Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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V

Zwei Monate waren vergangen. Der September nahte, und das Glück, das Duroy schnell erhofft, schien recht langsam zu kommen. Vor allen Dingen ärgerte ihn die untergeordnete Stellung, die er einnahm, und er sah noch keinen Weg, wie er die Höhen des Lebens erklimmen könnte, wo Ansehn, Macht und Geld winkten.

Er war verdammt zu diesem höchst mäßigen Reporterberufe, eingemauert darin, einen Ausgang suchend und sah keinen. Man schätzte ihn zwar, aber man achtete ihn doch nur seiner Stellung gemäß. Selbst Forestier, dem er Dienste leistete, lud ihn nicht mehr zum Essen ein, behandelte ihn im ganzen wie einen Untergebenen, wenn er ihn schon als alten Freund duzte.

Ab und zu allerdings bot sich Duroy die Gelegenheit, einen kleinen Artikel einzuschmuggeln. Und da er durch seine Lokalnachrichten einige Federgewandtheit und einen gewissen Takt sich erworben, der ihm noch gefehlt, als er seinen zweiten Artikel über Algerien schrieb, lief er nicht mehr Gefahr, daß man seine aktuellen Arbeiten nicht annahm. Aber von dieser Thätigkeit bis zu Feuilletons oder bis zur kritischen Beleuchtung politischer Tagesfragen in Leitartikeln ganz nach seiner Phantasie und nach seinem Wunsch, war ein Sprung wie vom Kutscher, der durch das Bois de Boulogne fährt, bis zum Herrn, der das eigene Gespann lenkt. Was ihn vor allen Dingen demütigte, war das Gefühl, daß ihm die Gesellschaft verschlossen blieb, daß er keine Beziehungen hatte, wo er als Gleicher unter Gleichen galt, daß er den Damen nicht näher kam, obgleich ihn hier und da einmal eine bekannte Schauspielerin aus Berechnung etwas familiär empfangen hatte.

Dabei wußte er aus Erfahrung, daß er über alle Damen von Welt wie Halbwelt eine gewisse Gewalt besaß, eine plötzliche Sympathie, die jedesmal für ihn erwachte, und, ungeduldig wie ein Pferd, das der Zügel zurückhält, grollte er darüber, daß er diejenige nicht kennen lernte, in deren Hand seine Zukunft lag.

Er hatte oft daran gedacht, Frau Forestier einen Besuch zu machen. Aber der Gedanke an ihre letzte Begegnung hielt ihn ab und demütigte ihn. Auch erwartete er eine Aufforderung des Mannes. Da dachte er wieder an Frau von Marelle und erinnerte sich, daß sie ihn doch gebeten hatte, sie zu besuchen. Und eines Nachmittags, als er gerade nichts vorhatte, ging er zu ihr.

– Bis drei Uhr bin ich immer zu Haus, hatte sie gesagt.

Sie wohnte in der Rue de Verneuil im vierten Stock.

Er klingelte an ihrer Türe um halb drei.

Ein Mädchen machte auf mit etwas unordentlichem Haar; sie band sich erst die Haube fest, während sie antwortete:

– Ja, die gnädige Frau ist zu Haus. Aber ich weiß nicht, ob sie schon auf ist.

Und sie öffnete die Thür des Salons, die nicht geschlossen war.

Duroy trat ein. Der Raum war ziemlich groß, mit wenigen Möbeln ausgestattet und sah etwas lüderlich aus. Die etwas verbrauchten Stühle mit ihrem abgenutzten Überzug standen längs der Wände in einer gewissen Ordnung, wie sie eben die dienstbaren Geister gestellt. Nirgends merkte man etwas von der Hand einer Frau, die auf ihr Heim hält. Vier armselige Bilder, ein Boot auf dem Fluß, ein Schiff auf dem Meer, eine Mühle in der Ebene und Holzfäller im Walde, hingen an ungleichen Schnuren schief an der Wand. Man ahnte, daß sie schon seit langer Zeit so hingen, weil es dem Auge der Herrin gleichgiltig war. Duroy setzte sich und wartete. Er wartete lange. Dann öffnete sich eine Thür und Frau von Marelle stürmte herein in einem japanischen Morgenrock aus rosa Seide, auf den in Gold Landschaften gestickt waren, blaue Blumen und weiße Vögel. Und sie rief:

– Denken Sie bloß, daß ich noch zu Bett war! Das ist aber nett von Ihnen, mich zu besuchen. Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen!

Sie hielt ihm mit freudiger Miene beide Hände entgegen, und Duroy, dem die mäßige Eleganz der Wohnung eine gewisse Sicherheit gab, nahm sie und küßte die eine, wie er es von Norbert von Varenne gesehen.

Sie bat ihn, Platz zu nehmen. Dann musterte sie ihn von Kopf zu Fuß:

– Nein, wie Sie sich verändert haben! Aber zum Vorteil! Paris scheint Ihnen gut zu thun. Nun erzählen Sie mir aber etwas Neues.

Und sofort fingen sie an zu schwatzen, als ob sie alte Bekannte wären, indem eine plötzliche Familiarität zwischen ihnen erwachte, und sie fühlten, daß sie ein Strom von Vertrauen, Intimität und Zuneigung zusammenband, der Wesen vom selben Charakter und derselben Art binnen fünf Minuten zu Freunden macht.

Plötzlich unterbrach sich die junge Frau und sagte erstaunt:

– Es ist doch sonderbar, wie ich mit Ihnen bin. Mir ist's, als kennte ich Sie schon seit zehn Jahren. Wir wollen gute Freunde sein! Wollen Sie?

Er antwortete: – Aber natürlich! – mit einem Lächeln, das noch mehr bedeutete.

Er fand sie sehr verführerisch in ihrem Morgenrock, so leuchtend und weich, weniger fein als die andere in ihrem weißen Morgenkleide, weniger zart, weniger Katze, aber aufregender, gepfefferter.

Wenn er Frau Forestier neben sich fühlte, mit ihrem stereotypen, graziösen Lächeln, das anzog und abstieß zugleich, das zu sagen schien: du gefällst mir, aber im selben Atem: hüte Dich, dessen wahren Sinn man nie verstand, dann überkam ihn vor allen Dingen der Wunsch, ihr zu Füßen zu stürzen oder die feinen Spitzen an ihrem Halse zu küssen und langsam den warmen, parfümierten Duft einzuatmen, der aus ihrem Busen strömte.

Bei Frau von Marelle empfand er ein gröberes, bestimmteres Gefühl, einen Wunsch, der durch seine Finger zuckte, angesichts ihrer unter der leichten Seide hervortretenden Formen.

Sie sprach immer noch und aus jedem Satz leuchtete die Grazie ihres Geistes, die ihr zur zweiten Natur geworden, wie ein Arbeiter die schwierigsten Dinge mit spielender Leichtigkeit vollbringt, zum größten Erstaunen der Zuschauer – weil er es eben gewöhnt ist. So hörte Duroy ihr zu und dachte: das müßte man sich aufschreiben, man brauchte die bloß über die Tagesereignisse ein bißchen schwatzen zu lassen und könnte daraus reizende Pariser Feuilletons machen.

Aber es klopfte leise, ganz leise an der Thür, durch die sie eingetreten, und sie rief:

– Du kannst 'rein kommen, Kleine!

Das kleine Mädchen erschien, ging sofort auf Duroy zu und reichte ihm die Hand.

Die Mutter sagte erstaunt:

– Da haben Sie aber eine Eroberung gemacht! Ich kenne sie ja gar nicht wieder.

Der junge Mann hatte das Kind geküßt, ließ es an seiner Seite niedersitzen und erkundigte sich nun mit ernster Miene und ein paar spaßigen Fragen darnach, was Laurachen getrieben, seit sie sich nicht gesehen.

Sie antwortete mit leise flötender Stimme und dem Benehmen einer Erwachsenen.

Die Uhr schlug drei. Der Journalist stand auf.

– Kommen Sie doch öfters, sagte Frau von Marelle. Dann schwatzen wir wie heute. Ich werde mich freuen, Sie zu sehen. Aber warum sieht man Sie denn nicht mehr bei Forestiers?

Er antwortete:

– Ach, ich weiß nicht, ich habe viel zu thun. Vielleicht treffen wir uns dort an einem dieser Tage.

Und er ging; in gehobener Stimmung, ohne daß er wußte warum.

Forestier sagte er nichts von dem Besuch.

Aber die folgenden Tage erinnerte er sich noch daran. Ja, es war mehr als Erinnerung. Er hatte eine Art von Gefühl, als sei diese Frau im Geiste beharrlich in seiner Nähe. Es war ihm, als hätte er etwas von ihr mit fortgenommen. Das Bild ihres Äußeren stand ihm noch vor Augen, und die ganze Anmut ihres Seins und Wesens hatte sich in sein Herz tief eingeprägt. Er blieb in ihrem Bann, wie es einem manchmal geht, wenn man ein paar schöne Stunden mit einem Menschen verlebt. Man meint ganz besessen zu sein von diesem seltsamen, intimen, köstlichen, verwirrenden Reiz, weil er etwas wie von einem Geheimnis hat.

Nach ein paar Tagen machte er einen zweiten Besuch.

Das Mädchen führte ihn in den Salon und die kleine Laura erschien sofort. Sie streckte ihm nicht bloß die Hand entgegen, sondern bot ihm gleich die Stirn und sagte:

– Mama läßt Sie bitten, zu warten. Es dauert noch eine Viertelstunde, sie ist noch nicht angezogen. Ich werde Ihnen inzwischen Gesellschaft leisten.

Duroy machte die förmliche Art des kleinen Mädchens Spaß:

– Sehr wohl, gnädiges Fräulein. Ich bin glücklich, eine Viertelstunde mit Ihnen verbringen zu dürfen. Aber das sage ich Ihnen gleich: ich bin gar nicht etwa sehr ernst aufgelegt, ich mache nur Dummheiten! Wollen wir nicht haschen spielen?

Das kleine Mädchen war ganz betroffen, dann lächelte sie wie eine Dame über diese Idee, die sie ein bißchen kränkte und in Verwunderung setzte. Und sie sagte:

– Im Zimmer kann man das nicht spielen.

Er antwortete:

– Das ist mir ganz gleich. Ich spiele überall. Also nun los. Jetzt haschen Sie mich mal.

Und nun lief er um den Tisch und reizte sie, ihn zu verfolgen, während sie ihm lächelnd mit einer Art herablassender Artigkeit folgte, ab und zu einmal die Hand ausstreckte, um ihn zu berühren, aber sich doch nicht herbeiließ, auch nur einen Schritt zu laufen.

