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Als Du Roy am nächsten Tag auf die Redaktion kam, suchte er zuerst Boisrenard auf.
– Lieber Freund, sagte er, ich muß Dich um einen großen Dienst bitten. Seit einiger Zeit hält man es für einen guten Witz mich Forestier zu nennen, mir kommt das jetzt bald albern vor. Willst Du so gut sein und den Kollegen so ganz unter der Hand mitteilen, daß ich dem ersten, der sich diesen Scherz wieder erlauben sollte, ein paar runter haue; sie mögen sich überlegen, ob dieser dumme Witz ein Duell wert ist. Ich wende mich an Dich, denn Du bist ein gesetzter Mann, der vielleicht ärgerliche Folgen verhindern kann, und weil Du damals mein Zeuge gewesen bist.
Boisrenard übernahm die Angelegenheit.
Du Roy ging davon, um Besorgungen zu machen, eine Stunde später kam er zurück. Kein Mensch nannte ihn Forestier.
Als er heimkehrte, hörte er Frauenstimmen im Salon. Er fragte:
– Wer is denn da?
Der Diener antwortete:
– Frau Walter und Frau von Marelle.
Das Herz klopfte ihm doch ein wenig, aber dann sagte er zu sich: »Ach was!« und öffnete die Thür.
Clotilde stand an der Kaminecke, ein Lichtstrahl vom Fenster beschien sie.
Es war Georg, als erbleiche sie ein wenig, als sie ihn sah. Nachdem er zuerst Frau Walter und ihre beiden Töchter, die wie zwei Schildwachen neben der Mutter saßen, begrüßt, wandte er sich an seine ehemalige Geliebte. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie und drückte sie bedeutungsvoll, als wollte er sagen: Ich liebe Dich noch immer. Ihre Hand erwiderte den Druck.
Er fragte:
– Ist es Ihnen wohlergangen während dieses Jahrhunderts, daß wir uns nicht gesehen haben?
Sie antwortete unbefangen:
– Gewiß, und Ihnen, Liebling?
Dann wandte sie sich an Magdalene und fügte hinzu:
– Du erlaubst doch, daß ich ihn noch Liebling nenne?
– Natürlich, meine Liebe, ich erlaube alles, was Du willst.
Eine leichte Ironie klang aus diesen Worten.
Frau Walter sprach von einem Fest, das Jacques Rival in seiner Junggesellenwohnung geben wollte, eine große Fechtvorführung, der Damen der Gesellschaft beiwohnen würden. Sie sagte:
– Es wird sehr interessant werden, aber ich bin unglücklich, ich habe, da mein Mann verhindert ist, keinen Herrn der uns begleiten könnte.
Du Roy erbot sich sofort dazu. Sie nahm an. – Wir werden Ihnen sehr dankbar dafür sein, meine Töchter und ich.
Er sah sich das jüngste Fräulein Walter an und dachte: »Die ist gar nicht so übel, die kleine Susanne, gar nicht übel.« Sie sah wie eine zarte blonde Puppe aus. Zu klein, aber zierlich, mit schlanker Taille, schmalen Hüften und zarter Büste, eine Nippesfigur. Sie hatte graublaue Schmelzaugen, wie gemalt von der Hand eines peinlich sorgfältigen Miniaturmalers, zu weiße, zu glatte, sammetgleiche Haut ohne Fehler und ohne Färbung, und absichtlich zerzaustes, aufgebauschtes Haar, duftig wie eine Wolke, ähnlich der Haartracht hübscher kostbarer Puppen, wie man sie manchmal auf dem Arm kleiner Mädchen sieht, die nicht einmal so groß sind wie ihr Spielzeug.
Die ältere Schwester Rosa war häßlich, platt und nichtssagend, eines jener Mädchen, das man gar nicht bemerkt, mit dem man nicht redet und von dem man nicht spricht.
Die Mutter erhob sich und wandte sich zu Georg:
– Also für nächsten Donnerstag um zwei Uhr kann ich auf Sie zählen?
Er antwortete:
– Ich stehe zu Ihren Befehlen, gnädige Frau.
Sobald sie fort war, erhob sich auch Frau von Marelle:
Und nun gab sie ihm die Hand und drückte sie stark und lange.
Durch dies stillschweigende Bekenntnis fühlte er sich sehr erregt, und eine plötzliche Neigung für dieses kleine zigeunerhafte gutmütige Frauchen, das ihn vielleicht wirklich liebte, flammte wieder in ihm auf.
»Ich besuche sie morgen,« dachte er.
Sobald er mit seiner Frau allein war, fing Magdalene an zu lachen, offen und heiter, und blickte ihn an:
– Weißt Du, daß Du auf Frau Walter Eindruck gemacht hast.
Er antwortete ungläubig:
– Ach nee!
– Sicher! Sie hat mir von Dir gesprochen, mit einer ganz närrischen Begeisterung. Es ist ganz eigen von ihr! Sie möchte für ihre Töchter zwei Männer finden, wie Dich. Glücklicherweise haben diese Sachen bei ihr keine Bedeutung.
Er begriff nicht was sie sagen wollte:
– Wieso keine Bedeutung?
Sie antwortete mit der Überzeugung einer Frau, die ihrer Sache sicher ist:
– Ach Frau Walter ist eine von denen, der man nie hat etwas nachsagen können, aber niemals, niemals! Sie ist tadellos in jeder Beziehung. Ihren Mann kennst Du ja, so gut wie ich. Aber sie, das ist etwas anderes. Gelitten hat sie genug darunter, daß sie einen Juden geheiratet hat, aber sie ist ihm treu geblieben, sie ist eine anständige Frau.
Du Roy war erstaunt:
– Ich dachte, sie sei auch Jüdin.
– Die? Nein, durchaus nicht! Sie ist Protektorin von allen Wohlthätigkeitseinrichtungen der Madeleine-Gemeinde, sie ist sogar kirchlich getraut. Ich weiß nicht, ob der Chef sich hat zum Schein taufen lassen, oder ob die Kirche ein Auge zugedrückt hat.
Georg brummte:
– Also, bei ihr habe ich einen Stein im Brett?
