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Es war ganz dunkel in der kleinen Wohnung in der Rue de Constantinople, denn Georg und Clotilde von Marelle, die sich in der Thür begegnet, waren schnell eingetreten, und sie hatte ihm gesagt, ohne ihm Zeit zu lassen erst ein Licht anzuzünden:
– Also Du heiratest Susanne Walter?
Er bejahte ganz ruhig und fügte hinzu:
– Wußtest Du das nicht?
Sie sagte nochmals, empört und wütend, indem sie sich vor ihn hinstellte:
– Du heiratest Susanne Walter? Das ist zu toll! Das ist zu stark! Seit drei Monaten bist Du nett mit mir, um es mir zu verbergen. Alle Welt weiß es, nur ich nicht. Mein Mann hat es mir gesagt.
Du Roy lachte, aber doch etwas verlegen, und nachdem er seinen Hut auf die Kaminecke gestellt, setzte er sich auf einen Stuhl. Sie blickte ihn scharf an und sagte erregt mit leiser Stimme:
– Du hast diese Geschichte seit Deiner Scheidung vorbereitet, nicht wahr? Und Du hast mich ganz ruhig als Deine Geliebte behalten, um die Zeit auszufüllen. So ein Lump wie Du bist!
Er fragte:
– Wieso denn? Ich hatte eine Frau, die betrog mich. Ich habe sie abgefaßt, die Scheidung durchgesetzt und nun heirate ich eine andere. Giebt es etwas Natürlicheres?
Sie flüsterte zitternd:
– O, was bist Du für ein gerissener gefährlicher Kerl!
– Ach, weißt Du, die Guten sind immer die Dummen!
Aber sie verfolgte ihren Gedankengang:
– Ich hätte die Geschichte von Anfang an merken müssen, aber ich konnte doch nicht ahnen, daß Du so ein Lump wärst.
Er nahm eine ernste Miene an:
– Bitte, mäßige Dich in Deinen Ausdrücken.
Sie empörte sich gegen diese Zurechtweisung:
– Was, ich soll Dich mit Handschuhen anfassen? Du benimmst Dich gegen mich, seitdem ich Dich kenne, wie ein Lump, und ich soll es Dir nicht sagen dürfen? Du betrügst alle Welt, nutzt alle Welt aus, amüsierst Dich wo Du kannst und nimmst Geld woher Du es kriegst! Und ich soll Dich wie einen anständigen Kerl behandeln?
Er stand auf und sagte mit zitternder Stimme:
– Halte den Mund oder ich schmeiße Dich raus!
Sie stotterte:
– Rausschmeißen? Rausschmeißen? Hier, hier Du mich? Du mich? Du? Du?
Sie konnte vor Wut nicht mehr sprechen und schrie ihm endlich, als ob plötzlich die Pforten ihres Zornes gesprengt wären, ins Gesicht:
– Rausschmeißen? Du vergißt, daß ich die Wohnung hier bezahlt habe vom ersten Tage an! Ja, ab und zu hast Du sie wohl mal auf Deine Rechnung genommen, aber wer hat sie gemietet? Wer hat sie behalten? . . . Ich! Und Du willst mich hier rausschmeißen? Halt Du den Mund, Du Taugenichts! Du denkst wohl, ich weiß nicht, wie Du Magdalenen die Hälfte von ihrer Erbschaft gemaust hast! Glaubst Du, ich weiß nicht, daß Du mit Susanne geschlafen hast, um sie zu zwingen, Deine Frau zu werden!
Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie:
– Von der wirst Du nicht sprechen! Das verbiete ich Dir!
Sie rief:
– Du hast mit ihr geschlafen, das weiß ich!
Er hätte alles über sich ergehen lassen, aber diese Lüge brachte ihn in Wut. Bei den Wahrheiten, die sie ihm vorhin ins Gesicht geworfen hatte, hatte er innerlich gezittert vor Empörung, aber diese Unwahrheit über das kleine Mädchen, das seine Frau werden sollte, brachte ihn in solche Wut, daß es ihm in der Hand zuckte, und er rief:
– Schweig still! Nimm Dich in Acht! halt's . . . . .
Und er schüttelte sie wie einen Ast, von dem die Früchte fallen sollen. Sie brüllte, und ihre Frisur ging auf. Mit weit aufgerissenem Munde und ihn wie verrückt anstarrend, rief sie:
– Du hast mit ihr geschlafen!