Er blieb halten, duckte sich, und als sie mit ihrem kleinen, zögernden Schritte näher kam, schnellte er empor, wie der Teufel aus dem Kasten springt, und machte dann ein paar mächtige Sätze bis zum andern Ende des Salons. Sie fand das komisch, lachte endlich, wurde angeregt und begann hinter ihm herzulaufen, indem sie einen fröhlichen oder ängstlichen Ruf ausstieß, wenn sie glaubte ihn zu fangen. Er schob die Stühle hin und her, baute Hindernisse damit, und zwang sie darum herumzulaufen, rannte dann davon und nahm wieder einen anderen Stuhl. Die kleine Laura sprang jetzt hin und her und war ganz Feuer und Flamme im neuen Spiel. Mit rosigem Gesichtchen stürzte sie sich wie ein glückliches Kind mit einem großen Satze auf ihn, jedesmal, wenn er floh, jedesmal, wenn er eine List gebrauchte, jedesmal, wenn er sie angeführt.

Da plötzlich, als sie meinte, jetzt hätte sie ihn gleich, nahm er sie in die Arme, hob sie bis zur Decke empor und rief:

– Gefangen!

Das kleine Mädchen war glückselig, strampelte mit den Beinen, um sich loszumachen und lachte aus vollem Halse.

Da trat Frau von Marelle ein und rief ganz erstaunt:

– Aber so was! Laurachen . . . Laurachen spielt! Nein, Herr Duroy, Sie sind wirklich ein Hexenmeister!

Er setzte das kleine Mädchen wieder zu Boden, küßte die Hand der Mutter und sie nahmen Platz, das Kind zwischen sich. Sie wollten schwatzen, aber Laurachen, die immer noch beim Spiel war, obwohl sonst so stumm, schwatzte nun fortwährend und mußte auf ihr Zimmer geschickt werden.

Sie gehorchte ohne Widerrede, aber sie hatte Thränen in den Augen.

Sobald sie allein waren, ließ Frau von Marelle die Stimme sinken:

– Denken Sie mal, ich habe einen großen Plan und habe dabei an Sie gedacht. Es ist nämlich Folgendes. Ich esse jede Woche einmal bei Forestiers und ab und zu revanchiere ich mich und lade sie ins Restaurant ein. Ich liebe es nicht, bei mir Gesellschaften zu geben, ich passe nun mal nicht dazu. Übrigens verstehe ich auch nichts von der Wirtschaft, und gar von der Küche, aber auch garnichts. Ich liebe es, ungebunden zu leben. Also ich lade sie ab und zu ins Restaurant ein. Aber wenn wir bloß zu dritt sind, ist's nicht gerade sehr lustig! Und meine übrigen Bekannten passen nicht recht zu ihnen. Ich sage Ihnen das, um Ihnen eine Einladung, die etwas außergewöhnlich ist, zu erklären. – Sie begreifen, nicht wahr, – also wollen Sie nächsten Sonnabend im Café Riche um halb acht mit uns essen? Sie kennen doch das Restaurant?

Er nahm mit großer Freude an und sie fuhr fort:

– Wir sind bloß zu vieren! Zwei Herren und zwei Damen. Solche kleinen Feste sind riesig spaßhaft für uns Damen, die wir das nicht gewöhnt sind.

Sie trug ein dunkelbraunes Kleid, das kokett und herausfordernd ihre Taille, ihre Hüften, ihre Brust, ihre Arme abzeichnete. Und Duroy empfand etwas wie ein verlegenes Staunen, beinahe ein Geniertsein, dessen Grund er nicht begriff, darüber, wie wenig die raffinierte und gewählte Eleganz ihrer Kleidung zu der offenbaren Gleichgiltigkeit, die sie für ihre Wohnung an den Tag legte, paßte.

Alles, was sie an hatte, alles, was direkt ihren Körper berührte, war zart und fein, aber was um sie herum war, schien ihr gleichgiltig zu sein.

Er verließ sie, indem er wie damals das Gefühl ihrer Nähe, wie eine Art Sinnestäuschung, in seiner Seele behielt, und er erwartete den Tag des Diners mit wachsender Ungeduld.

Zum zweiten Mal hatte er sich einen Frack geborgt, denn seine Mittel erlaubten ihm noch nicht, dieses Kleidungsstück zu kaufen. Er war der erste beim Stelldichein. Ein paar Minuten vor der festgesetzten Stunde.

Man wies ihn zum zweiten Stock in einen kleinen rottapezierten Salon, dessen einziges Fenster auf den Boulevard ging.

Ein viereckiger Tisch, vier Gedecke darauf, stand da mit feinem weißen Tischtuch, das leuchtete als wäre es lackiert. Und die Gläser, die Bestecke, der Speisewärmer glänzten lustig beim Schein von zwölf Lichtern auf zwei hohen Armleuchtern.

Draußen sah man einen großen, hellgrünen Fleck: die Blätter eines Baumes, den das Licht aus den Cabinets particuliers bestrahlte.

Duroy setzte sich auf ein niedriges Sofa, das rot war wie die Tapete und dessen lahme Federn sich tief unter ihm bogen, so daß er ein Gefühl empfand, als sinke er in ein Loch. Man vernahm in dem ganzen, großen Hause einen unbestimmten Lärm, jenes Geräusch der großen Restaurants, von hin- und hergetragenem Porzellan, Gläsern, Silber, vom eiligen Hin- und Hergehen der Kellner, das durch die Teppiche auf den Gängen gedämpft wird, von dem Schlagen der Thüren, die einen Augenblick offen gelassen und aus denen man dann das Stimmengewirr aus all den Räumen, wo Leute bei Tische sitzen, hört.

Forestier trat ein und drückte ihm freundschaftlich die Hand, wie er es in der Redaktion der ›Vie française‹ nie that.

– Die beiden Damen kommen zusammen, sagte er. Diese kleinen Diners sind sehr nett.

Dann musterte er den Tisch, drehte die Gasflamme, die klein brannte, ganz aus, schloß einen Fensterflügel aus Furcht vor Zug und wählte sich einen recht geschützten Platz, indem er sagte:

– Ich muß mich sehr in Acht nehmen. Jetzt ist mir's vier Wochen lang besser gegangen, aber vor ein paar Tagen habe ich wieder was erwischt: ich muß mich am Dienstag erkältet haben, als ich aus dem Theater kam.

Die Thür ging auf, und vom Oberkellner gefolgt erschienen die beiden jungen Frauen tief verschleiert, und mit jener gewissen Heimlichkeit, die Damen annehmen, wenn sie in solche Lokale treten, wo Begegnungen zweifelhafter Art nicht ausgeschlossen sind.

Als Duroy Frau Forestier begrüßte, machte sie ihm Vorwürfe darüber, daß er sie nicht wieder besucht hatte. Und dann fügte sie hinzu, indem sie ihre Freundin lächelnd anblickte:

– Sehen Sie, Sie ziehen mir eben Frau von Marelle vor. Für die haben Sie Zeit.

Dann setzte man sich und Frau von Marelle rief dem Oberkellner zu, der Forestier die Weinkarte gereicht hatte:

– Bringen Sie den Herren, was sie wünschen. Uns aber Sekt und zwar vom besten und süß muß er sein. Weiter nichts.

Als der Kellner hinausgegangen war, sagte sie mit übermutigem Lachen:

– Heute abend trinke ich mir einen Schwips an. Kinder, heute abend müssen wir uns amüsieren, mal wirklich amüsieren!

Forestier, der es nicht gehört zu haben schien, fragte:

– Ist's Ihnen gleich, wenn ich das Fenster schließe? Ich bin seit einigen Tagen erkältet.

– Gewiß!

Er schloß also auch noch den anderen Flügel und setzte sich zufrieden und beruhigt.

Seine Frau sagte nichts, sie schien in Gedanken, und den Blick auf den Tisch gerichtet, starrte sie mit jenem unbestimmten Lächeln, das immer etwas zu versprechen schien, ohne je etwas zu halten, auf die Gläser.

Es wurden Ostender Austern gebracht, klein und fett, wie winzige Ohren in einer Muschel, die gleich salzigen Bonbons auf Gaumen und Zunge schmelzen.

Dann wurden nach der Suppe Forellen serviert, rosig wie die Haut eines jungen Mädchens. Und man fing an, sich zu unterhalten.

Zuerst sprach man von allerlei Klatsch, der herumgetragen ward, erzählte von einer Dame aus der Gesellschaft, die von einem Freunde ihres Mannes dabei erwischt worden, wie sie im Cabinet particulier mit einem ausländischen Prinzen zu Abend speiste.

Forestier lachte laut über die Geschichte. Die beiden Frauen erklärten, daß der indiskrete Schwätzer ein Schuft sei und ein Feigling dazu. Duroy war ganz ihrer Ansicht und erklärte mit Betonung, daß ein Mann, sei er nun der Schuldige, der Vertraute oder der einfache Zeuge, in solchen Fällen die Pflicht habe, zu schweigen wie das Grab. Er fügte hinzu:

– Was für nette Sachen könnte man erleben, wenn man immer gegenseitig auf absolute Diskretion rechnen könnte. Ich glaube, was die Frauen oft, sehr oft, beinahe immer zurückhält, ist die Furcht, das Geheimnis möchte nicht gewahrt bleiben.

Dann schloß er lächelnd:

– Habe ich nicht recht? Wieviele würden einem plötzlichen Wunsche folgen, der aufsteigenden zwingenden Laune einer Stunde, einem Liebestraum, wenn sie nicht fürchteten, ein kurzes, flüchtiges Glück mit einem nicht wieder gutzumachenden Skandal und schmerzlichen Thränen zu bezahlen!

Er sprach mit einer überzeugenden Wärme, als plädiere er für einen bestimmten Fall in eigener Sache, als ob er sagen wollte: bei mir wäre so etwas nicht zu befürchten, versuchts nur einmal.

Sie betrachteten ihn beide mit verständnisinnigen Blicken, fanden, daß er sehr recht hätte und bezeigten durch ihr freundschaftliches Schweigen, daß ihre schwache pariserische Moral bei der Gewißheit, das Geheimnis gewahrt zu wissen, vielleicht nicht lange Widerstand leisten würde.

Und Forestier, der mit untergeschlagenen Beinen beinahe auf dem Sofa lag, die Serviette in der Weste, um den Frack nicht zu beschmutzen, erklärte plötzlich mit einem halbüberzeugten, halb skeptischen Lächeln:

– Zum Donnerwetter ja, man würde sich schon was leisten, wenn man aufs Schweigen rechnen könnte. Verflucht noch einmal, die armen Ehemänner!

Nun fing man an, von der Liebe zu sprechen.

Duroy wollte nicht gerade behaupten: sie sei für die Ewigkeit geschaffen, aber meinte doch, sie wäre von Dauer, wenn sie ein Band von zarter Freundschaft, von Vertrauen schüfe. Die sinnliche Liebe sei nur das Siegel auf den Herzensbund. Aber er war empört über quälerische Eifersucht, über die Dramen, die Szenen, all das Elend, das einen Bruch fast immer begleitet.

Als er schwieg, seufzte Frau von Marelle:

– Ja, das ist das einzig Schöne im Leben, und wir verderben es uns immer, indem wir Unmögliches fordern.

