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Der unbekannte Wald

Zwischen den beiden Landstraßen, die von Klein-Buchholz nach Isernhagen und Warmbüchen führen, liegt ein Fuhrenwald. Oft hatte ich ihn liegen sehen, wenn ich in der Straßenbahn die eine Straße entlang fuhr oder auf dem Rade die andere entlang sauste. Jedesmal nahm ich mir vor, ihn zu besuchen, aber immer blieb es dabei, Jahr für Jahr verging und ich kam nicht zu ihm hin, denn zu weit abseits lag er von meinen Wegen.

Ganze Monate vergaß ich ihn, den schwarzen Wald, verlor ihn aus dem Gesicht in dem Wechsel der bunten Erscheinungen, die das Leben an unseren Augen vorüberführt. Plötzlich aber tauchte er wieder auf. Einmal verschwommen wie im Nebel, dann scharf und deutlich, wie bei klarem Wetter, ein anderes Mal mit goldenem Hintergrund, wie um die Unterstunde zur Heuezeit, oder auf rosenroter Wand, wie zur Ulenflucht, aber immer schwarz, verschlossen, schweigend, geheimnisvoll und vielversprechend.

Neulich spät nachts, als ich heimging, sah ich ihn wieder. Nebel krochen um die Dächer und hängten sich glitzernd an die Äste, und da dachte ich, er würde fein aussehen am anderen Morgen, mein unbekannter Fuhrenwald, reifumsponnen, silberüberzogen, blinkend und glitzernd in der Sonne.

Der Morgen aber war aschgrau. Der Ostwind heulte und trieb Staub durch die Straßen, machte die Luft dick und undurchsichtig, biß mich in die Augen und kniff mich in die Backen. Den Nachtnebel hatte er weggejagt und den Rauhreif zuschanden gemacht.

Ich fuhr aber doch hinaus. Aus Trotz. Wenn man sich nach jedem Winde richtet, kommt man zu nichts im Leben. Und aufgeschoben ist meist immer aufgehoben. Ich wollte endlich meinen unbekannten Wald kennen lernen.

Es war nicht schön da draußen. Alles war grau in grau. Die Straßenbahn zog eine lange Staubschleppe hinter sich her, über den Wiesen hinter List lagen graue Schleier, der Himmelsrand war nah und eng.

Die Dörfer waren wie ausgestorben. Der steife Ost hielt alles zu Hause. Kaum, daß sich ein Hund blicken ließ, als ich mit meinen beiden Teckeln an den Höfen vorbeiging, und selbst das Spatzengesindel zeigte sich nicht.

Nein, schön war es nicht: das sah ich, als ich hinter Bothfeld war. Der Wind strich mit eisernem Besen über die Felder, walzte die Saat platt an den steinharten Boden und bepuderte sie mit gelbgrauem Staub. Und er heulte und donnerte so laut, daß das Glockengeläute des Dorfes schwach, wie verwehtes Äolsharfenklingen, zu mir herankam.

Messerscharf war der Sturm. Bald feuerte mir das ganze Gesicht und die Ohren brannten mir. Fast hatte ich Lust, von meinem Plane abzugehen und in dem Bothfelder Busch links von der Straße unterzutauchen, wo ich unter dem Winde war. Als ich aber meine Hunde sah, die wedelnd vor mir hertrollten, in jeden Durchlaß die Nasen steckten und an allen Mauselöchern scharrten, ohne sich um Wind und Wetter zu kümmern, da schämte ich mich und ging weiter.

Links vom Wege liegt ein einsames Wirtshaus. Früher standen wundervolle Hängebirken davor. Die mußten fallen, als hier die Schienen für die Straßenbahn gelegt wurden. Oft habe ich unter ihnen gesessen und mir von ihnen allerlei erzählen lassen. Und auch von dem Wirt; der hatte ebensoviel erlebt wie die alten Birken, denn er ist über neunzig Jahre alt.

Ich trat ein und frühstückte da. Der Großvater schlief auf der Faulbank. Ich hätte gern mit ihm wieder einmal gesprochen. Aber er war nicht recht munter den Tag. Der Ostwind lag ihm auf der Brust.

Auch mir verging zuerst die Lust, als ich aus der warmen Gaststube trat in die trostlose, winddurchheulte Landschaft. Nirgendswo ein Vogelruf, nur graue Staubwirbel und gellendes Sturmgepfeife. Und die graue Krähe, die dick aufgeplustert auf der Legde saß, sah aus, als wäre sie totgefroren.

