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Der braune Tod

Arm an Stimmen war das Bruch den ganzen langen Winter hindurch. Ein Krähenschrei, ein Raubwürgerruf durchbrachen dann und wann die große Stille, der Kreuzschnäbel und der Dompfaffen Pfeifen und der Zeisige Zwitschern, des Hähers Kreischen und des Schwarzspechts Lachen, oder eines Meisenfluges vielstimmiges Gezirpe und eines Zaunkönigs Winterlied.

Als der Februar aber auf die Neige ging und die Sonne schon wärmer und länger schien, über Mittag die Wintermücken spielten, an warmen Lagen die Haselbüsche sich mit Gold behängten und die Erlen rote Troddeln schwenkten, da läutete die Kohlmeise den Vorfrühling ein.

Stob auch noch manchesmal der Schnee über das Bruch, fror es auch nachts noch Stein und Bein, setzte der Bach auch noch Randeis an: der Bann war gebrochen. Häufiger sang der Zaunkönig, lustiger zwitscherten die Zeisige; der erste Fink, die erste Goldammer stümperten sich ihre Lieder zusammen und machten ihren Genossen Mut; in den Fichten und Kiefern begannen Tannenmeise und Goldhähnchen zu singen, im Eichenwalde die Blaumeise, im Dickicht Weiden- und Sumpfmeise, aus allen Lachen und Tümpeln erklang das Murren der Gras- und Moorfrösche, und überall im Holze schnalzten die verliebten Eichkatzen.

Von Tag zu Tag wurde es farbiger und lauter im Moore. An den Grabenrändern schoß es grün auf und leuchtete es gelb, die Kiefern und Fichten frischten ihre Zweige auf, rosenrot quoll es aus den Kronen der Espen, und die Weiden wechselten ihr Silber in Gold ein. Die Drosseln und Bergfinken machten auf der Rückreise zum Norden halt im Bruche und erfüllten es mit lautem Geschwirr und Geschwätz, ein Täuber rief und noch einer und noch einer, sie erhoben sich über die Wipfel und klatschten den Wald wach, daß Windröschen und Feigwurz am Bache aufschreckten und das Fallaub mit weißen und gelben Blüten und grünem Blattwerke zudeckten; im Moore schlug der Birkhahn die große Trommel, ließ der Kranich seine Trompete klingen, flötete der Brachvogel hell und süß, und da reckte und streckte sich der Porst und hüllte das nasse Land in goldenen Schimmer, und als über dem alten Eichenbestande der Kolkrabe seinen klingenden Balzruf ertönen ließ, kam es hundertweis vom Süden herangeklaftert, und die Reiher nahmen von ihren Gestaden wieder Besitz.

Wo aber Leben und Liebe ist auf der Welt, da ist auch Mord und Tod. An den Tagen, wo der Nebel fest im Bruche klebte, schwenkte ein brauner, grelläugiger Schatten am Holzrande entlang, stieg über die Weidenbüsche, strich an den Dickungen einher, stob durch das Altholz und schwebte über die Besamungen. Schimpfte die Amsel auch noch so sehr und stürzte in das Gebüsch, zeterte der Häher auch so laut er konnte und warnte vor dem braunen Tod: plötzlich war er über der Fasanenhenne, die am Bachufer nach Gewürm scharrte, schlug ihr die Griffe in den Rücken und schleppte sie in das Weidicht, oder er holte die Elster mitten aus der Luft heraus und schlug den Täuber aus dem Balzfluge heraus; die Ente auf dem Teich, die Schnepfe am Boden, der Fink im Geäst, sie waren gleicherweise des Todes.

Dann aber kam der Tag, da auch den Habicht die Liebe faßte. Auf der Rückreise vom Süden nahm ein Männchen im Bruche Unterstand und schwang sich am späten Abend in einer krausen Altkiefer zum Schlafen ein. Als dann aber der Morgen kam und die Sonne rund und blank über dem Moore aufstieg, laut gepriesen von Birkhahn und Kranich, Brachvogel und Kiebitz, da gelüstete es den Räuber nicht nach Raub und Mord, sondern nach Minne und Zärtlichkeit. Hoch schraubte er sich, bis unter ihm das ganze Bruch mit seinen Wäldern und Wiesen und Heidhügeln und Mooren lag, leuchtend und schimmernd in der hellen Sonne, und aus der blauen Luft ließ der Habicht seinen klagenden Sehnsuchtsruf hinabklingen und zog seine Kreise, daß sein buntes Gefieder bald wie Silber schimmerte, bald wie Gold glänzte.

