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In der russischen Provinz Bessarabien am Flusse Byk liegt in einer Art von Delta, welches dieser Fluß mit dem in vielfachen Krümmungen dem Schwarzen Meere zuströmenden Dnjestr bildet, die Stadt Kischinew. Die ganze Umgegend, in welcher waldige Höhenzüge zu fruchtbaren Feldern und Wiesen abfallen, ist reich an landschaftlicher Schönheit, und inmitten dieser anmutig freundlichen Umgebung bietet die Stadt selbst ein außerordentlich buntes und lebensvolles Bild. Der Ort ist in unglaublich kurzer Zeit zu bedeutender Ausdehnung emporgewachsen; er war, als im Jahre 1812 Bessarabien mit Rußland vereinigt wurde, ein kleiner Flecken, in dem kaum einige Tausend Menschen wohnten, und zählt jetzt schon fast einhundertfünfzigtausend Einwohner. Die Bevölkerung besteht aus Einwanderern, welche durch die fruchtbare Gegend und die Handelsbeziehungen des Schwarzen Meeres herangezogen worden sind und sich außer den Russen aus Bulgaren, Moldauern, Walachen und zahlreichen Deutschen zusammensetzt, unter denen sich Tataren und Zigeuner angesiedelt haben.
Diese verschiedenen Volksstämme, welche meist ihre Sitten und Trachten beibehalten, haben der Stadt auch in der Verschiedenartigkeit ihrer Gebäude ein eigentümlich buntes, mannigfaltiges Aussehen gegeben, und man kann nichts Reizenderes und Malerischeres denken, als die weit ausgedehnte, von blühenden Gärten umgebene und an einem Höhenzuge amphitheatralisch emporsteigende Stadt Kischinew, in welcher sich um die Paläste des Gouverneurs und des Erzbischofs eine große Anzahl Kirchen, und zwar neben den griechischen auch römisch-katholische, lutherische, armenische, sowie mehrere Synagogen erheben. Wenn schon zu gewöhnlichen Zeiten die Stadt und die Umgegend, namentlich in der grünenden und blühenden Frühlingszeit, einen freundlichen, reichbelebten Eindruck machten, so bot die ganze, von der Natur so reich begünstigte und durch den menschlichen Arbeitsfleiß belebte Gegend gegen Ende April des Jahres 1877 ein so wunderbar farbenreiches Bild, wie es selten wohl dem Blick sich gezeigt haben mag; denn in Kischinew hatte der Höchstkommandierende der russischen Donauarmee, der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, der nächstälteste Bruder des Kaisers Alexander, sein Hauptquartier aufgeschlagen, und man erwartete den Kaiser Alexander selbst, welcher kommen sollte, um seine zum Kampf gegen die Türkei bereitstehenden Truppen zu inspizieren.
Offiziere aller Grade und aller Waffen drängten sich in den Straßen von Kischinew, um sich plaudernd vor den Kaffeehäusern zu versammeln oder in den reich ausgestatteten Läden die noch fehlenden Stücke ihrer Feldausrüstung einzukaufen, und reich war die Ernte der betriebsamen Kaufleute von Kischinew, welche immer von neuem ihre Vorräte ergänzten, um sie ebenso schnell wieder abzusetzen. Vor dem Palais des Gouverneurs sah man zahllose Ordonnanzen, welche von den verschiedenen Truppenteilen kamen oder zu denselben abgingen, oder, der Abfertigung harrend, ihre Pferde hin und her führten.
Noch malerischer und belebter aber war das Bild der ganzen Umgegend. So weit das Auge reichte, sah man Lagerplätze und biwakierende Truppen, neben deren Standplätzen sich improvisierte Märkte gebildet hatten, auf denen die Bewohner der Gegend alle Arten von Bedürfnissen feilhielten; von unabsehbarer Ausdehnung reihte sich eine Abteilung an die andere, überall sah man exerzierende Regimenter, Generale, die mit ihren glänzenden Stäben hin und her ritten, und Soldaten, die in zwanglosen Gruppen auf den Wiesen mit den Landleuten verkehrten.
