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Die Heide wackelt; sie bebt in ihren Grundfesten. Zuerst hatte es der alte Rammler vom Mallenkampe gemerkt. Er war just dabei gewesen, sich in der Sandwehe den taufeuchten Balg trocken zu laufen, da hielt er inne, setzte sich auf die Sprünge, spielohrte und dachte: »Das ist ja gerade, als wenn die Heide wackelt!«
Sie wackelte wirklich, wackelte so, daß die Mäuse aus den Heidbülten und die Kaninchen aus ihren Bauen fuhren, die Pieper und Heidlerchen aufstanden und ängstlich rufend von dannen flatterten, die Moorfrösche in dem Pumpe aufhörten zu murren, der Bock, der langsam und gemessen dahinzog, es auf einmal sehr eilig hatte, und der Mistkäfer, der behäbig den Pattweg entlang krabbelte, vor Entsetzen auf den Rücken fiel und den Starrkrampf bekam.
»Was ist denn das bloß wieder?« hatte der alte Hase gedacht, als das Klirren und Klappern, Dröhnen und Donnern näher gekommen war und der Boden, auf dem er saß, immer mehr bebte. »Die Heide wackelt wahrhaftig. Sie wackelt ja auch, wenn der alte dummerhaftige Stinkwagen von dem Ziegelwerk da oben vorbeifegt, und letzten Sommer, als das große Dings durch die Luft kam. Aber das ging doch bald vorüber. Dagegen dieses hört sich ganz anders an, und es ist, als wenn es gerade hierher käme.« Und damit machte er, daß er nach der Sweensriede kam, und als es da auch nicht anders werden wollte, rannte er nach der Wohld.
Das ist nun schon über drei Tage her und seitdem ist es auf dem Mallenkampe ganz anders geworden. Bei der Sandwehe steht ein großer, grauer Wohnwagen, vor der Landwehr eine Dampfmaschine und ihr gegenüber bei der Schnuckentränke eine zweite, und dabei liegt ein eisernes Ungetüm, das an ein gewaltiges Drahtseil gebunden ist, und bei dem Männer in blauen Anzügen stehen, die aus Stummelpfeifen rauchen und laut miteinander reden. Die halbe Heide aber sieht aus, als habe der Teufel damit Schindluder gespielt. Um und um ist sie gewühlt, daß Sand und Ortstein, Bülten und Machangeln kreuz und quer durcheinander liegen.
Einer von den Männern geht hinter das eiserne Ungetüm, bastelt daran herum, nimmt auf dem Sitz Platz, und die anderen Leute verteilen sich bei den Dampfmaschinen, die auf einmal heftig an zu arbeiten fangen, daß der Rauch über die Heide fliegt. Es klirrt, rasselt und klappert, und der Dampfpflug setzt sich in Bewegung. Mit zäher Kraft schiebt sich die gewaltige Schar durch den Boden. »Deuwel ja,« sagt der Bauer, der zusieht, und dann ruft er: »Dunnerkiel!«, denn auf einmal saust ein zersprengter Stein an ihm vorbei und Sand und Bülten fliegen ihm gegen die Beine. Die Maschinen brummen, schwarzer Qualm und weißer Dampf flattern durch die Luft, und knirschend und knarrend frißt die Pflugschar sich durch den Boden.
»Knubb« macht es und der Mann auf dem Sitz fliegt in die Höhe. Er sieht hinter sich und lacht. Da liegt ein Granitblock, der gut drei Fuß im Durchmesser hat; die Schar hat ihn in zwei Stücke gespalten. Das hat sich der Stein auch nicht träumen lassen, daß es ihm einmal so gehen würde. So manche zehntausend Jahre hat er hier gelegen, seitdem ihn der Gletscher vom hohen Norden vor sich her schob und endlich ablegte. Damals sah es hier anders aus. Da gab es noch keine Fichten und Fuhren, und die Birken und Weidenbüsche wurden kaum fußhoch. Aber das Mammut lebte hier, die Schneeeule flog, und kleine Leute mit gelben Gesichtern, in Pelze gekleidet, schweiften unstet umher, jagten das Renn und stellten dem Luchse mit dem Wurfspeere nach.
»Rumms,« sagt es wieder. Abermals hopst der Dampfpflüger auf seinem Sitze empor und eine Anzahl Steine wirbeln in die Heidschollen. »Kiek, sieh,« ruft der Bauer, der aus Neugierde hinter dem Pfluge in der Furche entlang geht, und reicht dem Schullehrer, der oben steht, einen Scherben zu, »ein Heidenpott!« Das hätten die Leute, die vor vielen tausend Jahren die Asche ihres Stammesältesten hier beisetzten, nicht geahnt, daß ihr Führer auf so plumpe Weise aus dem ewigen Schlafe gestört werden sollte. Tief genug hatten sie die Gruft gegraben, die die Urne aufnahm, darum und darüber Steine gepackt und einen Hügel darüber gewölbt.