Aus dem Eichenaltholze am Flusse wurde ihm Antwort. Da stieg ein zweiter Habicht empor, weit größer als er, kreiste über den verworrenen Kronen, schraubte sich höher und höher, bis er in gleicher Höhe mit dem Männchen war. Näher und näher zogen die beiden Räuber ihre Kreise, bis sie sich schnitten, lauter wurde das sehnsuchtsvolle Klagen des Männchens, heller des Weibchens Antwort, und schließlich wurde aus den zwei Kreisen ein einziger, und in ebenem Schwunge drehte sich das Räuberpaar hoch über dem Bruche, in das vielstimmige Frühkonzert dort unten seine schneidenden Katzenrufe und sein gellendes Gekicher hinabsendend. Eine Stunde lang schwebten sie so dahin, bald höher sich schraubend, bald tiefer sich hinabwindend.

Wie auf Verabredung sanken beide nieder und verschwanden hinter dem Walde. Das Weibchen blockte in einer alten Eiche auf, mit den gelben Augen hungrig um sich spähend. Über die Blöße kam ein Häher geflattert, eilig und ängstlich. Schon glaubte er sich sicher, da schwang sich ihm der Habicht entgegen. Einen Angstruf stieß der arme Wicht aus, seinen letzten; denn schon war der Habicht neben ihm, warf sich zur Seite, schlug ihm die Griffe in den Leib und stob mit ihm über die Blöße. Zwischen zwei breitästige Jungtannen fiel er nieder und stärkte sich von dem langen Fluge. Dann strich er durch den Erlenbestand am Bache entlang, und wenn ihn die Amsel mit schrillem Gezeter auch ankündigte, er war doch schneller als der Junghase, der sich an dem jungen Grase äste, und nur ein einziges Mal klang die dünne Todesklage durch den Wald.

Das Habichtmännchen aber strich am Rande des Moores hin und bog in das Gestell ein, und als ein Täuber hastig vom Boden, wo er Schnecken gesucht hatte, abklapperte, war er über ihm, schlug ihn und kröpfte in seinem Heißhunger sofort darauf los, ohne darauf zu achten, daß auf dem Pirschsteige der Förster näher und näher schlich. Als aber ein Ästchen unter der Sohle knickte, schreckte der Habicht auf und polterte davon, den Täuber in den Fängen und eine Federwolke hinter sich lassend; aber ehe er hinter den Jungfichten war, riß der Hagel ihn aus der Luft heraus; aus war es mit Mord und mit Minne, und schlaff baumelte er neben dem Täuber am Galgen des Rucksackes auf dem Rücken des Försters, der mit froher Miene den Pirschsteig fürbaß schlich.

Der Tag ging hin, die Nacht sank herab und ein neuer Morgen blühte auf, ebenso bunt, wie der andere. Das Habichtweibchen hatte Sehnsucht nach seinem Gespielen. Hoch schraubte es sich empor und ließ seinen Sehnsuchtsruf in das Bruch hinabklingen, aber lange ward ihm keine Antwort. Erst am vierten Morgen klang auf das Rufen ein Widerhall, hart und scharf, ein altes Männchen ankündigend, und vom Moore her stieg es auf, dem Weibchen entgegen, bis es mit ihm gleich hoch war und seinen Kreis mit dessen verband.

Einige Tage später trugen sie dürre Äste und Kiefernzweige in eine hochschäftige Kiefer mitten im dichtesten Walde und bauten dort einen gewaltigen Horst.

Immer schlimmer wurde es im Bruche für viele Tiere. Die Birkhenne, die sich im losen Torfmull badete, fühlte plötzlich die Krallen des Habichts in den Seiten, und die Elster mußte trotz ihres Angstgeplärres sterben. Der Förster wußte nicht, wo seine Fasanen blieben, und die Försterin vermißte alle paar Tage ein Huhn.

