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Den Rest des Winters ging Du Roy häufig zu Walters; er aß sogar alle Augenblicke allein dort. Magdalene war müde, oder wollte zu Haus bleiben.
Er hatte sich ein für allemal Freitag angesagt, und Frau Walter lud an diesem Abend keinen andern ein. Er gehörte dem Liebling, ihm allein. Nach Tisch wurde Karten gespielt, man gab den chinesischen Fischen Futter, man lebte und unterhielt sich in der Familie. Manchmal packte Frau Walter hinter dichten Blättern im Palmenhaus, in einer dunklen Ecke plötzlich den Arm des jungen Mannes, drückte ihn mit aller Kraft an ihre Brust und flüsterte ihm zu: »Ich liebe Dich! Ich liebe Dich zum Sterben.« Aber immer stieß er sie kalt zurück und sagte trocken:
– Wenn Sie wieder anfangen, komme ich nicht mehr.
Gegen Ende März sprach man plötzlich von einer Verlobung der beiden Schwestern. Rosa sollte, wie behauptet wurde, den Graf Latour-Ybelin und Susanne den Marquis von Cazolles heiraten. Die beiden Herren waren Freunde der Familie geworden, denen man besondere Gunst, deutliche Vorrechte einräumte.
Georg und Susanne lebten in einer Art brüderlicher, freier Intimität, schwatzten stundenlang zusammen, machten sich über alle Welt lustig und schienen gern beieinander zu sein.
Sie hatten nie wieder von der Möglichkeit einer Heirat des jungen Mädchens gesprochen, noch von den Freiern, die etwa kamen. Als der Chef eines Tages Du Roy zum Frühstück mitgebracht hatte, wurde Walter nach der Mahlzeit abgerufen, um einen Lieferanten zu empfangen.
Georg sagte zu Susanne:
– Kommen Sie, wir wollen die Goldfische füttern. Sie nahmen jedes ein großes Stück Brot vom Tisch und gingen in das Palmenhaus.
Rund um das Marmorbecken herum lagen Kissen an der Erde, daß man am Bassin niederknieen konnte, um die Tiere aus der Nähe zu betrachten.
Die jungen Leute nahmen jeder ein Kissen, Seite an Seite und begannen Brotkugeln in das Wasser zu werfen, die sie zwischen den Fingern geformt.
Sowie die Fische es merkten, kamen sie dahergeschwommen, wackelten mit dem Schwanz, bewegten die Flossen, rollten die großen Stahlaugen, machten Kehrt, tauchten unter, um die runde Beute die zu Boden sank, zu erwischen und stiegen dann wieder in die Höhe um neue zu erwarten. Sie bewegten komisch den Mund, mit plötzlichem, heftigem Öffnen, wie seltsame kleine Ungetüme, und ihr brennendes Rot stach von dem Goldsand des Grundes ab, sie huschten Flammen gleich durch die durchsichtige Flut, oder zeigten, wenn sie still hielten, das goldblaue Geäder an den Schuppen.
Georg und Susanne sahen ihre Gesichter umgekehrt im Wasser sich spiegeln und lächelten sich an.
Plötzlich sagte er leise:
– Susanne, diese Geheimniskrämerei ist nicht nett von Ihnen.
– Wieso denn, Liebling?
– Wissen Sie nicht mehr, was Sie mir am Abend des Festes hier, gerade hier, versprochen haben?
– Nein!
– Mich jedesmal zu fragen, wenn man um Ihre Hand anhält.
– Nun?
– Man hat angehalten!
– Wer denn?
– Das wissen Sie sehr wohl!
– Nein, ich versichere . . . . .
– Doch, Sie wissen es! Dieser lange Fatzke, dieser Marquis Cazolles!
– Der ist gar kein Fatzke!
– Das ist möglich. Aber er ist dumm, hat alles verjeut, und ist ganz verbummelt und verlumpt. Das ist eine nette Partie für Sie, die so hübsch, frisch und klug ist!
Sie fragte lächelnd:
– Was haben Sie denn gegen ihn?
– Ich? Gar nichts!
– Doch! doch! doch! Der ist gar nicht so wie Sie sagen.
– O bitte, er ist ein Schafskopf und ein Intrigant.
Sie wandte sich ein wenig um und blickte nicht mehr ins Wasser.
