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Sechstes Kapitel.
In Stromboot und Eisenbahn nach Rovaniemi.

Brausende Wirbel und tanzendes Boot. – Wir kommen glücklich nach Uleaborg. – Sommerstille und Kleinstadtfrieden. – Wo die Eisenbahn aufhört. – Eduard und die anderen tauchen auf. – Die Ankunft am nördlichen Polarkreis. – Wir kaufen Vorräte ein. – Warum ich das Pechöl nicht liebe. – Ich versenke mich in deutsche Lyrik und erwerbe Lappenstiefel. – Es geht los im Automobil.


Endlich war es so weit, – nun sollte ich in Finnland etwas kennen lernen, was mir gänzlich neu war, ein Bewegungsmittel, dessen ich mich noch nie bedient hatte, weil im übrigen Europa dazu auch keine Gelegenheit ist.

Allerlei merkwürdige Dinge hatte ich ja schon rundum in der Welt staunend gesehen. Kühne Seilschwebebahnen, störrische Maultiere, behaglich wackelnde Kamele in Ägypten, an Bambusstäben befestigte Hängematten und Ochsenschlitten in Madeira, Negerschultern hatten mich schon durch Brandungen getragen, aber das Stromboot, d. h. das eigens für eine Stromschnellenfahrt gebaute Boot sollte ich jetzt erst in Finnland kennen lernen.

Zunächst ging es morgens um ein halb acht Uhr auf einem ganz gewöhnlichen Flußdampfer über den Ulesee, so etwa vier bis fünf Stunden lang nach dem kleinen Hafen Vaala. Klein ist dieser Hafen, aber wichtig, denn hier sammeln sich die Teerboote, das uralte Beförderungsmittel für den Teer, den man im Inneren des Landes gewinnt und von hier, da keine Eisenbahn besteht, über See und Fluß nach Uleaborg am Bottnischen Meerbusen befördert.

Diese Teerboote, die zwanzig bis fünfundzwanzig Teerfässer fassen können, sind etwa zwölf bis siebzehn Meter lang, etwas über einen Meter breit und ragen, wenn sie belastet sind, nur einige Zentimeter aus dem Wasser hervor. Dann bringt man zu beiden Seiten abnehmbare Wände an, die mit Weidenruten befestigt werden. Vorn und hinten sitzt je ein Ruderer, und an Backbord, also links in der Fahrrichtung, ist das Steuer angebracht. Weht guter Wind, dann erhöht ein großes Raasegel ebenso das abenteuerliche Aussehen wie die Geschwindigkeit der Fahrt.

Früher mußten sich auch Touristen solchen Teerbooten anvertrauen, und das war natürlich ebenso romantisch wie unbequem. Jetzt hat man für die Stromschnellenfahrt eigens »Stromboote« gebaut, lang und schlank wie die Teerboote, aber auch besonders fest und vertrauenerweckend schon in ihrem äußeren Anblick.

Trotzdem überfällt manchen ein gelindes Zagen, wenn er zum erstenmal Platz nimmt mit der Aussicht, in einem solchen Kahn durch den Wirbel der Stromschnellen zu fahren. Wer aber A gesagt hat, muß auch B sagen, denn bei dem reißenden Gefäll des Stromes und dem Mangel an Landungsstellen ist es natürlich nicht möglich, unterwegs zu sagen: »Ich tu nicht mehr mit«.

Übrigens hat in jedem Boot ein vereidigter Steuermann den Oberbefehl, und gegen die Anordnungen dieses Stromfährmannes gibt es keinen Widerspruch. Man braucht auch nur in die klaren Schifferaugen und in das ruhige Gesicht eines solchen Bootsführers hineinzublicken, um zu wissen, daß man in guter Hut ist.

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Pfarrer Ahola in Lappentracht

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Frau Pfarrer Ahola im Rentierschlitten

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Lappenhütte mit Kind

Kaum hat man in Vaala solch ein Boot bestiegen, und zu zwei und zwei auf den einfachen Holzbänken Platz genommen, so geht auch schon das Vergnügen los!

Unter den Fahrgästen des von mir benützten Bootes waren einige Ehepaare, die sich treulich zusammensetzten; besonders eine junge Frau sah aus, als ob sie mit dem Leben abgeschlossen und ihr Testament gemacht hätte. Ängstlich schmiegte sie sich an ihren Mann und schien bereit zu sein, mit ihm zusammen unterzugehen. Es kam dann ganz anders! Nachdem wir die ersten Stromschnellen hinter uns hatten, war sie der lustigsten eine und konnte von dieser kühnen Wasserrutschbahn gar nicht genug bekommen.

