Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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VII

Seit zwei Monaten war Marokko erobert. Frankreich hatte Tanger in Händen und besaß nunmehr die ganze Mittelmeerküste Afrikas bis Tripolis. Die Staatsschuld des neu annektierten Landes war von der französischen Regierung übernommen.

Man sagte, daß dabei zwei Minister über zwanzig Millionen Franken verdient und nannte ganz laut Laroche-Mathieu.

Von Walter aber wußte jeder Mensch in Paris, daß er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatte und an der Anleihe dreißig bis vierzig Millionen verdient, dazu acht bis zehn Millionen an Kupfer- und Eisenminen, sowie an riesigen Länderstrecken, die er vor der Eroberung für ein Butterbrot gekauft, und nach der französischen Okkupation an die Kolonialgesellschaft wieder verkauft hatte.

Im Handumdrehen war er einer der Herren der Welt geworden, einer jener allmächtigen Finanzmänner, die stärker sind als Könige, vor denen Rücken sich krümmen, in deren Gegenwart man nur flüstert und denen gegenüber sich Niedrigkeit, Feigheit und der ganze Neid, der im Menschenherzen schlummert, enthüllt.

Er war nicht mehr der Jude Walter, Chef einer zweifelhaften Bank, Herausgeber eines zweifelhaften Blattes, ein Abgeordneter, den man im Verdacht hatte allerhand faule Sachen zu machen. Er war jetzt Herr Walter, der reiche Israelit.

Und er wollte es zeigen.

Da er die Geldverlegenheiten des Prinzen von Karlsburg kannte, der einen der schönsten Paläste der Straße Faubourg-Saint-Honoré besaß, mit einem Garten nach den Champs-Elysées, schlug er ihm vor, binnen vierundzwanzig Stunden das Grundstück zu kaufen, mit der gesamten Einrichtung, wie es stand und lag, ohne auch nur einen einzigen Stuhl von der Stelle zu rücken. Er bot dafür drei Millionen und der Prinz, den die Höhe der Summe lockte, nahm an.

Am nächsten Tag zog Walter in seine neue Wohnung ein.

Nun kam er auf einen weiteren Gedanken, einen wahren Eroberungsplan von Paris, eine Bonaparte-Idee. Ganz Paris drängte sich gerade dazu, ein großes Gemälde des ungarischen Malers Karl Markowitch zu sehen, das bei dem Kunsthändler Jakob Lenoble ausgestellt war und »Christus wandelt auf dem Meere« darstellte.

Die begeisterten Kunstkritiker machten dieses Bild zum größten Meisterwerk des Jahrhunderts.

Walter kaufte es für eine halbe Million und nahm es aus dem Ausstellungslokal fort, indem er es so dem Strom der Neugierigen entzog und ganz Paris zwang von ihm zu reden, neidisch, tadelnd oder billigend.

Dann ließ er in den Zeitungen verbreiten, daß er alle bekannten Persönlichkeiten der Pariser Gesellschaft einladen werde, um eines Abends das Meisterwerk des fremden Künstlers bei ihm zu bewundern, damit man ihm nicht nachsagen könne, daß er ein Kunstwerk in seinem Palaste eingemauert hätte. Sein Haus stünde offen, es könnte kommen wer wollte, es genüge am Eingang die Einladungskarte vorzuzeigen.

Sie lautete:

»Herr und Frau Walter geben sich die Ehre Sie zu bitten, am 30. Dezember zwischen neun Uhr und Mitternacht bei elektrischer Beleuchtung, das Gemälde ›Christus wandelt auf dem Meer‹ von Karl Markowitch besichtigen zu wollen.«

Darunter stand in der Ecke in ganz kleinen Buchstaben: »Nach Mitternacht wird getanzt.« Wer also bleiben wollte, mochte bleiben, und unter diesen konnten sich dann Walters ihre künftigen Bekannte aussuchen.

Die übrigen würden das Bild, das Haus und die Weiber betrachten, mit gesellschaftlicher Neugier, frech oder gleichgiltig und konnten dann gehen, wie sie gekommen waren. Der alte Walter wußte genau, daß sie sich später schon wieder einfinden würden, wie sie zu seinen Glaubensgenossen, die reich geworden waren wie er, auch gekommen waren.

Zuerst mußten alle Leute von Adel, die in den Zeitungen genannt werden, in sein Haus. Sie würden kommen um zu sehen wie ein Mensch aussieht, der binnen sechs Wochen sechzig Millionen verdient hat, sie würden kommen nur um zu sehen, wer eigentlich auch noch gekommen wäre, und sie würden kommen, da er den Takt und die Geschicklichkeit gehabt hatte, sie einzuladen, bei ihm, dem Sohne Israels, gerade ein Christusbild zu betrachten.

Es war, als sagte er ihnen:

– Ich habe jetzt eine halbe Million für das religiöse Meisterwerk von Karl Markowitsch »Christus wandelt auf dem Meer« gezahlt. Dieses Meisterwerk wird nun immer bei mir, unter meinen Augen, im Hause des Juden Walter bleiben.

In der vornehmen Welt, in der Welt der Herzoginnen und des Jockeyklubs hatte man diese Einladung, die ja übrigens zu nichts verpflichtete, viel besprochen. Man würde dahin gehen, wie man sich Aquarelle bei Herrn Müller oder Schulze ansah.

Walters besaßen ein Meisterwerk, sie öffneten eines Abends die Pforten ihres Hauses, damit alle Welt es bewundern könnte. Weiter nichts!