Er ließ sie los und gab ihr eine solche Ohrfeige, daß sie gegen die Wand taumelte. Aber sie drehte sich um, reckte sich auf den Fußspitzen und schrie nochmals:
– Du hast mit ihr geschlafen!
Da stürzte er sich auf sie, drückte sie unter sich und schlug sie, wie er auf einen Mann eingehauen haben würde.
Sie schwieg plötzlich und fing bei den Schlägen an zu stöhnen, sie bewegte sich nicht mehr. Sie hatte ihr Gesicht in der Ecke versteckt und stieß Klagelaute aus.
Er hörte auf, sie zu schlagen, und ließ von ihr. Dann machte er ein paar Schritte durch das Zimmer, um wieder ruhig zu werden, und kam plötzlich auf einen Gedanken. Er lief ins Schlafzimmer, goß kaltes Wasser in die Waschschale und steckte den Kopf hinein. Dann wusch er sich die Hände und während er sie sich sorgfältig trocknete, kam er zurück um zu sehen, was sie anfinge.
Sie lag noch unbeweglich am Boden und weinte leise.
– Hörst Du bald auf mit flennen?
Sie antwortete nicht. Da blieb er mitten im Zimmer stehen, etwas verlegen und beschämt vor diesem Körper, der da vor ihm ausgestreckt lag.
Dann faßte er plötzlich einen Entschluß, nahm seinen Hut vom Kamin:
– Gute Nacht! Wenn Du soweit bist, kannst Du dem Portier den Schlüssel geben, fällt mir nicht ein zu warten, bis Du wieder geruhst, vernünftig zu sein.
Er ging, schloß die Thür und trat beim Portier ein mit den Worten:
– Die Dame ist geblieben, sie geht später fort. Sagen Sie dem Hausbesitzer, daß ich zum 1. Oktober kündige, heute ist der 16. August, es ist also vor dem Termin.
Mit großen Schritten ging er davon, denn er hatte noch eilige Besorgungen zu machen für seine Hochzeit. Am 20. Oktober sollte sie stattfinden, nachdem die Kammern wieder zusammen getreten, und zwar in der Madeleine. Es war viel geredet worden, aber niemand kannte die Wahrheit. Verschiedene Gerüchte gingen um, man sprach von einer Entführung, aber keiner wußte etwas Gewisses.
Nach dem was die Dienstboten erzählten, hatte Frau Walter, die mit dem zukünftigen Schwiegersohn nicht mehr sprach, an dem Abend, an welchem diese Verbindung beschlossen worden und nachdem sie noch um Mitternacht ihre Tochter ins Kloster gebracht, einen Vergiftungsversuch, gemacht.
Beinahe sterbend hatte man sie gefunden, und sie würde sich wohl nie wieder ganz erholen. Sie sah jetzt aus wie eine alte Frau, ihr Haar wurde ganz grau, und sie ward fromm und ging jeden Sonntag zur Beichte.
In den ersten Tagen des September kündigte die ›Vie française‹ an, daß Baron Du Roy von Cantel ihr Chefredakteur geworden, während Herr Walter Herausgeber blieb.
Und nun wurde eine Menge von bekannten Feuilletonisten, Reportern, politischen Redakteuren, Kunst- und Theaterkritikern angeworben, die man mit der Macht des Geldes den großen, alten, bedeutenden Zeitungen weggekapert.
Jetzt zuckten die alten hochgeachteten Journalisten nicht mehr die Achseln, wenn sie von der ›Vie française‹ sprachen. Der große, schnelle Erfolg hatte die anfängliche Mißachtung der ernsten Schriftsteller überwunden.
Die Hochzeit ihres Chefredakteurs war ein großes Pariser Ereignis, da man in der letzten Zeit viel von Du Roy und von Walters gesprochen hatte. Alle Leute, die in der Rubrik »Aus der Gesellschaft« in den Zeitungen genannt zu werden pflegen, hofften dabei zu sein.
Das Ereignis fand an einem klaren Herbsttage statt. Von acht Uhr morgens ab hatten die Angestellten der Madeleine über die Stufen der Kirche, die die Rue Royale beherrscht, einen breiten, roten Teppich gebreitet, sodaß die Vorübergehenden stehen blieben, denn das zeigte Paris an, daß eine große Hochzeit stattfand.
Die Beamten, die in ihr Bureau gingen, die kleinen Arbeiterinnen, die Kommis, sahen zu und machten sich ihre Gedanken über die reichen Leute, die so viel Geld ausgaben, um sich zu verheiraten.
