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Im Gänsemarsch von Lappenhof zu Lappenhof. – Ich und mein Fläschchen sind immer beisammen. – Die Kriegsbemalung beginnt. – Die Mücken lachen über die Zigaretten. – »Sie müssen sich besser parfümieren!« – Wir verschleiern uns. – Die Wasserfahrt im Fischboot. – Manchmal bleibt nichts an der Angel hängen. – »Ei olle.« – Wir stürzen uns in die Fluten. – Nächtliches Lappenabenteuer. – Der Generalangriff der Wanzen. – Sechs Helden auf der Flucht. – Sonnenglanz und Sommerwärme.
Das Motorboot, mit dem wir über den Inarisee nach dem gleichnamigen Kirchspiel fuhren, wo wir im Hause des Arztes freundliche Aufnahme fanden, – das war eigentlich unser letzter Tribut an die mitteleuropäische Zivilisation. Denn die Bewegungsmöglichkeiten, die wir von jetzt an hatten, waren ausschließlich noch Fußmarsch auf Saumpfaden durch Wald und Moor oder stundenlange, ja tagelange Ruderfahrt auf den Flußläufen und Seen von Finnisch-Lappland.
Und gleich im ersten Augenblick meldeten sich die Überraschungen, vor denen man uns so kräftig gewarnt hatte, daß wir eigentlich schon vorher das Gruseln hätten lernen müssen.
Aber im menschlichen Leben hat doch nur das Wert, was durch eigene Anschauung erobert ist!
So will ich denn zunächst einmal ganz ungeschminkt von den merkwürdigen Dingen erzählen, die wir da erlebten, als wir in langsam wandernder Karawane, meist im Gänsemarsch hintereinander trottend, von Lappenhof zu Lappenhof zogen.
Greifen wir irgendeinen Tag heraus, einen als Beispiel für alle anderen! Denn das äußere Bild blieb ja immer das gleiche: Wald, Moor und Heide und darüber ein ewig sommerblauer Himmel; unendliche Stille ringsum, nur unterbrochen von dem dumpfen, geheimnisvollen Ruf einer versteckt sitzenden Rohrdommel und immer nur erfüllt vom Morgen bis Abend von dem unaufhörlichen Gesumm der – Stechmücken.
*
Es ist irgendwo droben in der Lappmark zwischen dem 70. und 80. nördlichen Breitengrad, dort, wo die Landkarte ganz weiß und leer wird. Nur noch ein Durcheinander sich krümmender schwarzer Striche erzählt auf ihr von weltverlorenen Flüssen, Flüßchen und Bächen, – ein paar schwarze Pünktchen an einem roten Strich, der sich von Süden nach Norden zieht, berichten von einigen Lappenhöfen an dem einzigen Wanderpfad über das moorige Hügelland.
Dort also, wo auch das endlose Spalier der Telegraphenstangen, dieses letzte Merkmal bewegteren Lebens, schon längst aufgehört hat, dort, in einer völligen Einsamkeit, an einem Flußufer begibt sich's.
Zwei Ruderboote sind an Land gestoßen und am ansteigenden Ufer in Sicherheit gebracht. Sie sind bestimmt für den seltenen Wanderer, der vielleicht nach Tagen oder Wochen ihrer bedarf, oder für den unermüdlichen Waldläufer, den Postboten, der hier alle drei Tage einmal seines Weges kommt.
Wir Flußfahrer und unsere teils finnischen, teils lappischen Ruder- und Steuerleute, wir buckeln uns den Rucksack auf. Wieder einmal beginnt eine Wanderung durch Kiefer- und Birkenwald. Aber ehe wir uns im geliebten Gänsemarsch in Bewegung setzen, auf dem gelben Pfad, der sich wie ein abrollendes Band über Tal und Hügel legt, wandert ein Fläschchen von Hand zu Hand. Keines jener Fläschchen, wie man sie in Finnland, wo der öffentliche Alkoholverbrauch verboten ist, dann und wann heimlich zu sehen bekommt, kein Fläschchen mit irgendeiner schnapsähnlichen Flüssigkeit, von der es scherzhaft heißt, sie sei äußerlich zu gebrauchen und innerlich zu nehmen! Nein, ein Fläschchen mit einer braunfettigen Flüssigkeit, wirklich und ehrlich nur äußerlich zu gebrauchen!
Die Einschmierung mit dem Pechöl beginnt, die saftigglänzende Kriegsbemalung zum Kampf gegen die Mücken, diese bösen Störenfriede des Hochsommers in Lappland. In Millionen und Abermillionen zu wolkenhaften Gebilden vereinigt, durchwogen sie die Luft, und sogar unser vorsichtiges Reisebuch, der Baedeker, meint, ihre Schwärme verfinsterten dann und wann die Sonne.