Seit vierzehn Tagen brachte die ›Vie française‹ jeden Morgen im lokalen Teile eine Notiz über diese Abendgesellschaft am 30. Dezember und suchte die Neugier des Publikums anzufachen.

Du Roy tobte über den Erfolg des Chefs. Er hatte sich für reich gehalten mit der halben Million, die er seiner Frau ausgeführt, und jetzt fand er sich arm, fürchterlich arm wenn er sein Lumpengeld mit dem Millionenregen verglich, der um ihn her niedergeströmt war, ohne daß er etwas davon abgekriegt hätte.

Seine neidische Wut stieg täglich, er war bös auf alle Welt, bös auf Walter, der ihn nicht mehr besucht hatte, auf seine Frau, die, von Laroche betrogen, ihm widerraten hatte, marokkanische Papiere zu kaufen, und vor allen Dingen auf den Minister, der ihn hereingelegt, der sich seiner bedient hatte und zweimal wöchentlich bei ihm aß.

Georg diente ihm als Sekretär, als Agent, als Sprachrohr, und wenn er nach seinem Diktat schrieb, packte ihn die Lust diesen geschniegelten, triumphierenden Fatzke zu erwürgen. Als Minister hatte Laroche mäßigen Erfolg, und um sein Portefeuille zu behalten, ließ er nichts davon ahnen, daß seine Taschen voll waren zum Bersten.

Aber Du Roy roch förmlich dieses Geld in der hochmütigen Sprache des emporgekommenen Advokaten, in seinem unverschämteren Gebahren, in seinen gewagteren Versicherungen, in seinem vollkommenen Selbstvertrauen.

Laroche war jetzt Herr im Hause Du Roy. Er hatte genau die Stelle und die Tage des Grafen Vaudrec eingenommen und redete mit den Dienstboten, als wäre er der zweite Hausherr.

Georg duldete ihn zitternd, wie ein Hund, der beißen möchte und nicht darf. Aber er war oft hart und roh gegen Magdalene, die ihn, achselzuckend, wie ein ungezogenes Kind behandelte. Sie wunderte sich über seine fortgesetzte schlechte Laune und sagte:

– Ich begreife Dich nicht, Du beklagst Dich fortwährend, Du hast doch eine wundervolle Stellung.

Er drehte ihr den Rücken und antwortete nicht.

Er hatte zuerst erklärt, daß er das Fest des Chefs nicht besuchen und keinen Fuß mehr zu diesem dreckigen Juden setzen würde.

Seit zwei Monaten schrieb ihm Frau Walter täglich und bat ihn zu kommen, oder ihr ein Stelldichein zu geben wo er wollte, damit sie ihm wie sie sagte, die siebzigtausend Franken geben könnte, die sie für ihn gewonnen.

Er antwortete nicht und warf ihre verzweifelten Briefe ins Feuer. Nicht etwa, daß er seinen Teil des Gewinnes nicht hätte einstreichen wollen, aber er wollte sie zur Verzweiflung bringen, sie mit Verachtung strafen und unter die Füße treten. Sie war zu reich! Er wollte sich stolz zeigen.

Am Tage, da das Gemälde gezeigt werden sollte, antwortete er, als ihm Magdalene vorstellte, daß es sehr unrecht von ihm wäre, nicht hinzugehen:

– Laß mich ungeschoren, ich bleibe zu Haus.

Dann erklärte er plötzlich nach Tisch:

– Ich muß trotzdem die Schinderei abmachen, zieh Dich schnell an.

Das erwartete sie.

– Ich bin in einer Viertelstunde fertig.

Er zog sich brummend an, und noch in der Droschke beruhigte er sich nicht.

Der innere Hof des Karlsburg-Palais ward von vier elektrischen Kugeln erleuchtet, die aussahen wie vier kleine bleiche Mondscheiben in den vier Ecken. Ein wundervoller Teppich war die Stufen der Freitreppe herab gelegt und auf jeder Stufe stand, steif wie eine Bildsäule, ein Livréebedienter.

Du Roy brummte:

– So ein Trara! – Er zuckte die Achseln, und seine Züge waren ganz verzerrt von Neid.

Seine Frau sprach zu ihm:

– Sei doch still und mache es ihm nach!

Sie traten ein und übergaben ihre schweren Überkleider den Dienern die sie in Empfang nahmen. Ein paar Damen, die mit ihren Männern dastanden, legten ebenfalls die Abendmäntel ab. Man hörte von allen Seiten:

– Es ist prachtvoll, prachtvoll, großartig!

Das enorme Treppenhaus war mit Gobelins behängt, welche die Geschichte von Mars und Venus darstellten. Rechts und links stiegen zwei monumentale Treppen hinauf, die sich im ersten Stock trafen, das Geländer war ein Wunder der Schmiedearbeit, die alte, verblichene Vergoldung glänzte matt längs der Stufen aus rotem Marmor.

Am Eingang zu den Salons überreichten zwei kleine Mädchen, eine in rosa, eine in blau, den Damen Blumensträuße.

Das fand man reizend.

Es waren schon eine Menge Menschen da. Die meisten Damen waren in Straßentoilette erschienen, um damit anzudeuten, daß sie hierher kamen, wie sie in alle Kunstausstellungen zu gehen pflegten. Diejenigen aber, welche zum Tanzen bleiben wollten, waren in ausgeschnittenen Kleidern.

Frau Walter befand sich im zweiten Zimmer, von Freundinnen umgeben, und erwiderte die Grüße der Besucher. Viele kannten sie nicht und gingen spazieren wie in einem Museum, ohne sich um die Wirte zu kümmern.