– Unbedingt! Vollkommen! Wenn Du nicht gebunden wärst, würde ich Dir raten um . . . Susanne anzuhalten. Susanne doch eher als Rosa, nicht wahr?
Er antwortete und wirbelte sich den Schnurrbart auf:
– Na, die Mutter lebt am Ende auch noch.
Aber Magdalene wurde ungeduldig:
– Weißt Du, lieber Sohn, die Mutter wünsche ich Dir, aber ich habe weiter keine Angst, in der ihrem Alter thut man nicht seinen ersten Fehltritt, das müßte früher kommen.
Georg dachte nach: »Wenn es wirklich so wäre, daß ich hätte Susanne bekommen können.«
Dann zuckte er die Achsel: »Ach das ist ja verrückt, der Vater hätte sie mir ja gar nicht gegeben.« Jedenfalls nahm er sich aber vor, das Benehmen der Frau Walter gegen ihn genauer zu beobachten, ohne übrigens darnach zu fragen, ob es ihm einmal Vorteil bringen könne.
Den ganzen Abend peinigten ihn allerlei Erinnerungen an sein Verhältnis mit Clotilde, zarte und sinnliche Gedanken zugleich. Er dachte an ihr lustiges Wesen, an ihr niedliches Gethue, ihre tollen Streiche und sagte sich: »Sie ist wirklich reizend. Ich besuche sie morgen.«
Sobald er am nächsten Tage gefrühstückt hatte, ging er wirklich zur Rue de Verneuil. Das Mädchen öffnete ihm die Thür und fragte familiär wie die Dienstboten bei kleinen Leuten:
– Ach, wie geht's Ihnen denn?
Er antwortete:
– O mir geht es gut, mein Kind!
Und er trat in den Salon, wo eine ungeschickte Hand auf dem Klavier Tonleitern übte. Es war Laurachen. Er meinte, sie würde ihm um den Hals fallen, sie stand ernst auf und grüßte förmlich wie eine Erwachsene, um sich dann würdig zurückzuziehen.
Sie machte den Eindruck einer beleidigten Frau, sodaß er ganz erstaunt war. Ihre Mutter trat ein; er nahm ihre Hände und küßte sie.
– Ich habe so viel an Sie gedacht, sagte er.
– Und ich! antwortete sie.
Sie setzten sich, sie lächelten sich an, Auge in Auge, und hatten große Lust sich zu küssen:
– Meine liebe kleine Clotilde, ich habe Dich so lieb!
– Und ich Dich auch!
– Du bist mir also nicht zu böse gewesen?
– Ja und nein. Es war mir sehr schmerzlich, dann aber habe ich Deine Gründe eingesehen und mir gesagt: Ach eines Tages kommt er doch zu mir zurück!
– Ich wagte es nicht, wieder zu kommen; ich fragte mich, wie Du mich empfangen würdest. Ich wagte es nicht, aber ich hatte riesige Lust. Übrigens, was hat denn Laurachen? Sie hat mir kaum guten Morgen gesagt und lief wütend davon.
– Ich weiß nicht, aber seit Du verheiratet bist, darf man nicht mehr von Dir sprechen. Ich glaube wahrhaftig, sie ist eifersüchtig.
– Ach was?
– Ja ganz gewiß! Sie nennt Dich nicht mehr Liebling, sie nennt Dich: Herr Forestier.
Du Roy ward rot, dann näherte er sich der jungen Frau:
– Laß mich Deinen Mund küssen!
Sie beugte sich zu ihm.
– Wo können wir uns wiedersehen? fragte er.
– Nun . . . Rue de Constantinople.
– Ach . . . ist denn die Wohnung nicht vermietet?
– Nein, ich habe sie behalten.
– Du hast sie behalten?
– Ja, ich dachte mir, Du würdest wiederkommen.
Eine stolze Freude schwellte ihm die Brust. Diese da liebte ihn also, mit echter, standhafter, tiefer Liebe. Er flüsterte:
– Ich habe Dich so lieb!
Dann fragte er:
– Wie geht es Deinem Mann?
– Sehr gut! Er ist eben vier Wochen hier gewesen, und seit vorgestern fort.
Du Roy mußte lachen:
– Wie das gut klappt.
Sie antwortete naiv:
– Ja es trifft sich gut, aber er stört auch nicht, wenn er hier ist. Das weißt Du doch!
– Das ist wahr! Übrigens ein reizender Mann.
– Und wie hast Du Dich denn eingelebt? fragte sie.
– Es geht! Meine Frau ist ein Kamerad und ein Verbündeter!
– Mehr nicht?
– Mehr nicht. Ihr Herz . . . . .
– Ich versteh schon, aber sie ist doch hübsch!
– Ja, aber sie regt mich nicht auf.
Er näherte sich Clotilde und flüsterte:
– Wann sehen wir uns wieder?
– Nun . . . wann Du willst . . . morgen!
– Ja, morgen, um zwei Uhr.
– Um zwei!
Er stand auf, um zu gehen, und dann stammelte er etwas verlegen:
– Weißt Du, ich will die Wohnung Rue de Constantinople auf meine Rechnung nehmen. Ich will es. Das geht nicht, daß Du das zahlst.
Mit einem plötzlichen Gefühl, als betete sie ihn an, küßte sie ihm die Hand und flüsterte:
– Thue was Du willst, ich habe sie wenigstens behalten, bis wir uns wiedersahen.
Und Du Roy ging befriedigt davon.
Als er bei einem Photographen vorüber kam, sah er im Schaufenster das Bild einer stattlichen Frau mit großen Augen, das ihn an Frau Walter erinnerte. »Na, jedenfalls,« dachte er, »ist die gar nicht so übel. Wie kommt es nur, daß ich noch nicht auf sie geachtet habe. Ich bin doch neugierig, wie sie Donnerstag gegen mich sein wird.«
Er rieb sich die Hände, während er dahin ging mit tiefinnerster Freude, der Freude über seine Erfolge auf der ganzen Linie, der egoistischen Freude des geschickten Mannes der seinen Weg macht, der delikaten Freude, die Frauenliebe in uns erregt, die Folge geschmeichelter Eitelkeit und befriedigter Sinnlichkeit.