Ehe wir's erlebten, wollten wir's nicht glauben; nachdem wir es am eigenen Leibe erfahren, sind wir überzeugt.
Poetische Gemüter könnten behaupten, der Sommer beginne in Lappland, wenn die Weiden oder Birken grünen oder wenn die Blüten der Preiselbeere und der Moosbeere den Boden bedecken. Wer nüchterner ist, der weiß, daß der Sommer unweigerlich begonnen hat, wenn die in den Mooren und Sümpfen heimische Teufelsbrut der Moskitos ihre wilden Tänze beginnt.
Bei den Lappen gibt es eine kleine Geschichte über das Erscheinen und Verschwinden der Moskitos. Dr. Ludwig Kohl, ein deutscher Arzt, der vier Jahre unter den Lappen zugebracht hat, erzählt sie mit folgenden Worten:
Die Mücke spricht zu dem Menschen: »Ich komme um Johanni, auch wenn ich mit zwei Stäben kommen muß, um mich zu stützen.« Wenn die Mücken am Ende des Sommers wieder verschwinden, sagen sie zu dem Menschen: »Drei Brüder habe ich verloren: einer ertrank im Flusse, ein zweiter starb durch den Schlag eines Kuhschwanzes, und ein dritter verlor sein Leben an einem Lagerfeuer der Berglappen, wo er verbrannte. Nach diesen dreien muß ich jetzt suchen und weitergehen.«
Also Mitte Juni beginnt diese Landplage, und wenn man das Pech hat, in einem besonders heißen Hochsommer in jene Gegenden zu geraten, so sind sie auch Ende Juli noch mit ihrem blutdürstigen Werk beschäftigt, während sie mit dem Auftreten kühlerer Tage ebenso spurlos verschwinden, wie sie gekommen sind.
Wehe dem Leichtsinnigen, der da glaubt, auf das schreckhafte Firnissen des Gesichts und der Hände verzichten zu können! Er erleidet Höllenqualen, wie sie auch Dante in seinem großen Gedicht nicht zu schildern vermocht hat.
Es ist schon zu verstehen, daß mancher eine unwiderstehliche Abneigung gegen den Übelduft des Pechöls besitzt und infolgedessen in seinen Schutzmaßnahmen leichtsinnig wird. Ihn trifft alsbald die Strafe in Form dieses widerlichen Gesummes, das man nie wieder vergißt, und noch handgreiflicher in Form dieser heimtückischen Stiche hinters Ohr oder in den Nacken, unter die Hemdärmel oder hinter die Brille: Man kratzt, man juckt, man haut um sich, man flucht, – kurzum, man benimmt sich geradezu wie ein wild gewordener Berserker. Und der Gipfel des Vergnügens ist erreicht, wenn dann so ein liebenswürdiger Wanderkamerad ganz seelenruhig meint:
»Sie müssen sich besser parfümieren!«
Aber was hilft's? Der Kamerad hat recht!
Schleunigst taucht man sich geradezu mit einer ingrimmigen Wollust in diese braune Soße. Man ist geölt und geschmiert wie eine Maschine, man macht fettig, was man anrührt, man wird sich selbst zum Ekel, – aber Erfolg ist dann wenigstens da, man hat Ruhe vor den Mücken.
Diese Seligkeit dauert aber nur eine Viertel- oder eine halbe Stunde. Man selber glaubt, wie Pech und Schwefel zu stinken, aber die Mücken sind anderer Meinung. Sie sind nur durch immer erneute Fettbemalung abzuschrecken. Und da gibt es noch Leute, welche meinen, man brauche nur Zigaretten oder Zigarren zu rauchen, um dieselbe Wirkung zu erzielen! Über dies kümmerliche Abwehrmittel haben die Lapplandmücken schon längst ihr Urteil abgegeben: sie lachen darüber!
Sehr heiter wirken auf diese lieblichen Tiere offenbar auch die berühmten Mückennetze.
Stopft man sie nicht sorgsam zwischen Haut und Kragen, so vollziehen die teuflischen Quälgeister ihre Kletterkünste im Innern des Netzes. Hinterrücks hereingekommen, tun sie so, als ob sie den Ausgang nicht finden könnten. Sie taumeln hin und her, sie spielen Angst und Verzweiflung, und sie sind in Wirklichkeit nur besessen vom unersättlichen Blutdurst.