Als sie Du Roy sah, ward sie bleich und wollte auf ihn zugehen, dann blieb sie unbeweglich stehen und erwartete ihn. Er grüßte sie förmlich, während Magdalene sie mit Aufmerksamkeiten überschüttete.

Da ließ Georg seine Frau bei der des Chefs und verlor sich in der Menge, um die Bosheiten zu hören, die hier sicher fielen.

Fünf Salons folgten einander mit kostbaren Stoffen drapiert, italienischen Stickereien oder orientalischen Teppichen von verschiedenen Farben und Stilen; an den Wanden hingen Bilder alter Meister.

Die meisten Menschen blieben stehen, um ein kleines Zimmer im Stil Louis XVI. zu bewundern, eine Art von Boudoir, das mit mattblauer rosageblümter Seide ausgeschlagen war. Die niedrigen Möbel aus vergoldetem Holz, mit demselben Stoff bezogen wie die Wände, waren wundervoll fein gearbeitet.

Georg sah ein paar bekannte Leute: die Herzogin von Ferracina, Graf und Gräfin Ravenel, General Prinz von Andremont, die wunderschöne Marquise des Dunes, dann das ganze Premièren-Publikum der Theater.

Jemand nahm ihn beim Arm, und eine junge, glücklich klingende Stimme flüsterte ihm ins Ohr:

– Da sind Sie ja endlich, böser Liebling, warum machen Sie sich denn so selten?

Es war Susanne Walter, die ihn unter der leichten Wolke des gelockten Blondhaars mit ihren feinen Schmelzaugen anblickte.

Er war glücklich, sie wieder zu sehen und drückte ihr kameradschaftlich die Hand, dann entschuldigte er sich:

– Ich konnte nicht, ich hatte so viel zu thun, daß ich seit zwei Monaten nicht ausgegangen bin.

Sie antwortete ernst:

– Das ist schlecht von Ihnen, sehr schlecht. Sie machen uns viel Kummer, denn wir mögen Sie beide so gern, Mama und ich. Ich kann ohne Sie gar nicht sein. Wenn Sie nicht da sind, langweile ich mich zum Sterben. Sie sehen, ich sage es Ihnen ganz offen, damit Sie kein Recht haben wieder so zu verschwinden. Geben Sie mir den Arm, ich werde Ihnen selbst den Christus auf dem Meer zeigen. Er hängt ganz hinten, hinter dem Palmengarten, Papa hat ihn dort hinten aufgestellt, damit man durch alle Zimmer muß. Es ist wirklich wundervoll, wie Papa mit dem Palais renommiert.

Sie gingen langsam durch die Menge, alles blickte sich um nach dem schönen Kerl und der reizenden kleinen Puppe. Ein bekannter Maler sagte:

– Da, das ist ein hübsches Paar! Sehr spaßig!

Georg dachte:

»Wenn ich wirklich gerissen gewesen wäre, hätte ich das Mädel geheiratet. Gekonnt hätt' ich's, wie ist's nur möglich daß ich daran nicht gedacht habe? Warum habe ich mich nur von der andern einfangen lassen? Zu dumm. Man handelt immer zu schnell und überlegt sich die Geschichte nicht genug.«

Und der Neid, der bittere Neid, fiel Tropfen auf Tropfen in seine Seele wie Galle, die all sein Glück tötete und ihm sein Leben verekelte.

Susanne sagte:

– Ach bitte, Liebling, kommen Sie ja oft zu uns. Nun, wo Papa so reich ist, wollen wir lauter Tollheiten machen, wir wollen uns amüsieren wie verrückt.

Er antwortete, immer noch in Gedanken:

– Ach Sie werden sich jetzt verheiraten, Sie kriegen irgend einen schönen Prinzen, der ein bißchen ruiniert ist, und wir werden uns kaum mehr sehen.

Aber sie rief mit ehrlichem Ton:

– Nein noch nicht. Ich will einen, der mir gefällt, der mir sehr gefällt, der mir in allem gefällt. Ich habe Geld genug für beide!

Er lächelte ironisch und überlegen und nannte ihr die Leute, die vorüber gingen, vornehme Leute, die ihr verrostetes Wappenschild durch Bankierstöchter wie sie aufgefrischt hatten, und die nun mit ihren Frauen oder fern von ihnen lebten, aber frei, schamlos, bekannt und geachtet.

Er schloß:

– Passen Sie mal auf, in sechs Monaten sind Sie auf so einen reingefallen, dann werden Sie Marquise, Herzogin oder gar Prinzessin sein und mich kaum mehr angucken, mein Fräulein!

Sie war empört und schlug ihm mit dem Fächer auf den Arm indem sie schwur, sich nur nach Neigung zu verheiraten.

Er lachte:

– Das werden wir ja sehen! Sie sind zu reich.

Sie sagte:

– Aber Sie auch, Sie haben ja geerbt!

Er machte eine mitleidige Bewegung:

– Ah bah, davon wollen wir lieber gar nicht reden, kaum zwanzigtausend Franken Rente, was will das heutzutage sagen?

– Aber Ihre Frau hat doch auch geerbt.

– Ja eine Million für beide zusammen. Vierzigtausend Franken Rente, davon können wir uns ja nicht mal Pferd und Wagen halten.