– Aber was haben Sie denn nur?
Er sagte, als risse man ihm ein Geheimnis aus der Seele:
– Ich habe . . . . ich habe . . . . ich . . . bin . . . eifersüchtig auf ihn.
Sie war etwas erstaunt:
– Sie?
– Ja, ich!
– Warum denn?
– Weil ich Sie liebe! Und weil Sie das sehr wohl wissen, Sie böses Kind!
Da meinte sie ernst:
– Sie sind verrückt, Liebling!
– Ich weiß wohl, daß ich verrückt bin, weil ich Ihnen das sage, ich, der ich verheiratet bin, einem jungen Mädchen! Ich bin mehr als verrückt, ich bin ein Verbrecher, beinahe ein Lump! Aber ich habe keine Hoffnung und der Gedanke bringt mich geradezu um den Verstand, und wenn ich höre, daß Sie einen heiraten wollen, packt mich die Wut, daß ich ihn totschlagen möchte. Verzeihen Sie mir, Susanne, Sie müssen!
Er schwieg. Die Fische, denen man kein Brot mehr zuwarf, blieben unbeweglich stehen, fast in einer Linie geordnet, wie englische Soldaten und betrachteten die beiden Köpfe derer, die sich nicht mehr um sie kümmerten. Das junge Mädchen flüsterte halb traurig, halb heiter:
– Es ist schade, daß Sie verheiratet sind, ja, das geht aber doch nicht mehr zu ändern; das ist eben aus.
Er drehte sich plötzlich um und sagte ganz nahe an ihrer Wange:
– Wenn ich nun frei wäre, würden Sie mich zum Mann nehmen?
Sie antwortete mit ernstem Ton:
– Ja Liebling, ich würde Sie nehmen, denn Sie gefallen mir mehr als alle andern.
Er stand auf und stöhnte:
– Dank! Dank! Aber ich flehe Sie an, geben Sie noch niemandem Ihr »Ja«. Warten Sie noch ein kleines bißchen, bitte. Wollen Sie mir das versprechen?
Sie flüsterte etwas erregt und ohne zu verstehen, was er eigentlich wollte:
– Ich verspreche es Ihnen.
Du Roy warf das ganze Stück Brot, das er noch in der Hand hielt, ins Wasser und entfloh ohne Lebewohl zu sagen, als ob er den Kopf verloren hätte.
Die Fische stürzten gierig nach dem Stück Brot, das an der Oberfläche schwamm, weil es in den Fingern nicht geknetet worden war, und schnappten mit gierigen Mäulern danach. Sie schleppten es bis an das andere Ende des Bassins, drängten sich aneinander, bildeten einen hin und her rollenden Knäuel, der aussah wie eine bewegliche Blume, die mit dem Kelch nach unten ins Wasser gefallen ist, und zerrten es hin und her.
Susanne erhob sich erstaunt und unruhig, und ging langsam fort. Der Journalist hatte sich entfernt. Er kehrte ganz ruhig heim, und als er Magdalene beim Briefschreiben fand, fragte er:
– Wirst Du Freitag bei Walters essen? Ich gehe hin.
– Nein, ich bin nicht ganz wohl, ich bleibe lieber hier.
Er antwortete:
– Wie Du willst, es zwingt Dich ja niemand.
Dann nahm er seinen Hut und ging sofort aus.
Seit langer Zeit lauerte er ihr auf, überwachte sie und folgte ihr; er kannte alle ihre Schritte. Jetzt war seine Stunde gekommen. Er hatte sich nicht getäuscht in dem Ton, wie sie gesagt: Ich bleibe lieber hier!
Während der nächsten Tage war er gegen sie zuvorkommend, sogar heiter, was er sonst nicht mehr gewesen. Sie sagte zu ihm:
– Du wirst ja wieder nett!
Freitag zog er sich zeitig an, um ein paar Besorgungen zu machen, ehe er zum Chef ging, wie er behauptete.
Dann ging er um sechs Uhr aus, nachdem er seiner Frau einen Kuß gegeben hatte, stieg am Platz Notre-Dame-de-Lorette in eine Droschke, und sagte zum Kutscher:
– Bleiben Sie in der Rue Fontaine, gegenüber Nr. 17 halten und warten Sie dort bis ich Ihnen sage, daß wir weiter fahren wollen. Dann bringen Sie mich nach dem Restaurant »Zum Fasan« in der Rue Lafayette.