Gegen zehn Uhr begannen die Neugierigen sich dauernd anzusammeln, ein paar Minuten blieben sie da und hofften, daß es vielleicht gleich losgehen würde. Dann gingen sie wieder fort. Um elf Uhr kam eine Abteilung Schutzleute, ordnete den Verkehr und befahl weiterzugehen, sowie ein paar Leute stehen blieben.
Bald erschienen die ersten Eingeladenen, die gute Plätze haben wollten, um alles ordentlich zu sehen. Sie setzten sich längs des Hauptschiffs an die Ecken.
Allmählich kamen noch andere, Damen mit rauschenden Röcken aus knisternder Seide, würdige Herren, beinahe alle kahlköpfig, mit gesellschaftlicher Korrektheit daherschreitend, die an diesem Ort noch würdevoller als sonst erschienen.
Die Kirche füllte sich langsam. Die Sonne flutete durch die mächtige offene Thür herein und fiel auf die Freunde, die in der vordersten Reihe standen. Im Chor, der etwas dunkel war, sah der Altar mit seinen Kerzen gelb aus, ernst und bleich, dem großen Eingang gegenüber, durch den das helle Licht fiel. Man begrüßte Bekannte, nickte sich zu, fand sich in Gruppen zusammen. Die Schriftsteller, die weniger respektvoll waren als die Leute der Gesellschaft, schwatzten halblaut. Man musterte die Damen.
Norbert von Varenne suchte einen Freund; er entdeckte Jacques Rival in der Mitte der Stuhlreihen und trat nun auf diesen zu mit den Worten:
– Den Gerissenen gehört die Zukunft!
Der andere, der nicht neidisch war, antwortete:
– Um so besser für ihn, er hat seinen Weg gemacht! Und sie erzählten sich, wer alles da wäre.
Rival fragte:
– Wissen Sie, was eigentlich aus seiner Frau geworden ist?
Der Dichter lächelte:
– Ja und nein! Sie lebt sehr zurückgezogen, wie man mir erzählt hat, im Montmartre-Viertel. Aber, . . . es giebt nämlich ein ›Aber‹, . . . ich lese seit einiger Zeit in der ›Feder‹ politische Artikel, die verflucht denen Du Roys und Forestiers ähnlich sehen. Sie sind von einem gewissen Johann Ledol, einem jungen, schönen Kerl, klug, so etwa dieselbe Sorte, wie unser Freund Georg, und der dessen ehemalige Frau kennen gelernt hat. Ich schließe daraus, daß sie die Anfänger liebt und sie ewig lieben wird. Übrigens ist sie reich, Vaudrec und Laroche-Mathieu sind nicht umsonst Hausfreunde gewesen.
Rival erklärte: – Die kleine Magdalene ist gar nicht übel, fein und gerissen. Sie muß intim ganz reizend sein! Aber sag mal, wie kann sich Du Roy denn eigentlich kirchlich trauen lassen, nach einer Scheidung?
Norbert von Varenne antwortete:
– Er kann sich kirchlich trauen lassen, weil er für die Kirche das erste Mal nicht verheiratet war.
– Wieso denn?
– Ja, unser Liebling hat, sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus Sparsamkeit, das Standesamt für ausreichend erachtet, als er Magdalene Forestier heiratete. Die kirchliche Trauung hatte er sich geschenkt, und das bedeutet für unsre heilige Kirche einfach Konkubinat. Infolgedessen ist er für sie heute Junggeselle, und sie feiert seine Hochzeit mit allem Pomp, wozu übrigens der alte Walter tüchtig wird in die Tasche langen müssen.
Das Summen der immer größer werdenden Menge ward vernehmlicher unter der Wölbung, man hörte Stimmen, die fast laut sprachen. Man zeigte sich die Berühmtheiten, die sich sehen ließen und glücklich darüber waren, daß sie gesehen wurden, indem sie ihre zur Schau getragenen Eigentümlichkeiten beibehielten, wie auf allen Festen, auf denen sie, wie sie meinten, unentbehrlich waren und sehr dekorativ wirkten.
Rival begann von neuem:
– Sagen Sie mal, lieber Freund, Sie verkehren doch so viel beim Chef, ist es denn wahr, daß Frau Walter und Du Roy nicht mehr mit einander sprechen?