Bei einer Hitze von 25 bis 30 Grad sich ein Mückennetz vorzubinden, dazu gehört schon ein verzweifelter Entschluß. Denn dieses Gitter vor dem Gesicht raubt die Luft und steigert die Wärme; es besitzt ferner eine ausgesprochene Neigung, in Baumzweigen hängen zu bleiben, zu zerreißen, und damit dem Feind verräterisch Tür und Tor zu öffnen.
Aber bei Wasserfahrten sind sie ganz zweckmäßig. Drollig sieht dann so eine vermummte Bootsmannschaft aus. Bei uns traf dies im besonderen Grade zu, weil wir von den Händen unserer liebenswürdigen Wirtin in Ivalo, Frau Eironen, versorgt, in lieblicher Abwechslung unsere Häupter umhüllten mit Gazeschleiern, die in allen Farben von Sanft-Rosa bis zu Vergißmeinnicht-Blau leuchteten!
*
Ja, diese Wasserfahrten, diese wundervoll erfrischenden Wasserfahrten!
Dieses stundenlange sanfte Fortgleiten auf rauschenden Strömen, auf träumenden Seen!
Mit welcher Wonne wirft man den Rucksack und den Wettermantel ins Boot. Mit welchem Behagen streckt man die müdgelaufenen Beine, – ach nein, man streckt sie ja gar nicht!
Des Erzählers Ehrlichkeit verlangt zu sagen, daß auch diese Wasserfreude ihren Haken hat. Und dieser – Haken ist man sozusagen selber! So etwas von Krummsitzen, Krummhocken, Krummliegen gibt's wohl nicht wieder. Denn diese Boote, deren wertvollste Fracht die Fische und deren wertloseste Belastung offenbar der Mensch darstellt, sie brauchen möglichst viel Fassungsraum für Gepäck und Gerät. Daher haben sie keine Sitzbänke, sondern nur ganz niedrige Bretterlagen, deren schlüpfriger Boden mit Birkenzweigen notdürftig für menschlichen Gebrauch hergerichtet wird.
Da übt man sich denn in allerlei orientalischen Hockstellungen. Die möglichen Abwandlungen im Beinstrecken und in der Verlegung des Sitzgewichts sind um so geringer, je stärker das Boot besetzt ist: Man legt sich Rücken gegen Rücken, man streckt die Beine, man kreuzt die Beine, man hebt die Beine, man legt sie auf die Seite, bald links, bald rechts, man stützt sich auf die Ellenbogen, man legt sich auf den Bauch, – im Verlauf einiger Stunden hat man alles durchprobiert und kann ein ganz neuartiges Lehrbuch der Turnkunst herausgeben.
Am besten ist es noch, wenn man sich selbst betätigt, sei es, daß man rudern oder steuern hilft, oder daß man mit der Schleppangel Fische fängt. Oft auch fängt man sie nicht, denn einer von uns meinte ganz richtig: »Die Fische beißen meistens nur, wenn sie, nicht wenn wir wollen.«
Solche Bemerkungen spöttischer Nichtstuer, die nur zusehen, wenn die anderen sich abrackern, sind nun einmal die Würze einer Kameradschaft, die auf Gedeih und Verderb geschlossen ist. Ich bekenne mich schuldig, auch meinerseits kritisiert zu haben, ohne besser machen zu können.
Aber vielleicht billigt man mir mildernde Umstände zu, wenn ich verrate, daß ich wenigstens versucht habe, mein höchst abfälliges Urteil über mißlungene Anglerkunststücke in – Verse zu bringen.
Das war wohl an einem Flußufer in einem der ersten Lappenhöfe, wo wir nächtigten, als am späten Abend noch zwei Unentwegte mit dem Kahn losfuhren, um zu angeln. Sie hatten vorher ungeheure Versprechungen gemacht, und wir glaubten bereits, zur Abwechslung statt unserer Konservengerichte eine leckere Fischmahlzeit zu bekommen.
Aber dieser Fischzug, wie so mancher andere, blieb erfolglos, und die zwei Wasserjäger, die so erhobenen Hauptes ausgezogen waren, schlichen sich nach einigen Stunden ganz geduckt wieder nach Hause, d. h. sie erschienen mit leeren Händen. Noch am selben Abend hatten sie zum Schaden den Spott, indem wir ihnen die von mir verbrochene Hymne entgegensangen:
»Zwei Männer zogen mutig aus,
Sie wollten Fische fangen;
Sie kamen tief bedrückt nach Haus,
Am Angel tät nichts hangen –
Nicht Hecht und auch nicht Scholle,
Ei olle, ei olle!«
»Ei olle« ist ein finnischer Ausdruck, der auf Deutsch heißt: »Es ist nichts«. Er wird häufig gebraucht dortzulande, etwa in dem Sinne des bekannten russischen Ausdruckes »Nitschewo«, der auch aus einer ähnlichen Stimmung des Verzichts heraus gesagt zu werden pflegt. Es war gewiß ein Zeichen allerbester Erziehung, daß die also Angesungenen keinen Wutanfall bekamen, sondern gute Miene zum bösen Spiel machten und dieses Lied – eifrig mitsangen!