Frau Forestier fügte, mit ihrem Messer spielend, hinzu:

– Ja, es ist schön geliebt zu sein!

Und sie schien ihre Träume noch weiter zu spinnen und an Dinge zu denken, die sie nicht zu sagen wagte.

Als der folgende Gang auf sich warten ließ, tranken sie von Zeit zu Zeit einen Schluck Champagner, zu dem sie kleine Stückchen Brot knabberten.

Der Gedanke an die Liebe, die sich langsam nähert und einen erfaßt, drang in sie hinein und machte ihre Seelen allmählich trunken wie der helle Wein, der Schluck um Schluck durch die Kehle rann, ihnen das Blut hitzte und das Hirn verwirrte.

Der Kellner brachte zarte, kleine Hammelkoteletts, die auf einer dünnen Schicht von Spargelspitzen ruhten.

– Verflucht, das schmeckt fein! – rief Forestier. Und sie aßen langsam und genossen das zarte Fleisch und das Gemüse, das weich war wie Butter.

Duroy fuhr fort:

– Wenn ich eine Frau liebe, versinkt die ganze Welt um sie.

Er sagte das ganz überzeugt, indem er sich am Gedanken dieses Liebesgenusses begeisterte und sich wohlig fühlte bei den Tafelfreuden, die er genoß.

Frau Forestier murmelte in ihrer Art, als ginge es sie gar nichts an:

– Es giebt kein Glück, das man jenem ersten Händedruck vergleichen kann, wenn die eine Hand fragt: liebst du. mich und die andere sagt: ja, ich liebe dich.

Frau von Marelle, die eben auf einen Zug wieder ihren Champagnerkelch geleert, sagte fröhlich, indem sie das Glas hinsetzte:

– Ich denke weniger platonisch.

Alle fingen an zu lächeln, und ihre Augen glänzten, indem sie diesem Worte zustimmten.

Forestier streckte sich auf dem Sofa aus, öffnete die Arme, stützte sie durch Kissen und sagte ernsthaft:

– Diese Offenheit gereicht Ihnen zur Ehre und beweist, daß Sie eine praktische Frau sind. Aber darf man vielleicht wissen, wie Herr von Marelle darüber denkt?

Sie zuckte langsam die Achseln mit unendlicher Verachtung und antwortete dann bestimmt:

– Herr von Marelle denkt darüber überhaupt nicht. Er kennt nur, nur . . . . Entsagung.

Und das Gespräch sank von höheren Gesichtspunkten über die Liebe nun in den Blumengarten kleiner Zötchen.

Jetzt wurden geschickt kleine Zweideutigkeiten angebracht und durch Worte Dinge entschleiert, wie man ein Kleid etwas lüftet. Nun begannen Wortspiele und hübsch eingekleidete Dreistigkeiten, allerhand Unkeuschheiten, und mit versteckten Anspielungen wurden die unerhörtesten Dinge gesagt, die vor Augen und Geist plötzlich die Vorstellung von dem erwecken, was man nicht sagen kann, und den Leuten der Gesellschaft eine Art verfeinerter, geheimnisvoller Zärtlichkeit gestatten, den Austausch schmutziger Gedanken durch die gleichzeitige Erzeugung des aufregenden sinnlichen Bildes des Geschlechtsverkehrs und all der heimlichen, unanständigen Dinge, die mit dem Wunsch der körperlichen Vereinigung verknüpft sind.

Man hatte den Braten gebracht, Rebhühner mit Wachteln garniert, dann Erbsen, darauf Gänseleberpastete mit einem Salat kleiner gezackter Blätterchen, die wie grünes Moos eine große Salatschüssel, einer Waschschale gleich, füllten.

Sie hatten von allem gegessen, ohne eigentlich etwas davon zu schmecken, ohne es zu merken und nur mit dem beschäftigt, worüber sie sprachen, wie in ein Bad von Liebe getaucht.

Die beiden Frauen fingen nun an, noch stärkere Dinge zu sagen. Frau von Marelle mit natürlichem Wagemut, der beinahe wie eine Herausforderung klang, Frau Forestier mit reizender Zurückhaltung, einer Scham in Ton, Stimme, Lächeln, in der ganzen Haltung, die doppelt unterstrich, während sie doch die gewagten Dinge, die sie sagte, abzuschwächen schien.

Forestier wälzte sich auf den Kissen, lachte, trank, aß ununterbrochen und warf ab und zu eine so unglaubliche Redensart dazwischen, daß die Frauen doch ein wenig verletzt waren durch die Form, und der Form wegen auf ein paar Augenblicke eine genierte Miene annahmen. Als er ein paar zu grobe Späße losgelassen, fügte er selbst hinzu:

– Kinder, Kinder, wenn's so fort geht, macht ihr noch Dummheiten!

Das Dessert kam, dann der Kaffee. Der Likör brachte in die erregten Geister eine schwerere und schwülere Trunkenheit. Frau von Marelle war, wie sie es schon vorausgesagt, als sie sich zu Tisch setzten, ein bißchen angeheitert: und mit der lustigen, schwatzhaften Liebenswürdigkeit einer Frau, die, um ihre Gäste zu erheitern, einen ganz kleinen Schwips übertreibt, gestand sie es auch ein.

Frau Forestier schwieg jetzt, vielleicht aus Vorsicht, und Duroy, der zuviel getrunken hatte, blieb, um sich nicht zu kompromittieren, in geschickter Reserve.

Zigaretten wurden angesteckt, doch plötzlich fing Forestier an zu husten.

Er bekam einen schrecklichen Anfall, der ihm die Brust zerriß, und mit rotem Gesicht, Schweiß auf der Stirn, hielt er sich die Serviette vor. Als der Anfall vorübergegangen war, rief er wütend:

– Ich kann nun mal solche Sachen nicht vertragen! Es ist zu dumm!

Seine gute Laune war verschwunden bei dem Schreck über seine Krankheit, der alle seine Gedanken beherrschte.

– Wir wollen gehen, sagte er.

Frau von Marelle klingelte dem Kellner und verlangte die Rechnung. Sie bekam sie fast augenblicklich. Sie versuchte sie zu lesen, aber die Zahlen tanzten vor ihren Augen, und sie gab das Papier an Duroy:

– Da bitte, bezahlen Sie für mich, ich kann nichts mehr sehen, ich habe einen zu großen Schwips.

Zu gleicher Zeit schob sie ihm ihr Portemonnaie in die Hand.

Die Rechnung betrug im ganzen einhundertdreißig Franken. Duroy prüfte sie, fand, daß sie stimmte, gab zwei Kassenscheine, nahm das Geld, das er herausbekam, und fragte halblaut:

– Wieviel Trinkgeld?

– Ach, was Sie wollen, ich weiß nicht!

Er legte fünf Franken auf den Teller und reichte dann der jungen Frau das Portemonnaie zurück mit den Worten:

– Soll ich Sie bis an Ihr Haus begleiten?

– Natürlich. Ich finde mich absolut nicht mehr nach Haus.

Sie drückten Forestiers die Hand, und Duroy war allein mit Frau von Marelle in einer Droschke, die die Straße hinabrollte.

Er fühlte sie an seiner Seite so nahe, eingeschlossen mit ihr in diesem dunklen Kasten, den ab und zu während einer Sekunde die Gasflammen vom Trottoir her erleuchteten. Durch den Ärmel hindurch empfand er die Wärme ihrer Schulter. Er wußte nichts, aber auch gar nichts zu sagen, denn sein Geist war wie gelähmt von dem Wunsch, sie in die Arme zu schließen.

Er dachte: wenn ich's nun riskierte, was würde sie wohl thun? Und der Gedanke an all die Zweideutigkeiten, die sie während des Essens gesagt, gab ihm Mut, aber zu gleicher Zeit hielt ihn die Furcht vor einem Skandal zurück.

Auch sie sprach nicht und lehnte unbeweglich in der Ecke. Er hätte denken können, daß sie schliefe, wenn er nicht jedesmal, wenn ein Lichtstrahl in den Wagen fiel, ihre Augen hätte leuchten sehen.

Was dachte sie? Er fühlte wohl, daß er nicht sprechen durfte. Ein Wort, ein einziges Wort, das die Stille unterbrach, konnte alle seine Aussichten zerstören. Aber der Mut fehlte ihm, der Mut zur That.

Plötzlich fühlte er ihren Fuß sich bewegen. Sie hatte eine kurze, nervöse Bewegung ungeduldig oder herausfordernd gemacht, und bei der fast unfühlbaren Berührung lief ihm von Kopf bis zu Füßen ein Schauer über die Haut. Da plötzlich drehte er sich herum, warf sich über sie und suchte mit dem Munde ihre Lippen und ihren bloßen Körper mit der Hand.

Sie schrie nur ganz schwach, wollte sich aufrichten, sich wehren, ihn zurückstoßen, dann gab sie nach, als ob ihr die Kraft gefehlt, länger zu widerstreben.

Aber der Wagen hielt bald vor ihrem Hause, und Duroy konnte in seiner Überraschung nicht gleich Worte der Leidenschaft finden, um ihr seine dankbare Liebe auszudrücken. Aber sie erhob sich nicht, bewegte sich nicht, sie war ganz verstört durch das, was geschehen. Da fürchtete er, der Kutscher möchte Verdacht schöpfen und stieg zuerst aus, um der jungen Frau die Hand zu reichen. Endlich kletterte auch sie stolpernd, ohne ein Wort zu sprechen, aus der Droschke. Er klingelte, und da sich die Tür öffnete, fragte er zitternd:

– Wann werde ich Sie wiedersehen?

Sie murmelte so leise, daß er es kaum verstand:

Kommen Sie morgen zu mir zum Frühstück.

Sie verschwand im Dunkel des Flurs; hinter ihr fiel der schwere Thürflügel mit lautem Krach ins Schloß.

Er gab dem Kutscher fünf Franken und ging seines Weges, schnell und triumphierend, unsägliche Wonne im Herzen.

Endlich hatte er eine erwischt, eine verheiratete Frau, eine Dame der Gesellschaft, der wirklichen, der Pariser Gesellschaft. Wie das leicht und plötzlich gegangen war!

Er hatte sich bis dahin eingebildet, daß, um sich einem der so begehrten Geschöpfe zu nähern und es zu gewinnen, lange Mühe, unendliche Geduld, eine geschickte Belagerung mit allerhand Artigkeiten, Liebesworten, Seufzern und Geschenken nötig sei. Und nun ergab sich ihm plötzlich beim ersten Angriff die erste, der er begegnet, so schnell, daß er ganz paff war.

Sie war betrunken, dachte er, morgen wird's ganz anders klingen, morgen wird sie wohl heulen. Dieser Gedanke beunruhigte ihn etwas. Aber dann sagte er: na meinetwegen, jetzt habe ich sie nun mal und lasse sie nicht wieder los.