– Niemals mehr! Sie wollte ihm die Kleine nicht geben, aber er hatte den Vater in den Klauen, wegen all der Leichen, die, wie es scheint, in Marokko ruhen! Er wird wohl dem Alten mit furchtbaren Enthüllungen gedroht haben. Walter hat an Laroche ein warnendes Beispiel gehabt und hat gleich klein beigegeben, aber die Mutter, die eigensinnig ist, wie alle Frauenzimmer, hat geschworen, daß sie nie ein Wort mit ihrem Schwiegersohn sprechen würde. Es ist furchtbar ulkig, die beiden zusammen zu sehen, sie sieht wie eine Bildsäule aus, wie eine Statue der Rache, und er ist sehr verlegen, obgleich er seine Haltung vollkommen bewahrt, denn der Kerl kann sich beherrschen.
Kollegen kamen, ihnen die Hand zu drücken. Es wurde über Politik gesprochen, und dumpf wie ein fernes Meer kam mit den Sonnenstrahlen in die Kirche das Murmeln der Menge, die sich vor dem Portal angesammelt hatte, und das Geräusch stieg in der Wölbung empor über die Auserwählten, die sich in der Kirche drängten.
Plötzlich stieß der Schweizer mit seiner Hellebarde dreimal auf die Steinfliesen. Alles wandte sich um, man hörte Kleider rauschen, Stühle rücken, und die junge Braut erschien, am Arm ihres Vaters, im hellen Licht des Portals.
Sie sah immer noch wie ein Spielzeug aus, eine reizende weiße Puppe mit Orangenblüten im Haar.
Ein paar Augenblicke blieb sie an der Schwelle stehen. Als sie dann die ersten Schritte in das Schiff that, fing die Orgel an zu brausen und kündigte mit gewaltiger eherner Stimme den Eintritt der Braut an.
Mit gesenktem Kopf kam sie daher, aber nicht verlegen, sondern nur sehr bewegt, nett, reizend, wie eine Braut aus dem Puppenkasten. Die Damen lächelten und flüsterten, als sie vorüber kam, die Herren stießen sich an:
– Wundervoll! Reizend!
Herr Walter, der ein wenig bleich war, schritt, die Brille auf der Nase, mit übertriebener Würde einher.
Hinter ihnen folgten vier Brautjungfern, alle vier in rosa gekleidet und alle vier hübsch, wie ein Gefolge hinter der reizenden Königin. Die Brautführer, sorgfältig dem Zweck entsprechend ausgewählt, gingen dahin, als wären sie von einem Ballettmeister eingeübt.
Hinterher kam Frau Walter, vom Vater ihres anderen Schwiegersohns, dem zweiundsiebzigjährigen Marquis Latour-Yvelin geführt. Sie ging nicht, sie schleppte sich, als wollte sie bei jedem Schritt ohnmächtig werden. Man fühlte, wie ihre Füße an den Fliesen klebten, daß ihre Beine nicht vorwärts wollten, daß ihr Herz in der Brust flatterte, wie ein Vogel, der dem Käfig zu entfliehen strebt.
Sie war mager gewurden, ihre weißen Haare machten ihr Gesicht noch fahler und eingefallener. Sie blickte vor sich hin, um niemand zu sehen, vielleicht, um nur an das denken zu können, was sie quälte.
Dann erschien Georg Du Roy mit einer alten Dame, die man nicht kannte.
Er ging erhobenen Hauptes, indem er seine starren, harten Blicke unter den leichtgerunzelten Brauen nicht zur Seite wandte; sein Bart schien wie in Erregung sich auf der Lippe zu sträuben. Man fand, daß er ein sehr schöner Kerl sei, stolz, schneidig mit seiner schlanken Figur. Der Frack stand ihm gut, auf dem wie ein Blutstropfen das kleine rote Band der Ehrenlegion prangte.
Dann folgten die Verwandten, Rosa mit dem Senator Rissolin. Rosa war seit sechs Wochen verheiratet. Dann der Graf Latour-Yvelin, der die Vicomtesse Percemur führte.
Darauf kamen in bunter Reihenfolge die Bekannten und Freunde von Du Roy, die er in seiner neuen Familie eingeführt, in der zweifelhaften Pariser Welt bekannte Leute jener Sorte, die überall gleich intim ist. Und dann zum heutigen Fest entfernte Vettern der reichen Protzen, declassierte Edelleute, ruinierte, nicht ganz reinliche Leute, von denen einzelne, was erst gar schlimm, verheiratet waren, als da waren Herr von Belvigne, Marquis von Banjolin, Graf und Gräfin Ravenel, der Herzog von Ramorano, Prinz Kravalow, Ritter von Valreali, dann die Gäste Walters, der Prinz von Guerche, Herzog und Herzogin von Ferracina, die schöne Marquise des Dunes. Unter dieser Menge sahen ein paar Verwandte der Frau Walter wie anständige Provinzler aus.