Aber wenn es auch mit dem Fischfang nichts ist, unter den Lapplandabenteuern ist das Wasservergnügen doch eines der reinsten.
Und dies im wahrsten Sinne des Wortes!
Wenn eine feinsandige Uferstelle lockte oder eine stille, von Birkengebüsch umrahmte Bucht, dann ging's heraus aus dem Boot. Die Hüllen wurden abgeworfen, und hinein stürzten wir uns in die kristallklaren Fluten von Fluß oder See. Sie sind das Allheilmittel gegen Mückenstich und Pechölfirnis, – ja selbst der hochnotpeinliche Prozeß einer Wanzennacht vergißt sich, wenn man, fern jeder Badezelle und Kleidervorschrift, im menschlichen Urzustand sich tummelt, prustend wie ein Wasserkobold, knabenhaft glücklich, hingegeben dem feuchten Element!
*
Ich sagte eben: »Wanzennacht«. Ich kann nicht umhin, dieses düstere Schicksalswort noch einmal zu wiederholen. Denn wann könnte ich je das wunderlichste Abenteuer vergessen, welches uns auf unserer Lapplandfahrt begegnete!
Wir waren zur Nachtrast eingekehrt bei dem Lappen Högmann in Jumpola, einem einsamen Lappenhof am Rande eines Flusses.
In der Rangordnung der Lappen gelten im allgemeinen die nomadisierenden Berglappen, die Besitzer kleinerer oder größerer Renntierherden, etwas mehr als die von Fischerei und Handwerk lebenden seßhaft gewordenen Flußlappen. Aber der Lappe Högmann nahm eine Ausnahmestellung ein: er war ein weithin berühmter Messerschmied und konnte uns hervorragende Proben seiner Handwerkskunst vorzeigen.
Und wie gastlich nahmen er und all seine Angehörigen uns Fremdlinge auf, die ihm, sechs Mann hoch, plötzlich in sein einfaches Blockhaus hereinschneiten!
Wie erquicklichen Kaffee, dieses Nationalgetränk der Lappen, kochten sie uns! Wir empfanden es geradezu als besondere Ehrung, daß sie uns dies so willkommene Getränk nicht nach allgemeinem Lappenbrauch versalzten. Der Lappe nämlich bildet sich ein, daß er durch kräftige Zutaten von Salz dem Kaffee den »wässerigen Geschmack« nähme, – eine Anschauung und Behauptung, die jedem Kaffeetrinker außerhalb Lapplands geradezu unbegreiflich erscheinen dürfte. Denn für uns lag die Sache natürlich umgekehrt: gesalzener Kaffee war uns gerade so ungenießbar wie etwa die bittere Zichorienbrühe, die man bei uns gelegentlich in weltabgelegenen Dorfwirtshäusern schnöderweise als Kaffee angeboten erhält.
Aber nicht nur mit ihrem Kaffee suchten die guten Leute von Jumpola uns ihre Gastfreundschaft zu beweisen. Vor allem wollten sie den müden Wanderern auch eine geruhsame Nacht bereiten. Sorglich breiteten sie darum in der einzigen großen Familienwohnstube dicke Schichten frisch gemähten Grases aus, sie füllten Leinensäcke ebenfalls mit diesem herb duftenden Grünfutter als Ersatz für die mangelnden Daunenfedern.
Kurzum, es ließ sich alles so nett und freundlich an, – und dann fiel plötzlich der Mehltau der Verstimmung auf die junge Freundschaft!
Zehn Minuten etwa hatten wir auf diesem grünen Lager uns ausgestreckt, Mann neben Mann, den Rucksack als Kopfstütze, den Lodenmantel als Decke, da ließ plötzlich einer von uns den entsetzten Alarmruf ertönen:
» Wanzen!«
In der Tat, es wurde sofort, nachdem auch unsere zwei hartnäckigsten Schläfer erwacht waren, ein Generalangriff, ein nächtlicher Überfall festgestellt. Heimtückisch hatten sich diese lieben Tierchen in der Moospolsterung der Wand- und Deckenbalken versteckt gehalten, um dann auf uns wehrlose Mitteleuropäer los zu gehen. Wir versprachen ihnen einmal zur Abwechslung einen ganz besonderen Leckerbissen! Dauerte es doch manchmal viele Monate, bis ein Fremdling sich hierher verirrte!