Und in den verrückten Phantasien, die seine Hoffnungen annahmen, seine Träume von Größe, Erfolg, Berühmtheit, Glück und Liebe, sah er plötzlich, etwa so wie ganze Reihen von Tänzerinnen, in der Theaterapotheose, eine ganze Prozession von eleganten, einflußreichen Frauen vor sich, die lächelnd vorübergingen, um eine nach der andern in den goldenen Wolken seiner Träume zu verschwinden.

Als er am nächsten Tag die Treppe zu Frau von Marelle hinaufging, war er etwas erregt. Wie würde sie ihn empfangen? Und wenn sie ihn nicht annahm, wenn sie verboten hatte, daß er angenommen würde! Wenn sie erzählte, – aber nein, sie konnte nichts sagen, ohne die ganze Wahrheit erraten zu lassen. Er war Herr der Situation.

Wieder öffnete das kleine Dienstmädchen die Thür. Sie machte ein Gesicht wie sonst. Und er wurde ruhiger, da er sich eingebildet hatte, das Mädchen müsse erschrocken dreinschaun.

Er fragte:

– Ist gnädige Frau wohl?

Sie antwortete:

– Jawohl, wie immer.

Und sie ließ ihn in den Salon treten.

Er ging gerade auf den Kamin zu, um seine Frisur und seinen Anzug zu mustern; als er vor dem Spiegel seine Kravatte zurecht zog, sah er die junge Frau darin, die ihn anblickte, von der Schwelle ihres Zimmers aus.

Er that, als hätte er sie nicht bemerkt, und sie beobachteten sich ein Paar Sekunden im Spiegel, belauerten sich, ehe sie vor einander standen.

Er drehte sich herum. Sie war nicht von der Stelle gewichen und schien zu warten. Er trat vor und stammelte:

– Ich liebe Sie so sehr! Ich liebe Sie – ich liebe Sie!

Sie öffnete die Arme und sank an seine Brust. Dann hob sie den Kopf zu ihm und sie küßten sich lange.

Er dachte: das ging leichter als ich geglaubt hatte, es fluscht!

Und als sich ihre Lippen trennten, lächelte er ohne ein Wort zu sagen, indem er versuchte, in seinen Blick unendliche Liebe zu legen.

Auch sie lächelte, mit jenem Lächeln, mit dem die Frauen ihre Wünsche, ihr Gewähren, ihre Bereitwilligkeit, sich hinzugeben, auszudrücken pflegen.

Sie flüsterte:

– Wir sind allein. Ich habe Laurachen zum Frühstück zu einer Freundin geschickt.

Er seufzte und küßte ihr die Hand.

– Tausend Dank, ich bete Dich an!

Dann hakte sie sich in seinen Arm, als ob er ihr Mann wäre, und führte ihn ans Sofa, wo sie sich Seite an Seite niederließen. Er wollte das Gespräch auf geschickte, verführerische Weise beginnen. Aber da er nichts fand, wie er es sich wünschte, stammelte er:

– Du bist also nicht zu böse?

Sie legte ihm eine Hand auf den Mund:

– Sei ruhig!

Sie blieben schweigend Hand in Hand sitzen und blickten sich an, und er sagte:

– Wie ich mich nach Dir gesehnt habe!

Sie wiederholte:

– Sei ruhig!

Man hörte, wie das Mädchen im Nebenzimmer mit Tellern klapperte.

Er stand auf:

– Ich will nicht so nah bei Dir bleiben, ich verliere ganz den Kopf.

Die Thür öffnete sich:

– Es ist angerichtet.

Und er bot ihr förmlich den Arm.

Sie frühstückten, einander gegenübersitzend, und blickten sich unausgesetzt lächelnd an, nur mit sich selbst beschäftigt, ganz gefangen von jenem süßen Netz einer beginnenden Liebschaft. Sie aßen, ohne zu wissen was. Er fühlte einen kleinen Fuß unter dem Tisch und nahm ihn zwischen die seinen und behielt ihn, indem er ihn mit aller Kraft drückte.

Das Mädchen kam und ging, brachte die Schüsseln und nahm die Speisen wieder fort mit gleichgiltigem Gesicht, sie schien nichts zu merken.

Nachdem sie mit essen fertig waren, gingen sie in den Salon und setzten sich wieder Seite an Seite aufs Sofa.

Allmählich schmiegte er sich an sie an, und versuchte sie zu umarmen. Aber sie wehrte ihn ruhig ab.

– Vorsicht! Es könnte jemand hereinkommen.

Er flüsterte:

– Wann könnte ich Dich einmal allein sehen, um Dir recht zu sagen, wie ich Dich liebe?

Sie neigte sich zu ihm und sagte ihm leise ins Ohr:

– Ich mache Dir dieser Tage einen kleinen Besuch.

Er fühlte, wie er rot ward:

– Aber bei mir – bei mir ist es sehr bescheiden – Sie lächelte:

– Thut nichts. Ich will doch Dich besuchen und nicht die Wohnung!

Da drang er in sie, wann sie kommen würde; sie bestimmte einen Tag in der folgenden Woche, und er bat sie mit stotternden Worten, leuchtenden Augen, indem er sie befühlte, ihr die Hände drückte mit rotem, fieberhaftem Gesicht, durchwühlt von Begierde, von jener ungestümen Begierde wie sie nach einer Mahlzeit zu Zweien erwacht, sie solle doch einen näheren Termin bestimmen.

Es machte ihr Spaß, daß er mit solchem Ungestüm bat, und bei seinen Worten ließ sie in Zwischenräumen immer einen Tag ab. Endlich rief er:

– Morgen, sage doch morgen!

Sie war einverstanden:

– Gut, morgen um fünf!

Er stieß einen langen Freudenseufzer aus, und sie schwatzten nun fast ruhig mit solcher Vertraulichkeit, als kennten sie sich schon seit zwanzig Jahren.

Es klingelte und sie fuhren zusammen. Wie auf Kommando entfernten sie sich ein Stück von einander.

Sie murmelte:

– Das wird Laurachen sein.

Das Kind erschien, blieb verwirrt stehen, lief auf Duroy zu und klatschte ganz glückselig vor Freude, als sie ihn sah, in die Hände, indem sie rief:

– Ach, der Liebling!

Frau von Marelle fing an zu lachen:

– Nein, so was, der Liebling! Laurachen hat Sie getauft, das ist ein wunderhübscher Freundschaftsname für Sie, ich werde Sie auch »Liebling« nennen.

Er hatte das kleine Mädchen auf die Kniee genommen und mußte mit ihr all die kleinen Spiele spielen, die er sie gelehrt.

Gegen drei Uhr erhob er sich, um in die Redaktion zu gehen, und auf der Treppe, an der halb offenen Thür, flüsterte er ihr noch zu:

– Also morgen um fünf!

Die junge Frau antwortete:

– Ja.

Mit einem Lächeln verschwand er.

Sobald er seine tägliche Arbeit vollendet hatte, überlegte er sich, wie er wohl sein Zimmer herrichten könnte, um die Geliebte zu empfangen und die Armseligkeit seiner Wohnung möglichst zu verbergen. Und er kam auf den Gedanken, allerlei kleine japanische Spielereien an die Wand zu heften. Für fünf Franken kaufte er einen ganzen Haufen solcher winziger Nichtse, kleine Fächer, kleine Schirmchen, und mit ihnen verbarg er die zu auffälligen Flecken der Tapete. An die Fensterscheiben klebte er durchsichtige Bildchen, ein Boot auf dem Flusse darstellend, oder ein paar Vögel, die durch einen roten Himmel schossen, Damen in allerlei Farben auf dem Balkon, und dann eine ganze Reihe von kleinen, schwarzen Männchen auf weiten, schneebedeckten Ebenen.

Sein Zimmer, das gerade groß genug war, um darin zu schlafen und sich zu setzen, sah bald aus wie eine gemalte Papierlaterne von innen. Er meinte, es wäre so gut genug und brachte noch den ganzen Abend damit zu, auf die Decke Vögel zu kleben, die er aus den bemalten Bilderbogen geschnitten, die ihm noch übrig geblieben waren.

Dann ging er zu Bett, und das Pfeifen der Züge unter ihm sang ihm das Wiegenlied.

Am nächsten Tage kehrte er zeitig heim mit einer Düte Kuchen und einer Flasche Madeira, die er gekauft. Er mußte noch einmal ausgehen, um sich zwei Teller und zwei Gläser zu besorgen. Und den kleinen Imbiß stellte er auf den Waschtisch, dessen schmutziges Holz mit einer Serviette bedeckt ward. Waschschale und Wasserkrug wurden unten versteckt.

Dann wartete er.

Sie kam um ein viertel sechs. Und als sie das bunte Gewirr der Schmetterlinge und kleinen Dinge sah, rief sie:

– Nein, das ist ja reizend bei Dir! Aber auf der Treppe in diesem Haus begegnet man so viel Menschen –

Er hatte sie in die Arme geschlossen und küßte ungestüm ihr Haar zwischen der Stirn und dem Hut durch den Schleier hindurch.

Anderthalb Stunden später brachte er sie zum Droschkenhalteplatz an der Rue de Rome zurück. Als sie in der Droschke saß, flüsterte er ihr zu:

– Dienstag um die selbe Zeit!

Sie sagte:

– Um dieselbe Zeit Dienstag.

Und da es dunkel geworden war, zog sie seinen Kopf in den Wagen und küßte ihn auf die Lippen. Als der Kutscher sein Tier angetrieben hatte, rief sie:

– Adieu, Liebling!

Und der alte Schimmel zog in müdem Trabe den alten Kasten davon.

So kam drei Wochen lang alle zwei bis drei Tage, bald morgens, bald abends, Frau von Marelle zu Duroy.

Als er eines Nachmittags auf sie wartete, entstand auf der Treppe ein großer Lärm, sodaß er den Kopf zur Thür heraussteckte. Ein Kind heulte, und eine wütende Männerstimme rief:

– Was heult denn dat verfluchte Wurm da!

Die kreischende, verzweifelt klingende Stimme einer Frau antwortete:

– Dat Saumensch, dat immer zu den Zeitungsschreiber ruffkommt, hat Nikolaus uf de Treppe umjeschmissen. So'ne Frauenzimmer, die nich mal ufpassen un die Kinder aus dem Weje jehen können, sollte man mal jehörig uf den Kopp kommen!

Duroy zog sich erschrocken zurück, denn er hörte das Rauschen eines Kleides und einen eiligen Schritt auf der Treppe unter ihm.

Gleich darauf klopfte es an seiner Thür, die er eben wieder geschlossen. Er öffnete; Frau von Marelle stürzte ins Zimmer, verzweifelt, außer Atem und rief:

– Hast Du's gehört?

Er that, als wüßte er von nichts:

– Nein, was?

– Wie sie mich beschimpft haben?

– Wer denn?

– Die gräßlichen Leute, die unten wohnen!

– Aber nein – was ist denn nur?