Sie kamen an den letzten Salon, und vor ihnen lag das Palmenhaus, ein großer ausgedehnter Wintergarten voll mächtiger exotischer Bäume die sich über Beeten voll seltener Blumen erhoben. Wenn man unter dieses dunkle Blätterdach trat, über das das Licht wie eine Silberwelle glitt, atmete man die frischlaue Luft nasser Erde ein, einen schweren Hauch verschiedenster Düfte. Es war ein eigentümliches, süßes Gefühl, ungesund und doch reizend, das etwas Gekünsteltes, Entnervendes, Weiches hatte. Man schritt auf Teppichen dahin wie auf Moos, zwischen zwei dichten Gebüschen. Plötzlich bemerkte Du Roy zu seiner Linken, unter einer hohen Palmengruppe ein Bassin von weißem Marmor, in dem man hätte baden können und an dessen Rand vier große Schwäne aus Delfter Porzellan aus den halb geöffneten Schnäbeln Wasser in das Becken spieen.

Der Boden des Bassins war mit Goldstaub bestreut, und es schwammen darin mächtige rote Fische, seltsame chinesische Ungetüme mit Stahlaugen und blau eingefaßten Schuppen, eine Art von Wasser-Mandarinen, die über dem Goldgrund schwebend oder hin und her eilend, die Erinnerung an die seltsamen Stickereien jenes Landes wach riefen.

Der Journalist blieb klopfenden Herzens stehen. Er sagte sich:

»Das nenne ich mal Luxus, in so einem Haus kann man leben. Er hat es fertig gekriegt. Warum ich nicht auch?« Er überlegte wie, sah nicht gleich einen Weg und ward wütend über die eigene Ohnmacht.

Seine Begleiterin sprach nicht mehr, sie war nachdenklich geworden. Er blickte sie von der Seite an und dachte wieder:

»Ich hätte ja bloß diese kleine lebendige Puppe zu heiraten brauchen.«

Aber Susanne schien plötzlich zu erwachen. – Achtung! – sagte sie, drängte Georg durch eine Gruppe, die ihnen im Wege stand und führte ihn dann scharf nach rechts.

Mitten in einem Haine seltsamer Pflanzen, die ihre zitternden Blätter geöffnet, wie Hände mit schmalen Fingern, in die Luft reckten, stand unbeweglich ein Mann auf dem Meer.

Der Eindruck war erstaunlich. Das Bild, dessen Ränder in lebendigem Grün versteckt waren, sah aus wie ein dunkles Loch mit phantastischer Weite.

Man mußte genau hinsehen, um es zu verstehen. Der Rahmen schnitt die Barke in der Mitte durch, auf der, vom fahlen Scheine einer Laterne beleuchtet, sich die Apostel befanden; einer saß auf dem Schiffsrand und ließ das ganze Licht voll auf Jesum fallen, der dort wandelte.

Christus hob den Fuß auf eine Welle, und man sah wie sie sich kräuselte, duckte, glättete und schmiegte unter dem Fuß des Heilandes. Um den Gottmenschen war Dunkel gebreitet, nur die Sterne glitzerten am Himmel.

Die Gesichter der Apostel schienen bei dem matten Schein der Laterne desjenigen, der auf den Herrn deutete, erstarrt wie von plötzlichem Erstaunen.

Das war allerdings das gewaltige erstaunliche Werk eines Meisters, eins jener Bilder, die einen packen und die man Jahre lang nicht vergißt.

Die Leute, die das Bild betrachteten, schwiegen zuerst, dann gingen sie nachdenklich davon und sprachen später nur vom Preis des Bildes.

Du Roy sagte, nachdem er es eine Weile betrachtet hatte:

– Das ist chic, sich so'n Ding kaufen zu können.

Aber als man ihn anstieß, da die hinteren vorwärts drängten um zu sehen, ging er davon, immer noch Susannes kleine Hand, die er leise drückte, im Arm.

Sie fragte:

– Wollen wir ein Glas Sekt trinken? Kommen Sie ans Büffet, dort ist Papa.

Sie schritten langsam wieder durch alle Salons zurück, wo die Menge immer mehr anwuchs, hin und her wogte, sich wie zu Hause fühlend, ein elegantes Publikum wie auf einem öffentlichen Fest.

Georg war es plötzlich, als hörte er eine Stimme sagen:

– Das ist Laroche und Frau Du Roy! – Die Worte trafen sein Ohr wie ein entferntes Geräusch, das der Wind zuträgt. Wo waren die beiden? Er blickte sich nach allen Seiten um und gewahrte in der That seine Frau, die am Arm des Ministers vorüberging. Sie schwatzten leise, intim miteinander und lächelten Auge in Auge getaucht. Es war ihm, als flüsterten die Leute, indem sie das Paar betrachteten, und eine thörichte, rohe Lust stieg in ihm auf, sich auf diese beiden Menschen zu stürzen und sie niederzuschlagen.

Sie machte ihn lächerlich. Er dachte an Forestier. Jetzt hieß es vielleicht: »Du Roy der Gehörnte.« Wer war sie? Eine kleine Abenteurerin, zwar ganz geschickt aber eigentlich ohne jede Bedeutung. Man kam zu ihm, weil man ihn fürchtete, weil man wußte, daß er mächtig war, aber man nahm wohl kein Blatt vor den Mund, wenn man von dieser Journalistenehe redete. Mit dieser Frau würde er nie vorwärts kommen, durch sie hing seinem Hause immer etwas Zweifelhaftes an. Sie würde sich immer kompromittieren mit ihrer ganzen Art und Weise, der man die Intrigantin anmerkte. Sie würde ihm jetzt zur Fessel werden. Ach, wenn er alles geahnt, vorher gewußt hätte! Was für ein kühneres, größeres Spiel hätte er spielen können! Wie konnte er nur so blind sein, das nicht einzusehen?