Hinter der zweiten Wietzebrücke bog ich von der Straße ab. Als ich das letztemal hier war, murmelte das braune Wasser, goldene Lilien blühten und in den Ellern lebte und webte es von lustigem Vogelvolk. Heute war alles still und tot. Das Wasser war übergefroren, das Rohr war gelb und flüsterte ängstlich, das rote Winterlaub der Hagebuchen ruschelte und rappelte gespenstisch.

Über braune Heide ging der Patt und über gelbe Wiesen, in denen weißer Reif lag. Kahle Birken standen da und die braunen Skelette des Baldurkrautes. Als die Birken grün waren, hatte es golden geblüht. Jetzt sah es hier aus, als könnte nie wieder eine goldene Blume leuchten über grünem Gras.

So einsam war alles, so verlassen. Wenn Schnee hier gelegen hätte, es hätte nicht so trostlos ausgesehen, wie jetzt bei dem Kahlfrost. Selbst der freche Großwürger, der so leicht nicht die Laune verliert, strich stumm von seiner Warte auf der Fuhrenspitze ab, wie ich näher kam.

Am traurigsten sah die Roggenblaade aus. Fast schwarz war sie, ohne Mark und Saft, fest an dem graugelben Boden klebten die Blättchen. Ohne Schnee ist der Winter am härtesten.

So traurig, wie heute, habe ich niemals den Goldfink locken hören. Es klang hoffnungslos und verloren, als käme niemals wieder ein Frühling ins Land. Und in den Fuhren die Goldhähnchen piepsten so dünn und erbärmlich, als müßten sie heute noch alle sterben. Auch die Ammern, die in der Zitterpappel saßen, zankten sich nicht zum Spaß, wie sonst immer.

Ich suchte meinen Wald, aber ich fand ihn nicht. Die Aussicht war grau verhangen. Von Feldholz zu Feldholz ging ich, machte hier einen Rebhahn hoch, der unter dem Schwarzdorn im gelben Risch lag, trat da einen Hasen heraus, der in die Furche sich gedrückt hatte, und dort eine Fasanenhenne. Aber das waren nur Augenblicke, wo Leben sich zeigte. Gleich darauf war wieder alles tot und still bis auf den Sturm.

Die Wietze entlang ging ich. Sie war dick übergefroren, aber ich traute ihr doch nicht recht. So ging ich so lange an ihren Sandufern entlang, bis eine Brücke kam, und dann über die Wiesen und unter dem Wind am Holz entlang.

Da lag eine Eiche. Sie war im Herbst geschlagen und alles lag voll von ihren Früchten. Man sollte meinen, der Häher, der dort vor mir abstob, hätte deswegen bei Laune sein können, aber selbst er, der Prahlhans und Waldnarr, blieb stumm, und auch die Schacker, die sonst immer lärmen, strichen schweigend aus der Hecke nach den Fuhren.

So stumm war der Tag, daß ich ordentlich zusammenfuhr, als im überschwemmten Busch unter den Tritten meiner Hunde das Lufteis vor mir knatterte, und als einmal eine Meise lockte, blieb ich erstaunt stehen. Ich wunderte mich auch gar nicht, daß sogar der Zaunkönig, der durch das Gestrüpp am Graben huschte, noch nicht einmal sein Gezeter ertönen ließ. Und wenn ich die Hunde zurückpfiff, wenn sie in die Dickungen wollten, dann kam mir das fast unpassend vor.

Denn nur der Ostwind hatte freies Wort. Er pfiff und sang und heulte das Lied vom kalten Tod, er pfiff es über Feld und Wiesen, sang es in Busch und Dorn, heulte es in Holz und Wald. Und alles Leben draußen schwieg und erschauerte.

Als ich dann schließlich nach vielen Irrfahrten zu dem unbekannten Walde kam, da war ich sehr enttäuscht. Es war ein Fuhrenstangenort, langweilig, wie sie alle sind, und ohne jedes Leben, denn der große helle Vogel, der vor mir aufflog, war vielleicht nur ein Gespenst.

Am alten Fuchsbau rastete ich. Die Teckel bekamen ihr Futter, ich meine Pfeife. In den Wipfeln donnerte der Sturm, am Boden leuchteten gelbe Pilze, hartgefroren, wie Stein. Langsam zog die Dämmerung heran.

Den Sturm im Nacken ging ich zurück, um einen Traum ärmer. Lag es an mir, lag es an dem grauen Tag, ich weiß es nicht. Aber als ich am Dorfe war und zurücksah nach dem Walde, der da schwarz, schweigend und verschlossen in der grauen Landschaft lag, da schien es mir, als verspräche er doch etwas.

Etwas, das er mir geben wird, wenn über den Feldern die Lerchen singen und an der Wietze die Dotterblumen funkeln.

Vielleicht gehe ich dann noch einmal zu ihm.


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