Sie fing an zu schluchzen und konnte nicht sprechen.

Er mußte ihr den Hut abnehmen, ihr das Kleid aufmachen, sie aufs Bett legen, und ihr die Schläfen mit einem nassen Taschentuch reiben. Sie stöhnte. Als ihre Aufregung sich etwas gelegt hatte, entlud sich ihre ganze empörte Wut.

Sie wollte, daß er sofort hinunterginge und sich mit ihnen schlüge, sie tötete.

Er sagte:

– Aber das sind Arbeiter, grobe Flegel; man könnte höchstens zur Polizei gehen und dann würde Dein Name festgestellt, Du würdest arretiert werden. Mit solchen Leuten muß man sich nicht einlassen.

Sie ging auf etwas anderes über:

– Wie wollen wir's jetzt anfangen. Ich kann nicht mehr hierher kommen.

Er antwortete ganz einfach:

– Ich ziehe aus.

Sie meinte:

– Ja aber das wird doch lange dauern.

Dann plötzlich hatte sie einen Einfall und sagte, wieder heiterer werdend:

– Nein, weißt Du was, ich hab's gefunden. Laß mich nur die Geschichte machen, Du brauchst Dich um gar nichts zu kümmern. Ich schicke Dir morgen früh einen Rohrpostbrief.

Nun lächelte sie im stillen über ihren Plan, den sie nicht verraten wollte und hatte tausend Liebesworte und Scherze.

Aber sie war sehr erregt, als sie die Treppe wieder hinunterging und stützte sich mit aller Kraft auf den Arm ihres Geliebten, so zitterten ihr die Kniee.

Doch sie begegneten niemandem.

Am andern Tage um elf Uhr, als der Briefträger ihm den versprochenen Rohrpostbrief brachte, lag er noch im Bett, da er spät aufzustehen pflegte.

Duroy öffnete und las:

»Stelldichein fünf Uhr Rue de Constantinople 127. Laß Dich in die Wohnung führen, die Frau Duroy gemietet hat. Es küßt Dich

Clo.«

Punkt fünf Uhr trat er beim Portier eines großen Hauses, in dem möblierte Wohnungen zu vermieten waren, ein und fragte:

– Hat Frau Duroy hier eine Wohnung gemietet?

– Jawohl.

– Bitte, führen Sie mich hin.

Der Mann, der wohl an heikle Lagen, bei denen Vorsicht von Nöten, gewohnt war, blickte ihn scharf an, dann suchte er den Schlüssel im großen Schlüsselbunde und fragte:

– Sie sind doch Herr Duroy?

– Gewiß.

Und er öffnete eine kleine Wohnung, die aus zwei Zimmern bestand, der Portiersloge gegenüber im Erdgeschoß.

Der Salon, dessen großblumige Tapete ziemlich neu war, enthielt Mahagonimöbel mit grünlichem, gelbgemusterten Rips überzogen. Den Boden deckte ein bescheidener, geblümter Teppich, der so dünn war, daß man den Fußboden darunter fühlen konnte.

Das Schlafzimmer war so klein, daß das Bett drei viertel des Raumes füllte; es stand im Hintergrund und reichte von einer Wand bis zur andern, ein großes Bett, wie man es in den möblierten Wohnungen findet, mit schweren, blauen Rips-Vorhängen und einem Federbett mit rotem Seidenüberzug, der einige verdächtige Flecken zeigte. Duroy blickte sich beunruhigt und mißvergnügt um, indem er bei sich dachte: die Wohnung wird mich ein Heidengeld kosten. Da muß ich schon wieder pumpen. Das ist wirklich ein verrückter Gedanke!

Die Thür ging auf und Clotilde stürmte wie ein Wirbelwind herein, mit rauschenden Röcken. Sie öffnete die Arme und rief glückselig:

– Ist das nicht nett! Nu sag mal, ist es nicht nett? Und keine Treppe! Gleich unten im Parterre! Man kann zum Fenster heraus und herein, ohne daß der Portier einen sieht. O, hier werden wir uns lieb haben!

Er küßte sie kalt, er wagte nicht, die Frage, die ihm auf den Lippen brannte, zu thun.

Sie hatte auf das runde Tischchen, das in der Mitte des Zimmers stand, ein Paket gelegt. Sie öffnete es und zog daraus Seife, eine Flasche Eau de Lubin, einen Schwamm, eine Schachtel mit Haarnadeln, einen Stiefelknöpfer und ein Brenneisen hervor, um die Spitzen ihrer Haare wieder zu kräuseln, die immer aufgingen.

Und es machte ihr einen Riesen-Spaß, einzurichten und für jeden Gegenstand seinen Platz zu suchen.

Sie sagte, während sie die Fächer aufzog:

– Ich muß ein bißchen Wäsche mitbringen, um im Notfall wechseln zu können; das wird sehr angenehm sein. Wenn ich zum Beispiel Besorgungen mache und regne dabei in der Stadt ein, dann komme ich her, um mich zu trocknen. Wir müssen jeder einen Schlüssel haben und einer muß in der Portierloge bleiben, falls wir unseren vergessen. Ich habe auf ein viertel Jahr gemietet, natürlich auf Deinen Namen, denn ich konnte doch meinen nicht angeben.

Da fragte er:

– Nicht wahr, Du sagst mir's, wann ich zahlen muß.

Sie antwortete ganz einfach:

– Ja – aber es ist ja bezahlt!

Er sagte:

– Da bin ich's also Dir schuldig?

– Nein Liebchen, das geht Dich nichts an, den kleinen Scherz erlaube ich mir!

Er that, als wäre er böse:

– Nein, nein, das gebe ich nicht zu!

Sie kam zu ihm, flehte und legte ihm die Hände auf die Schultern:

– Ich bitte Dich, Georg, es macht mir ja soviel Spaß, soviel Spaß! Gerade, daß es mir gehört, unser kleines Nest, nur mir! Das kann Dich doch nicht kränken? Weshalb denn? Ich möchte das zu unserer Liebe beitragen. Sag ja, bitte, sag ja!

Und sie flehte ihn mit Blicken, mit Worten und ihrem ganzen Wesen an.

Er ließ sich bitten und lehnte mit erregtem Ausdruck ab. Endlich gab er nach und fand es im stillen eigentlich ganz richtig.

Und als sie gegangen war, brummte er, indem er sich die Hände rieb und sich nicht weiter fragte, woher ihm gerade heute diese Meinung käme:

– Sie ist doch riesig nett!

Ein Paar Tage später bekam er wieder einen Rohrpostbrief des Inhalts:

»Mein Mann kommt heute abend von der sechswöchentlichen Dienstreise zurück. Wir müssen also acht Tage Pause machen. Ich bin trostlos, mein Liebling!

Deine Clo.«

Duroy war ganz erstaunt, er dachte wirklich gar nicht mehr daran, daß sie verheiratet sei. Den Mann hätte er gern mal gesehen, nur einmal, um zu wissen wie er wäre.

Indessen wartete er geduldig die Abreise des Mannes ab, besuchte aber inzwischen zweimal die Folies-Bergère und beschloß die betreffenden Abende bei Rahel.

Dann kam eines Morgens ein neues Telegramm mit den vier Worten:

»Heute fünf Uhr Clo.«

Beide erschienen etwas früher zum Stelldichein. Sie fiel ihm mit großem Liebesungestüm um den Hals und küßte ihn leidenschaftlich, dann sagte sie:

– Wenn Du's willst, kannst Du mich nachher, nachdem wir uns ordentlich geliebt haben, in irgend ein Restaurant zum Essen führen. Ich habe mich frei gemacht.

Es war gerade in den ersten Tagen des Monats, und obgleich sein Gehalt längst vorgegessenes Brot war und er von einem Tage zum andern von dem Gelde lebte, das er sich hier und da verschaffen konnte, hatte Duroy doch zufällig etwas bei sich. Und es war ihm angenehm, daß sich die Gelegenheit fand, mal etwas für sie auszugeben. Er sagte:

– Natürlich, Liebchen, wohin Du willst.

Gegen sieben Uhr gingen sie also nach dem äußeren Boulevard. Sie lehnte sich auf seinen Arm und flüsterte ihm ins Ohr:

– Wenn Du wüßtest, wie glücklich ich bin, mit Dir auszugehen, ich fühle Dich so gern an meiner Seite!

Er fragte:

– Willst Du zum alten Lathuile?

Sie antwortete:

– Nein, das ist zu gut. Ich möchte mich amüsieren! Es kann ein bißchen gewöhnlich sein, weißt Du – so ein Restaurant, wo kleine Commis und Arbeiterinnen verkehren. Ich habe die Kneipen so gern. Ach wenn wir doch aufs Land gekonnt hätten!

Da er aber ein Lokal dieser Art in der Gegend nicht kannte, so irrten sie auf den Boulevards herum und traten endlich in eine Weinstube, wo man in einem Extrazimmer etwas zu essen bekommen konnte. Durch die Fensterscheiben hatte sie zwei kleine Mädchen ohne Hut gesehen; ein paar Soldaten ihnen gegenüber.

Im Hintergrunde des engen, langen Zimmers saßen drei Droschkenkutscher beim Essen, und ein Mensch, dessen Beruf man nicht recht angeben konnte, rauchte seine Pfeife, während er, die Hände im Gürtel seiner Hose, sich auf einen Stuhl flezte, den Kopf hintenüber gegen die Stuhllehne gelegt. Sein Rock sah aus wie eine ganze Fleckensammlung, und in den bauchartig angeschwollenen Taschen sah man einen Flaschenhals, ein Stück Brot, irgend etwas in eine Zeitung gewickelt und ein Bindfadenende, das heraushing. Er hatte dichtes, gekräuseltes Haar, das ganz grau war vor Schmutz. Seine Mütze lag an der Erde unter dem Stuhl.

Clotildes Eintritt erregte, wegen ihres eleganten Äußeren, Aufsehen. Die beiden Paare hörten auf zu flüstern, die drei Kutscher zu diskutieren, und der Raucher nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte und blickte sie an, indem er ein wenig den Kopf zu ihnen wandte.

Frau von Marelle flüsterte:

– Das ist sehr nett hier, hier befinden wir uns wohl. Ein anderes Mal verkleide ich mich als Arbeiterin.

Und ohne Verlegenheit, ohne Ekel, setzte sie sich an den Holztisch, der glänzte von Fettflecken und auf dem man noch die Spuren verschütteter Getränke sah, weil er nur durch den Kellner einmal flüchtig mit der Serviette abgewedelt ward. Duroy genierte sich ein wenig. Er schämte sich etwas und suchte einen Haken, um seinen Zylinder daran zu hängen. Da er keinen fand, stellte er ihn auf einen Stuhl.

Sie aßen Ragout, ein Stück Hammelkeule und Salat. Clotilde meinte:

– Ach ich habe das zu gern, ich habe eigentlich einen plebejischen Geschmack! Mir gefällt's hier besser als im Café Anglais.