Sie kamen in das Speisezimmer, einen mächtigen, von Marmorsäulen getragenen Saal, an dessen Wänden alte Gobelins hingen. Walter gewahrte seinen Redakteur, ging ihm entgegen und drückte ihm freudetrunken die Hand:

– Haben Sie alles gesehen? Sag mal Susanne, hast Du ihm alles gezeigt? Diese vornehmen Leute! Nicht wahr Liebling? Haben Sie den Prinzen von Guerche gesehen? Er kam vorhin her, um ein Glas Punsch zu trinken.

Dann stürzte er sich auf Senator Rissolin, der seine ganz betäubte Frau mit sich schleppte, die aufgedonnert war wie in einer Jahrmarktsbude.

Ein Herr grüßte Susanne. Ein großer hagerer Mensch mit blondem Bart, kleiner Glatze und jenem gesellschaftlichen Schliff, den man überall herausfühlt. Georg hörte seinen Namen, Marquis von Cazolles, und er war plötzlich eifersüchtig auf den Mann. Seit wann kannte sie ihn? Gewiß seit sie das viele Geld hatte. Er spekulierte wahrscheinlich auf sie.

Jemand nahm seinen Arm, es war Norbert von Varenne. Der alte Dichter lief, mit seinem fettigen Haar und seinem abgeschabten Frack, müde gleichgiltig umher.

– Das soll nun ein Vergnügen sein! sagte er. Nachher wird getanzt und dann geht's zu Bett und die kleinen Mädchen sind befriedigt. Trinken Sie doch Sekt, der ist ausgezeichnet!

Er ließ sich ein Glas füllen und trank Du Roy, der ein anderes genommen hatte, zu. – Auf den Sieg des Geistes über die Millionen.

Dann fügte er mit weicher Stimme hinzu:

– Sie sind mir bei andern Menschen nicht unangenehm. Ich möchte sie gar nicht haben, aber ich protestiere grundsätzlich.

Georg hörte ihm nicht mehr zu. Er suchte Susanne, die mit dem Marquis Cazolles verschwunden war. Er ließ plötzlich Varenne stehen und machte sich an die Verfolgung des jungen Mädchens.

Ein Gewimmel von Menschen, die etwas trinken wollten, hielt ihn auf, und als er sich endlich durchgewunden hatte, stand er vor dem Ehepaar Marelle.

Die Frau sah er immer, aber dem Mann war er lange nicht begegnet. Herr von Marelle nahm ihn bei beiden Händen:

– Ich danke Ihnen tausendmal, lieber Freund, für den Rat, den Sie mir durch Clotilde gegeben haben. Ich habe mit der marokkanischen Rente gegen hunderttausend Franken gewonnen, die ich Ihnen verdanke. Sie sind wirklich ein kostbarer Freund.

Ein paar Menschen drehten sich nach dieser hübschen eleganten Brünette um. Du Roy antwortete:

– Als Belohnung für diese Gefälligkeit, lieber Freund, bitte ich um Ihre Frau, das heißt um deren Arm. Man muß immer die Ehepaare trennen.

– Sehr recht! Wenn wir uns verlieren, treffen wir uns in einer Stunde an dieser Stelle wieder.

– Einverstanden!

Und die beiden jungen Leute tauchten in der Menge unter, von Marelle gefolgt. Clotilde sagte:

– Solche Glückspilze, diese Walters! Ja, man muß nur das Geschäft verstehen!

Georg antwortete:

– Ach, Leute mit Energie und Willenskraft machen immer ihren Weg, so oder so!

Sie fuhr fort:

– Die beiden Mädchen kriegen mal jedes zwanzig bis dreißig Millionen, und dabei ist Susanne noch hübsch!

Er sagte nichts. Der eigene Gedanke, den ein fremder Mund aussprach, erregte ihn.

Sie hatte Christus auf dem Meere noch nicht gesehen, er schlug vor, sie dorthin zu führen, und sie unterhielten sich damit, von den Leuten möglichst viel Schlechtes zu sagen und sich über Gesichter, die sie nicht kannten, lustig zu machen.

Saint-Potin kam an ihnen vorüber, er trug zahlreiche Orden auf dem Frackaufschlag, das machte ihnen großen Spaß. Ein Botschafter, der nach ihm vorbeikam, hatte eine viel geringere Zahl.

Du Roy sagte:

– Das ist der richtige Salat hier.

Boisrenard, der ihm die Hand drückte, hatte wieder das grün und gelbe Band ins Knopfloch gesteckt, das plötzlich am Tage des Duells bei ihm aufgetaucht war.

Die Vicomtesse von Percemur, mächtig aufgedonnert, sprach in dem kleinen Boudoir im Stil Ludwig XVI. mit einem Herzog.

Georg flüsterte:

– Ein Liebespaar!

Aber als sie durch das Palmenhaus gingen, sah er seine Frau wieder, die, halb versteckt, unter den Blättern der Pflanzen neben Laroche-Mathieu saß, als wollte sie sagen: »Wir haben uns hier ein Stelldichein gegeben in aller Öffentlichkeit, denn wir pfeifen auf das, was die Leute sagen.«

Frau von Marelle erkannte an, daß das Bild Karl Markowitchs schön sei. Sie kehrten zurück; Herrn von Marelle hatten sie verloren.

Georg fragte:

– Ist denn Laurachen immer noch auf mich böse?

– Ja, immer noch. Sie will Dich nicht sehen und wenn man von Dir spricht, läuft sie fort.