Wen aber hatte ich selbst zum Nachbarn bekommen? Niemand anderen als den Turner und Esperantofreund aus Kloster Walamo! Gerade im letzten Augenblick war er noch aufgetaucht und erzählte mir voller Freude, was er inzwischen allerlei Drolliges erlebt hatte. Vom Ladogasee aus hatte er sich durch das östliche Finnland hindurchgeschlagen, einige Esperantofreunde besucht und war nun gerade im letzten Augenblick wieder erschienen, um an unserer Stromschnellenfahrt teilzunehmen.

Gleich der erste Stromschnellenabschnitt, Niskakoski geheißen, hat die stärkste Strömung von allen Katarakten des Uleflusses.

Es war ein großartiges Vergnügen, das Boot, geführt von einem sicheren Steuermann, in die brandenden Wogen hineinstürzen zu sehen. Rund herum Hunderte und Aberhunderte von Schaumwirbeln, hervorgerufen durch die zahllosen Klippen, an denen sich der Flußlauf bricht.

Manchmal glaubt man, das Schifflein müsse geradezu auf eine solche Klippe aufstoßen, aber immer noch versteht es der Bootsmann, im letzten Augenblick durch geschickte Umsteuerung dem Boot eine andere Richtung zu geben und es in ruhigeres Fahrwasser zu lenken.

Dann sieht es wieder so aus, als jage man geradezu auf das felsige Ufer los und müsse rettungslos zerschellen, bis auch hier wieder im letzten Augenblick eine elegante Wendung jede Befürchtung zu Schanden macht.

Natürlich geht es da nicht ab ohne allerlei ängstliche oder fröhliche Ausrufe, bis man sich an die wilde Jagd stromabwärts gewöhnt hat.

Mein Sitznachbar gestand mir mit einer Bescheidenheit, die mich etwas überraschte:

»Eigentlich hatte ich die Absicht, in einem kleinen Sportboot diese Fahrt allein zu machen, aber es ist gut, daß ich diesen Gedanken nicht ausgeführt habe, denn sonst wäre wohl schon längst mein Boot zum Teufel.«

»Nicht bloß Ihr Boot,« erwiderte ich, »sondern ganz gewiß auch Sie selber! Außerdem hätten Ihnen die vorsichtigen Finnländer auch niemals die Erlaubnis gegeben zu einem solchen Abenteuer, das einem Selbstmordversuch gleichgekommen wäre.«

Fast einen ganzen Tag brachten wir so auf dem Ulefluß zu.

An ruhigeren Stellen des Stromes spannte sich ein kleines Motorboot vor, das unser Touristenboot schleppte; zwischendurch gab es auch einmal eine höchst willkommene Kaffeestation am Ufer, wo man die vom langen und engen Sitzen ganz lahm gewordenen Glieder wieder ausrecken konnte.

Ganz wundervoll ist, ein Abschluß und eine Krönung des herrlichen Tages, die großartige letzte Stromschnelle. Sie heißt Pyhäkoski, zu deutsch: der heilige Wasserfall. Diese Stromschnelle besteht aus mehreren einzelnen Strudeln und ist im ganzen achtzehn Kilometer lang. Jetzt hat man sich bereits an die Sache gewöhnt und empfindet einen ganz besonderen Reiz in dem wiederkehrenden Wechsel von wachsender Erregung und nachlassender Spannung. Man kann schließlich gar nicht genug bekommen von diesem Kampf mit dem Element, in dem die menschliche Geschicklichkeit und Überlegung die Oberhand behält.

Als wir in dem kleinen Uferorte Muhos am Spätnachmittag uns an einem einfachen Mahl erfrischten, herrschte in unserer kleinen Reisegesellschaft eine solche übersprudelnde Fröhlichkeit, wie wir sie bei Beginn unseres Unternehmens kaum für möglich gehalten hätten.

Aber in uns allen herrschte eben, angeregt durch die Bewegung des Tages und den Anhauch der mit Wasserperlen durchtränkten Luft, eine Erhöhung des Lebensgefühls, die gar nicht zu beschreiben ist!

Am liebsten hätten wir das Abenteuer noch einmal erlebt, wenn es nur möglich gewesen wäre, schnell wieder an den Ausgangspunkt zurück zu kehren. Aber die Kilometer, die man stromabwärts in wenigen Minuten durchsaust, erfordern stromauf in mühseliger Arbeit Stunde um Stunde.