Als der Donnerstag gekommen war, fragte er Magdalene:
– Gehst Du nicht zur Fecht-Vorstellung bei Rival?
Sie antwortete:
– Ach nein, das macht mir keine Freude. Ich gehe in's Abgeordnetenhaus.
Im offenen Landauer, denn es war wunderschönes Wetter, holte er Frau Walter ab. Er war ganz erstaunt als er sie sah, so schön und jung fand er sie. Sie trug ein helles Kleid, dessen halber Ausschnitt unter gelben Spitzen die Rundung der Brust verriet. Noch nie war sie ihm so frisch erschienen, er fand sie wirklich begehrenswert. Sie hatte ihre gewöhnliche, vornehme Gelassenheit. Das sichere ruhige Benehmen der »Mama«, über die achtlos die galanten Blicke der Männer hinweggleiten. Wenn sie sprach, sagte sie nur Dinge die man wußte, die Gemeingut waren, sehr vernünftig, methodisch, geordnet, ohne irgend etwas Außergewöhnliches.
Ihre Tochter Susanne sah in ihrem rosa Kleid wie ein frischgefirnißtes Gemälde von Watteau aus, und die ältere Schwester machte den Eindruck, als wäre sie die Erzieherin, die diesem reizenden kleinen Mädchen Gesellschaft leisten sollte.
Vor der Thür Rivals stand schon eine lange Reihe Wagen.
Du Roy bot Frau Walter den Arm, und sie traten ein. Die Fechtvorführung sollte zu Gunsten der Waisen des sechsten Pariser Armenbezirks stattfinden, unter dem Patronat der Gattinnen aller Senatoren und Abgeordneten, die zur ›Vie française‹ Beziehungen unterhielten.
Frau Walter hatte versprochen mit ihren Töchtern zu kommen, es jedoch abgelehnt Patronatsdame zu sein, weil sie ihren Namen nur von der Kirche veranstalteten Wohlthätigkeitsvorstellungen zur Verfügung stellte, nicht etwa weil sie sehr fromm gewesen wäre, sondern weil sie glaubte, daß ihre Ehe mit einem Juden sie zu einer gewissen religiösen Haltung zwänge. Das Fest, das der Journalist veranstaltete, hatte mehr einen republikanischen Anstrich, den man für antiklerikal hätte deuten können.
Seit drei Wochen stand in den Blättern aller Richtungen zu lesen:
»Unser berühmter Kollege Jacques Rival hat den ebenso geistreichen wie edelmütigen Gedanken gehabt, zu Gunsten der Waisen des sechsten Armenbezirks eine große Fechtaufführung in seinem reizenden Fechtsaale, der zu seiner Junggesellenwohnung gehört, abzuhalten.
Die Einladungen sind unterzeichnet von den Damen Laloigue, Remoutel, Rissolin, den Gattinnen der gleichnamigen Senatoren, und von den Damen Laroche-Mathieu, Percerol, Firmin, den Gattinnen der bekannten Abgeordneten. Während der Pausen zwischen den Übungen wird eine einfache Kollekte veranstaltet und die eingegangene Summe sofort dem Vorsteher des sechsten Bezirkes oder seinem Stellvertreter übergeben werden.«
Das war eine Riesenreklame, die der geschickte Journalist für sich ausgedacht hatte.
Jacques Rival empfing die Angekommenen an der Thür, wo ein Büffet errichtet worden war, dessen Kosten von der Einnahme abgezogen werden sollten.
Dann deutete er mit liebenswürdiger Handbewegung auf die kleine Treppe, die in den Keller führte, wo Fechtsaal und Schießstand eingerichtet waren, und sagte dabei:
– Unten meine Damen, unten. Die Vorstellung findet in den unten gelegenen Räumen statt.
Der Frau seines Chefs lief er entgegen und du Roy drückte er die Hand:
– Guten Tag, Liebling.
Jener war erstaunt:
– Wer hat Ihnen denn gesagt, daß . . . .
Rival schnitt ihm das Wort ab:
– Bitte, hier Frau Walter, die diesen Spitznamen reizend findet.
Frau Walter wurde rot:
– Ja, ich gestehe, daß wenn ich Sie genauer kennte, ich es wagen würde, wie die kleine Laura, Sie auch Liebling zu nennen, das paßt so gut für Sie.
Du Roy lachte:
– Aber bitte, gnädige Frau, thun Sie es doch.
Sie schlug die Augen nieder:
– Nein, wir kennen uns nicht genau genug.
Er murmelte:
– Darf ich hoffen, daß wir uns näher kennen lernen?
– Nun wir werden sehen, sagte sie.
Er wandte sich dem Eingang der engen Treppe zu, die durch eine Gasflamme erleuchtet ward; der plötzliche Übergang der Tageshelle zum gelben Licht dort hatte etwas Unheimliches. Ein dumpfer Kellergeruch stieg die Wendeltreppe herauf, ein Geruch von feuchter Wärme, von modrigen Wänden, die zur heutigen Gelegenheit abgewischt worden waren, und dicker Weihrauchduft, der an die Kirche gemahnte, mit allerlei weiblichen Parfüms, Iris, Veilchen, Eisenkraut vermischt.
In dem Loch unten hörte man Stimmengewirr und das Brausen einer hin und her flutenden Menschenmenge.
Der ganze Keller war durch Gaskandelaber und Papierlaternen erleuchtet, zwischen Laubgewinden mit denen die Mauern verdeckt worden; man sah nur Zweige, die Decke war mit Farrenkräutern garniert und der Boden mit Blättern und Blumen bestreut. Das fand man reizend und köstlich ausgedacht. In dem kleinen Loch hinten war für die Kämpfer eine Estrade erbaut, mit Sitzen für die Preisrichter. Zehn Reihen Bänke rechts, zehn links, boten etwa für zweihundert Personen Platz. Vierhundert waren eingeladen.
Vor der Estrade zeigten sich junge Leute den Zuschauern in Fechteranzügen, mager, mit schlanken Gliedern und geschmeidigem Oberkörper, den Schnurrbart aufgewirbelt.