Und immer tönte die Orgel und schickte durch die gewaltige Kirche aus ihren glänzenden Kehlen ihre rauschenden, rythmischen Klänge, die zum Himmel empor Glück und Leid der Menschen rufen.
Die großen Flügel des Portals wurden geschlossen, und plötzlich ward es dunkel, als hätte man die Sonne ausgesperrt.
Nun kniete Georg neben seiner Frau am Chor dem kerzenflammenden Altar gegenüber. Aus der Sakristei trat der neue Bischof von Tanger, die Bischofsmütze auf dem Kopf, den Krumm-Stab in der Hand, um das Paar im Namen des Allmächtigen zusammenzugeben.
Er stellte die üblichen Fragen, wechselte die Ringe, sprach die Worte, die gleich Ketten binden, und hielt dann an die Neuvermählten eine christliche Ansprache. Er redete lange von der Treue, in schwungvollen Ausdrücken. Er war ein starker hochgewachsener Mann, einer jener schönen Kirchenfürsten, bei denen die Leibesfülle etwas Majestätisches hat.
Ein lautes Schluchzen klang, und man drehte sich herum. Frau Walter weinte, das Gesicht in den Händen.
Sie hatte nachgeben müssen, was sollte sie thun? Aber seit dem Tage, wo sie ihre zurückgekehrte Tochter aus dem Zimmer gejagt und sich geweigert hatte, sie zu umarmen, seit dem Tage, an dem sie ganz leise zu Du Roy gesagt, der sie, als er wieder vor ihr erschien, feierlich grüßte: »Sie sind das verächtlichste Individuum, das ich kenne, sprechen Sie nie mit mir, denn ich werde Ihnen nicht antworten,« litt sie fürchterliche, nie sich besänftigende Qualen. Sie haßte Susanne mit wütendem Haß, entstanden halb aus verzweifelter Leidenschaft, halb aus herzzerreißender Eifersucht, der seltsamen Eifersucht der Mutter und der Geliebten, einer Eifersucht, die sie nie gestehen durfte, die aber brannte, wie eine offene Wunde.
Und hier segnete ein Bischof den Bund ihrer Tochter mit ihrem Geliebten, in einer Kirche vor zweitausend Menschen und vor ihr. Und sie konnte nichts sagen, sie konnte es nicht hindern, sie konnte nicht schreien: »Dieser Mann gehört mir, er ist mein Geliebter. Dieser Bund, den Sie segnen, ist eine Todsünde!«
Ein paar Damen waren bewegt und flüsterten:
– Wie die arme Mutter ergriffen ist!
Der Bischof predigte:
– Sie gehören zu den Glücklichsten der Erde, zu den Reichsten und Angesehensten. Sie, junger Gatte, den sein Talent über die andern erhebt, Sie, der sie schreiben, lehren, beraten, der Sie das Volk leiten, Sie haben eine erhabene Mission zu erfüllen, ein wundervolles Beispiel zu geben . . .
Du Roy hörte ihm zu, ganz trunken von Ehrgeiz. Das sprach zu ihm ein Würdenträger der römischen Kirche, zu ihm! Und er fühlte hinter seinem Rücken die Menge, eine große, auserlesene Gesellschaft, die nur für ihn gekommen war, und es war ihm, als höbe und trüge ihn eine besondere Kraft. Er wurde einer der Herren der Erde! Er! Er! Der Sohn der armen Bauern aus Canteleu.
Er sah sie plötzlich vor sich in ihrer bescheidenen Kneipe, oben auf der Höhe über dem großen Thal von Rouen, Vater und Mutter, wie sie den Bauern zu trinken brachten.
Als er die Erbschaft vom Grafen Vaudrec gemacht, hatte er ihnen fünftausend Franken geschickt, jetzt wollte er ihnen fünfzigtausend schicken, dann könnten sie sich ein kleines Gut kaufen und würden zufrieden und glücklich leben.
Der Bischof hatte seine Ansprache beendet. Ein Priester in vergoldeter Stola stieg zum Altar hinan, und die Orgel fing wieder an zur Ehre des jungen Paares zu spielen.
