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5. Kapitel.

Pawjel Fjodorew war finster, den Kopf auf die Brust gesenkt und leise Worte vor sich hinflüsternd, auf der Straße fortgegangen bis nach dem Platz vor der Kirche. Alle Männer des Dorfes hatten sich hier wieder zusammengefunden und standen in ernsten, halblauten Gesprächen beieinander. Die Weiber waren verschwunden, eine dumpfe Schwüle schien auf der ganzen Bevölkerung von Muschina zu liegen; die Ankunft eines türkischen Machthabers wirkte auf die Bulgaren wie das Erscheinen eines Raubvogels über einem Hühnerhofe – alles versteckte sich oder drängte sich in dichte Gruppen zusammen, als ob man eng vereint sicherer gegen die Gefahr sei, denn Gefahr für Hab und Gut, ja für Leib und Leben war jedesmal vorhanden, so oft sich ein Vertreter der türkischen Regierungsmacht blicken ließ, welche trotz aller Versicherungen vor Europa die christliche Bevölkerung kaum höher achtete als das Arbeitsvieh, und welche diese Bevölkerung am liebsten ganz ausgerottet hätte, wenn das Vieh allein die Felder bestellen und die Steuererträge dem Boden hätte abringen können.

Als Pawjel den Platz betrat, wendeten die Männer beschämt und verlegen die Blicke ab – der Vater Julian aber, welcher auch in diesem Augenblick der Sorge sich inmitten seiner verschüchterten Herde befand, trat vor und sagte:

»Wendet euch nicht ab, ihr habt unrecht getan, und man macht das Unrecht nicht gut, wenn man sich scheu vor der Erkenntnis desselben versteckt. Pawjel ist ein treuer Freund euch allen gewesen, und mehr wie je tut es not, daß alle treuen Söhne des Landes und der Kirche in Eintracht und Freundschaft zusammenhalten.«

Noch einen Augenblick standen die Männer zögernd, dann eilten einige der Jüngsten, welche sich vorher am lautesten geweigert hatten, mit Stjepanida in den Reigen zu treten, schnell entschlossen dem langsam vorwärts schreitenden Pawjel entgegen und streckten ihm ihre Hände hin mit den immer noch etwas verlegenen, aber herzlichen Worten:

»Wir hatten unrecht, Pawjel Fjodorew – wir wollten dich nicht kränken, der Zorn gegen Leonew riß uns fort, verzeih uns und sei wieder unser Freund, und wenn du Stjepanida Theofilowna wirklich deine Hand reichen willst, so soll sie einen ehrenvollen Platz unter uns finden, und keines der anderen Mädchen soll es wagen, sie nur mit einem Blick zu beleidigen.«

Die übrigen jungen Leute folgten, die älteren Männer schlossen sich einer nach dem andern an – sie alle mochte im Augenblick der unbestimmten Gefahr ein ähnliches Gefühl überkommen, wie es die Griechen empfanden, als sie den Achill gekränkt und nun dem mächtig drohenden Feinde gegenüber den Verlust der Heldenkraft des Besten unter ihnen schmerzlich spürten. Alle umgaben den jungen Mann, den sie vorher so trotzig beleidigt hatten, und streckten ihm ihre Hände entgegen.

Pawjel erhob den Kopf und blickte wie aus einem Traume erwachend im Kreise umher.

Dann zuckte wilder Schmerz über sein Gesicht, und seine Lippen verzogen sich zu einem so bitteren, verzweiflungsvoll höhnischen Lachen, daß die jungen Leute, welche zunächst bei ihm standen, entsetzt zurückwichen.

»Was habt ihr mir getan?« fragte er mit dumpfer Stimme, »ich weiß es nicht – der Bach verschwindet, wenn der brausende Strom aus den Ufern tritt und alles mit seinen zerstörenden Fluten bedeckt.«

Wie mechanisch, immer das entsetzliche Lachen auf den Lippen, immer den starren Schmerz im brennenden Blick, faßte er nacheinander die ausgestreckten Hände der Nächststehenden und preßte sie mit fast schmerzhaftem Druck zusammen, voll Schrecken fühlten die Männer, daß seine Hände kalt waren wie Eis und daß seine Finger krampfhaft zitterten.