Man nannte sich ihre Namen, bezeichnete die berufsmäßigen Fechter und die Amateure, alle Berühmtheiten der Fechtkunst. Um sie herum standen, sich unterhaltend, junge und alte Herren im Gehrock, die mit den kostümierten Fechtern eine gewisse Familienähnlichkeit hatten. Auch sie wollten gesehen sein, erkannt und genannt werden; es waren Ritter des Degens in Civil, Sachverständige in Fechtangelegenheiten.
Auf beinahe allen Bänken saßen Damen, deren Kleider rauschten und die mit lauter Stimme schwatzten. Sie fächelten sich, wie im Theater, denn es war die reine Badehitze in dieser Blättergrotte. Ab und zu rief ein Witzbold:
– Mandelmilch gefällig? Limonade! Bier!
Frau Walter und ihre Töchter gingen zu ihren Plätzen, die auf der ersten Reihe für sie reserviert waren.
Du Roy hatte sie hingeleitet und sagte nun:
– Ich muß Sie jetzt verlassen, die Herren dürfen sich nicht setzen.
Frau Walter antwortete zögernd:
– Aber, ich möchte doch, daß Sie hier bleiben, Sie sollen mir die Auftretenden nennen. Sehen Sie, wenn Sie hier an der Ecke der Bank stehen bleiben, stören Sie doch keinen.
Mit ihren großen süßen Augen sah sie ihn an und bat nochmals:
– Ach bitte, bleiben Sie doch . . . Herr . . . Herr . . . Liebling, wir brauchen Sie.
Er antwortete:
– Gnädige Frau, ich gehorche Ihnen mit Vergnügen!
Von allen Seiten hörte man:
– Nein, das ist komisch, dieser Keller, das ist reizend!
Georg kannte den Ort wohl. Er erinnerte sich des Morgens, wo er hier am Tage vor seinem Duell ganz allein vor einer bemalten Figur-Scheibe zugebracht, die ihn wie ein riesiges, drohendes Auge aus dem Kellerraum drüben angestarrt hatte.
Jacques Rivals Stimme klang von der Treppe her
– Meine Damen, es geht los!
Die sechs Herren in möglichst engem Kostüm, damit man den Brustkasten besser sähe, stiegen auf die Estrade und setzten sich auf die für die Preisrichter reservierten Stühle.
Man flüsterte sich ihre Namen zu. General von Raynaldi als Präsident, ein kleiner Herr mit mächtigem Schnurrbart, dann der Maler Joseph Roudet, ein großer Mann mit kahlem Kopf und langem Bart, Matteo von Ujar, Simon Ramoncel, Peter von Carvin, drei junge, elegante Herren, und Kaspar Merleron ein Fechtmeister.
Zwei große Plakate wurden rechts und links aufgehangen, auf dem rechten stand: Herr Crèvecoeur und links: Herr Plumeau.
Es waren zwei Fechtmeister, gute Lehrer zweiten Ranges. Sie erschienen, beide hager, mit militärischem Äußern und ein wenig steifen Bewegungen. Wie Gliederpuppen machten sie die Fechterbegrüßung, dann begannen sie sich anzugreifen und sahen dabei in ihren leinenen Anzügen mit weißem Leder aus wie zwei Kasperlefiguren, die sich aus Ulk schlugen.
Ab und zu hörte man das Wort: »Getroffen!«
Und die sechs Preisrichter neigten die Köpfe vor mit Kennerblick. Das Publikum sah nur zwei lebendige Marionetten, die dort mit ausgestreckten Armen gestikulierten, begriff nichts davon, war aber sehr befriedigt. Die beiden guten Leute erschienen jedoch wenig graziös und etwas lächerlich. Man mußte unwillkürlich an die kleinen hölzernen Ringer denken die zu Neujahr die Straßenhändler feilbieten.
Nach den beiden ersten Kämpfern traten die Herren Planton und Carapin ein Civil- und ein Militärfechtmeister auf. Herr Planton war ganz klein und Carapin sehr dick, man hätte glauben sollen der erste Stich müßte diesen Ballon zum Platzen bringen. Herr Planton sprang wie ein Affe umher; Herr Carapin bewegte nur den Arm, sein übriger Körper blieb durch seine Wohlbeleibtheit unbeweglich und alle fünf Minuten fiel er mit solcher Schwerfälligkeit und mit solcher Anstrengung aus, als hätte er den schwersten Entschluß seines Lebens auszuführen; nachher konnte er sich kaum wieder aufrichten.
Die Kenner erklärten sein Fechten für sehr kräftig und scharf, und das Publikum glaubte ihnen und fand es auch.
Dann erschienen die Herren Porion und Lapalme, ein Fechtmeister und ein Amateur, die wütend einer auf den andern losstürzten und die Preisrichter zwangen, unter Mitnahme ihrer Stühle, auszureißen. Sie rasten von einem Ende der Estrade zum andern; mit mächtigen, komischen Sätzen sprang der eine vor und der andere zurück. Manchmal machten sie kleine Sätze rückwärts, über die die Damen lachten, und dann Sätze vorwärts, die die Zuschauer doch etwas in Aufregung versetzten. Dieser Kampf im Laufschritt wurde durch den Ruf aus dem Publikum charakterisiert:
– Reißt euch man bloß kein Bein aus!
Durch diese Geschmacklosigkeit verletzt, rief man: – Pst!
Das Urteil der Sachkundigen machte die Runde. Die Fechter hatten große Kraft gezeigt und nur ab und zu es an Exaktheit fehlen lassen.
Der erste Teil wurde geschlossen durch einen schönen Waffengang zwischen Jacques Rival und dem ausgezeichneten belgischen Professor Lebègue.
Rival fand bei den Damen großen Beifall. Er war wirklich ein schöner Kerl, gut gebaut, beweglich und graziöser als alle vorhergegangenen. Er hatte bei seiner Art zu parieren und auszufallen eine gewisse, gesellschaftliche Eleganz, die gefiel und von der energischen, aber gewöhnlichen Art seines Gegners vorteilhaft abstach. Man fühlt den gebildeten Mann, hieß es.
Er siegte, man klatschte Beifall.