Langsam zog das Pferd an, und Du Roy ließ die Vorhänge herunter. Sobald er seiner Thür gegenüber hielt, faßte er sie scharf ins Auge. Nachdem er zehn Minuten gewartet, sah er Magdalene herauskommen, die nach dem äußern Boulevard ging. Sobald sie fort war, steckte er den Kopf zum Fenster heraus und rief:
– Nun weiter!
Die Droschke setzte sich in Bewegung und brachte ihn »Zum Fasan«, einem in dem Stadtviertel bekannten Restaurant. Georg ging in den großen Saal und aß langsam, indem er von Zeit zu Zeit nach der Uhr blickte. Um einhalb acht Uhr, nachdem er seinen Kaffee und zwei Cognacs getrunken, sowie langsam eine gute Cigarre geraucht, ging er fort. Er rief einen andern Wagen an, der leer vorüberkam, und ließ sich nach der Straße La Rochelle fahren.
Ohne den Portier zu fragen, ging er zum dritten Stock des Hauses hinauf, das er dem Kutscher bezeichnet, und als ihm ein Mädchen öffnete, fragte er:
– Nicht wahr, Herr Guibert de Lorme ist zu Hause?
– Ja wohl!
Man ließ ihn in den Salon treten, wo er einige Augenblicke wartete. Dann kam ein großer Herr herein mit vornehm militärischem Äußern und schon ergrautem Haar, obgleich er noch jung war, das Band der Ehrenlegion im Knopfloch.
Du Roy verbeugte sich und sagte:
– Es ist so, wie ich es voraus gesehen habe,Herr Polizeikommissar. Meine Frau ist mit ihrem Liebhaber in dem Chambre garnie, das sie in der Rue des Martyrs gemietet haben.
Der Beamte verbeugte sich:
– Ich bin zu Ihrer Verfügung.
Georg antwortete:
– Nicht wahr, nach neun Uhr dürfen Sie, um einen Ehebruch festzustellen, keine Privatwohnung mehr betreten.
– Nein! Im Winter bis sieben Uhr, vom 31. März an bis neun Uhr. Heute ist der 5. April. Also bis neun Uhr.
– Nun Herr Kommissar, ich habe unten einen Wagen, wir könnten die Schutzleute, die Sie begleiten sollen, gleich mitnehmen. Wir können ja etwas vor der Thür warten. Je später wir kommen, desto größer ist die Sicherheit, daß wir sie in flagranti abfassen.
– Wie Sie wünschen!
Dann ging er und kehrte mit dem Überzieher zurück, der seine dreifarbige Schärpe verbarg. Er trat zur Seite, um Du Roy voran gehen zu lassen, aber der Journalist sagte zerstreut:
– Nach Ihnen! Nach Ihnen!
Der Beamte antwortete:
– O bitte sehr, ich bin hier zu Hause.
Da ging der andere mit einer Verbeugung voran.
Zuerst holten sie auf der Wache drei Polizisten in Zivil ab, die sie erwarteten, denn Georg hatte während des Tages sagen lassen, die Sache würde heute stattfinden. Einer der Leute stieg auf den Bock und setzte sich neben den Kutscher, die beiden andern nahmen im Wagen Platz, der nach der Rue des Martyrs fuhr.
Du Roy sagte: – Ich besitze den Plan der Wohnung, sie befindet sich im zweiten Stock. Wir treten zuerst in einen kleinen Flur, dann kommt das Eßzimmer, darauf die Schlafstube. Die drei Räume gehen in einander, es giebt keinen andern Ausweg, durch den sie entwischen könnten. In der Nähe wohnt ein Schlosser, der sich bereit hält, für den Fall, daß Sie ihn rufen lassen.
Als sie vor dem bezeichneten Haus ankamen, war es erst ein viertel neun, und sie warteten schweigend über zwanzig Minuten. Aber als Georg merkte, daß es bald drei viertel schlagen würde, sagte er:
– Nun wollen wir gehen.
Und sie stiegen die Treppen hinauf, ohne sich um den Portier zu kümmern, der sie auch nicht bemerkte. Einer der Polizisten blieb auf der Straße, um den Ausgang zu beobachten.