Dann sagte sie:

– Wenn Du mich ganz glücklich machen willst, so nimm mich jetzt auf den Tanzboden mit. Ich kenne ein sehr spaßiges Lokal ganz nah von hier, es heißt: »Zur weißen Königin.«

Duroy fragte erstaunt:

– Wer hat Dich denn dorthin gebracht?

Er sah sie an, gewahrte, wie sie rot ward, ein wenig verlegen, als ob die plötzliche Frage eine zarte Erinnerung in ihr wach gerufen. Sie zögerte nur einen Augenblick, wie es Frauen manchmal thun, so kurz, daß man es kaum merkt und antwortete:

– Ein Freund.

Dann machte sie eine Pause und fügte hinzu:

– Er ist tot.

Sie schlug mit natürlichem Ausdruck der Trauer die Augen nieder.

Und Duroy dachte zum ersten Mal an all das, was er aus dem vergangenen Leben dieser Frau nicht wußte, und sann nach. Sie hatte gewiß schon Liebhaber gehabt. Aber welche? Aus welcher Gesellschaftsschicht? Und eine unbestimmte Eifersucht, eine Art Feindschaft stieg in ihm empor, gegen sie, gegen alles, was er nicht wußte, gegen alles, was ihm von diesem Herzen und diesem Menschendasein nicht gehörte. Er sah sie an; das Geheimnis dieses stummen, hübschen Köpfchens, das vielleicht in diesem Augenblick an den anderen, an die andern mit Bedauern dachte, quälte ihn. Ach, er wäre zu gerne in ihre Vergangenheit eingedrungen, um darin zu wühlen, alles zu erfahren, alles zu wissen!

Sie sagte noch einmal:

– Willst Du mit mir in die »Weiße Königin« gehen? Das wird ein richtiges Vergnügen!

Er dachte: ach was geht mich die Vergangenheit an. Ich bin schön dumm, mich darum zu kümmern. Und lächelnd antwortete er:

– Aber gewiß, liebes Kind.

Als sie auf der Straße standen, fing sie wieder ganz leise mit jenem geheimnisvollen Ton an, in dem man Geständnisse macht:

– Ich habe bis jetzt nicht gewagt, Dich darum zu bitten, aber Du weißt gar nicht, wie gern ich tolle Jungenstreiche mache und dorthin gehe, wo man als anständige Frau nicht hingehen kann. Weißt Du, wenn erst Karneval ist, verkleide ich mich als Student. Ich sage Dir, als Student bin ich furchtbar komisch!

Als sie den Ballsaal betraten, schmiegte sie sich an ihn, etwas ängstlich, aber doch zufrieden, und betrachtete mit Entzücken die Mädchen und Zuhälter, und ab und zu sagte sie wie wenn sie sich gegen eine mögliche Gefahr schützen wollte, indem sie auf einen ernst und unbeweglich dastehenden Polizisten deutete:

– Der Schutzmann da sieht aber stramm aus.

Nach einer Viertelstunde hatte sie genug und er brachte sie nach Hause.

Von da an unternahmen sie Ausflüge in alle möglichen verdächtigen Lokale, wo sich das Volk amüsiert. Und Duroy entdeckte bei seiner Geliebten eine unglaubliche Leidenschaft für diese fidelen Bummelreisen.

Sie kam zu ihrem gewöhnlichen Stelldichein, im Waschkleide, ein Zofenmützchen auf dem Kopf; aber trotz der zierlichen und gesuchten Einfachheit ihres Anzuges behielt sie Fingerringe, Armbänder und Brillant-Ohrringe, und wenn er sie anflehte, sie abzulegen, sagte sie:

– Ach was, man wird sie doch für Glas halten.

Sie glaubte, sie wäre vorzüglich verkleidet, obgleich sie in Wirklichkeit sich nur wie der Vogel Strauß versteckt hatte. So gingen sie in die anrüchigsten Lokale.

Sie wollte durchaus, daß Duroy sich als Arbeiter anziehen sollte, aber er wehrte sich dagegen und behielt seinen gewöhnlichen Boulevardanzug, er wollte sogar nicht einmal statt des Cylinders einen weichen Filzhut aufsetzen.

Sie tröstete sich über seine Weigerung indem sie sich sagte: man denkt eben, ich bin ein Dienstmädchen, das Glück gehabt hat mit einem Herrn aus der Gesellschaft. Und sie fand diese Komödie köstlich.

So gingen sie in allerhand gewöhnliche Kneipen, setzten sich in verräucherte dunkle Löcher, auf wackelige Stühle an einen alten Holztisch. Eine dichte Rauchwolke, in der noch vom Mittag her der Geruch von gebackenen Fischen schwebte, lagerte über dem Lokal. Blousenmänner saßen da vor ihrem Glas und gröhlten. Und der Kellner blickte ganz erstaunt das seltsame Paar an, als er den Kirschschnaps vor sie hinstellte.

Zitternd vor Furcht und Entzücken nippte sie den roten Saft mit kleinen Schlückchen und blickte ängstlich und aufgeregt um sich. Jeder Schnaps, den sie trank, kam ihr wie ein Verbrechen vor, jeder Tropfen der brennenden gepfefferten Flüssigkeit, der ihr die Kehle hinabrann, machte ihr unendliches Vergnügen, die Freude am sündhaften Genuß der verbotenen Frucht.

Endlich sagte sie halblaut:

– Wir wollen gehen.

Und sie gingen. Sie lief schnell, mit gesenktem Kopf und kleinen Schritten wie eine Schauspielerin, die die Bühne verläßt, und ging so zwischen den Zechern hindurch, die, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, ihr mit argwöhnischen, unzufriedenen Blicken nachschauten. Und wenn sie dann draußen stand, seufzte sie erleichtert auf, als ob sie einer furchtbaren Gefahr entronnen wäre. Manchmal fragte sie zitternd Duroy:

– Was würdest Du thun, wenn man mich hier beleidigte?

Er antwortete in renommistischem Ton:

– Nu Donnerwetter, ich würde Dich verteidigen!

Und glückselig preßte sie seinen Arm, vielleicht mit dem unbestimmten Wunsch, angegriffen und von ihm verteidigt zu werden, mit dem Wunsch, zu erleben, wie die Männer sich ihretwegen schlügen – sogar solche Kerle mit ihrem Geliebten.

Aber als diese Ausflüge zwei, sogar drei Mal in der Woche einander folgten, wurden sie Duroy lästig, der nebenbei seit einiger Zeit noch große Not hatte, sich auch nur die zehn Franken zu verschaffen, die jedesmal Wagen und Getränke kosteten.

Er hatte es jetzt sehr sauer, es wurde ihm schwerer auszukommen als zu der Zeit, wo er Eisenbahnbeamter gewesen. Da er während der ersten Monate seines Journalistentums ohne zu rechnen darauf los gewirtschaftet hatte, immer in der Hoffnung am nächsten Tage viel Geld zu verdienen, hatte er nun alle Möglichkeiten sich Geld zu verschaffen und alle Hülfsquellen erschöpft.

Das einfache Mittel, sich an der Kasse Vorschuß geben zu lassen, war schnell verbraucht. Er hatte bei der Zeitung sein Gehalt schon vier Monate im voraus erhoben, dazu sechshundert Franken Zeilenhonorar. Dann war er noch Forestier hundert Franken schuldig, Jacques Rival, der sehr freigebig war, dreihundert Franken, und eine Menge kleiner Schulden, die er sich gar nicht einzugestehen wagte, nagten an ihm, von zwanzig Franken bis herab zu hundert Sous.

Er hatte Saint-Potin gefragt, wie er es anstellen könnte, noch hundert Franken aufzutreiben. Aber obgleich jener ein erfindungsreicher Kopf war, wußte er kein Mittel. Und Duroy war außer sich über dieses Elend, das er stärker empfand als früher, weil er mehr Bedürfnisse hatte. Eine stille Wut gegen alle Welt kochte in ihm. Und seine unausgesetzte Erregung entlud sich bei jeder Gelegenheit, in jedem Augenblick, wegen der unbedeutendsten Dinge.

Manchmal fragte er sich, wie er es nur fertig gebracht, im Durchschnitt tausend Franken monatlich zu verbrauchen, ohne irgendwelche Ausschweifung oder besondere Ausgabe. Und er stellte bei sich fest, daß allerdings, wenn man ein Frühstück für acht Franken mit einem Diner zu zwölf Franken, das er irgendwo in einem großen Restaurant auf dem Boulevard eingenommen, zusammenzählte, schon ein Zwanzigfrankenstück herauskam; zählte man dann bloß noch zehn Franken Taschengeld dazu, was sich so verkrümelt, wirklich ohne daß man weiß, wo es bleibt, so gab das schon dreißig Franken. Und dreißig Franken täglich wiederum ergaben am Monatschluß neunhundert Franken und dabei war noch nicht einmal Kleidung, Wäsche, Schuhmacher eingerechnet.

So hatte er also am vierzehnten Dezember nichts mehr in der Tasche und sah keine Möglichkeit, Geld aufzutreiben.

Da machte er das, was er früher schon oft gethan, er aß nicht zu Mittag, und die Nachmittage brachte er auf der Redaktion zu bei der Arbeit, wütend und allerlei Gedanken umherwälzend.

Gegen vier Uhr bekam er ein Stadttelegramm seiner Geliebten des Inhalts:

»Wollen wir zusammen essen und dann eine kleine Bummelreise machen?«

Er antwortete sofort:

»Essen unmöglich.«

Dann überlegte er sich, daß es doch thöricht sei, nicht die schönen Stunden mitzunehmen, die sie ihm schenkte, und fügte hinzu:

»Erwarte Dich neun Uhr in unserer Wohnung.«

Und nachdem er einen der Zeitungsjungen mit der Nachricht fortgeschickt, um den Preis des Telegramms zu sparen, dachte er nach, wie er es anstellen könnte, um sich ein Abendessen zu verschaffen.

Um sieben Uhr war er noch nicht schlauer geworden, und ein fürchterlicher Hunger peinigte ihn. Da kam er auf eine ganz verzweifelte List: er ließ seine Kollegen einen nach dem andern fortgehen, und als er allein war, klingelte er. Der Redaktionsdiener, der noch da geblieben war, erschien:

Duroy stand da, suchte nervös in den Taschen und sagte kurz:

– Hören Sie mal, Foucart, ich habe mein Portemonnaie zu Hause liegen lassen und ich muß im Luxembourg essen, borgen Sie mir doch mal fünfzig Sous, daß ich die Droschke bezahlen kann.

Der Mann zog drei Franken aus der Tasche und fragte:

– Herr Duroy, wollen Sie nicht mehr?

– Nein, das genügt, danke sehr.

Nachdem Duroy die Silberstücke empfangen hatte, lief er die Treppe hinab und ging in eine Garküche, wo er an Tagen, wenn es ihm schlecht ging, zu landen pflegte.