»Was ist geschehen – um Gottes willen, sprich!« rief einer der jungen Leute, dessen Hand Pawjel, wieder in finstere Träumerei zurücksinkend, festhielt, »du warst dort in Leonews Hause, du hast den Kaimakam gesehen, sage, was gibt es, welches Unheil bringt uns der tückische, gierige Türke?«

Pawjel stand stumm da, er schien die von allen Seiten immer dringender an ihn gerichteten Fragen nicht zu hören. Als endlich auch der Vater Julian zu ihm herantrat und ihn bat, zu sagen, was ihn so schwer erschüttert habe, da schüttelte er den Kopf, als ob er seine Gedanken von der Last des Jammers befreien wolle, und sagte mit rauhem, schneidendem Tone:

»Was es gibt? – Nun, ihr sollt die doppelten Steuern zahlen, damit der Türke den Krieg gegen den großen Zaren führen kann, der heranzieht, um uns zu befreien.«

»Die doppelten Steuern?« riefen die Männer ringsumher, »das ist unmöglich, dazu reicht unser Vorrat nicht, und wenn wir alles verkaufen wollten – und selbst die künftige Ernte dieses Jahres wird nicht hinreichen, um solche Abgaben zu tragen.«

»Nun, seid ruhig,« fugte Pawjel mit bitterem Hohn, »seid ruhig, der Padischah ist ein Weiser und guter Herr – er sorgt dafür, daß ihr nicht verhungern werdet, denn der Kaimakam wird die Tüchtigsten unter euch ausheben zum Waffendienst im Heere gegen die Russen – mich hat er schon ausgewählt und würdig befunden, unter der Fahne des Halbmondes gegen die Befreier unseres Vaterlandes zu kämpfen – ihr seid ja alle kräftig und kriegstüchtig, euch ist ein gleiches Schicksal sicher – und für die Zurückbleibenden wird ja dann wohl noch genug da sein, ihr Leben zu fristen.«

Ein allgemeiner Schrei des Schreckens erschallte ringsumher.

»Das ist unmöglich,« riefen alle, »unmöglich – das ist wider das Recht – wider das türkische Gesetz selbst – wir haben den Haradsch bezahlt, wir sind frei vom Heeresdienst, niemals werden wir gegen die Russen fechten – gegen unsere Brüder – unsere Retter!«

Drohend erhoben sich die geballten Hände, wilder Zorn flammte in allen Blicken – traurig senkte der Vater Julian den Kopf.

»Ihr werdet nicht gegen die Russen fechten,« rief Pawjel, »nein – nein – das weiß man in Stambul auch, und man wird nicht so töricht sein, euch in die Reihen zu stellen – in die entlegenen Festungen des Landes wird man euch verteilen, euch einsperren, und wenn ihr murrt, in Ketten legen, damit ihr nicht die Heere unserer Befreier verstärkt, wenn der Zar kommt, um unsere Fesseln zu brechen – und das Recht wird man nicht verletzen – ihr werdet ja Freiwillige sein, mit euren Namen wird man die Listen füllen, die man den fremden Mächten zeigen wird zum Beweise, wie die Christen sich herandrängen, um die Waffen zu führen im Kampfe für die türkische Herrschaft, die so milde und gerecht ist gegen alle ihre Untertanen. Oh, das Spiel ist klug und sein – morgen wird der Kaimakam seine Wahl treffen, seid gewiß, daß er keinen hier lassen wird, der imstande wäre, die Waffen zu ergreifen, wenn die Russen herannahen.«

»Das darf nicht sein,« riefen alle ringsum, »niemals werden wir gegen die Russen die Waffen tragen, wir dürfen es nicht erwarten, bis man uns aushebt und in die Festungen schleppt, wir müssen fliehen – schnell in die Berge fliehen.«

Pawjel fiel wieder in sein finster brütendes Sinnen zurück, der Vater Julian schüttelte sorgenvoll den Kopf, er war ein Mann des Friedens, seit Jahren gewöhnt zu dulden, und Mäßigung und Unterwerfung unter die schweren Schickungen zu predigen, alles Plötzliche, Heftige, Gewaltsame erschreckte ihn.