So galt es denn, Abschied zu nehmen vom Reiche der wirbelnden Wasser. In ruhiger Dampferfahrt fuhren wir dann noch etwa zwei Stunden in den sinkenden Abend und erreichten glücklich Uleaborg (finnisch: Oulu), wo uns wieder einmal eine Seurahuone, diesmal ein überaus stattlicher Gasthof, in Empfang nahm.

Damit war ich an der Mündung des Uleflusses am Bottnischen Meerbusen angelangt. Auch in den Straßen dieser sauberen Handelsstadt hört man das Rauschen des feuchten Elements, denn unmittelbar vor der Stadt bildet der Fluß noch einmal eine prächtige Stromschnelle, in deren wirbelnden Sprudel man von den Brücken aus stundenlang hineinschauen könnte.

Hier also gilt es, noch einmal letzte Rast zu machen vor Antritt der eigentlichen Lapplandfahrt. Es war auch ganz gut so, daß ich mir selber noch einmal Halt gebot. Denn eines war mir schon klar geworden: hier hieß es, gut gebettet und gut ernährt, Abschied nehmen von dem, was der Europäer »Komfort« und »Zivilisation« nennt.

Hier galt es auch, das Zeitmaß der ganzen Lebenshaltung, der Gedanken und Gefühle vollkommen umzustellen. Die nervöse Unruhe des Stadtmenschen mochte bleiben, wohin sie gehört. Schon vorher, in Finnland selbst, hatte ich gemerkt, wieviel ruhiger und bedächtiger als wir Mitteleuropäer diese Finnländer sind, die keine Hast und keine Übereilung kennen.

Während ich in den Straßen von Uleaborg umherschlenderte, da merkte ich so recht, wie wir anderen Europäer eigentlich alle von einem unnötigen Schnelligkeitsfieber besessen sind. Hier in Uleaborg werden um fünf Uhr nachmittags alle Geschäfte geschlossen, und dann herrscht hier, auch in dieser größeren Stadt, ebenso wie in den idyllischen kleineren Orten, die ich kennen lernte, Feiertagsfriede und Sonntagsstimmung.

Die Straßen sind fast leer; da und dort sitzen einzeln und paarweise die Menschen auf den Bänken der öffentlichen Anlagen; in irgend einem Muschelpavillon, umgeben von kaffeetrinkenden Familien, spielt irgend eine Militärkapelle.

Da hört man immer mit Beifall aufgenommene Zusammenstellungen finnischer Volkslieder, da erklingt das wehmütige Lied von der letzten Rose, dazwischen kommt auch einmal der Pilgermarsch aus Wagners »Tannhäuser«. Das alles versetzt einen in die behagliche Stimmung eines unbeschreiblichen süßen Nichtstuns.

Überall blitzt zwischen den saftgrünen Bäumen, diesen herrlichen Gaben eines kurzen, aber sonnenreichen Sommers, das Wasser mit flimmernden Funken auf. Da flitzen die zahlreichen Motorboote, da träumen die Angler in ihren Kähnen, da tuten die kleinen Dampfer, – alles dies hatte ich ja auch schon in und bei Helsingfors gesehen, hier aber war es noch ruhiger, noch gemütlicher, noch stiller. Denn selbst alle Geräusche und Klänge verloren sich alsbald in der flimmernden Sommerluft, die in jenen Lagen immer die ansehnliche Wärme von durchschnittlich siebenundzwanzig Grad Celsius aufwies.

Selbst die Industrie mit ihren Fabriken und Schloten, ihren Sägemühlen und endlosen Holzstapelplätzen hat nicht einen so ausgesprochen harten, zweckbestimmten Charakter wie bei uns. Überall fast hat sie sich am Wasser angesiedelt, und von diesem Element des Lebens und der Bewegung strahlt etwas zurück auf die Werkstätten der Arbeit.

Aber wenn man große Dinge vorhat, muß man sich auch aus der schönsten Behaglichkeit losreißen können. Meine Lapplandfahrtgenossen waren inzwischen, wie ich erfahren hatte, auf Erzdampfern von Stettin nach dem schwedischen Ausfuhrhafen Lulea gefahren und sollten dann die kurze Bahnstrecke um das Nordende des Bottnischen Meerbusens herum über Haparanda nach Kemi kommen. Von dort aus führt die nördlichste finnische Eisenbahnstrecke nach Rovaniemi. Wenn wir auch erst in diesem unmittelbar am nördlichen Polarkreis gelegenen Städtchen unser Stelldichein verabredet hatten, so hoffte ich doch schon vorher, vielleicht auf der Eisenbahnfahrt, die Freude des Wiedersehens zu haben.

