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Müschen

Fritz hatte sich schon immer ein Aquarium gewünscht, aber ein anständiges, nicht ein Einmacheglas oder eine Goldfischkuppel oder dergleichen zweiten Ranges, wie sie die Jungen hatten, die jeden Tag im Frühling mit alten Konservenbüchsen unter dem Arme loszogen, um Molche und Kaulquappen zu fangen.

Nein, Fritz wollte die Sache wissenschaftlich betreiben. Onkel August, der nach der Ansicht von Fritzens Mutter nur auf viereckige Einfälle kam, hatte dem Jungen ein Taschenbuch der Aquarienkunde zu Weihnachten geschenkt, und den ganzen Tag langweilte Fritz seine Mutter nebst der Magd mit Vallisneria, Kabomba, Maulbrütern, Haplochilus, Tubifex, Daphnien, Zyklops und anderen geheimnisvollen Fachausdrücken bis zur Erschlaffung.

Seinem Vater lag er solange mit seinen Wünschen in den Ohren, bis dieser ihm sagte: »Wenn du bis zu Ostern kein einziges Mal zu brummen brauchst, im Betragen keine Note und nur zwei Ungenügend in der Zensur hast, sollst du eins haben, und hast du bloß einmal Ungenügend, dann bekommst du eins mit voller Bepflanzung und Besetzung.«

»Kunststück!« dachte Fritz, »wenn ich Peter Knille nicht mehr verbeule, keine Hunde mehr zwille, lerne, bis mir der Kopf schwillt, und mich so artig wie ein Kaninchen benehme; das ist eigentlich ein bißchen viel für einen Pott voll Wasser! Aber was hilft das alles? Macht geht vor Recht.«

Nach drei Tagen fragte der Klassenlehrer Fritz, ob er krank sei. Er saß ruhig, verzierte die Schulbank nicht mit Kerbschnitt, zwillte weder Mensch noch Vieh mehr, ließ Peter Knille ungebeutelt, konnte seine Aufgaben, kurzum, benahm sich so, als wäre ihm irgend etwas Fürchterliches passiert, das von tiefeingreifendem Einflusse auf seinen Charakter gewesen wäre.

Der gute Lohn blieb nicht aus. Er bekam das zweitbeste Zeugnis. Der Vater zog die Augenbrauen hoch: »Sieh, das ist ja hübsch von dir; nun sollst du ein schönes Aquarium haben; aber,« setzte er hinzu, »wenn deine nächste Zensur schlechter ist, dann steck dir man eine Kladde unter die Buchse.«

Das Aquarium kam; es war prachtvoll, so prachtvoll, daß Fritz seinem Vater sogar die Hand küßte, was er sonst nicht gern tat, weil er es eines freien Mannes für unwürdig hielt. Himmel, war das Aquarium fein! Es hatte ein grüngestrichenes Gestell, faßte unglaublich viel Wasser, war wundervoll bepflanzt und mit einem ganzen Dutzend Fischen besetzt, Goldfischen, Zwergwelsen, Ellritzen, Bitterlingen usw.

Es bekam seinen Platz vor dem Fenster, und den ganzen Tag saß Fritz davor, sah zu, was die Fische machten, und erzählte bei den Mahlzeiten die seltsamsten Dinge, die er beobachtet hatte, z. B. daß der Bitterling ab und zu den Koller kriegt und wie verrückt an den Pflanzen herumrupft, daß die Steinbeißer sich bis auf die Nasenspitze in den Sand einbuddelten, daß Stichlinge Rauhbeine seien, sich aber mit den Welsen und Steinbeißern nicht abgäben, sondern nur die Goldfische, Bitterlinge und Ellritzen anpöbelten und von Rechts wegen Maulkörbe vorhaben müßten; denn sie zackten den anderen Mitbürgern die Schwanzflossen auf die Dauer doch ein bißchen toll aus.

Nach acht Tagen waren die beiden Goldfische spurlos verschwunden. Da die Stichlinge nicht außergewöhnlich dick waren, entgingen sie dem Verdacht, die Goldfische gefressen zu haben. Fritz suchte das ganze Zimmer ab, fand aber die Fische nicht. Der Fall war rätselhaft. Am anderen Tage fehlte eine Ellritze und ein Bitterling, am Nachmittage die andere Ellritze und der zweite Bitterling, tags darauf der eine und am nächsten Morgen der andere Zwergwels. Fritz sah sich von einem dunkeln Geheimnisse umgeben und von einem düsteren Schicksale verfolgt. Ein Einbrecher konnte der Dieb nicht gewesen sein, denn das Fenster war immer zu gewesen; Line, die Magd, besaß nachweislich keine fischsportlichen Neigungen. Rätsel über Rätsel!

Hätte Fritz Müschen, die Katze, gefragt, so hätte er zwar keine Antwort bekommen, aber vielleicht ein schuldbewußtes Blinzeln bei ihr bemerkt. Müschen war eine brave, gute Hauskatze, durchaus zivilisiert, indem sie sich grundsätzlich im Garten und am liebsten im Suppenkraut löste, die den Klucken ängstlich aus dem Wege ging und den Hunden noch ängstlicher. Als sie aber eines Tages das Aquarium sah, da erinnerte sie sich, daß sie, oder vielmehr ihre Ururururahnen, einst wintertags an den Bächen entlang schlichen und die laichende Forelle mit einem schnellen Brantenhieb auf den Uferschotter schleuderten. Sie war auf den Nähtisch gesprungen, hatte erst vergebens versucht, die Fische durch das Glas zu fangen und war schließlich auf den Gedanken gekommen, die Sache von oben zu versuchen. In einer Woche hatte sie das Aquarium leer. Da sie das dumpfe Gefühl hatte, daß Fritz und die Seinen ihre fischsportlichen Neigungen nicht sehr gern sähen, hatte sie ihre Angelei auf die Vormittags- und Abendstunden verlegt, wenn niemand im Eßzimmer war.