»Ihr habt recht, meine Kinder,« sagte er, »ihr habt recht, es ist wider das Recht, wider das türkische Gesetz selbst, euch auszuheben und in die Festungen zu führen – und es wäre fast eine Sünde wider den Heiligen Geist, wenn ihr unter der Fahne des Halbmondes die Waffen tragen solltet gegen die Russen – unsere christlichen Glaubensbrüder, die doch nur den Krieg führen, um uns zu befreien – aber bedenkt, was ihr tut, welcher Gefahr ihr euch aussetzt, wenn ihr in die Berge flieht – wenn ihr gefangen werdet, wird man euch grausam hinrichten – alles, was ihr besitzt, ist verloren, wartet, vielleicht ist es nicht so schlimm, der Kaimakam hat euch noch nichts gesagt, vielleicht ist es nur eine Drohung, vielleicht wird der Mutessariff oder der Pascha eure Vorstellungen hören.«

»Hört der Türke Vorstellungen?« rief es aus dem Kreise, »die Antwort auf unsere Vorstellungen würde sein, daß man uns mit noch schwereren Ketten belastet – nein, nein – wir müssen fort, diese Nacht noch fort, sobald die Sonne untergegangen, der Kaimakam wird sich bei dem schurkischen Leonew wie immer betrinken, und morgen muß er das Nest leer finden.«

Alle jungen Leute und auch viele der älteren Männer stimmten der Meinung bei, daß man sich durch die Flucht der drohenden Gewalttat entziehen müsse, – an Widerstand war ja nicht zu denken, obwohl der Kaimakam nur von wenigen Gendarmen begleitet war, denn die Bevölkerung des türkischen Dorfes wäre zu seinem Beistände herbeigeeilt, und man konnte nicht wissen, ob nicht größere Mannschaften bereits unterwegs seien.

Der Vater Julian wagte nicht mehr abzumahnen – er mußte ja das Vorhaben, im Grunde seines Herzens billigen, und alle waffenfähigen Männer berieten sogleich die Flucht, auf welcher sie ihre wenige Barschaft und so viel Lebensmittel als möglich mitzunehmen beschlossen.

»Und Pawjel Fjodorew soll uns führen,« rief derjenige der jungen Burschen, welcher am Nachmittag am heftigsten gegen Pawjel aufgetreten war, – »er ist der Mutigste, der Stärkste und der Klügste von uns; – er kennt am besten die Stege in den Wäldern und Bergschluchten, – ihm wollen wir folgen, damit er uns durchführt nach der Grenze, den Russen entgegen.«

Pawjel hob den Kopf empor und sah den Sprechenden groß an. Finster und kalt antwortete er:

»Ich werde euch nicht führen, denn ich gehe nicht mit euch.«

»Du gehst nicht mit uns? – Du willst hierbleiben, um dich von den Türken fortführen zu lasten? Hat Pawjel Fjodorew kein Herz mehr für Glauben und Vaterland? Will er sich in die türkischen Eisen schmieden lassen? – Du mußt mit uns gehen – es ist unmöglich, daß du dich von uns trennen kannst!«

So rief es durcheinander – erstaunt, unwillig; drängend schloß sich der Kreis dichter um Pawjel.

Aber dieser schob mit seinem kräftigen Arm die Nächsten, welche seine Hände gefaßt hatten, zurück und sagte mit demselben düsteren Blick und demselben kalten Ton:

»Es ist überflüssig – verliert kein Wort weiter, – ich bleibe hier, – denn ich habe noch zu tun.«

Die letzten Worte waren leise gesprochen, als ob er nur mit sich selbst redete, – aber die Umstehenden schauderten bei ihrem Ton.

»Und was hast du zu tun,« fragte endlich einer der älteren Leute, – »da doch der Türke alles nehmen wird, was uns gehört? Lohnt es, die Felder zu bauen und das Heu von den Wiesen einzufahren, da doch nichts von dem Ertrag unserer Arbeit für uns übrigbleiben wird?«

»Pfui, Joan Stanew,« rief Pawjel, »kannst du glauben, daß ich an Äcker und Wiesen denke, wenn es das Vaterland und den Glauben gilt? – Wahrlich«, sagte er, stolz den Kopf emporwerfend, »ich würde euch führen in die Berge, daß kein Türke euch erreichen sollte, und ich würde euch sicher an die Grenze und bis zu den Russen bringen, damit wir dann mit ihnen wieder einziehen in unser Land, die Türken zerschmetternd unter unseren Waffen, wie es einst der König Johannes der Große mit seinen bulgarischen Heldenscharen tat, – und freudig würde ich mit euch hinausgezogen sein, wenn das, was jetzt geschieht, vor einem Jahre geschehen wäre – heute aber,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, indem seine Blicke sich wieder zu Boden senkten, »heute kann ich euch nicht begleiten, denn ich habe hier eine heilige Pflicht zu erfüllen.«

»Welche Pflicht kann heiliger sein«, fragte nun auch der Vater Julian, »als die, dich und uns alle dem Kampfe für den Glauben und das Vaterland zu erhalten?«

»Die Pflicht, ehrwürdiger Vater« erwiderte Pawjel unerschütterlich, »eine Seele vor dem ewigen Verderben zu bewahren.«

Alle sahen ihn kopfschüttelnd an, sie schienen fast zu glauben, daß sein Geist sich zu verwirren anfange.