Er antwortete nichts. Die plötzliche Feindschaft des kleinen Mädchens that ihm weh und bedrückte ihn.

Als sie durch eine Thür traten, kam ihnen Susanne entgegen und rief:

– Ah, da sind Sie! Nun, Liebling, jetzt lassen wir Sie aber allein, ich muß der schönen Clotilde mein Zimmer zeigen.

Die beiden Damen huschten eilig davon und glitten geschmeidig mit den ihnen eigenen schlangenhaften Bewegungen, sich windend und schlängelnd durch die Menge.

Beinahe im selben Augenblick rief eine Stimme:

– Georg!

Es war Frau Walter. Sie fügte ganz leise hinzu:

– Ach Sie sind fürchterlich grausam! Warum peinigen Sie mich unnütz so sehr? Ich habe Susanne aufgetragen, daß sie die, die mit Ihnen ging, fortlocken sollte, damit ich ein Wort mit Ihnen reden kann. Hören Sie mich an. Ich muß Sie heute abend sprechen oder Sie wissen nicht, wozu ich fähig bin. Gehen Sie ins Palmenhaus, dort ist links eine Thür, die in den Garten führt. Gehen Sie dann die Allee hinunter, geradeaus. Ganz am Ende steht eine Laube, erwarten Sie mich dort in zehn Minuten. Wenn Sie nicht wollen, schwöre ich Ihnen, mache ich Skandal und zwar hier, sofort auf dem Fleck.

Er antwortete von oben herab:

– Gut, in zehn Minuten bin ich dort, wo Sie wollen.

Sie trennten sich, aber Jacques Rival hielt ihn noch auf. Er hatte ihn beim Arm genommen und erzählte ihm, mit aufgeregter Miene, eine Menge Geschichten. Er hatte zweifellos das Büffet gründlich studiert. Endlich konnte ihn Du Roy Herrn von Marelle überlassen, den er in dem einen Thüreingange gefunden. Und er entfloh. Er mußte sich noch in Acht nehmen, daß ihn seine Frau und Laroche-Mathieu nicht sahen. Es gelang ihm, denn sie schienen sehr mit einander beschäftigt zu sein, und er stand im Garten.

Die kalte Luft traf ihn wie ein eisiges Bad und er dachte: »Verflucht, hier erkälte ich mich aber!« Darum band er sich sein Taschentuch, wie eine Kravatte um den Hals.

Vorsichtig schritt er in den Garten hinaus, denn nach dem Heraustreten aus dem hellen Licht der Säle konnte er nur undeutlich sehen.

Er unterschied rechts und links kahle Büsche, deren Äste zitterten. Graue Lichtstreifen fielen durch die Zweige aus den Fenstern des Palais. Er sah mitten auf dem Wege vor sich etwas Weißes, es war Frau Walter, die dort mit bloßem Hals und nackten Armen stand. Sie stammelte mit zitternder Stimme:

– Ah da bist Du! Willst Du mich denn töten?

Er antwortete frech:

– Bitte, bloß kein Drama, oder ich reiße sofort aus.

Sie war ihm um den Hals gefallen und, den Mund nahe dem seinen, flehte sie:

– Was habe ich Dir denn nur gethan? Du benimmst Dich gegen mich unglaublich! Was habe ich Dir nur gethan?

Er versuchte, sie zurück zu stoßen:

– Du hast das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, Deine Haare um meine Knöpfe gewickelt! Das hätte fast einen Bruch mit meiner Frau gegeben.

Sie war ganz erstaunt, schüttelte den Kopf und rief:

– Das ist Deiner Frau ganz gleich. Eine Deiner Geliebten wird Dir wohl eine Szene gemacht haben.

– Ich habe keine Geliebten!

– Aber so laß doch gut sein! Warum kommst Du nie mehr zu mir? Warum willst Du denn nicht einmal, einmal nur in der Woche, bei mir essen? Ich leide Höllenqualen. Ich liebe Dich so, daß ich an nichts anderes denken kann als an Dich. Du stehst überall vor meinen Augen, ich wage ja gar nicht mehr zu reden, weil ich immer fürchte Deinen Namen auszusprechen. Das begreifst Du nicht. Mir ist es, als wäre ich von ein paar Klauen gepackt, in einen Sack genäht, was weiß ich! Der ewige Gedanke an Dich schnürt mir die Kehle zusammen, zerreißt mir die Brust, lähmt mich, daß ich nicht mehr gehen kann, und ich sitze den ganzen Tag wie ein stumpfes Tier da, und immer, immer muß ich an Dich denken!

Er blickte sie erstaunt an, das war nicht mehr das dicke verrückte Frauenzimmer, wie bisher, sondern eine verzweifelnde Frau, die ganz von Sinnen und zu allem fähig war.

Ein unbestimmter Plan stieg in ihm auf. Er antwortete:

– Liebes Kind, die Liebe dauert nicht ewig, man kommt zusammen und geht wieder auseinander, aber wenn das so lange dauert wie zwischen uns, dann wird die Geschichte eine fürchterliche Last. Ich hab's jedenfalls nun satt! Da hast Du die Wahrheit. Aber wenn Du vernünftig sein willst und mich wie einen Freund behandeln, will ich wieder kommen wie früher. Bist Du dazu fähig?

Sie legte beide nackte Arme auf Georgs schwarzen Frack und flüsterte:

– Um Dich nur zu sehen, kann ich alles thun.

– Gut, sagte er, also wir sind Freunde und weiter nichts, abgemacht!