Ganz schlimm wurde es aber erst, als in dem großen Horste im dunkeln Walde drei weißwollige Junge lagen und nach Futter gierten. Da schlug das Habichtweibchen den zu drei Vierteln ausgewachsenen Hasen und den alten Fasanenhahn, holte den Bauern die Hühner vom Hofe und dem Müller die Enten vom Teiche, und wenn die Leute das Angstgegacker der Hühner und das Schreckensgeschnatter der Enten hörten und aus den Türen stürzten, dann war es schon viel zu spät, und sie sahen höchstens in der Ferne den Habicht tief über die Felder dahinflattern, das Huhn oder die Ente in den Griffen.

Der Förster gab sich die allergrößte Mühe, den Horstbaum zu finden, es gelang ihm aber nicht. Er suchte alle Vorhölzer ab, in denen früher Habichte gehorstet hatten, aber seine Mühe war vergeblich. Er gab Obacht, ob er nicht irgendwo einen Habicht kreisen sah, aber wenn das auch der Fall war, das Nest fand er dort doch nicht. Die Habichte waren schlau geworden. Seitdem die Hinterladergewehre aufgekommen waren und Förster und Jäger sich nicht erst lange besannen, ehe sie einen Schuß abgaben, weil das Laden jetzt so schnell ging, machten sie auf jeden Habicht Dampf, den sie sahen, und schossen in jeden Horst, den sie in den Feldhölzern antrafen, und da zogen die Habichte es vor, im dicksten Walde zu horsten. Verstohlen flogen sie zu Neste, heimlich verließen sie es, und nie fiel es ihnen ein, wie früher über dem Horstbaume zu schweben und sich mit klagendem Rufe und heiserem Gekicher anzumelden.

Heimlich war ihr Leben und Treiben. Der Wanderfalke saß auf seinem Luginsland, dem Hornzacken der alten Eiche am Waldrande; offen und frei saß er da, daß seine weiße Brust in der Sonne leuchtete, und wenn die Tauben heimflogen, sauste er ihnen entgegen und schlug sie in der Luft. Der Bussard saß sichtbar auf einem Grenzsteine und wartete auf Mäuse, der Turmfalke rüttelte über der Heide. Sie alle jagten offen und ehrlich. Der Habicht aber raubte nach Buschklepperart und Strauchritterweise. Fest an den Stamm eines Baumes am Waldrande gedrückt saß er da und spähte mit den gelben Mörderaugen umher. Sobald er ein Feldhuhn oder einen Junghasen eräugte, warf er sich aus seinem Hinterhalte, flatterte dicht über der Erde hin, strich hinter den Büschen her, benutzte jeden Baum als Deckung, und plötzlich war er über seiner Beute und schlug ihr die Krallen in den Leib. Das geschlagene Stück trug er noch lebend zum Horste, oder aber er begann es, und wenn es auch noch lebte, zu zerfleischen und zu kröpfen.

Schließlich wurde dem Förster das Treiben der Habichte zu bunt und er stellte Schlageisen auf Pfähle, und als er eines Morgens die Fallen nachsah, hing das Habichtmännchen mit zerschmetterten Füßen darin, und schnell schlug er es tot, damit es sich nicht länger quäle. Drei Tage später kam ein Bauer zu dem Forsthause und brachte das Weibchen. Er hatte gesehen, wie der Habicht in seiner Tollkühnheit einen alten Hasen schlug; der Hase aber rannte davon, den Habicht auf dem Rücken. Plötzlich fiel der Raubvogel herunter und flatterte an der Erde umher, und als der Bauer neugierig hinlief, war der Vogel im Verenden, weil sein linkes Bein ganz aus dem Leibe gerissen war. Da ging der Bauer dahin, wo der Hase gesessen hatte und fand, fest um einen Zweig gekrallt, das linke Bein des Habichts, der sich an dem Zweig festgehalten hatte, um seine Beute am Fortlaufen zu hindern. Der Hase hatte aber in seiner Todesangst einen so jähen Satz gemacht, daß dem Habicht das eine Bein aus dem Leibe gerissen wurde.

Als der Förster einige Tage später durch den Wald ging, hörte er junge Habichte klagen und fand endlich den Horst. Er rief die Hütejungen herbei und half ihnen, den Horstbaum zu ersteigen. In dem Horst saßen zwei junge Habichte; von dem dritten waren nur noch die Knochen da; seine halbverhungerten Geschwister hatten ihn aufgefressen.

Nun war Ruhe im Bruche; denn der braune Tod war verschwunden.


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