Der Abend dunkelte bereits herab, – die Straßen waren leer, – außer den auf dem Kirchenplatz versammelten Männern waren alle übrigen Einwohner des Ortes ängstlich in ihren Häusern eingeschlossen, in banger Erwartung, was der Besuch des Kaimakams zu so ungewöhnlicher Zeit bedeute.

»Tretet nahe zu mir heran«, sagte Pawjel mit gedämpfter Stimme. »Ihr seid treue Männer, wenn ihr auch heute mich gekränkt habt in der Aufwallung eures Hasses gegen Leonew, den ich begreife und den er tausendfach verdient, ihr sollt mich nicht falsch beurteilen, ihr sollt erfahren, warum ich nicht mit euch gehen kann – und ihr werdet mir recht geben.«

Alle drängten sich lauschend dicht um ihn zusammen.

»So hört denn,« sagte er, »ich habe es vor euch allen bekannt, ich liebe Stjepanida, Leonews Tochter, und so wahr Gott im Himmel mir gnädig sein soll – sie hat nichts gemein mit aller Schlechtigkeit und Bosheit ihres Vaters, – um meiner Liebe willen wollte ich Leonew die Hand zum Frieden bieten – ich ahnte noch nicht die ganze Abscheulichkeit seiner schwarzen Seele. Er wies mich zurück – und«, fuhr er noch leiser, von Schauern geschüttelt fort, »er will Stjepanida, sein eigenes Kind, dem Kaimakam übergeben, damit sie«, fügte er mit bitterem Hohn hinzu, »in dessen Haus die Wirtschaft besorge und die Aufsicht über die Sklaven führe – vermögt ihr das zu fassen? – Ein Vater, der sein Kind an die Ungläubigen verhandelt – wo sie dem Verderben an Leib und Seele verfallen ist!«

Er ballte die Hände und sah mit wilden Blicken zum dunkelnden Abendhimmel auf, als suche er dessen rächenden Blitzstrahl.

»Das darf nicht sein!« rief der Vater Julian, während die Bauern alle in starrem Entsetzen dastanden – »Stjepanida ist durch die heilige Taufe der Gemeinschaft des Heils erworben, – sie darf den Ungläubigen nicht ausgeliefert werden, die sie zwingen werden, ihren Gott zu verleugnen und ihre Seligkeit zu verlieren – man muß den Medschliß berufen, – er muß Einsprache tun –«

»Der Medschliß?« rief Pawjel, »was vermag der Medschliß gegen die Willkür der Türken, die heute noch die Herren im Lande sind? Und«, fuhr er mit grimmigem Hohnlachen fort, – »ist nicht alles in Ordnung? Ist nicht Leonew Herr, über seiner Tochter Schicksal zu bestimmen? Gibt er sie nicht in das Haus des Kaimakam, des Schützers der Gesetze? Wer kann ihn anklagen, daß er sie in den Harem des Paschas oder des Wesirs ober gar des Padischahs verkauft, daß er sie dem Islam überliefert? Oh, Leonew ist in seinem Recht, und die Behörde wird sein Recht schützen! – Aber Ihr habt recht, ehrwürdiger Vater – das darf nicht sein – und«, fügte er mit dumpfer, bebender Stimme hinzu, »das wird nicht sein! Wißt ihr nun, was ich hier noch zu tun habe? Ich kann Stjepanida gegen die Gewalt nicht schützen – aber die Macht der Türken, gegen die wir hier auf Erden heute noch ohnmächtig sind, reicht nicht hinauf bis in den Himmel. Ich werde den Befreiungskampf für das Vaterland nicht mitkämpfen – aber morgen werden zwei Seelen an Gottes Thron für euch beten.« »Entsetzlich, du willst sie töten?« fragte Joan Stanew, während der Vater Julian sich bekreuzigte und die anderen in düsterem Schweigen zur Erde blickten.

»Ich will ihre Seele dem ewigen Leben retten,« rief Pawjel, »so lange mein Arm noch frei ist! – Was taten die heiligen Märtyrer, Vater Julian, die sich opferten, um das ewige Leben zu retten? Könnt Ihr als Priester Gottes mir raten, sie dem Verderben in den Händen der Ungläubigen zu überlassen?«

Der Vater Julian senkte schweigend das Haupt.