Es war ein schöner, sonniger Morgen, eine erhöhte Bewegung zeigte sich in der Stadt und in den umliegenden Truppenausstellungen; die Soldaten hatten ihre Waffen geputzt, ihre besten Uniformstücke angelegt, und die Offiziere eilten hin und her, um sich überall zu überzeugen, daß nichts an der pünktlichsten militärischen Ordnung fehle, denn der Kaiser wurde erwartet und sollte in einer Stunde mit der Bahn von Tiraspol und Bender her eintreffen. Schon hatte sich eine zahlreiche, mit jedem Augenblick wachsende Menschenmenge um den Bahnhof, soweit das aufgestellte Truppenspalier dies zuließ, zusammengedrängt; an der Bahnstrecke, soweit man dieselbe verfolgen konnte, standen Truppenabteilungen, und hinter denselben dichte Scharen von Landleuten, welche herbeigeströmt waren, um den Kaiser zu sehen, und seit langer Zeit zum ersten Male waren die Straßen der Stadt fast leer, da die Offiziere bei ihren Truppen zu tun hatten und die Bevölkerung hinausgezogen war, um, wie es bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt, in dem dichten Gedränge so wenig als möglich zu sehen.
Nur die Frauen waren meist an den mit grünen Gewinden und Fahnen geschmückten Fenstern zurückgeblieben, und die Straßen, welche der Kaiser passieren mußte, um vom Bahnhof zum Gouvernementsgebäude zu gelangen, zeigten in den Fenstern ihrer Häuser die bunteste Vereinigung der verschiedenen Völkertypen, welche in Kischinew vertreten waren. Man sah hier die Russinnen mit ihren goldglänzenden Augen, blonde deutsche Mädchen, orientalische Jüdinnen und die Weiber der Tataren und Zigeuner mit ihren gelblichen Gesichtern, ihnen brennenden Augen und ihren tiefschwarzen Haaren; immer ungeduldiger beugten sich alle diese Gesichter nach der Straße hinab, um neugierig auszuschauen, ob noch immer nicht der allmächtige Selbstherrscher des weiten Reiches sich nahe, von dem die meisten sich die abenteuerlichsten Vorstellungen machten, und den sie sich mit dem schimmernden Glanz der Kaiserherrlichkeit umgeben dachten.
Schon war der Großfürst, der noch einen Ritt durch die Nächstliegenden Truppenaufstellungen gemacht, am Bahnhof eingetroffen; der Bischof war in seiner vergoldeten Karosse durch die Straßen gefahren, und immer höher stieg die Erwartung, bis endlich aus weiter Ferne her, immer näher heranbrausend, lautes Hurrarufen erscholl und unmittelbar darauf alle Glocken der Kirchen zu läuten begannen.
Weit aus den Fenstern hinaus beugten sich die neugierigen Frauenköpfe – aber immer noch wollte der glänzende kaiserliche Zug sich nicht zeigen, nur ein einfacher Wagen mit zwei Pferden, von einem Kutscher im Kaftan und der viereckigen Pelzmütze geführt, fuhr in scharfem Trabe heran, zwei Kosaken ritten vor demselben, und darin saß ein Offizier im einfachen grauen Mantel, eine weiße Mütze auf dem Kopfe, neben ihm ein General in großer Uniform, man achtete kaum auf diesen Wagen, den man nur als ein Zeichen ansah, daß nun der Kaiser bald kommen müsse. Die Frauen hoben die Blumen empor, welche sie in ihren Händen bereit hielten, um sie auf den Zaren herabzustreuen, bis endlich hier und da der Ruf ertönte:
»Das war der Großfürst in dem Wagen dort – es muß der Kaiser gewesen sein, der bei ihm saß!«
Man wollte diesen Ruf nicht glauben, man blickte erwartungsvoll auf die Straße hinauf; da kamen immer mehr Wagen, einer nach dem andern, alle von Generalen und Offizieren besetzt, endlich fuhr auch die Karosse des Bischofs wieder heran – es war in der Tat die Wahrheit gewesen, in jenem einfachen, unscheinbaren Wagen war der Kaiser, der Herr und Gebieter aller hier versammelten Armeen, der unumschränkte Gebieter des weiten russischen Reiches, unerkannt und unbeachtet vorübergefahren.