Aber unsere bösartigen Gegner, die zu Hunderten und Aberhunderten auftraten, hatten nicht mit unserer unmännlichen Feigheit gerechnet!
Ganz überwältigt vom ersten Schreck und fest davon überzeugt, daß nach dieser Entdeckung an Schlaf nicht mehr zu denken sei, ergriffen wir die Flucht. Wir stürmten in die helle Nacht, und jeder suchte nach persönlichem Geschmack eine Art von Schlafersatz.
Der eine unternahm es, völlig eingewickelt in seinen Mantel, im Freien zu schlafen; zwei andere verkrochen sich auf einem Heuboden, der sich dann aber als nicht weniger lebendig erwies; ihrer drei, zu denen auch ich gehörte, setzten behelfsmäßig eine Bergwanderung an, auf irgendeinen namenlosen, mit Steingeröll übersäten Gipfel.
Dabei kamen wir aber aus dem Regen in die Traufe!
Denn nun stürzten sich wieder die Mücken, die sich offenbar in ihrer Nachtruhe gestört fühlten, mit erbarmungsloser Wut auf uns!
Zum ersten und einzigen Male begriff ich in dieser Nacht, daß es wirklich Menschen geben kann, die eine schon begonnene Lapplandfahrt wieder aufgeben, weil sie sich in diesem doppelten Kampf bei Tag und Nacht aufzureiben befürchten. Es ist eine Art Guerillakrieg, den man hier führen muß, und der immerhin eine widerstandsfähige Natur verlangt. Die Lappen scheinen dank einer Gewöhnung von alters her gegen diese Bedrängung der körperlichen Ruhe unempfindlich geworden zu sein.
Mir selbst wurde erst am späteren Morgen eine Stunde der Erholung. Ein frischer Wind jagte die Mückenwolken zum Teufel, und so durfte ich es wagen, am Flußufer unter einer schattigen Birke ein bißchen Schlaf nachzuholen. Zu unserer Ehre muß ich gestehen, daß uns spätere Wanzenangriffe, mit denen wir gleichfalls in einem alten Lappenhaus beunruhigt wurden, innerlich und äußerlich ungerührt ließen. Wir waren zu müde, um auf Schlaf zu verzichten, oder eben auch schon etwas »lappisch« angehaucht. Diese Zugaben des Wanderlebens ließen uns schließlich gleichgültig.
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Und in der Tat: was bedeuten schließlich diese Nadelstiche des Schicksals gegenüber den Schätzen, die wir innerlich einheimsten!
Immer wieder grüßte uns ein leuchtender Tag in Sonnenglanz und Wärme; immer wieder winkten die Wellen zum Bad; immer wieder schweifte das Auge traumverloren über die langwelligen vielreihigen Bergzüge Lapplands, über dunkle Moore und moosbedeckte Tundren; immer wieder wurden wir uns bewußt, was für ein stahlkräftiges Nervenbad für uns Großstadtmenschen diese hochnördliche Einsamkeit ist!
Es gibt manche Leute, welche diese Art Landschaft eintönig finden. Das sind aber gewiß nur jene oberflächlichen Naturen, die sich nur dann für verpflichtet halten, in Bewunderung zu geraten, wenn im Reisehandbuch eine Sehenswürdigkeit mit einem oder zwei Sternchen besonders ausgezeichnet ist! Wir fühlten uns schließlich alle schon durch den Gegensatz zu unserm sonstigen Leben beglückt in dieser großartigen Eintönigkeit einer Landschaft, in welche die Zivilisation und die Technik bis jetzt nur verhältnismäßig wenige Spuren eingegraben hat.
Wenn unser Boot stundenlang auf dem strömenden Fluß dahinglitt oder, wenn wir Kilometer um Kilometer unseren schmalen Saumpfad über die Hügel wanderten, dann war es manchmal, als klänge in der Stille ein tiefer, lang gehaltener Ton, ähnlich wie ein ernster Orgelklang. Namentlich in der frühen Helle, in den Stunden nach Mitternacht oder in dem Farbenglanz des Sonnenuntergangs überfiel uns diese Stimmung eines weltfernen Friedens, in den kein Ton der aufgeregten Zeit störend hineinklang.