»Nun,« sagte Pawjel, »so laßt mich meinen Weg gehen, – er führt mich aufwärts zum ewigen Licht, und Gott wird mein Auge und meinen Arm stärken, das Opfer zu vollbringen. Ihr aber wartet, bis die Dunkelheit vollständig hereingebrochen ist – dann versammelt euch mit den schnellsten Pferden – alle meine Tiere gehören euch – vor dem Dorfe reitet langsam zur Kuschitza hinab, – ihr kennt die Furt – jenseits des Flusses jagt davon, so schnell die Pferde es vermögen, nehmt den Weg bei Plushna vorbei, seitwärts von Dobromirka beginnen die Berge mit ihren Wäldern und Felsschluchten, dort müßt ihr sein, wenn der Morgen anbricht. – Das ist mein Rat – folgt ihm, und ihr werdet gerettet sein, – in den Bergen könnt ihr rasten und euch bereithalten, bis die Stunde des Kampfes schlägt. Lebt wohl und bittet Gott, daß er mein Auge sicher und meine Hand fest mache.«

Er wendete sich um und ging festen Schrittes davon.

Alle sahen ihm in finsterem Schweigen nach, – niemand fand ein Wort, – niemand wagte ihn zurückzuhalten. Der Vater Julian segnete den Davonschreitenden mit dem Zeichen des Kreuzes.

»Geht denn«, sagte er traurig, »und bereitet eure Flucht vor, – draußen vor dem Dorf werde ich euch noch einmal segnen, wenn die Dunkelheit hereingebrochen ist, – hätte das Alter mein Haar nicht gebleicht und die Kraft meiner Glieder gebrochen, und wäre ich nicht durch das heilige Priesteramt gebunden, so ginge ich mit euch in die Freiheit der Berge, – aber so muß ich hierbleiben, die Zurückbleibenden zu trösten!«

Still gingen die Männer auseinander.

Pawjel war in sein Haus zurückgekehrt.

Er setzte sich in sein Wohngemach, zündete die kleine Öllampe an und brachte seine Waffen instand.

Er besaß zwei lange Reiterpistolen, er putzte die Läufe und lud sie mit Kugeln – dann schärfte er auf dem Stein das lange Dolchmesser und prüfte dessen Kraft durch einen mächtigen Stoß in das Holz des Tisches – die Spitze drang durch die Platte und erschien ohne Scharte und Biegung unterhalb derselben.

»Das wird genug sein,« sagte er, – »mit der Flinte kann ich nicht in Leonews Haus dringen, man würde Verdacht schöpfen und mich anhalten, – ein Schuß oder ein Stoß für sie – ein anderer für mich – und wir werden vereint sein in dem Reiche der Freiheit, wohin die Macht der Türken nicht dringt.«

Dunkler und dunkler wurde es draußen, – unbeweglich saß Pawjel vor dem Tisch, auf dem die Waffen lagen, die starren Blicke auf diese Werkzeuge der Zerstörung gerichtet, welche morgen zwei junge Herzen vernichten sollten, die vor wenigen Stunden noch hoffnungsvoll dem Glück und der Liebe entgegenschlugen.

Nur von Zeit zu Zeit stieg ein tiefer, schwerer Seufzer aus seiner Brust auf, ein Zeichen des harten Kampfes, der unter der äußeren, steinernen Ruhe seine Seele durchzitterte – von draußen drangen flüsternde Stimmen und der Klang leiser Tritte von Menschen und Pferden herein, – die jungen Leute begannen sich vor dem Dorfe zum Abzug zu versammeln.

Da knirschte die Tür des Zimmers in ihren Angeln.

Fast unwillig blickte Pawjel auf – er wollte allein sein, allein den Abschied vom Leben durchringen. Wer kam, ihn jetzt zu stören?

Entsetzt fuhr er empor von seinem Sitz, in der geöffneten Tür, von dem matten, flackernden Licht der kleinen Lampe beleuchtet, stand Stjepanida. Ein dunkles Gewand umhüllte ihre Gestalt, ihr Haar hing halb aufgelöst über den Schultern herab, geisterhaft leuchteten ihre großen, dunklen Augen aus dem bleichen Gesicht.