Die vier Herren blieben im zweiten Stock stehen, und Du Roy legte sein Ohr an die Thür und horchte; dann guckte er durchs Schlüsselloch.
Der Kommissar sagte zu seinen Beamten:
– Bleiben Sie hier, bis ich rufe.
Da Du Roy nichts sah und nichts hörte, klingelte er, und sie warteten. Nach zwei oder drei Minuten klingelte Georg von neuem, mehrmals hintereinander. In der Wohnung klang ein Geräusch, dann näherte sich ein leichter Schritt, es kam jemand um zu horchen. Da klopfte der Journalist mit gekrümmtem Zeigefinger, und eine verstellte Frauenstimme fragte von innen:
– Wer ist da?
Der Kommissar antwortete:
– Im Namen des Gesetzes öffnen Sie.
Die Stimme klang wieder:
– Wer sind Sie?
– Ich bin der Polizeikommissar, öffnen Sie, oder ich lasse die Thür mit Gewalt öffnen.
Die Stimme fragte:
– Was wollen Sie?
Du Roy sagte:
– Ich bins. Mach keine Geschichten, ihr entkommt uns nicht.
Der leichte Schritt, – man hörte die bloßen Füße, – entfernte sich und kehrte nach ein Paar Sekunden zurück.
Georg rief:
– Wenn nicht geöffnet wird, sprenge ich die Thür auf! Er drückte den Messinggriff 'runter und legte sich mit der Schulter gegen das Holz. Da niemand antwortete, rannte er plötzlich so heftig gegen die Tür, daß das alte Schloß des Absteigequartiers nachgab. Die Schrauben wurden aus dem Holz gerissen, und der junge Mann wäre beinahe auf Magdalene gefallen, die im Flur stand, in Hemd und Unterrock mit offnen Haaren ohne Strümpfe und Schuh, eine Kerze in der Hand.
Er rief:
– Nun haben wir sie, – und stürzte in die Wohnung.
Der Kommissar nahm den Hut ab und folgte ihm. Und die junge Frau ging bestürzt mit dem Licht hinterdrein. Sie kamen durch das Eßzimmer, auf dessen noch nicht abgedecktem Tisch die Überreste der Mahlzeit standen: leere Champagnerflaschen, eine offene Gänseleberpastete, das Gerippe eines Huhns und einige Stücke Brot. Auf dem Anrichtetisch standen zwei Teller mit Austernschalen.
Das Schlafzimmer sah aus, als hätte ein Kampf daselbst stattgefunden. Ein Kleid war über den Stuhl geworfen, und auf der Lehne eines Armsessels hingen ein paar Herren-Unterhosen.
Vier Schuhe, zwei große und zwei kleine, lagen zu Füßen des Bettes unordentlich umher.
Es war die richtige Chambre-garnie mit gewöhnlichen Möbeln, und jenem entsetzlich-faden Hotelgeruch, den Vorhänge, Matratzen, Wände, Stühle ausströmten, dem Geruch von all den Menschen, die hier in dieser Allerweltswohnung geschlafen oder gelebt, einen Tag oder sechs Monate, und etwas von ihrer Ausdünstung zurückgelassen hatten, jener menschlichen Ausdünstung, die mit der des Vorgängers vereint einen unbestimmten süßlichen, unangenehmen Gestank hinterläßt, immer der nämliche in dieser Art von Zimmern.
Auf dem Kamin stand ein Teller mit Cakes, eine Flasche Chartreuse und zwei Schnapsgläschen noch zur Hälfte gefüllt. Über die Kaminuhr war ein Cylinderhut gestülpt. Der Kommissar drehte sich schnell herum und blickte Magdalene an:
– Nicht wahr, Sie sind Frau Klara Magdalene Du Roy, Ehefrau des Schriftstellers Herrn Prosper Georg Du Roy, der hier steht.
Sie antwortete mit erstickter Stimme:
– Ja wohl!
– Was thun Sie hier?
Sie antwortete nicht.
Der Beamte fragte nochmals:
– Was thun Sie hier? Ich finde Sie außerhalb Ihres Hauses, beinahe unbekleidet in einer möblierten Wohnung. Wozu sind Sie hierher gekommen?
Er wartete einige Augenblicke, aber als sie immer noch schwieg, sagte er:
– Gnädige Frau, wenn Sie nicht gestehen wollen, bin ich genötigt, den Thatbestand festzustellen.