Um neun Uhr erwartete er im kleinen Salon, am Kamin sitzend, seine Geliebte.

Sie kam, war sehr angeregt, heiter und frisch von der kalten Luft.

– Weißt Du was, sagte sie, wir wollen doch erst noch ein bißchen herumbummeln und um elf kommen wir wieder her. Es ist so schönes Wetter draußen.

Er antwortete brummig:

– Wozu denn fortgehen, hier ist es sehr gemütlich!

Sie sagte, ohne den Hut abzusetzen:

– Ach, es ist so wunderschöner Mondschein heute, es ist wirklich köstlich, heute abend spazieren zu gehen.

– Das kann schon sein, aber ich mag nicht.

Er hatte das wütend gesagt, sie fühlte sich gekränkt und fragte:

– Was hast Du denn? Warum bist Du denn so grob? Ich möchte gern noch einen Spaziergang machen, weshalb ärgert Dich denn das so?

Verzweifelt sprang er auf:

– Es ärgert mich nicht. Es langweilt mich einfach, na!

Widerstand erregte sie; Unhöflichkeit brachte sie außer sich, und sie sagte mit Verachtung, mit gedämpfter Wut:

– Ich bin nicht gewohnt, daß man so mit mir spricht, dann gehe ich allein fort. Adieu!

Er merkte, daß die Sache anfing ernst zu werden, ging lebhaft auf sie zu, nahm sie bei den Händen, küßte sie und stammelte:

– Verzeih' doch, liebes Kind, ich bin heute abend sehr nervös, sehr erregt, weißt Du, ich habe Unannehmlichkeiten, Widerwärtigkeiten im Beruf.

Sie antwortete ein wenig milder, aber noch nicht ganz versöhnt:

– Das geht mich nichts an. Und ich dulde nicht, daß Du Deine schlechte Laune an mir auslässest.

Da umarmte er sie und zog sie zum Sofa:

– So höre doch, mein kleines Tierchen, ich wollte Dich ja nicht kränken. Ich habe nicht überlegt, was ich sagte.

Er hatte sie gezwungen, sich zu setzen. Nun kniete er vor ihr:

– Hast Du mir verziehen, sage mir, daß Du mir verziehen hast!

Sie murmelte mit kaltem Ton:

– Dies Mal noch, aber fange nicht wieder an.

Und dann fügte sie hinzu, indem sie aufstand:

– Aber nun wollen wir einen Spaziergang machen.

Er war auf den Knieen geblieben und hatte seine Arme um ihre Hüften gelegt.

Er stammelte:

– Bitte, laß uns doch hier bleiben, ich bitte Dich darum, thu mir doch das zuliebe. Ich möchte Dich heute abend so gern allein hier für mich behalten, hier am Feuer, das so gemütlich brennt. Bitte sage ja, bitte sage ja!

Sie antwortete kurz und hart:

– Nein, ich will ausgehen; ich will nicht Deinen Launen gehorchen.

Er bat von neuem:

– Ich bitte Dich, ich habe einen Grund, einen ernsten Grund!

Sie wiederholte:

– Nein, und wenn Du nicht mit mir ausgehen willst, gehe ich allein. Adieu!

Mit einem Ruck hatte sie sich frei gemacht und schritt zur Thür. Er lief ihr nach und nahm sie in die Arme:

– Clo, hör' mich doch an, meine kleine Clo! Hör' doch, das kannst Du mir doch thun!

Sie schüttelte den Kopf ohne zu antworten, wich seinen Küssen aus und versuchte sich freizumachen, um fortzugehen.

Er stammelte:

– Clo, meine kleine Clo, ich habe wirklich einen Grund!

Sie blieb stehen und blickte ihn gerade an:

– Du lügst! Welchen denn?

Er ward rot und wußte nicht, was er sagen sollte. Und da antwortete sie empört:

– Siehst Du, daß Du lügst! Du alter Betrüger!

Und mit einer Bewegung der Wut, Thränen in den Augen, lief sie davon.

Er packte sie noch einmal bei den Schultern und erklärte, bereit, alles zu gestehen, um einen Bruch zu vermeiden, im Tone der Verzweiflung:

– Der Grund ist einfach: ich habe kein Geld.

Sie blieb stehen, blickte ihm in die Augen, um die Wahrheit darin zu lesen:

– Was sagst Du?

Er war rot geworden bis an die Haarwurzeln:

– Ich sage, daß ich kein Geld habe, verstehst Du? Aber nicht zwanzig Sous! Nicht zehn Sous! Ich habe nicht mal so viel, um, wenn wir in ein Café gehen, einen Schnaps zu bezahlen. Du zwingst mich, Dinge zu gestehen, deren ich mich schäme. Ich konnte also wirklich nicht mit Dir ausgehen und Dir dann, wenn wir im Restaurant etwas bestellt, ganz ruhig erzählen, daß ich's nicht bezahlen kann.

Sie blickte ihn noch immer gerade an:

– Ist das wirklich wahr?

Sofort drehte er die Taschen um, die Hosentasche, die Westentasche, die Rocktasche und sagte:

– Da. Bist Du nun zufrieden?

Da öffnete sie jäh ihre Arme und warf sich ihm leidenschaftlich an den Hals, indem sie stammelte:

– Ach mein armer Georg! Mein armer Georg! Wenn ich das gewußt hätte! Wie ist denn das nur gekommen?

Er mußte sich setzen, und sie nahm auf seinen Knieen Platz, legte den Arm um seinen Hals, küßte ihm fortwährend den Schnurrbart, den Mund, die Augen und zwang ihn zu erzählen, woher sein Unglück käme.

Er erfand eine rührende Geschichte. Er hatte seinem Vater helfen müssen, der in Verlegenheit war, und er hatte ihm nicht nur seine Ersparnisse gegeben, sondern sich noch dazu in Schulden gestürzt.

Er schloß:

– Jetzt kann ich wenigstens ein halbes Jahr Hunger leiden! Denn ich habe alles aufgeboten, um das Geld zusammenzukratzen. Ach was, es giebt eben im Leben auch böse Tage, schließlich ist's das Geld nicht wert, daß man sich weiter darüber ärgert.

Sie flüsterte ihm ins Ohr:

– Soll ich Dir was borgen?

Er antwortete mit großer Würde:

– Das ist sehr nett von Dir, Liebchen, aber wir wollen davon nicht weiter sprechen, bitte, das würde mich verletzen.

Sie schwieg, dann umarmte sie ihn und murmelte:

– Du weißt ja nicht, wie ich Dich liebe.

Es war einer ihrer heißesten Liebesabende.

Ehe sie fortging, sagte sie noch lächelnd:

– Weißt Du, wenn man in so einer Lage ist wie Du, müßte es hübsch sein, in irgend einer Tasche ein Geldstück wieder zu finden, das vielleicht ins Futter gerutscht ist.

Er antwortete überzeugt:

– Ja, das wäre so was!

Sie wollte zu Fuß nach Haus gehen unter dem Vorwand, daß der Mond so schön schiene, und sie ward ganz begeistert über seinen Anblick.

Es war eine kalte, klare Nacht im beginnenden Winter. Die Menschen und Pferde gingen schnell wegen der Kälte. Die Schritte hallten auf dem Trottoir.

Als sie sich trennten, fragte sie:

– Wollen wir uns übermorgen wieder treffen?

– Natürlich.

– Zur selben Zeit?

– Zur selben Zeit.

– Adieu, mein Liebling!

Sie küßten sich zärtlich.

Dann kehrte er mit großen Schritten heim, indem er sich immer fragte, was er nur machen sollte, um morgen aus der Verlegenheit zu kommen. Aber als er die Thüre seines Zimmers öffnete und in der Westentasche nach einem Streichholz suchte, war er ganz erstaunt, ein Geldstück zu finden, das er mit den Fingern fühlen konnte.

Sobald er Licht gemacht hatte, nahm er das Geldstück, um es anzusehen. Es war ein Zwanzig-Frankenstück.

Er meinte, er wäre verrückt geworden.

Er drehte es in den Fingern hin und her und überlegte, durch welches Wunder es wohl dorthin gekommen. Es konnte doch nicht vom Himmel in seine Tasche gefallen sein.

Dann erriet er plötzlich, woher es kam, und empörte Wut packte ihn. Seine Geliebte hatte ja von Geld gesprochen, das in der Tasche zwischen dem Futter säße und das man wiederfände, wenn man nichts hätte. Also sie hatte ihm das Almosen gegeben! Welche Schmach!

Er schwor: das werde ich ihr aber morgen eintränken, die soll mir nicht so leichten Kaufes davon kommen!

Und er legte sich zu Bett, wütend und gedemütigt.

Er wachte spät auf. Er hatte Hunger. Er versuchte wieder einzuschlafen, weil er erst um zwei Uhr aufstehen wollte. Dann sagte er sich aber: das hilft nichts, ich muß doch Geld suchen.

Darauf ging er aus, in der Hoffnung, auf der Straße würde ihm etwas einfallen.

Aber er fand nichts, nur vor jedem Restaurant, an dem er vorüberging, lief ihm vor Begierde das Wasser im Munde zusammen. Und als er um die Mittagsstunde noch immer keine Rettung aus der Not gefunden, faßte er schnell den Entschluß: Ach was, ich werde von Clotildens zwanzig Franken frühstücken, deswegen kann ich sie ihr ja doch morgen wiedergeben.

Er frühstückte also in einem Bierlokal für zwei Franken fünfzig. Und als er auf die Redaktion kam, gab er davon noch dem Diener die drei Franken zurück:

– Da Foucart, da haben Sie, was Sie mir gestern für die Droschke geborgt haben.

Und er arbeitete bis sieben Uhr. Dann ging er essen und nahm von dem Gelde wiederum drei Franken. Mit den beiden Glas Bier, die er noch abends trank, stieg seine Tagesausgabe auf neun Franken dreißig.

Aber da er keinen Kredit fand und binnen vierundzwanzig Stunden nichts auftreiben konnte, so nahm er am anderen Tage wiederum sechs Franken fünfzig von den zwanzig Franken, die er am selben Abend zurückgeben mußte, sodaß er zum verabredeten Stelldichein erschien mit vier Franken zwanzig in der Tasche.

Er war in Hundelaune und nahm sich vor, gleich reinen Tisch zu machen und der Geliebten zu sagen: hör mal, ich habe die zwanzig Franken gefunden, die Du mir neulich in die Tasche gesteckt hast. Aber ich gebe Dir sie heute nicht wieder, weil meine Lage sich noch nicht geändert hat und ich noch keine Zeit hatte, mich nach Geld umzusehen. Aber ich werde sie Dir das nächste Mal geben, wenn wir uns wiedersehen.

Sie kam voll Zärtlichkeit und geheimer Furcht. Wie würde er sie empfangen? Und sie umarmte ihn lange, um eine sofortige Auseinandersetzung unmöglich zu machen.