Sie eilte zu ihm hin – sie sank zu seinen Füßen nieder, und mit flehend zu ihm ausgestreckten Händen rief sie:

»Rette mich, Pawjel Fjodorew, – rette mich!«

Er hob sie auf, er schloß sie in seine Arme, zitternd fuhr er mit den Händen über ihr Haupt und ihre Schultern.

»Du bist es wirklich, Stjepanida, – es ist kein trügerisches Schattenbild, das mich täuscht, – du hast den Wächtern entfliehen können?«

»Man hat mich nicht bewacht,« rief sie atemlos,– »die Soldaten liegen im Stall, – mein Vater hat mit dem Kaimakam getrunken, sie schlafen fest, – die Nacht ist unser, – wenn du mich je geliebt hast, Pawjel, – um der Barmherzigkeit Gottes willen – töte mich – ich will nicht in die Gewalt des Türken fallen, dem mein Vater mich verkauft hat!« rief sie schaudernd.

Pawjel jauchzte auf, fest drückte er das Mädchen in seine Arme.

»Der Himmel ist gnädig!« rief er. – »Nein – nicht der Tod soll uns zur Freiheit führen, – noch ist es Zeit.«

Er steckte die Pistolen und den Dolch in seinen Gürtel, warf seine lange Flinte über die Schulter und füllte seine Jagdtasche mit Munition. Dann schüttete er seine ganze Barschaft, einen reichen Schatz für die armen Verhältnisse des Ortes, in einen ledernen Beutel und eilte zur Tür.

»Du willst mich verlassen?« rief sie angstvoll, – »du willst mich den Türken preisgeben?«

»Warte – einen Augenblick nur – die Rettung ist nahe.«

Er verschwand im dunklen Hofe, während das zitternde Mädchen in banger Ungewißheit wieder auf die Knie sank und mit gefalteten Händen ihre Gebete stammelte.

Nach wenigen Minuten kam Pawjel wieder.

»Komm!« sagte er, sie aufrichtend und eilig mit sich fortziehend.

Vor dem Hause standen zwei gezäumte Pferde.

Pawjel führte das eine und legte den Zaum des andern in Stjepanidas Hand.

Dann führte er sie, leise auftretend und vorsichtig durch die Dunkelheit spähend, auf der Dorfstraße fort, bis sie die letzten Häuser hinter sich hatten.

Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, – Stjepanida sah eine Anzahl dunkler Gestalten vor sich und blieb mit einem leisen Schreckensruf stehen.

»Fürchte nichts,« sagte Pawjel, »bald werden wir in Sicherheit sein.«

Schnell trat er, das Mädchen an der Hand, in den Kreis der jungen Bauern, welche, ihre Pferde am Zaum haltend, den Vater Julian umringten.

Es war die höchste Zeit, – schon erhob der Priester die Hand, um den Flüchtlingen den Abschiedssegen zu erteilen.

»Pawjel,« riefen die Nächsten, – »Pawjel Fjodorew, – was ist geschehen – sind wir verraten?«

»Ich gehe mit euch – ich führe euch,« erwiderte Pawjel, – »Stjepanida ist frei – Gott hat ein Wunder getan und zwei fromme und treue Herzen errettet.«

Alle drängten sich heran, sie unterdrückten die lauten Freudenrufe, die auf ihren Lippen schwebten, aber sie schüttelten Pawjels Hände und begrüßten herzlich die zitternde Stjepanida, welche sich an die Seite des Geliebten schmiegte.

»Vorwärts denn,« rief Pawjel, »jeder Augenblick ist kostbar!«

Er hob Stjepanida auf das eine seiner Pferde, küßte noch einmal die Hand des Priesters und sprang in den Sattel.

Im Nu saßen die Männer alle auf ihren Pferden, und, von Pawjel geführt, verschwand der Zug, langsamen Schrittes über die weiche Wiese seitwärts des Dorfes hinreitend, in der Dunkelheit.

Vorsichtig passierten sie die Furt des Flusses, sicher von Pawjel geführt, dessen Auge auch in der Dunkelheit alle Zeichen der seichten Stellen erkannte.

»Jetzt gilt es den Ritt um Freiheit und Leben,« rief Pawjel, als der letzte Reiter das Ufer erreicht hatte, – »haltet euch dicht hinter mir und schließt euch fest zusammen.«

Er faßte Stjepanidas Hand – ihre beiden Pferde legten sich aneinander, ihr Haar wehte um seine Wangen, er flüsterte jubelnde Worte der Liebe und Hoffnung in ihr Ohr, und in rasendem Lauf jagte die kleine Schar über die Felder dahin, den schützenden Bergen zu.


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