Man sah im Bett die Gestalt eines Körpers sich unter der Decke abzeichnen. Der Kommissar trat heran und rief:
– Mein Herr!
Der Mann, der dort lag, bewegte sich nicht. Er schien den Rücken nach dem Zimmer gekehrt und den Kopf unter dem Kopfkissen versteckt zu haben. Der Beamte berührte das, was wahrscheinlich seine Schulter war, und sagte nochmals:
– Bitte, zwingen Sie mich doch nicht dazu, Gewalt anzuwenden.
Aber der verhüllte Körper blieb unbeweglich liegen, als wäre er tot.
Du Roy war vorgetreten, ergriff die Decke, zog sie fort, riß das Kopfkissen zur Seite, und das totenbleiche Gesicht Laroche-Mathieus kam zum Vorschein. Er beugte sich über ihn und sagte, die Zähne zusammenpressend, mit dem lebhaften Wunsch ihn zu erwürgen:
– Haben Sie doch wenigstens den Mut Ihrer Gemeinheit!
Der Beamte fragte wieder:
– Wer sind Sie?
Der erschrockene Liebhaber antwortete nicht, und der Beamte sagte nochmals:
– Ich bin Polizeikommissar und fordere Sie auf, Ihren Namen zu nennen.
Du Roy, den eine fürchterliche Wut überkam, brüllte:
– Aber so antworten Sie doch, Sie Feigling! Sonst werde ich Ihren Namen sagen.
Da stammelte der Mann, der da lag:
– Herr Kommissar, ich bitte Sie, mich nicht von diesem Menschen beleidigen zu lassen. Habe ich mit ihm oder mit Ihnen zu thun? Habe ich ihm oder Ihnen zu antworten?
Sein Mund schien ganz ausgetrocknet zu sein.
Der Beamte anwortete:
– Mit mir haben Sie es zu thun. Mit mir ganz allein. Ich frage Sie, wer Sie sind.
Der andere schwieg, er hatte die Bettdecke bis zum Hals herauf gezogen und blickte erschrocken um sich. Auf seinem fahlen Gesicht, zeichnete sich der kleine gewirbelte Schnurrbart kohlschwarz ab.
Der Kommissar sagte von neuem:
– Wenn Sie nicht antworten wollen, muß ich Sie festnehmen lassen. Stehen Sie jedenfalls auf. Wenn Sie angezogen sind, werde ich Sie weiter befragen.
Der Körper bewegte sich im Bett, und der Kopf brummte:
– Das kann ich nicht, in Ihrer Gegenwart.
Der Beamte fragte:
– Warum denn nicht?
Der andere stammelte:
– Ich bin . . . ich bin . . . ich bin ja ganz nackt!
Du Roy fing an zu lachen, hob ein Hemd auf, das an der Erde lag, warf es aufs Bett und rief:
– Ach was, so stehen Sie doch auf. Wenn Sie sich vor meiner Frau ausgezogen haben, können Sie sich wohl vor mir wieder anziehen.
Dann wandte er ihm den Rücken und ging zum Kamin.
Magdalene hatte ihre ganze Kaltblütigkeit wiedergewonnen. Da sie alles verloren sah, war sie bereit alles zu riskieren. Eine Art höhnischer Trotz glänzte aus ihren Augen. Sie rollte ein Stück Papier zusammen, zündete es an und steckte dann, wie zu einem großen Fest die zehn Lichter an auf den häßlichen Leuchtern, die auf beiden Kaminecken standen. Dann lehnte sie sich an die marmorne Kaminbrüstung hob einen ihrer nackten Füße gegen die erlöschende Flamme, sodaß hinten ihr Unterrock, der nur lose auf den Hüften saß, heraufrutschte, dann nahm sie aus einem rosa Cigarettenpaket eine Cigarette, steckte sie an und fing an zu rauchen.
Der Kommissar war an sie herangetreten, indem er abwartete, daß ihr Mitschuldiger sich ankleide.
Da fragte sie ihn in unverschämtem Ton:
– Machen Sie so was oft?
Er antwortete ernst:
– So selten wie möglich, gnädige Frau!
Sie lachte ihm ins Gesicht:
– Ich gratuliere Ihnen dazu. Das Geschäft ist nicht sauber!