Wieder füllten sich die Straßen von der vom Bahnhof zurückströmenden Menge, und alles drängte sich um den Gouvernementspalast, in welchem der Kaiser sein Quartier genommen hatte.
In einem der Wagen, welche das kaiserliche Gefolge vom Bahnhof hereinführten, saß Graf Wladimir Ossipowitsch Swiatowski in der Weißen Uniform der Chevaliergarde, und neben ihm Feodor Michaelowitsch Blagonow in der dunkelgrünen Uniform der Ismailowschen Garden; auf dem Bock des Wagens aber neben dem Kutscher hatte Stephan Sacharjew Platz genommen, er trug die Soldatenuniform der Chevaliergarde, bei welcher er durch Wladimirs Vermittlung eingetreten war, um seinen Herrn als militärischer Diener begleiten zu können, und er blickte so stolz von seinem hohen Sitz auf die neugierige Menge hin, als ob auch er seinen Teil der kaiserlichen Hoheit und Würde in sich fühle und gewiß sei, daß die Blicke der so massenhaft zusammengeströmten Zuschauer auch auf ihm mit ehrerbietiger Bewunderung ruhten.
Endlich folgten einfache Gefährte mit Dienern und Beamten aller Art; man achtete darauf nicht mehr, aber vielleicht würde einer dieser Wagen nicht geringe Verwunderung erregt haben, wenn einer der Bewohner von Wolotschina ihn hätte vorüberfahren sehen können, denn in demselben saß, hochmütig und neugierig zugleich umherblickend, der Student Jewjeni Mossejew; er trug einen eleganten Reiseanzug, auf dem Rücksitz seines Wagens lag ein wohlgefüllter Reisekoffer, und er schien selbst sehr zufrieden mit der Veränderung seiner Verhältnisse zu sein, welche ihn in eine so behagliche, Lage gebracht und ihn in den Stand gesetzt hatte, die Reise mit dem Hauptquartier in dem kaiserlichen Train selbst mitzumachen. Der Wagen fuhr ebenfalls nach dem Gouvernementsgebäude. Der Student stieg aus, übergab seinen Koffer einem der Unterbedienten, der sich eifrig zur Verfügung des mit dem kaiserlichen Zuge angekommenen Herrn stellte, und fragte nach den Kontors der Herren Greger, Horwitz & Cohan, welche die Armeelieferungen in Generalentreprise übernommen hatten.
Man wies ihn nach einem Seitenflügel des Gouvernementsgebäudes, in welchem sich die Bureaus der Intendantur befanden, neben denen auch die Bureaus der Generalunternehmer ihren Platz gefunden hatten. Er durchschritt die Bureauzimmer der Intendantur, in denen eine große Anzahl von uniformierten Schreibern beschäftigt war, und gelangte endlich an eine Tür, auf welcher sich ein Plakat mit der in großen Buchstaben geschriebenen Firma: »Greger, Horwitz & Cohan« befand. Er ließ seinen Koffer vor dieser Tür stehen und trat in den hinter derselben befindlichen Raum ein. Dies war ein ziemlich großer Saal, an dessen Wänden hohe Repositorien und offene Schränke aufgestellt waren, in denen man eine Menge irdener und hölzerner Gefäße erblickte, welche mit Mehl, Futterkörnern aller Art, großen Stücken Brot und geräucherten Fleisch- und Fischsorten gefüllt waren; daneben standen Büchsen mit Konserven in verschiedenen Größen, und daneben zahlreiche Likör- und Weinflaschen mit den verschiedensten Etiketten, vom gewöhnlichen Wutki bis zum feinsten Allasch, vom leichtesten Moselwein bis zu den edelsten Gewächsen von Burgund und Bordeaux. In der Mitte dieses Saales waren Schreibtische aufgestellt, an denen eine Anzahl von jungen Leuten vor großen Rechnungsbüchern beschäftigt waren, sämtlich elegant gekleidet und den Ausdruck der Zufriedenheit mit einer behaglichen Lebensstellung auf ihrem Gesicht.
Der Student näherte sich einem derselben und fragte nach dem Herrn Andrej Iwanowitsch Chwoschtschinski. Der Kommis sah den ihm unbekannten jungen Menschen mit vornehmer Herablassung einen Augenblick prüfend an, dann erhob er sich langsam und trat durch eine mit einer schweren Portiere bedeckte Seitentür, aus der er nach wenigen Augenblicken wieder zurückkehrte, um dem Studenten zu sagen, daß Herr Chwoschtschinski ihn erwarte.