Aber seit ein paar Minuten beunruhigte ein sonderbarer, immer stärker werdender Lärm über ihnen die Zuschauer. Es war ein mächtiges Getrappel, von tosendem Gelächter begleitet. Die zweihundert Eingeladenen, die nicht mehr in den Keller herunter gekonnt hatten, unterhielten sich jedenfalls auf ihre Weise. Auf der kleinen Wendeltreppe waren gegen fünfzig Menschen eingepfercht. Die Hitze wurde unten fürchterlich, man schrie: – Luft! – Zu trinken!
Der Witzbold von vorhin kreischte hoch und spitz, daß es die Unterhaltung übertönte: Mandelmilch! Limonade! Bier!
Rival erschien feuerrot, er hatte seinen Fechteranzug anbehalten. – Ich werde Erfrischungen bringen lassen, sagte er und lief zur Treppe. Aber alle Verbindung zum Erdgeschoß hinauf war unterbrochen, man hätte eben so gut ein Loch durch die Decke bohren können, als die Menschenmauer durchbrechen, die sich auf den Stufen drängte.
– Eis für die Damen! Weitergeben!
Fünfzig Stimmen wiederholten:
– Eis!
Dann erschien ein mächtiges Tablett, aber es standen nur leere Gläser darauf, da die Erfrischungen unterwegs verzehrt worden waren.
Jemand rief laut:
– Hier erstickt man ja! Schluß! Schluß! Wir wollen fort!
Eine andere Stimme brüllte: – Die Kollekte! Und das ganze Publikum rief atemlos, aber doch vergnügt:
– Die Kollekte! Die Kollekte!
Dann begannen sechs Damen zwischen den Bänken hin und her zu gehen, und man hörte das Geld klimpern, das in die Beutel fiel.
Du Roy zeigte Frau Walter die bekannten Persönlichkeiten: Leute aus der Gesellschaft, Journalisten von den großen Blättern, von den alten Zeitungen, die nach gemachten Erfahrungen die ›Vie française‹ mit einer gewissen Zurückhaltung betrachteten. Sie hatten so viele dieser politisch-finanziellen Blätter eingehen sehen, Produkte unsauberer Verbindungen, die der Sturz eines Ministeriums mitgerissen. Dann waren Maler da und Bildhauer, die gewöhnlich Sportsmen sind. Man zeigte sich einen Dichter, ein Mitglied der Akademie, dann zwei Musiker und viele vornehme Fremde, deren Namen du Roy ein ›Par.‹ folgen ließ, (was Parvenu heißen sollte) um, wie er sagte, die englische Manier nachzuahmen, auf den Visitenkarten ein ›Esqu.‹ hinzuzufügen.
Jemand rief ihm zu:
– Guten Morgen, lieber Freund!
Es war der Graf Vaudrec. Du Roy entschuldigte sich bei den Damen und ging hinüber, ihm die Hand zu schütteln. Als er zurückkehrte erklärte er:
– Vaudrec ist reizend, er hat so etwas Rassiges.
Frau Walter antwortete nichts. Sie war etwas abgespannt, und bei jedem Atemzuge hob sich ihr Busen, was du Roys Blicke hinlenkte. Ab und zu begegnete er ihrem Blick, der etwas verwirrt und zögernd auf ihm ruhte und sich sofort wegwandte, und er sagte sich: »Potz tausend, sollte ich die etwa auch glücklich eingefangen haben?«
Die Damen mit der Kollekte kamen vorüber. Die Beutel waren mit Silber und Gold gefüllt. Eine neue Tafel ward auf der Estrade aufgezogen: »Große Überraschung!« Die Preisrichter nahmen wieder ihre Plätze ein. Man wartete.
Zwei Damen erschienen, das Florett in der Hand, im Fechteranzug, in dunklem Trikot, einem sehr kurzen Rock, der nur bis auf die Hälfte der Oberschenkel fiel und einem so dick gepolsterten Plastron auf der Brust, daß sie den Kopf hochhalten mußten. Sie waren jung und hübsch, lächelten als sie das Publikum begrüßten und erhielten lang andauernden Beifall.
Und sie begannen unter gellenden Zurufen und unter geflüsterten Späßen. Ein liebenswürdiges Lächeln ruhte auf den Lippen der Preisrichter, die jeden Stich mit einem kleinen Bravo begrüßten.
Der Kampf war nach des Publikums Geschmack, was es die beiden Fechterinnen auch merken ließ, die die Begierde der Männer entflammten und bei den Frauen den, den Pariserinnen eigentümlichen, Geschmack befriedigten nach anmutiger Frechheit, zweideutiger Eleganz, nach falscher Grazie und falscher Schönheit, wie sie bei Tingeltangelsängerinnen und Operettencouplets gang und gäbe sind.
Sobald eine Fechterin ausfiel, lief ein freudiger Schauer durch die Reihen. Die eine, die dem Publikum den Rücken kehrte, und auch einen ziemlich starken Rücken hatte, brachte es zuwege, daß alle Mund und Augen aufrissen, und es war nicht die Geschicklichkeit ihres Handgelenks, wonach man am meisten guckte.
Sie fand donnernden Beifall.
Dann folgte ein Säbelkampf, aber niemand achtete darauf, weil das ganze Interesse noch gefangen war durch das, was man eben gesehen. Ein paar Minuten lang hatte man einen mächtigen Lärm gehört von allerlei Möbeln, die auf dem Parkett hin und her gerückt wurden, als ob jemand umzöge. Plötzlich hörte man durch die Decke hindurch Klavierspielen und vernahm deutlich den rhythmischen Takt des Tanzens.
Um sich zu entschädigen dafür, daß sie nichts sehen konnten, leisteten sich die da oben einen Ball.
Zuerst erhob sich donnerndes Gelächter im Fechtsaal, dann bekamen die Damen auch Lust zum Tanzen. Sie kümmerten sich nicht mehr um das, was auf der Estrade vorging und sprachen ganz laut.
Man fand den Gedanken der Zuspätgekommenen dort oben sehr komisch. Die langweilten sich gewiß nicht, jetzt wären sie gern alle oben gewesen.