Lange hatte sich der gehalten. Der Bär hatte dort das Wisentkalb gefressen, und in den Machangelbüschen, die darauf stockten, rastete der Luchs. Allerlei Volk mit schwarzem und blondem Haar war daran vorbeigezogen, bis endlich Leute kamen, die den Hügel etwas abtrugen, ein Haus darauf stellten, Äcker daneben machten und einen Eichenhain für ihre Schweine anlegten. Sie lebten, arbeiteten und starben, und ihre Kinder und Kindeskinder und deren Kinder und Kindeskinder bauten den Boden weiter, bis eine Streifschar des Germanikus hier durchkam, die des Varus Quintilius schmählichen Untergang rächen wollte. Da ging der alte Heidhof in Flammen auf, und alles, was darauf lebte, fiel unter dem Schwerte. Aber als die Soldaten noch bei der Brandstelle lagerten, Schweinebraten aßen und Honigbier tranken, brachen die Bauern hervor und fielen über sie her. Keiner der Römer blieb am Leben.
Der Lehrer, der auch in die Furche gestiegen ist, hebt ein rostiges Eisenstück auf, das aus dem Sande gewühlt ist, und dreht es in der Hand hin und her. »Sieh, Heinrich,« meint er und hält es dem jungen Bauern hin, »es könnte eine Lanzenspitze gewesen sein. Aber es ist zu verdorben durch den Rost. Na, mitnehmen kann ich es immer.« Es ist die Spitze des Pilums, das der römische Veteran, der mehr als zwanzig Kriegsjahre auf dem Rücken hatte und in Gallien und Hispanien, in Afrika und Syrien gefochten hatte, gerade gegen den einen Bauern erhob, als ein anderer ihm die langstielige Axt durch den Helm schlug. »Was ist das?« meint der Bauer und reicht dem Lehrer einen spitzen Stein hin. »Schade,« sagt der und sucht nach der andern Hälfte des Feuersteinmessers, das die Pflugschar zerbrach. Der Mann, der mit einem gekerbten Stabe aus Elchhorn sich dieses Messer aus einem Feuersteinsplitter zurechtdrückte, und der um den gelben, faltigen Hals eine Kette von Menschenzähnen trug, bekam, als er alt und gebrechlich wurde und nicht mehr mit dem Stamme auf der Jagd nach den wilden Rens weiterziehen konnte, den Gnadenhieb und wurde im Schnee verscharrt.
»Deubel,« sagt der Pflüger, denn er bekam einen zu harten Stoß. Die Pflugschar warf einen gewaltigen Eichenstumpf beiseite. Es war einst eine von den Eichen, unter denen der Hof stand, den die Römer niederbrannten. Andere Leute bauten sich da wieder an und lebten dort, bis die Franken in das Land brachen. Da ging der Hof abermals in Rauch auf. Und wieder entstand einer, und obschon viel Krieg und Ungemach über das Land kam, so hielt er sich doch bis zu dem großen Kriege. Da pochten ihn erst die Mansfelder, dann die Leute Tillys und schließlich die Schweden heil aus. Der Hunger und die Pest machten dann den Beschluß; der Hof verfiel und wurde nicht mehr aufgebaut.
Wieder fliegt der Pflüger empor; die Pflugschar schleudert Backsteintrümmer in das Heidkraut. »Hier soll einst der Mallhof gestanden haben,« sagt der Lehrer; »später ist dann Ackerland hier gewesen. Aber das ist schon lange her.« Er nimmt einen kugelrunden grauen Stein auf, der ihm vor die Füße kollert. »Das könnte eine Kugel aus dem Dreißigjährigen Kriege sein,« meint er zu dem Bauern, »denn damals brauchte man vielfach noch steinerne Kugeln.« Er bückt sich abermals und langt einen versteinerten Seeigel aus dem Ortsandbrocken heraus, betrachtet ihn, steckt ihn ein und folgt dem Pfluge, der sich knirschend und knarrend durch den Boden schiebt und alles das aufdeckt, was seit Hunderten und Tausenden und Zehntausenden von Jahren in ihm verborgen war, Lebendes und Totes, Altes und Neues durcheinanderwühlend und übereinanderstürzend.
Wo seit mehr als hundert Jahren Heide wuchs und die Schnucken gingen, wird die Fuhre und die Eiche wachsen und Ackerland sein, hundert Jahre lang und länger. Bis vielleicht doch wieder einmal die Heide an die Reihe kommt. Sie kam, als das Eis fortging, wich dem neuen Eiseinbruch, kam wieder, floh vor dem Walde, den Wiesen und dem Acker, und kam immer wieder.
Der Mensch ist stark; aber die Heide ist zäh.