Der junge Mensch trat in ein etwas kleineres Zimmer, das, obwohl nur provisorisch eingerichtet, doch den ausgesuchtesten Luxus zeigte; schwere seidene Vorhänge bedeckten die Fenster, kostbare Möbel mit seidenen Überzügen standen an den Wänden, und nur ein eleganter Schreibtisch von Palisanderholz, auf welchem ein großes Kontobuch aufgeschlagen lag, schien anzudeuten, daß man sich in einem Geschäftszimmer befand. In der Mitte dieses Raumes stand ein kleiner, zierlich gedeckter Tisch, auf welchem man die feinsten Delikatessen aller Art sah: kleine Terrinen von Straßburger Pasteten, Kaviar von Astrachan, den geräucherten rosigen Sterlet der Wolga, daneben eine Flasche Chateau Lafitte und einen Krug des vortrefflichen Curaçao von Amsterdam. Neben diesem Tisch, beschäftigt, den auf demselben befindlichen guten Dingen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, saßen zwei Personen in bequemen Fauteuils; die eine derselben war Herr Andrej Iwanowitsch Chwoschtschinski, Unterbeamter der Firma Greger, Horwitz & Cohan und mit der Leitung eines der Spezialbureaus dieser Gesellschaft beauftragt.
Herr Chwoschtschinski war ein noch junger Mann von etwa neunundzwanzig bis dreißig Jahren, seine große, starke und etwas plumpe Gestalt schien ein wenig zur Korpulenz geneigt, auf seinem breiten, ziemlich gemeinen Gesicht mit kleinen, schräg geschlitzten Augen und starkem, dunklem Haar lag ein Ausdruck grober Sinnlichkeit, verbunden mit listiger Verschlagenheit; der zierlich aufgedrehte Schnurrbart auf seinem breiten, aufgeworfenen Munde vermochte nicht, seinem Gesicht die vornehme Eleganz zu geben, die er ohne Zweifel mit diesem, nach dem Muster der jungen Gardeoffiziere geschnittenen und gedrehten Bart erreichen wollte. Er war nach jener extravaganten amerikanischen Mode gekleidet, welche man zuweilen auf den Pariser Boulevards sieht, ohne daß sie jemals in die Kreise der guten Gesellschaft Eingang finden kann; doppelte Ketten von schweren Goldringen glänzten auf seiner Weste; kostbare Ringe steckten an seinen starken, roten Fingern.
Neben ihm saß ein hagerer, trockener Mann mit kurzgeschnittenem Haar und militärisch gestutztem Bart in der Uniform der Intendantur mit den breiten Achselklappen, welche den Rang eines Stabsoffiziers bezeichnen. Auf seinem blassen Gesicht lag bureaukratische Strenge, listige Klugheit blitzte aus seinen kleinen, stechenden Augen.
Mit vornehm gleichgültiger Miene, die ein wenig Ungeduld über die Störung ausdrückte, fragte Herr Chwoschtschinski kurz: »Was wollen Sie – ich bin beschäftigt und habe keinen Augenblick Zeit.«
Der Student überreichte ihm einen Brief und sagte ebenso kurz mit trotzigem Selbstbewußtsein: »Ich bin im Hause der Herren Greger, Horwitz & Cohan angestellt und habe den Auftrag, mich bei Ihnen zu melden. Dieser Brief wird Ihnen das Nähere sagen.«
Herr Chwoschtschinski erbrach schnell den Brief, während der Intendanturbeamte den neuen Ankömmling mit scharfen, prüfenden Blicken musterte.
Herrn Chwoschtschinskis Miene nahm, nachdem er das Schreiben gelesen, einen freundlicheren Ausdruck an.