Aber zwei neue Fechter hatten sich begrüßt und fielen mit solcher Sicherheit aus, daß alle Blicke ihnen folgten. Sie legten sich aus und erhoben sich wieder, mit elastischer Grazie, mit wohlgemessener Kraft und mit einer solchen Sicherheit der Bewegungen, so korrekt im Äußern, so Schlag auf Schlag, daß die unwissende Menge ganz erstaunt und von dem Schauspiel gefangen war.
In ruhiger Exaktheit, in weiser Geschmeidigkeit, die schnellen Bewegungen, die so sicher berechnet waren, daß sie beinahe einen langsamen Eindruck machten, zogen allein dadurch, daß sie vollendet waren, die Blicke auf sich und hielten sie auch fest. Das Publikum fühlte, daß da etwas Besonderes gezeigt wurde, daß zwei große Künstler in ihrem Fach ihnen das Beste vorführten, was es gab; alles was zwei Meister mit der Waffe an Geschicklichkeit, Verschlagenheit, berechnendem Können und körperlicher Gewandtheit nur zu bieten vermögen.
Niemand sprach mehr, so sah man ihnen zu. Als sie sich dann nach dem letzten Stoß die Hände reichten, folgte allgemeines Geschrei und Hurrahgebrüll. Man trampelte und heulte, alle Welt kannte ihre Namen. Es waren Sergent und Ravignac.
Die allgemeine Erregung machte streitlustig. Die Herren sahen ihre Nachbarn an, als wollten sie Händel suchen. Um ein Lächeln hätte man ein Duell haben können. Leute, die nie ein Florett in der Hand gehabt, versuchten mit ihren Spazierstöcken Stich und Parade.
Aber allmählich kletterte die Menge die kleine Treppe hinan. Man wollte endlich etwas zu trinken haben, und alles war empört, als man feststellte, daß die Tanzenden oben das ganze Büffet geplündert hatten und dann fortgegangen waren mit der Behauptung, es sei unanständig, zweihundert Menschen her zu bemühen, ohne ihnen etwas fürs Auge zu bieten.
Nicht ein Stück Kuchen, nicht ein Tropfen Champagner, kein Likör, kein Bier, nicht ein Bonbon, nichts, nichts war übrig geblieben. Sie hatten alles abgeräumt, geplündert und reingefegt.
Man ließ sich durch die Diener alles erzählen, die ganz traurige Gesichter machten, um sich das Lachen zu verkneifen; sie sagten: die Damen waren noch eifriger wie die Herren. Sie haben gegessen und getrunken zum krankwerden. Es war, als hörte man die Klagen der Überlebenden aus einer Stadt, die belagert und geplündert worden war.
Es blieb also nichts übrig als fort zu gehen. Die Herren bedauerten ihre zwanzig Franken-Stücke, die sie bei der Kollekte geopfert, und waren empört über die oben, die genassauert hatten.
Das Komité hatte mehr als dreitausend Franken eingenommen, und es blieben nach Abzug der Kosten zweihundertundzwanzig Franken übrig für die Waisen des sechsten Bezirks.
Du Roy geleitete die Familie Walter und suchte seinen Landauer.
Als er bei der Heimfahrt Frau Walter gegenüber saß, traf ihn wieder flüchtig ihr zärtlicher, verwirrter Blick.
Er dachte: »Verflucht, ich glaube die beißt an.« Er lächelte in der Erkenntnis wirklich Glück bei den Frauen zu haben, denn Frau Marelle schien ihn, seitdem ihre Zärtlichkeiten wieder begonnen, rasend lieb zu haben.
Fröhlicher Laune kehrte er nach Haus zurück.
Magdalene erwartete ihn im Salon.
– Ich habe Neuigkeiten, sagte sie. Die Marokko-Geschichte wird immer ernster. In ein Paar Monaten muß Frankreich eine Expedition hinschicken; jedenfalls giebt das eine Handhabe, das Ministerium zu stürzen, und Laroche wird die Gelegenheit benutzen, um das Portefeuille des Auswärtigen zu bekommen.
Du Roy that, um seine Frau zu ärgern, als glaube er nicht daran. Man würde doch nicht so verrückt sein, den Unsinn, den man einst in Tunis gemacht, in neuer Auflage heraus zu geben.
Aber sie zuckte ungeduldig die Achseln:
– Ich sage Dir: es wird! Verstehst Du denn nicht, daß es für sie ein Riesengeldcoup ist? Heutzutage mein Lieber, heißt es in der Politik nicht mehr: Wo ist die Frau? sondern: Wo ist das Geschäft?
Er brummte verächtlich:
– Bah, – um sie in Wut zu bringen.
Sie ward böse:
– Du bist ebenso dumm wie Forestier.
Sie hatte ihn verletzen wollen, und erwartete einen Wutausbruch, aber er lächelte und antwortete:
– Wie dieser Hahnrei Forestier?
Das saß und sie sagte:
– Aber Georg!
Er machte ein freches, spöttisches Gesicht, und antwortete:
– Nu was denn, Du hast mir's doch neulich gestanden, daß Du Forestier Hörner aufgesetzt. – Und mit dem Ausdruck tiefsten Mitleids fügte er hinzu: – Armer Teufel!
Magdalene kehrte ihm den Rücken, sie hielt es für unter ihrer Würde zu antworten.
Dann begann sie wieder nach einer Minute Stillschweigen:
– Dienstag haben wir Gesellschaft. Frau Laroche-Mathieu kommt mit der Vicomtesse von Percemur zu Tisch. Willst Du noch Rival einladen und Norbert von Varenne? Ich gehe morgen zu Walters und zu Frau von Marelle. Vielleicht kommt auch Frau Rissolin.
Seit einiger Zeit schuf sie sich Verbindungen, indem sie den politischen Einfluß ihres Mannes benutzte, um, ob sie wollten oder nicht, die Frauen der Senatoren und Abgeordneten, die die Unterstützung der ›Vie française‹ brauchten, an sich zu ziehen.
Du Roy antwortete:
– Gut, ich übernehme Rival und Norbert.
