich den Schlaf aus den Augen, und von neuem beginnt im Haselbusch ihr geheimnisvolles Treiben.