»In der Tat,« sagte er, »Sie sind in das Geschäft unserer Chefs aufgenommen und für die Bureaus, welche das Hauptquartier begleiten sollen, bestimmt. Ich soll Sie mit den Geschäften bekanntmachen und in den Dienst führen. Nehmen Sie Platz und frühstücken Sie mit uns; es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Er füllte das Glas mit dem duftende Lafitte und fügte dann hinzu:
»Ich habe die Ehre, dem Herrn Oberstleutnant Christjanew, Abteilungsvorstand der kaiserlichen Intendantur des Hauptquartiers, den Herrn Jewjeni Mossejew vorzustellen. Die Herren«, sagte er mit besonderer Betonung, »werden öfter miteinander zu tun haben, wenn ich nicht im Hauptquartier anwesend sein sollte; ich erlaube mir daher auf gutes Einverständnis anzustoßen.«
Der Oberstleutnant berührte artig, aber doch mit einer gewissen würdevollen, vornehmen Zurückhaltung das Glas des Studenten, und dieser zögerte nicht, der wiederholten Einladung folgend, sich mit energischem Appetit an dem vortrefflichen Frühstück zu beteiligen.
»Es handelt sich also«, sagte der Oberstleutnant Christjanew, »darum, die Verpflegung für die Kavallerie des ersten Armeekorps zu organisieren. Die Verpflegung war ja bis jetzt leicht, da sich die ganze Armee auf russischem Gebiet befand, und sie wird vielleicht auch später sich wiederum wesentlich erleichtern, wenn wir das feindliche Gebiet erreichen und das Recht haben, zu requirieren – die größte Mühe aber macht uns der Durchzug durch Rumänien, denn dort haben wir weder die eigenen Hilfsquellen im Lande, noch dürfen wir Ansprüche an die Bevölkerung machen, da wir auf Grund eines Vertrages durch das Land marschieren und jede Requisition sofort zu diplomatischen Weiterungen führen würde. Auch ist jetzt, wo wir noch keinen Zusammenstoß mit dem Feinde haben und das Gefüge der Armee vollständig intakt bleibt, jede Unregelmäßigkeit in der Verpflegung sehr bedenklich, da sie sogleich ernste Störungen veranlassen und zu strengen Untersuchungen führen müßte; Sie begreifen also die Wichtigkeit der Aufgabe, welche an Sie herantritt, alles muß glatt gehen, ganz glatt,« fügte er mit Betonung hinzu, »denn wir müßten jede Unordnung, die etwa in der Öffentlichkeit bekannt würde und zu den Ohren seiner Majestät käme, auf das Unnachsichtlichste rügen.«
»Seien Sie unbesorgt, ganz unbesorgt, Herr Oberstleutnant,« sagte Chwoschtschinski, indem er noch einmal die Gläser seiner Gäste füllte, »ich habe meinen Plan schon gemacht; wie Sie wissen, war ich mehrmals in Bukarest, um dort alle nötigen Erkundigungen einzuziehen und alle Vorbereitungen zu treffen. Ich habe in Kottroscheni, einem Ort, der nach allen Richtungen hin ungemein bequem liegt, eine Niederlage von Konserven für Pferdefutter errichtet, und von dort aus wird die Sendung des Nötigen pünktlich und richtig jedesmal an die Quartiere gelangen, sobald mir dieselben nur zwei Tage vorher bezeichnet werden.«
Der Oberstleutnant nickte zustimmend mit dem Kopfe.
»Und sind die Konserven, von denen Sie sprechen,« fragte er dann, »auch vollkommen nahrungskräftig, in vollkommen gutem Zustande?«
»Wie können der Herr Oberstleutnant zweifeln?« fragte Chwoschtschinski mit einem fast mitleidigen Lächeln. Schnell aufstehend, ging er nach dem Nebenzimmer und kam mit einer großen Blechbüchse zurück, welche er öffnete, um daraus eine Handvoll einer gelblich-grauen, mehligen Substanz hervorzuziehen.
»Hier,« sagte er, »der Herr Oberstleutnant mögen sich selbst überzeugen, in diesem Mehl sind alle Nahrungsstoffe enthalten, welche ein Pferd bedarf, es ist dies besser noch als der natürliche Hafer und empfiehlt sich schon deshalb, weil es leichter in regelmäßigen Portionen verteilt werden kann.«
Der Oberstleutnant ließ ebenfalls etwas von dem Futtermehl durch seine Hand gleiten.