Er war zufrieden, rieb sich die Hände, denn jetzt hatte er eine gute Manier gefunden um seine Frau zu ärgern und die stille Wut zu befriedigen, die unbestimmte beißende Eifersucht, die seit ihrer Fahrt ins Bois in ihm erwacht. Er wollte nie mehr von Forestier sprechen, ohne ihn »den Gehörnten« zu nennen. Er fühlte, daß das mit der Zeit Magdalenen rasend machen würde, und so brachte er wohl zehn Mal an diesem Abend mit ironischer Gutmütigkeit die Redensart an: »Forestier, der Gehörnte.«
Er war auf den Toten nicht mehr böse, er rächte ihn.
Seine Frau that, als hörte sie nichts und lächelte gleichgiltig dabei.
Da sie am andern Morgen Frau Walter einzuladen beabsichtigte, wollte er ihr zuvorkommen, um die Frau des Chefs allein zu finden, um zu sehen, ob er sie wirklich gewonnen. Es machte ihm Spaß und schmeichelte ihm, und dann . . . warum nicht . . . wenn es ging!
Um zwei Uhr trat er Boulevard Malesherbes bei ihr ein. Man führte ihn in den Salon. Er wartete.
Frau Walter erschien und streckte ihm mit glückseligem Lächeln die Hand entgegen:
– Welch glücklicher Zufall führt Sie hierher?
– Kein Zufall, sondern der Wunsch Sie zu sehen. Ein unbestimmtes Gefühl treibt mich zu Ihnen, ich weiß selbst nicht warum. Ich wollte Ihnen nichts sagen. Ich bin gekommen und da bin ich! Entschuldigen Sie den frühen Besuch und daß ich das so offen sage.
Er hatte dabei einen schnarrenden, galanten Ton angeschlagen, ein Lächeln auf den Lippen und Ernst in der Stimme.
Sie war sehr erstaunt, errötete und stammelte:
– Ja . . . ich begreife aber nicht! Ich . . . bin sehr erstaunt!
Er fügte hinzu:
– Es ist eine ernste Erklärung, nur in heiterm Tone, damit Sie nicht erschrecken sollen.
Sie hatten sich neben einander gesetzt. Sie nahm die Sache von der scherzhaften Seite.
– Eine ernste Auseinandersetzung?
– Gewiß, ich wollte Ihnen das schon lange, sehr lange sogar schon sagen, aber ich wagte es nicht. Es heißt, Sie wären so ernst und streng.
Sie hatte ihre Sicherheit wieder gewonnen und antwortete:
– Warum sind Sie heute gekommen?
– Ich weiß nicht! – Dann senkte er die Stimme: – Oder vielmehr, weil ich seit gestern immer an Sie denken muß!
Sie stammelte und erblaßte dabei:
– Ach jetzt wollen wir nicht mehr scherzen, reden wir von etwas anderem.
Aber er war so plötzlich ihr zu Füßen gefallen, daß sie erschrak. Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie mit beiden Armen, die er um ihre Taille geschlungen, auf dem Sitz zurück und wiederholte in leidenschaftlichem Tone:
– Ja, wahrhaftig ich liebe Sie, liebe Sie seit lange, rasend. Antworten Sie mir nicht. Ach es ist ja verrückt! Ich liebe Sie, wenn Sie wüßten, wie ich Sie liebe!
Sie rang nach Atem, versuchte zu sprechen, aber brachte kein Wort heraus. Mit beiden Händen stieß sie ihn zurück, indem sie ihn bei den Haaren packte, um die Annäherung seines Mundes, der, wie sie fühlte, sich dem ihrigen näherte, zu verhindern, und drehte den Kopf von rechts nach links, von links nach rechts, hastig hin und her mit geschlossenen Augen, um nichts zu sehen.
Er betastete sie durch das Kleid hindurch und befühlte sie; und sie ward schwach unter dieser rohen, aufdringlichen Liebkosung. Plötzlich stand er auf und wollte sie umarmen, aber einen Augenblick frei geworden, war sie sofort entflohen, indem sie sich zurückwarf und entwich von Stuhl zu Stuhl.
Er fand nun diese Verfolgung lächerlich und ließ sich in einen Stuhl fallen, das Gesicht in den Händen, indem er wie im Krampf schluchzte.
Dann erhob er sich und rief:
– Leben Sie wohl, Leben Sie wohl! – Und er entfloh.
Im Flur nahm er ganz ruhig seinen Stock und sagte sich, indem er hinabging: – Donnerwetter nochmal, ich glaube die habe ich!
Er ging auf das nächste Postamt, um Clotilde ein Stadttelegramm zu schicken, das sie für den folgenden Tag zum Stelldichein bestellte.
Als er zur gewöhnlichen Zeit heimkehrte, sagte er zu seiner Frau:
– Nun hast Du Dein Diner beisammen?
Sie antwortete:
– Nur Frau Walter weiß noch nicht bestimmt, ob sie kann, sie zögerte, sie hat mir von irgend was erzählt, von Verpflichtungen und Gewissen, sie machte einen sehr komischen Eindruck. Aber, ich denke sie kommt trotzdem.
Er zuckte die Achseln:
– Ach was, sie wird schon kommen. – Aber er war seiner Sache doch nicht sicher, und bis zum Tag des Diners war er sehr unruhig.
Magdalene erhielt am Morgen selbst noch ein Paar Zeilen von der Frau des Chefs:
»Ich habe mich mit vieler Mühe frei gemacht und komme, mein Mann ist aber leider verhindert.«
Du Roy dachte: »Das hab ich verflucht schlau gemacht, nicht wieder hinzugehen, jetzt ist sie beruhigt, nun aber die Ohren steif gehalten.«
Aber er war doch etwas unruhig, wie sie sein würde. Sie erschien, sehr ruhig, etwas kühl, von oben herab. Er kam ihr sehr ergeben und diskret entgegen.
Frau Laroche-Mathieu und Frau Rissolin begleiteten ihre Männer; die Vicomtesse von Percemur erzählte allerlei aus der großen Welt. Frau von Marelle sah reizend aus in einem seltsam fantastischen Kleid, schwarz und gelb, einem spanischen Kostüm, das ihre hübsche Figur, ihre Büste und ihre runden Arme vorteilhaft hob und ihrem Vogelköpfchen etwas Energisches verlieh.