Und so geschah es auch!

Kaum hatte ich, von Uleaborg aus mittags in Kemi eingetroffen, den braven Personenzug bestiegen, dessen holzgefeuerte Lokomotive mich weiter langsam nordwärts entführen sollte, da rief plötzlich jemand in mein Abteil herein:

»He, hollah, Doktor! Mensch, da sind Sie ja!«

Es war natürlich die mir wohlvertraute Stimme meines Freundes Eduard, der sonnengebräunt vor mir stand und mich gleich mit dem künftigen Führer unserer Lapplandfahrt, dem Geographie-Professor, bekannt machte.

Nun ging es gleich an einen überaus lebhaften Austausch unserer Erlebnisse. Die Fahrt von Kemi nach Rovaniemi verging uns wie im Fluge.

Allzuviel des Sehenswürdigen bot die Gegend an sich nicht. Die einzige Überraschung, die aber recht stilgemäß war, bedeutete ein versprengtes Renntier, das eine Zeitlang neben dem Bahndamm hertrabte.

So trafen wir denn alle zusammen im Laufe des Tages richtig ein, nachdem auch noch Johannes und zwei andere Teilnehmer von Helsingfors mit der Bahn angekommen waren.

*

Ein erstes fröhliches und erwartungsvolles Zusammensein vereinigte uns abends an einem Tische des sauberen kleinen Gasthofes. Hier wurde alles besprochen, was am nächsten Tag noch zu geschehen hatte: Einkauf von Lebensmitteln, von Fischgeräten und anderen notwendigen Dingen, die wir zu unserer Lapplandfahrt brauchten.

Rovaniemi selbst, so stellten wir am nächsten Tage fest, ist ein freundliches Städtchen, am Einflusse des Ounasjoki in den Kemifluß. Man sieht es auf den ersten Blick: hier mußte unbedingt eine Siedelung entstehen!

Denn hier ist ein naturgegebener Sammelplatz für den großen finnischen Floßverkehr, hier ist, im Treffpunkt der aus dem Norden, aus Lappland und von der Eismeerküste kommenden drei großen Landstraßen, der richtige Ort für große Märkte. Von diesen drei wichtigen Straßen aus verzweigen sich nämlich bis in die entferntesten einsamen Lappensiedelungen die Richtpfade und Waldwege über Moor und Heide, sowie die Kahnrouten auf den zahlreichen Flüssen und Seen.

In der Tat entwickelt sich in Rovaniemi zweimal im Jahr vom achtzehnten bis zwanzigsten Februar, und dann wieder zur Mittsommerzeit, Ende Juni, ein Messeleben von beträchtlichem Umfang!

Da kommen die Lappen oder die finnischen Neusiedler aus dem Wald- und Flußgebiet nördlich des Polarkreises zum Einkauf und Verkauf. Da ist dann in dem einfachen Gasthofe und in ein paar bescheidenen Herbergen, sowie in den Privathäusern jedes Winkelchen besetzt; da wimmelt es von Menschen in den Läden für Haus- und Wirtschaftsbedarf, da sind volle Arbeitstage auf dem Posthof, wo die großen staatlichen Verkehrsautomobile ankommen und abgehen, – kurzum, Rovaniemi ist dann fast so etwas wie ein finnisches Nischni-Nowgorod, wie ein durch Zauber aus dem Boden gestampfter menschenwimmelnder und farbenbunter Bazar.

Aber nach wenigen Tagen versinkt es wieder in die idyllische Ruhe einer hoch-nordischen Kleinstadt. Der langsame Pulsschlag ihres Lebens verrät sich dann nur in zwei Personenzügen, die täglich eintreffen und abfahren, sowie in der Abfertigung der großen für Fracht und Personen bestimmten Postautomobile.

Diese laufen durch Wald und Moor, durch immer wachsende Einsamkeit auf den zwei großen Überlandwegen, die man als Fahrstraßen ausgebaut hat. Sie haben je nach Jahreszeit und Bedarf, vier- bis sechsmal in der Woche, die Verbindung mit dem nördlichen Jenseits aufrecht zu erhalten.

Auch unser Reisekompaß zeigte nach Norden!