»Nun,« sagte er, »das ist ja vortrefflich – aber wie steht es mit dem Preise?«
»Der Preis«, sagte Herr Chwoschtschinski, »ist allerdings etwas höher, allein dafür ist, wie ich schon versicherte, die Nahrungskraft auch um so intensiver. Der Herr Oberstleutnant wissen, daß nach dem Vertrage mit meinen Chefs uns der eigene Einkaufspreis vergütet und dazu ein Aufschlag von zehn Prozent für unsere Bemühungen gezahlt werden soll – hier«, sagte er, einen Brief aus der Tasche hervorziehend, »sehen Sie die Mitteilung der Chefs über ihren Einkaufspreis, es wird sich also danach die Berechnung sehr leicht feststellen lassen.«
»Die Berechnung wird sich sehr hoch stellen«, sagte der Oberstleutnant.
»Und kann es darauf ankommen,« erwiderte Herr Chwoschtschinski, »wenn nur die Verpflegung gut und ausreichend ist? Die Kassen der Regierung sind ja so vortrefflich gefüllt, und immer von neuem fließen die Goldströme aus den Sammlungen der patriotischen Komitees denselben zu; was bedeutet da ein größerer oder geringerer Preis, wenn nur der Zweck erfüllt wird und Menschen und Pferde die richtige Verpflegung finden.«
»Und doch«, sagte der Oberstleutnant zögernd, »wird sich der Preis recht hoch stellen – recht hoch.«
»Nun, es läßt sich immerhin vielleicht dennoch eine Ermäßigung ermöglichen,« sagte Herr Chwoschtschinski, »wenn auch das Geschäft, das unser Haus macht, dadurch immer schlechter wird; wenn wir nun ein Prozent abrechneten,« fügte er mit lauerndem Blick hinzu – »ich glaube das vielleicht bei meinen Chefs befürworten zu können?«
»Nun, es wäre immerhin etwas,« sagte der Oberstleutnant – »doch,« warf er dann in gleichgültigem Ton hin, »wenn wir das in die Hauptbücher aufnehmen, so wird es Weiterungen machen, da es ja doch eine Abweichung von dem Vertrage in sich schließt; vielleicht ist es besser, wenn wir das unter uns abmachen – ich werde immer Gelegenheit finden, den Überschuß an einer andern Stelle den Kassen zuzuführen, das kommt ja auf dasselbe heraus.«
»Vollkommen, vollkommen!« rief Herr Chwoschtschinski – »lassen wir es also dabei. Sie zahlen mir ein Prozent weniger, als die Berechnung macht, und die Bücher werden ordnungsmäßig geführt, ich stelle die Quittung über das Ganze aus, und es ist ja dann ganz Ihre Sache, wo Sie den Überschuß wieder als Einnahme der Kasse gutschreiben wollen.«
»Abgemacht,« sagte der Oberstleutnant – »treffen Sie Ihre Vorbereitungen und stellen Sie die Berechnung auf, ich werde dann für die Anweisung des Betrages Sorge tragen.«
»Eine Zigarre?« fragte Herr Chwoschtschinski, sich ganz vergnügt die Hände reibend – »ich habe hier eine Probe von den exquisiten Havannas, welche ich für das Hauptquartier Seiner Kaiserlichen Hoheit selbst liefere.«
Er nahm aus einem zierlichen Schrank eine geöffnete Zigarrenkiste und präsentierte dieselbe den beiden Herren. Ein ungemein feiner, aromatischer Duft erfüllte das Zimmer, als die großen, dunkelbraunen Zigarren angezündet waren.
»In der Tat, vortrefflich,« sagte der Oberstleutnant, »ich habe selten etwas so Gutes geraucht.«
Er wehte sich mit der Hand die blauen Wölkchen zu, um deren Duft noch einmal einzusaugen.