Sie stammelte: – Abgemacht! Aber dann näherte sie ihm nochmals die Lippen:

– Noch einen Kuß, den letzten!

Er wehrte sie leise ab:

– Nein, jetzt müssen wir unsern Vertrag halten.

Sie wandte sich fort, indem sie ihre Thränen abwischte, dann zog sie aus dem Kleid ein Packet Papiere, die sie mit einem rosa Bändchen zusammen gebunden hatte, und gab es Du Roy:

– Hier ist Dein Anteil an den marokkanischen Papieren. Ich freue mich so, daß ich das für Dich gewonnen habe. Aber so nimm es doch!

Aber er wehrte ab:

– Nein, ich nehme das Geld nicht!

Da ward sie bös:

– Aber das darfst Du mir jetzt nicht anthun, es gehört Dir, nur Dir! Wenn Du es nicht nimmst, werfe ich es in die Gosse. Das thust Du mir doch nicht an, Georg.

Er nahm das kleine Packet und ließ es in die Tasche gleiten. – Wir müssen hinein, sagte er. Du kriegst sonst noch eine Lungenentzündung. Sie flüsterte:

– Desto besser, wenn ich doch sterben könnte!

Sie nahm eine seiner Hände, küßte sie leidenschaftlich mit Wut und Verzweiflung und kehrte ins Palais zurück.

Er folgte langsam in Gedanken, dann trat er, den Kopf erhoben, lächelnden Angesichts wieder in das Palmenhaus.

Seine Frau und Laroche waren nicht mehr da. Die Menge nahm ab, es zeigte sich, daß man nicht zum Ball bleiben wollte. Da erblickte er Susanne mit ihrer Schwester Arm in Arm. Sie kamen beide auf ihn zu und baten ihn mit dem Grafen Latour-Yvelin in der ersten Quadrille mit ihnen zu tanzen.

Er war erstaunt:

– Wer ist denn das nun wieder?

Susanne antwortete boshaft:

– Ein neuer Freund meiner Schwester.

Rosa errötete und flüsterte:

– Du bist schlecht, Susanne, der Herr ist ebenso sehr Dein, wie mein Freund.

Der andere lächelte:

– Ah, so! Ich verstehe!

Rosa war böse, wandte ihnen den Rücken und ging davon.

Du Roy nahm freundschaftlich den Arm des jungen Mädchens, das bei ihm geblieben, und sagte mit einschmeichelnder Stimme:

– Hören Sie mal, liebe Kleine, glauben Sie, daß ich Ihr Freund bin?

– Gewiß Liebling.

– Haben Sie Vertrauen zu mir?

– Vollkommen!

– Wissen Sie noch, was ich Ihnen vorhin gesagt habe?

– Was denn?

– Über Ihre Heirat, oder vielmehr über den Mann, den Sie heiraten werden.

– Ja!

– Gut, wollen Sie mir etwas versprechen?

– Ja, was denn?

– Mich jedesmal erst zu fragen, wenn man Sie um Ihre Hand bittet, und niemandem Ihr Jawort zu geben, ehe Sie mich um Rat gefragt haben.

– Ja, das will ich gern thun.

– Aber, das bleibt unter uns, Sie dürfen keinen Ton, weder Ihrem Vater, noch Ihrer Mutter sagen.

– Keinen Ton!

– Ihr Wort?

– Mein Wort!

Rival kam ganz verstört an:

– Gnädiges Fräulein, Ihr Herr Vater verlangt nach Ihnen wegen des Tanzes!

Sie sagte:

– Kommen Sie, Liebling.

Aber er schlug es ab. Er wollte sofort gehen, er mußte allein sein, um nachzudenken. Zuviel verschiedene Dinge stürmten auf ihn ein, und er suchte seine Frau. Nach einiger Zeit entdeckte er sie: sie trank am Büffet mit zwei Herren, die er nicht kannte, eine Tasse Chocolade. Sie stellte ihnen ihren Mann vor, ohne ihm ihre Namen zu nennen.

Nach ein paar Augenblicken fragte er:

– Wollen wir gehen?

– Wenn Du willst.

Sie nahm seinen Arm, und sie kehrten durch die Salons zurück, in denen nur noch wenige Menschen waren.

Sie fragte:

– Wo ist Frau Walter? Ich möchte ihr gern adieu sagen.

– Das ist nicht nötig. Sie würde nur versuchen, uns zum Ball hier zu behalten. Ich habe genug für heute!

– Du hast recht.

Während des ganzen Heimwegs schwiegen sie, aber sobald sie im Schlafzimmer standen, sagte Magdalene lächelnd, bevor sie noch den Schleier abgelegt hatte.

– Weißt Du, daß ich eine Überraschung für Dich habe?

Er brummte schlechter Laune:

– Was denn?

– Rate mal!

– Ach, ich werde mich noch anstrengen.

– Nun, übermorgen ist doch Neujahr.

– Ja!

– Da kommen die Neujahrsgeschenke.

– Jawohl!

– Gut, hier ist Deines, das mir vorhin Laroche gegeben hat.

Und sie reichte ihm eine kleine schwarze Schachtel, die aussah, wie ein Schmuckkästchen. Er öffnete sie gleichgiltig und erblickte darin das Kreuz der Ehrenlegion. Er ward bleich, dann lächelte er und sagte:

– Zehn Millionen wären mir lieber gewesen. Das Ding kostet ihn nicht viel!

Sie hatte einen großen Freudenausbruch erwartet und ärgerte sich über seine Kälte:

– Du bist wirklich unglaublich! Dir macht auch nichts mehr Spaß!