Ab und zu erbrauste sie in langen gewaltigen Tönen, anschwellend wie Wogen, so voll und stark, daß man meinte, sie hätten das Dach der Kirche heben müssen, um in den blauen Himmel hinaus zu strömen. Ihr Brausen erfüllte die ganze Kirche, daß Leib und Seele bebten, aber plötzlich ward sie ruhig, zarte und heitere Töne drangen durch die Luft und trafen das Ohr wie ein leichter Hauch. Es waren Scherzos, verschiedenartige hüpfende Melodien, die wie kleine Vögelchen umherflatterten, und plötzlich schwoll diese Musik wieder, ward an Kraft und Fülle fast erschreckend, als ob ein Sandkorn zum Erdball geworden sei.
Dann erhoben sich mit einem Mal Menschenstimmen über den gesenkten Köpfen. Bauri und Landeck von der großen Oper sangen, der Weihrauchduft verbreitete sich, und am Altar ward der Gottesdienst beendet. Der Gottmensch stieg auf den Ruf seines Dieners zur Erde herab, um zu segnen den Triumph des Barons Georg Du Roy.
Der Liebling, der neben Susanne kniete, hatte den Kopf gesenkt, in diesem Augenblicke fühlte er sich fast gläubig, fast religiös, voll Dankbarkeit gegen die Gottheit, die ihn so in ihren Schutz genommen und ihn so gnädig geführt; und ohne recht zu wissen, zu wem er betete, dankte er ihr dafür.
Als der Gottesdienst vorüber war, erhob er sich, gab seiner Frau den Arm und ging in die Sakristei. Dort begann die unendliche Gratulationscour der Teilnehmer. Georg war vor Freude wie von Sinnen, er kam sich wie ein König vor, dem sein Volk zujubelte. Er drückte die Hände, stammelte Worte, die gar nichts bedeuteten und antwortete immer nur auf alle Artigkeiten:
– Sehr liebenswürdig!
Plötzlich gewahrte er Frau von Marelle, und die Erinnerung an all die Küsse, die er ihr gegeben und die sie erwidert, der Gedanke an alle ihre Zärtlichkeiten, an ihre nette Art, an den Klang ihrer Stimme erweckte in ihm plötzlich wieder die Sehnsucht nach ihr. Sie war hübsch, elegant, mit ihrer jungenhaften Art und ihren lebhaften Augen, und Georg dachte: Sie ist doch ein reizendes Liebchen.
Etwas verlegen, etwas zurückhaltend, näherte sie sich ihm und reichte ihm die Hand. Er nahm sie und behielt sie in der seinen. Da fühlte er den leisen Druck dieser Frauenhand, den süßen Druck, der verzeiht und wieder in Besitz nimmt, und auch er drückte wieder diese kleine Hand als wollte er sagen:
– Ich liebe Dich noch immer, ich bin Dein!
Lächelnd, glänzend, liebevoll trafen sich ihre Augen. Sie flüsterte mit ihrer süßen Stimme:
– Auf Wiedersehen, Herr Du Roy!
Er antwortete heiter:
– Auf Wiedersehen, gnädige Frau!
Und sie ging davon.
Andere Personen traten heran, die Menge in der Sakristei floß dahin wie ein Strom, endlich ward sie geringer, die letzten Teilnehmer gingen davon.
Georg reichte wieder Susanne den Arm, um durch die Kirche zurück zu schreiten. Sie war voll Menschen, denn alle waren wieder auf ihre Plätze zurückgekehrt, um das junge Paar zu sehen. Er ging langsam, mit ruhigen Schritten, erhobenen Kopfes, die Blicke auf das weite, sonnenlachende Portal hinaus gerichtet. Er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Leib lief, jener Schauer, den unendliches Glück erzeugt; er sah keinen Menschen. Er dachte nur an sich selbst.
Als er auf die Schwelle trat, gewahrte er vor sich die dunkle lärmende Menge, die hier zusammengeströmt war, ihn, Georg Du Roy zu sehn. Das Volk von Paris betrachtete und beneidete ihn.
Als er dann aufblickte, entdeckte er dort hinten, über dem Konkordienplatz das Abgeordnetenhaus, und ihm war es, als könnte er einen Sprung thun, vom Portal der Madeleine bis zum Portal des Palais Bourbon.
Langsam schritt er die Stufen der Rampe, zwischen zwei dichten Reihen von Zuschauern, herab. Aber er sah sie nicht; seine Gedanken irrten jetzt zurück, und vor seinen durch die strahlende Sonne geblendeten Augen erschien das Bild der Frau von Marelle, wie sie vor dem Spiegel die kleinen gebrannten Härchen an den Schläfen zurecht zupfte, die immer in Unordnung waren, wenn sie sich vom gemeinsamen Lager erhob.