So verwandelten wir zu unserem Privatbedarf das um jene Zeit, Mitte Juli, sommerlich stille und hitzeübergossene Städtchen zu unserem eigenen Messezentrum.

Was waren das für ergötzliche Stunden, als wir in den paar Straßen des Marktfleckens alle Läden unsicher machten, um unsere Reiseausrüstung zu ergänzen!

Wir zogen getrennt aus; jede Gruppe hatte ihre besondere Aufgabe. Da galt es, Lebensmittel einzukaufen zur Selbstbeköstigung, vor allem Kartoffeln und Konserven; da wurde Kochgeschirr aller Art angeschafft; die Sportangler unter uns, die uns herrliche Fischgerichte in Aussicht stellten, besorgten das Angelgerät; unser im Lande bereits von früheren Reisen her heimischer Professor vergaß auch nicht die Arzneimittel und den wichtigsten Einkauf für jede Lapplandfahrt: das ist das ebenso unentbehrliche, wie wenig angenehme braune Pechöl, das Einreibemittel gegen die Mückenplage. Wie unser Kampf gegen diese stechenden Unholde dann ausfiel, davon werde ich noch etwas zu erzählen haben!

Ich selbst aber machte an diesem Tage noch einen Einkauf, der mir vorkam, wie ein Abschied von den Gewohnheiten unseres sonstigen Daseins.

In einem Schreibwarengeschäft, in welchem ich auch eine kleine Sammlung von Büchern in finnischer und schwedischer Sprache aufstöberte, fand ich ein von einem Finnländer herausgegebenes Sammelbuch deutscher Lyrik, Übersetzungen neuerer deutscher Gedichte in die finnische Sprache. Da vereinigten sich Proben aus den Werken von Goethe und Uhland, aber auch von unseren neueren und neuesten Dichtern, von Liliencron und Dehmel bis zu Werfel und Mombert.

Bald hatte ich herausgefunden, daß sich in dieser Auslese unter anderem auch Uhlands »Guter Kamerad« fand. Und da wir alle den »Guten Kameraden« auswendig kennen (auf finnisch heißt er »Hyvä Ystävä«), so will ich wenigstens die erste Strophe davon in ihrer uns so fremd klingenden Sprache mitteilen. Sie lautet:

»Oli ystävä mulla kerran,
Oli parhain päällä maan.
Kun rummut soi sotateillä,
Sama ain' oli tahti meillä,
Hänen astuin rinnallaan.«

Um aber endgültig vom südlicheren Europa Abschied zu nehmen, kaufte ich mir auch noch ein paar bis über die Knie reichende langschäftige Lappenstiefel in gelber Naturfarbe, wie man sie dort zu Lande gut gebrauchen kann beim Wandern über das Moor oder beim Herumwaten in den Wasserläufen. Diese an Wild-West erinnernden ledernen Beinhülsen haben natürlich auch den Vorzug, gegen Mückenstiche zu schützen.

Als ich abends vor unserer Abfahrt im Posthof angesichts meiner Kameraden diese Stiefel mit ihren unendlich langen Röhren zum erstenmal anziehen wollte, sorgte ich auf meine Kosten für die schallende Heiterkeit der Umstehenden. Denn die Bewegungen, die ich machte, um in diese Mammutsstiefel hineinzusteigen, waren mehr abenteuerlich als anmutig. Sie erinnerten lebhaft an das Gezappel von Schneeschuhläufern im ersten Stadium ihres Könnens, wenn sie sich vom Boden zu erheben suchen und dann mit den Gliedmaßen in der Luft herumfuhrwerken.

Aber schließlich war das Werk gelungen, und wer zuletzt lacht, lacht am besten. Im weiteren Verlauf unserer Fahrt haben mich meine Genossen recht lebhaft beneidet um diesen meinen Anteil am Kostüm eines echten Lappen!

Endlich war das große Automobil, ein deutscher Benzwagen, abfahrtbereit. Wir hatten zwar den Eindruck, daß allerlei Kisten und Gepäckstücke, die da aufgeladen wurden, wichtiger seien als die menschliche Fracht. Die etwas engen Holzbänke, auf denen wir saßen, versprachen auch gerade keine übermäßige Bequemlichkeit für die dreihundert Kilometer, die wir für unsere Fahrt vor uns hatten, – aber schließlich konnten wir das nicht ändern, und alle sechs, die wir nun das Trüpplein unserer Expedition bildeten, waren frohgemut, als sich das Ungetüm in Bewegung setzte.


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