Er antwortete ganz ruhig:

– Der Mann bezahlt nur seine Schulden, und er ist mir noch viel schuldig.

Sie war erstaunt über den Ton, in dem er das sagte:

– Aber, das ist doch sehr viel für Dein Alter.

Er meinte:

– Alles ist nur relativ, ich könnte noch mehr haben.

Er hatte das Kästchen genommen, stellte es geöffnet auf den Kamin und betrachtete ein paar Augenblicke den glänzenden Stern darin, dann schloß er den Deckel, zuckte die Achseln und legte sich zu Bett.

* * *

Der Staatsanzeiger vom 1. Januar brachte in der That die Ernennung des Schriftstellers Prosper Georg Du Roy zum Ritter der Ehrenlegion für außerordentliche Verdienste.

Der Name war in zwei Worten geschrieben, was Georg größere Freude machte, als der Orden selbst.

Eine Stunde, nachdem er die Ernennung gelesen, bekam er einen Brief von Frau Walter, die ihn bat noch am Abend mit seiner Frau bei ihr zu essen, um die Auszeichnung zu feiern. Er zögerte ein paar Minuten, dann warf er die, in vieldeutigen Ausdrücken geschriebenen Zeilen ins Feuer und sagte zu Magdalene:

– Wir essen heute abend bei Walters.

Sie war erstaunt:

– Ich denke, Du willst keinen Fuß mehr dort ins Haus setzen ?

Er murmelte nur:

– Ich bin anderer Ansicht geworden.

Als sie ankamen, war Frau Walter allein im kleinen Boudoir à la Ludwig XIV., dort pflegte sie jetzt ihre näheren Bekannten zu empfangen. Sie war schwarz gekleidet und hatte ihr Haar gepudert, so daß sie sehr gut aussah: von weitem wie eine alte Dame, in der Nähe wie eine junge, und wenn man sie genau musterte, immerhin etwas fürs Auge.

– Haben Sie Trauer? fragte Magdalene.

Sie antwortete betrübt:

– Ja und nein! Ich habe keinen meiner Angehörigen verloren, aber ich bin in ein Alter gekommen, wo man um sein Leben trauert. Heute fange ich damit an, und von heute ab trage ich Trauer im Herzen.

Du Roy dachte: Ob sie dabei bleiben wird?

Beim Essen ging es etwas still zu, nur Susanne schwatzte ununterbrochen. Rosa schien in Gedanken. Der Journalist wurde von allen Seiten beglückwünscht. Nach Tisch schlenderte man schwatzend durch die Salons und dann zum Palmgarten zurück.

Als Du Roy hinter den andern mit der Frau des Chefs ging, hielt sie ihn beim Arm zurück und sagte leise:

– Hören Sie, ich werde nie wieder mit Ihnen davon anfangen. Aber kommen Sie! Sie sehen, ich nenne Sie nicht mehr Du, aber ich kann nicht ohne Sie leben. Sie ahnen nicht, welche Qualen es mir verursacht. Sie stehen mir immer vor Augen, und ich fühle Sie immer vor meinen Augen und in meinem Herzen Tag und Nacht, als hätten Sie mir ein Gift eingegeben, das mich zerfrißt.Ich kann nicht mehr, nein ich kann nicht mehr, ich will gern für Sie nur mehr eine alte Frau sein. Ich habe mein Haar weiß gepudert, um es Ihnen zu beweisen. Aber kommen Sie her, kommen Sie von Zeit zu Zeit zu mir – als Freund.

Sie hatte seine Hand genommen und drückte sie mit aller Kraft, und ihre Nägel gruben sich in sein Fleisch.

Er antwortete ganz ruhig:

– Einverstanden. Es hat auch keinen Zweck davon wieder anzufangen. Sie sehen, ich bin heute sofort gekommen, als Sie geschrieben hatten.

Walter, der mit seinen beiden Töchtern und Magdalene vor ihnen war, erwartete Du Roy beim »Christus wandelt auf dem Meere«. Er sagte lächelnd:

– Denken Sie nur, ich habe gestern meine Frau vor diesem Bilde knieend gefunden, wie in einer Kapelle. Sie betete davor! Ich habe zu sehr gelacht!

Frau Walter antwortete in festem Ton, und aus ihrer Stimme zitterte geheime Bewegung:

– Dieser Christus wird meine Seele retten. Er giebt mir Mut und Kraft jedesmal, wenn ich ihn betrachte.

Und sie flüsterte, indem sie vor dem Heiland stehen blieb, der auf dem Meere wandelte:

– Wie schön! Wie sie ihn fürchten diese Männer und wie sie ihn lieben. Sehen Sie nur seinen Kopf und seine Augen! Wie einfach und doch zugleich übernatürlich.

Susanne rief:

– Er sieht Ihnen ja ähnlich, Liebling! Aber sicher! Wenn Sie einen Vollbart trügen, oder er keinen Bart hätte, wären Sie wirklich zum Verwechseln. Es ist ganz frappant.

Er mußte sich neben das Bild stellen, und in der That fand alles, daß die beiden Gesichter sich ähnelten.

Sie waren erstaunt. Walter fand es sehr sonderbar. Magdalene erklärte lachend, Jesus auf dem Bilde sähe männlicher aus.

Frau Walter blieb unbeweglich und betrachtete mit starren Augen das Antlitz ihres Geliebten neben dem Antlitz Christi, und dabei war sie so weiß geworden wie ihre weißen Haare.

 


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