Sie that, als kümmere sie sich um nichts und sähe ihren Mann gar nicht.
Aber der Herr im Bett zog sich an. Er hatte die Hosen angelegt, die Stiefel angezogen und kam nun herbei, indem er die Weste zuknöpfte.
Der Polizeibeamte wandte sich ihm zu: – Wollen Sie mir nun sagen, wer Sie sind? Der andere antwortete nicht.
Da sagte der Polizeikommissar:
– So bin ich genötigt, Sie zu arretieren.
Nun rief der Mann plötzlich laut:
– Rühren Sie mich nicht an, ich bin unverletzlich.
Du Roy stürzte sich auf ihn, als wollte er ihn niederschlagen und schrie ihm ins Gesicht: – Sie sind in flagranti ertappt, ja in flagranti. Ich kann Sie festnehmen lassen, wenn ich will, jawohl ich kann. Dann sagte er mit zitternder Stimme:
– Dieser Mann heißt Laroche-Mathieu und ist Minister des Äußern.
Der Polizeikommissar fuhr erschrocken zurück und stammelte:
– Ja wollen Sie mir nun endlich sagen, wer Sie sind?
Der Mann faßte einen Entschluß und sagte laut:
– Diesmal hat dieser Mensch da nicht gelogen. Ich heiße in der That Laroche-Mathieu und bin Minister.
Dann streckte er den Arm gegen Georgs Brust aus, wo wie eine kleine Flamme ein roter Punkt sichtbar war, und fügte hinzu:
– Und der Lump dort trägt das Kreuz der Ehrenlegion, das ich ihm gegeben habe.
Du Roy war totenbleich geworden, mit schnellem Griff riß er das schmale, rote Band aus dem Knopfloch und warf es in den Kamin:
– So, das ist ein Orden wert, der von so einem Schweinekerl kommt, wie Sie.
Sie standen einander gegenüber, Auge in Auge, wütend mit geballter Faust, der eine mager mit langem blonden Schnurrbart, der andere dick, den Bart nach oben gedreht.
Der Kommissar trat schnell zwischen die beiden, schob sie auseinander und sagte:
– Meine Herren, Sie vergessen sich, denken Sie an Ihre Würde!
Sie schwiegen und wandten einander den Rücken.
Magdalene rauchte noch immer, lächelnd und unbeweglich.
Der Polizeikommissar sagte:
– Herr Minister, ich habe Sie überrascht, allein mit Frau Du Roy, die hier steht, Sie im Bett, diese Dame da fast unbekleidet. Ihre Kleider lagen durcheinander im Zimmer, das genügt um einen Ehebruch zu konstatieren. Sie können die Thatsachen nicht leugnen. Haben Sie etwas zu entgegnen?
Laroche-Mathieu brummte:
– Ich habe nichts zu sagen, thun Sie Ihre Pflicht.
Der Kommissar wandte sich zu Magdalene:
– Gnädige Frau gestehen Sie, daß dieser Herr Ihr Liebhaber ist?
– Ich leugne es nicht, er ist mein Liebhaber.
– Das genügt!
Dann machte der Beamte ein paar Aufzeichnungen über den Zustand, in dem er die Wohnung angetroffen. Als er mit Schreiben fertig war, fragte der Minister, der sich nun fertig angezogen hatte und, den Überzieher auf dem Arm, den Hut in der Hand, wartete:
– Bedürfen Sie meiner noch? Was habe ich zu thun? Kann ich gehen?
Du Roy wandte sich zu ihm und sagte unverschämt lachend:
– Warum wollen Sie fort? Wir sind fertig! Sie können wieder zu Bett gehen. Wir lassen Sie jetzt allein.
Und indem er den Finger auf den Arm des Polizeibeamten legte, sagte er:
– Herr Kommissar, wir ziehen uns zurück, wir haben hier nichts mehr zu suchen.
Etwas erstaunt folgte ihm der Beamte, aber an der Schwelle des Zimmers trat Georg zurück, um ihn voran gehen zu lassen. Der andere sperrte sich dagegen, aber Du Roy blieb dabei: – Bitte Sie haben den Vortritt!
Der Kommissar erwiderte:
– Nach Ihnen!
Da verbeugte sich der Journalist und sagte mit ironischer Höflichkeit:
– Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Kommissar. Ich bin ja hier beinahe zu Hause.