Er sagte sich seinerseits: 's hat noch Zeit, darüber können wir später sprechen, wenn sich's gerade so macht.

Aber er fand keine Gelegenheit dazu und sagte nichts, weil er sich fürchtete, die peinliche Frage zu berühren.

Sie aber sagte nichts davon, daß sie spazieren gehen wollte und war in jeder Beziehung reizend.

Gegen Mitternacht trennten sie sich, nachdem sie sich erst auf den Mittwoch der nächsten Woche verabredet, da Frau von Marelle die nächsten Tage eingeladen war.

Als Duroy am nächsten Mittag sein Frühstück zahlte und die vier Geldstücke, die er noch haben mußte, in der Tasche suchte, entdeckte er, daß es fünf waren, davon ein goldenes.

Im ersten Augenblick glaubte er, man könnte ihm am Tage vorher aus Versehen ein Goldstück herausgegeben haben. Dann begriff er, woher es kam und sein Herz klopfte beim Gedanken an dieses ihn demütigende, erneute Almosen.

Es war zu dumm, daß er nichts gesagt hatte! Wenn er ein ernstes Wort gesprochen hätte, wäre es nicht wieder vorgekommen.

Während der nächsten vier Tage machte er ebenso zahlreiche wie vergebliche Versuche, um hundert Franken zu borgen und verbrauchte das zweite Goldstück Clotildens.

Und es gelang ihr, obgleich er mit wütender Miene gesagt: – Hör mal, fang nicht wieder die Späße an, wie neulich, sonst werde ich böse! – wiederum zwanzig Franken in seine Hosentasche gleiten zu lassen, als sie sich das nächste Mal trafen.

Als er es endeckte, schimpfte er:

– Gott verdamm mich! – und steckte es in die Westentasche, um es bei der Hand zu haben, denn er hatte keinen Pfennig mehr.

Er beruhigte sein Gewissen durch die Überlegung: ich gebe ihr alles zusammen zurück. Es ist ja auch bloß von ihr geborgt.

Endlich verstand sich nach verzweifelten Bitten der Kassierer der Zeitung dazu, ihm täglich hundert Sous vorzustrecken. Das war gerade genug zum essen, aber nicht genug, um die sechzig Franken zurückzugeben.

Da nun aber Clotilde wieder ihre Bummelreisen in alle möglichen zweifelhaften Lokale anfangen wollte, so regte er sich weiter nicht mehr besonders auf, wenn er nach ihren abenteuerlichen Unternehmungen einmal in einer Tasche, einmal sogar in seinem Stiefel und endlich einmal in der Kapsel seiner Taschenuhr ein Goldstück fand.

Sie wollte nun einmal Dinge unternehmen, die er augenblicklich nicht zahlen konnte, da war's doch ganz natürlich, daß sie sie lieber bezahlte, statt sie aufgeben zu müssen.

Übrigens schrieb er auch alles genau an, was er von ihr bekam, um es ihr eines Tages wiedergeben zu können.

Eines Abends sagte sie zu ihm:

– Denk Dir mal, ich bin noch nie in den Folies-Bergère gewesen. Willst Du mich nicht mal hinführen?

Er zögerte, denn er fürchtete, Rahel zu begegnen. Dann dachte er: ach was, ich bin ja nicht verheiratet, und wenn die andere mich sieht, wird sie schon merken, was die Glocke geschlagen hat und mich nicht anreden, und übrigens nehmen wir wieder eine Loge.

Und dann gab noch ein Grund den Ausschlag: er freute sich bei dieser Gelegenheit einmal Frau von Marelle eine Loge im Theater anbieten zu können, ohne daß es etwas kostete, das war doch eine Art Revanche.

Er ließ zuerst Clotilde im Wagen, um die Eintrittskarte zu holen, damit sie nicht sehen sollte, daß er ein Freibillet bekam. Dann holte er sie, und sie traten ein, von den Kontrolleuren begrüßt.

Eine riesige Menschenmenge wälzte sich durch die Wandelgänge. Mit großer Mühe drängten sie sich durch die herumbummelnden Herren und Frauenzimmer und erreichten endlich ihre Loge, setzten sich, vor sich die unbeweglich dasitzenden Leute im Parkett, hinter sich die hin- und herflutende Menge.

Aber Frau von Marelle sah kaum auf die Bühne, sie war nur mit den Mädchen beschäftigt, die hinter ihrem Rücken auf und ab gingen. Sie drehte sich unausgesetzt um, um sie zu sehen, als empfände sie die Lust, sie zu berühren, ihre Kleidung zu betasten, ihre Wangen, ihr Haar anzufassen, um festzustellen, woraus diese Wesen eigentlich gemacht waren.

Sie sagte plötzlich:

– Da ist eine dicke Brünette, die sieht uns fortwährend an. Vorhin dachte ich, sie würde uns anreden. Hast Du sie schon gesehen?

Er antwortete:

– Nein, Du irrst Dich wohl.

Aber er hatte sie längst entdeckt, es war Rahel, die mit wütenden Blicken und ein paar empörte Worte brummend um sie herumstrich.

Duroy hatte sie vorhin gestreift, als er durch die Menge ging und sie hatte ihm "guten Tag" zugeflüstert, indem sie die Augen zukniff, als wollte sie sagen: ich verstehe schon. Aber er hatte nicht darauf reagiert, immer in der Furcht, von der Geliebten bemerkt zu werden und war kalt, mit erhobenem Kopfe und verächtlichem Ausdruck vorübergegangen. Das Mädchen quälte schon eine unbestimmte Eifersucht, und sie kehrte noch einmal zurück, kam wieder dicht an ihm vorbei und sagte etwas lauter:

– Guten Tag, Georg!

Er hatte noch nicht geantwortet. Da hatte sie sich in den Kopf gesetzt, daß er sie erkennen und grüßen sollte, und sie kam nun fortwährend hinter die Loge, den günstigen Moment abzuwarten.

Sobald sie bemerkte, daß Frau von Marelle sie ansah, tippte sie Duroy auf die Schulter:

– Guten Tag, wie geht's?

Aber er drehte sich nicht um.

Sie fragte wieder:

– Nun, Du bist wohl taub geworden seit Donnerstag?

Er antwortete nicht, indem er eine verächtliche Miene aufsetzte, als wollte er sich nicht einmal durch ein Wort mit solchem Frauenzimmer kompromittieren.

Sie fing an wütend zu lachen:

– Du bist wohl stumm geworden! Die Dame hat Dir wohl in die Zunge gebissen.

Er machte eine wütende Gebärde und rief verzweifelt:

– Wer erlaubt Ihnen, mich anzureden! Machen Sie, daß Sie fortkommen, sonst lasse ich Sie festnehmen!

Da brüllte sie mit wütenden Blicken, und ihr schwollen dabei die Adern am Hals:

– Ah, so weht der Wind? Altes Kamel, wenn man mit einem Mädchen geschlafen hat, grüßt man sie wenigstens! Weil Du mit einer andern bist, das ist noch kein Grund, mich heute zu schneiden. Wenn Du mir, als ich vorhin an Dir vorbei kam, wenigstens ein Zeichen gemacht hättest, hätte ich Dich in Ruhe gelassen. Aber Du wolltest stolz sein, mein Alter, das werd' ich Dir eintränken! Was, Du sagst mir nicht mal guten Tag, wenn wir uns begegnen?

Sie hätte noch länger weiter geschrieen, wenn nicht Frau von Marelle die Thür der Loge geöffnet und davon gelaufen wäre, durch die Menge hindurch, indem sie wie verzweifelt nach dem Ausgange stürmte.

Duroy war ihr nachgestürzt und suchte sie einzuholen.

Da heulte Rahel triumphierend:

– Halt die Diebin! Halt die Diebin! Sie hat mir meinen Schatz gestohlen!

Das Publikum lachte und zwei Herren packten die Fliehende im Scherz beim Arm und wollten sie festhalten, indem sie versuchten, sie zu küssen. Aber Duroy hatte sie eingeholt, befreite sie gewaltsam und zog sie auf die Straße.

Sie sprang in eine leere Droschke, die vor dem Hause hielt, er ihr nach, und wie der Kutscher fragte:

– Wohin fahren wir? – rief er:

– Wohin Sie wollen!

Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung auf dem holperigen Pflaster. Clotilde hatte eine Art Nerven-Krise, sie barg das Gesicht in den Händen und schluchzte und stöhnte. Und Duroy wußte nicht, was er sagen sollte.

Endlich stammelte er, als er sie weinen sah:

– Hör' doch mal zu, Clo, meine kleine Clo! Ich will Dir ja alles erklären, ich kann ja nichts dafür. Ich habe das Mädchen früher mal gekannt, ganz im Anfang, vor langer Zeit.

Sie zeigte plötzlich ihr Gesicht und die Wut der verratenen liebenden Frau, eine fürchterliche Wut gab ihr die Sprache wieder und sie stammelte nach Luft ringend in hastigen, abgehackten Sätzen:

– O Du Elender! Elender! Du Lump! Ist's nur möglich! So eine Schmach und Schande! Mein Gott, so eine Schande!

Dann wurde sie immer wütender, je klarer ihr die Sache wurde und jemehr Gründe sie fand:

– Du hast sie wohl mit meinem Gelde bezahlt, und ich gab ihm noch Geld dazu . . . für diese Dirne! Du elender Kerl!

Sie suchte ein paar Sekunden lang irgend ein noch stärkeres Wort, das sie aber nicht fand, und dann rief sie plötzlich mit einer Bewegung, als wollte sie ausspucken:

– Du Schwein! Schwein! Schwein! Mit meinem Gelde hast Du sie bezahlt. Schwein! Schwein!

Sie fand nichts anderes mehr und wiederholte fortwährend:

– Schwein! Schwein!

Plötzlich beugte sie sich aus der Thür heraus, packte den Kutscher am Aermel und rief:

– Halt!

Dann öffnete sie den Wagenschlag und sprang hinaus.

Georg wollte ihr folgen, aber sie rief:

– Ich verbiete Dir, auszusteigen! – so laut, daß die Vorübergehenden sich um sie zu sammeln begannen. Duroy blieb unbeweglich, er fürchtete einen Skandal.

Darauf zog sie ihre Börse aus der Tasche und suchte beim Scheine der Laterne Geld, nahm daraus zwei Franken fünfzig, drückte sie dem Kutscher in die Hand und sagte mit bebender Stimme:

– Da haben Sie Ihr Fahrgeld! Ich bezahle! Nun fahren Sie mal den Lumpen da nach der Rue Boursault in Batignolles.

Allgemeine Heiterkeit erhob sich in der sie umringenden Menge, und ein Herr sagte:

– Bravo Kleine!

Und ein Straßenjunge, der neben den Rädern der Droschke stand, steckte den Kopf in den offenen Wagenschlag und rief laut und scharf:

– Adjeh Sie!

Dann setzte sich der Wagen wieder in Bewegung und allgemeines Gelächter klang hinterher.

 


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