Du Roy hatte Frau Walter rechts neben sich gesetzt und sprach während des Diners nur von ernsten Dingen mit übertriebenem Respekt. Ab und zu sah er Clotilde an. »Sie ist wirklich hübscher und frischer,« dachte er. Dann glitt sein Blick zu seiner Frau, die er auch nicht übel fand, obgleich er gegen sie eine stille hartnäckige, bösartige Wut behalten hatte.
Aber die Frau des Chefs regte ihn auf wegen der Schwierigkeit, sie zu erobern und weil sie etwas Neues war, und das lieben alle Männer.
Sie wollte zeitig heimkehren. – Ich werde Sie nach Hause bringen, sagte er.
Sie wünschte es nicht. Aber er bestand darauf:
– Warum wollen Sie nicht? Das verletzt mich wirklich, ich kann doch gar nicht glauben, daß Sie mir nicht verziehen hätten. Sie sehen, ich bin ganz ruhig.
– Sie können doch Ihre übrigen Gäste nicht im Stiche lassen.
Er lächelte:
– Ach was, zwanzig Minuten bleibe ich weg, das merkt kein Mensch. Wenn Sie mir das abschlagen, bin ich aufs Tiefste verletzt.
Sie flüsterte:
– Gut, ich nehme an.
Aber sobald sie im Wagen saßen, nahm er ihre Hand und küßte sie leidenschaftlich:
– Ich liebe Sie. Ich liebe Sie. Ich liebe Sie, das darf ich Ihnen doch sagen? Ich thue Ihnen nichts. Ich sage Ihnen nur, daß ich Sie liebe.
Sie stammelte:
– Aber, das ist schlecht, nach allem, was Sie mir versprochen haben.
Er that, als nähme er sich auf das Äußerste zusammen, dann begann er mit verhaltener Stimme:
– Sehen Sie, wie ich mich beherrsche und dennoch . . . . ich möchte Ihnen bloß eins sagen . . . . . ich liebe Sie, und das möchte ich Ihnen jeden Tag wiederholen . . . . . . lassen Sie mich bei Ihnen nur fünf Minuten Ihnen zu Füßen liegen und in Ihr geliebtes Antlitz blicken und immer nur die drei Worte wiederholen . . . . .
Sie hatte ihm ihre Hand überlassen und antwortete stammelnd:
– Nein, ich kann nicht, ich will nicht. Denken Sie doch, was man reden würde. Denken Sie, meine Leute, meine Töchter, nein, das ist ganz unmöglich.
Er begann von neuem:
– Ich kann ohne Sie nicht mehr leben. Ob ich Sie in Ihrem Hause sehe oder wo anders ist mir gleich, ich muß Sie nur sehen und wär's täglich bloß eine Minute. Ich muß Ihre Hand fühlen, ich muß sehen wie Sie atmen, die Linien Ihres Körpers betrachten und Ihre großen schönen Augen, die mich wahnsinnig machen.
Sie hörte zitternd diese banalen Liebesredensarten an und stammelte:
– Nein, nein, das ist unmöglich, schweigen Sie.
Ganz leise flüsterte er ihr ins Ohr. Er begriff, daß er diese Frau ganz allmählich einfangen mußte. Diese einfache Frau mußte er dahin bringen, ihm ein Stelldichein zu geben. Zuerst wo sie wollte, dann wo es ihm paßte:
– Hören Sie, es muß sein . . . ich werde Sie sehen . . . ich werde an Ihrer Thür auf Sie warten . . . wie ein Bettler, und wenn Sie nicht zu mir herab kommen, komme ich zu Ihnen hinauf. Aber ich werde Sie sehen . . . ich werde Sie sehen . . . morgen.
Sie wiederholte:
– Nein, nein, kommen Sie nicht. Ich nehme Sie nicht an. Denken Sie an meine Töchter!
– Dann sagen Sie mir, wo ich Sie treffen kann, auf der Straße oder irgendwo, ganz gleich wo. Zu jeder Stunde, wenn Sie wollen. Ich muß Sie nur sehen, Sie grüßen, Ihnen sagen »ich liebe Sie« und dann gehe ich davon.
Sie zögerte, ganz hingerissen; und als der Wagen bei ihr vorfuhr, flüsterte sie schnell:
– Gut, morgen um halb vier gehe ich in die Dreifaltigkeitskirche.
Als sie dann ausgestiegen war, rief sie ihrem Kutscher zu:
– Fahren Sie Herrn Duroy zu seiner Wohnung.
Als er zurückkam fragte ihn seine Frau:
– Wo bist Du denn gewesen?
Er antwortete mit gedämpfter Stimme:
– Ich bin auf dem Telegraphenamt gewesen wegen einer dringenden Depesche.
Frau von Marelle näherte sich ihm:
– Nicht wahr, Liebling Sie bringen mich nach Haus? Sie wissen, daß ich nur unter der Bedingung so weit hergekommen bin.
Dann wandte sie sich zu Magdalene:
– Du bist doch nicht eifersüchtig?
Frau Du Roy antwortete langsam:
– Nein, nicht allzusehr!
Die Gäste gingen. Frau Laroche-Mathieu sah aus wie ein kleines Dienstmädchen aus der Provinz. Sie war die Tochter eines Notars, und Laroche hatte sie geheiratet, als er selbst noch ein armer Advokat gewesen.
Frau Rissolin war eine alte Dame und trat mit einer gewissen Prätention auf, sie machte den Eindruck einer ehemaligen Hebamme, die ihre Bildung aus der Leihbibliothek hat.
Die Vicomtesse blickte auf sie herab, ihr »Sammetpfötchen« berührte nur unwillig diese gemeine Hand.
Als Clotilde in Spitzen gehüllt an der Flurthür stand, sagte sie zu Magdalene:
– Dein Diner war reizend. Du wirst bald den ersten Politischen Salon in Paris haben.
Sobald sie mit Georg allein war, umarmte sie ihn:
– Ach mein süßer Liebling, ich liebe Dich täglich mehr.
Die Droschke schwankte wie ein Schiff:
– Ach so wie unser Zimmer ist das nicht.
Er antwortete:
– O nein. – Aber er dachte an Frau Walter.