Dann schloß er leise die Thür, als wollte er ganz zartfühlend sein.
Eine Stunde später trat Georg Du Roy in die Redaktion der ›Vie française‹. Herr Walter war schon anwesend, denn er leitete und überwachte noch immer sorgfältig seine Zeitung, die eine enorme Ausdehnung angenommen hatte und die immer größer werdenden Unternehmungen seiner Bank kräftig unterstützte.
Der Chef blickte auf und sagte:
– Ach, da sind Sie! Aber Sie sehen ja ganz sonderbar aus. Warum sind Sie denn nicht zum Essen zu uns gekommen? Wo kommen Sie denn her?
Der junge Mann erklärte, seiner Wirkung sicher, indem er jedes Wort einzeln betonte:
– Ich habe eben den Minister des Äußern gestürzt!
Der Chef meinte, er mache einen Spaß:
– Wieso denn gestürzt?
– Ich werde einen Kabinettswechsel veranlassen, weiter nichts. Es war an der Zeit, das Aas hinauszuschmeißen.
Der Alte war ganz paff und dachte, daß sein Redakteur betrunken wäre: – Reden Se keinen Stuß!
– Durchaus nicht. Ich habe eben Herrn Laroche-Mathieu beim Ehebruch mit meiner Frau ertappt. Der Polizeikommissar hat die Sache festgestellt. Der Minister ist futsch.
Walter schob ganz erschrocken seine Brille auf die Stirn und fragte:
– Sie wollen mich wohl zum Besten halten?
– Durchaus nicht! Ich werde sogar sofort einen Artikel darüber schreiben!
– Ja, was wollen Sie denn damit?
– Ich will diesen Gauner, diesen Elenden, diesen gemeingefährlichen Verbrecher stürzen! – Er warf den Hut auf den Stuhl und fügte hinzu:
– Wer mir ins Gehege kommt, der mag sich hüten! Ich verzeihe nie!
Der Chef, der noch immer nicht begriff, brummte:
– Aber . . . Ihre Frau!
– Meine Scheidungsklage wird morgen eingereicht. Ich schicke sie dem seligen Forestier zurück!
– Sie wollen sich scheiden lassen?
– Das will ich meinen! Ich war der Dumme, aber ich that nur so, um sie abzufassen. Nun ist es so weit, und ich habe das Heft in der Hand!
Herr Walter konnte sich gar nicht erholen. Er blickte Du Roy erschrocken an und dachte: Verflucht, mit dem Kerl muß man sich in Acht nehmen!
Georg sagte:
– Jetzt bin ich frei, ich habe ein gewisses Vermögen. Nun werde ich in meiner engern Heimat, wo ich sehr bekannt bin, bei den Neuwahlen im Oktober als Abgeordneter kandidieren. Mit dieser Frau, die allen Leuten gleich verdächtig war, konnte ich mir keine Stellung erringen und zu nichts kommen. Sie hatte mich reingelegt wie man 'nen Dummen fängt, ganz einfach. Aber seitdem ich wußte, wie sie 's treibt, habe ich sie überwacht. Das Beest!
Er fing an zu lachen:
– Der arme Karl, der Forestier trug seine Hörner, ohne etwas zu ahnen in ruhiger Vertrauensseligkeit. Jetzt bin ich den Grind los, den er mir gelassen hat. Meine Hände sind jetzt frei, ich will schon meinen Weg machen!
Er hatte sich rittlings auf einen Stuhl gesetzt und sagte, wie im Traume vor sich hin:
– Ich will schon meinen Weg machen!
Der alte Walter blickte ihn immer noch mit bloßem Auge an, die Brille auf die Stirn empor geschoben, und sagte sich: Ja der Kerl wird seinen Weg machen!
Georg stand auf:
– Ich werde jetzt den Artikel schreiben. Das muß sehr taktvoll gedeichselt werden! Aber wissen Sie, dem Minister kostet er den Kopf. Ein Mann über Bord, den man nicht wieder herausfischen kann. Die ›Vie française‹ hat keinen Grund, ihn zu schonen.
Der Alte zögerte ein paar Augenblicke, dann fügte er sich und sprach:
– Na, immer los! Das kommt davon, wenn man sich in solche Geschichten einläßt!