Also, die Fische waren fort. Ein Aquarium ohne Fische ist aber wie eine Badeanstalt, die des Wassers entbehrt; es hat sehr wenig Wert. Fritz nahm den Inhalt seiner Sparkasse und zog zum Aquarienhändler. Da in der Sparkasse nur sechzig Pfennige waren, langte es bloß für zwei Welse und eine Karausche. Am nächsten Tage waren sie alle miteinander unbekannten Aufenthaltes verzogen. Es wurde Familienrat gehalten und folgendes beschlossen: »Die Fische sind herausgehüpft; wo sie geblieben sind, ist nicht erfindlich. Damit das nicht wieder vorkommt, wird das Geld für eine Glasplatte, um das Aquarium zu bedecken, und eine Mark zwanzig für neue Fische bewilligt.« Beschlossen und genehmigt.

Fritz war selig, aber nur drei Tage lang; denn da lag die Glasplatte hinter dem Aquarium, und die Fische waren spurlos verschwunden. Fritz neigte nicht zum Aberglauben, aber nun kam es ihm doch so vor, als begäben sich zwischen dem Boden und dem Deckel eines Aquariums Dinge, die über das Fassungsvermögen eines Tertianers und sogar seiner Eltern weit hinausgingen. Das Schlimmste aber war, der Vater weigerte sich entschieden, weitere Gelder für den Ankauf weiterer Fische flüssig zu machen, weil es, wie er sagte, doch bloß für die Katz sei. Er ahnte nicht, wie sehr er mit dieser Redensart das Richtige traf. Aber wie sollte man auf Müschen kommen, die sich nachweislich nur von süßer Milch, Semmel und Schlagsahne nährte!

Da Fritz wußte, daß man Fische nicht nur mit Fünfzigpfennigstücken, sondern auch mit Angelhaken fangen kann, machte er sich seine Angel zurecht. Müschen sah zu; denn Fritz hatte sich als Transportkanne ein Einmacheglas zurechtgemacht, und ein Glas, in dem Wasser war, interessierte Müschen seit einiger Zeit ungemein. Zum Fluß begleitete Müschen Fritz aber nicht; wo der Garten aufhörte, begann der Machtbereich jener üblen Tiere, die vorn immer Krach machen und hinten wedeln, und mit denen Müschen nicht gern in näherm Verkehr trat.

Fritz aber nahm den allerkleinsten Haken, spieckte einen Regenwurmschwanz daran und hatte auch bald das Glück, einen Uklei und eine Rotfeder zu erwischen, die alle so gut wie heil waren; denn sie hatten sich nur am Lippenrand gefangen. Fröhlich lief er mit seinem Transportglase nach Hause, aber das Eßzimmer war verschlossen, und so füllte er einen Emaillekochtopf, den er trotz ihres Zetermordios der Line ausgespannt hatte, mit Wasser und goß seine Fische vorläufig hinein. In diesem Augenblicke flötete Max Müller draußen und erzählte Fritz, Peter Knille wäre eben vorbeigegangen und hätte gesagt, Fritz hätte Bammel vor ihm. Fritz stieß den Kriegsruf seines Stammes aus und begab sich auf den Kriegspfad; seine Fische vergaß er.

Als er die Fische in den Kochtopf goß, hatte Müschen in dem Suppenkrautbeete, wo sie etwas zu tun gehabt hatte, gesessen und getan, als ginge sie der Pott soviel an wie der Mond. Sobald Fritz fort war, sah sie sich den Fall genauer an. Wahrhaftig, Fische, schöne, blanke Fische, der eine sogar mit roten Flossen; dieser Fritz war doch ein zu guter Junge; immer sorgte er für Fische! Wie macht man das nur am besten, mit List oder mit Gewalt? List und Geduld führen sicherer zum Ziele, nur die dämlichen Hunde tapern auf alles gleich los. Also solange gewartet, bis ein Fisch auftaucht. Siehst du wohl, hat ihm schon! Und da hätten wir auch Nummer zwei! Und nun wollen wir uns damit hinter die Zwergrosen verziehen; Fische muß man in Ruhe verzehren.

Als Fritz nach einer Viertelstunde zurückkam, hatte er zwar eine Beule an der Stirn, aber seine Augen strahlten. Peter hatte solange unter ihm gelegen, bis er in Gegenwart von Max Müller erklärt hatte, er habe nur zum Spaß gesagt, Fritz habe Angst vor ihm. Und dann fielen Fritz seine Fische ein. Er ging an den Kochtopf und machte Augen, so lang, wie sie ein Hummer hat. Die Fische waren nicht mehr da. »Line!« brüllte er, »war wer im Garten?« Line versicherte bei ihrer Seligkeit, daß das nicht der Fall gewesen sei.

Fritz blieb mehrere Tage still und schweigsam. Dann fing er wieder Fische und setzte sie in den Topf, der im Garten stand, und er selbst stellte sich mit der Zwille an das offene Fenster. Der Schluß der Tragödie bestand darin, daß Müschen, die gerade wieder angeln wollte, einen kreischenden Ton ausstieß und wie blödsinnig in das Haus schoß, und als sie dort ankam, pfefferte ihr Fritz noch eine Ladung Schrot auf die Keulen und legte seine ganze Verachtung in die zwei Worte: »So'n Biest!«

Seit dieser Zeit ging Müschen allen Aquarien und Fischpötten aus dem Wege; sie glaubte, Fische könnten mit der Zwille schießen.


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