»Ich bin glücklich,« rief Herr Chwoschtschinski, »daß diese Zigarre den Beifall des Herrn Oberstleutnant findet; ich habe einen großen Vorrat und werde mir erlauben, Ihnen einige Kisten davon zuzusenden – es ist ja im Kriege so schwer, an gute Sachen zu kommen, und man muß seinen Freunden darin gefällig sein. Merken Sie sich die Sorte, Herr Mossejew,« fügte er, zu dem Studenten gewendet, hinzu, »damit Sie den Vorrat des Herrn Oberstleutnant ergänzen können, wenn derselbe zu Ende geht und ich nicht im Hauptquartier anwesend bin; Sie sind mir so gut empfohlen, daß ich Ihnen einen Teil meiner Geschäfte, besonders auch den Verkehr mit dem Herrn Oberstleutnant, mit dem Sie stets wegen der Abrechnung zu tun haben werden, übertragen möchte.«
»Ich werde stets zu Befehl des Herrn Oberstleutnant stehen«, sagte Jewjeni, in dessen Augen während des Gesprächs, das er mit anhörte, zuerst einiges Erstaunen, dann der Ausdruck listigen Verständnisses aufgeblitzt war.
»Und dieser Lafitte?« fragte Herr Chwoschtschinski – »auch er ist für die Tafel des Hauptquartiers bestimmt; wenn der Herr Oberstleutnant ihn gut gefunden haben, so möchte ich mir erlauben. Ihnen einen Korb davon zur Verfügung zu stellen.«
»Sie überhäufen mich mit Liebenswürdigkeiten,« sagte der Oberstleutnant Christjanew, »allein hier im Felde hat so gute Gabe doppelten Wert, und ich nehme sie dankbar an.«
Er drückte die Hand des Herrn Chwoschtschinski, und dieser begleitete ihn, nachdem er sich artig vor Jewjeni verbeugt hatte, bis zum äußeren Ausgang der Bureaus hinaus.
»Nun, mein Herr,« sagte er dann, als er zurückkehrte, »wir haben uns heute zum ersten Male gesehen, in Zeiten wie die gegenwärtigen, muß man schnell bekannt werden und keinen Rückhalt gegen seine Freunde haben, zu denen ich Sie nach der Empfehlung, die Sie mir mitgebracht, rechnen muß. Sie sollen, wie der Sekretär des Departements unseres Hauses schreibt, ganz besonders im Hauptquartier verwendet werden; ich meinerseits werde, wie Sie gehört haben, zunächst nach Krottoscheni gehen, um dort für die Pferde von Seiner Majestät erstem Armeekorps zu sorgen, und ich habe, wie ich Ihnen gestehen muß, überhaupt keine große Lust, mich lange im Hauptquartier aufzuhalten – man ist hier geniert, man muß sich Zwang auflegen, während man auf einer entfernten Station der Herr und Gebieter ist und sein Leben ganz nach seinen Neigungen einrichten kann. Auch die Geschäfte gehen dort besser, die Förmlichkeiten sind hier lästiger und es gibt zuviel neugierige Blicke; doch werden Sie auch hier immerhin Gelegenheit genug haben, Ihre Geschäfte neben denjenigen unseres Hauses zu machen. Ich lade Sie ein, mich morgen nach Krottoscheni zu begleiten und dort einen Tag mein Gast zu sein, damit Sie sehen, daß man auch in einem elenden, abgelegenen Flecken vortrefflich leben kann.
Was Ihre Stellung hier betrifft, so haben Sie sich vorzüglich an den Oberstleutnant, den Sie soeben da sahen, zu halten; er hat die Zahlungen für die Lieferungen dieses Bureaus, und wenn Sie mit ihm im Reinen sind, so hat kein anderer etwas darein zu reden – aber auch mit den Vorständen und Mitgliedern der übrigen Bureaus müssen Sie sich in gutem Einvernehmen halten, damit Sie stets nach denselben Grundsätzen wie jene verfahren, und alles wird in vortrefflicher, glatter Ordnung bleiben. Setzen Sie sich zu mir, ich werde Sie schnell in die Geschäfte einweihen, damit Sie vollkommen Bescheid wissen, wenn ich nicht mehr hier sein werde.«
Er nahm mit dem jungen Menschen vor seinem Schreibtisch Platz, schlug das große Buch auf und erklärte ihm eingehend die in demselben befindlichen Zahlen und Notizen. Jewjeni schien von dieser Einweihung in die Geschäfte des Lieferungswesens in hohem Grade erbaut zu sein, immer lächelnder wurde seine Miene, immer vergnügter rieb er sich die Hände, und als der kurze und erschöpfende Unterricht beendet war, drückte er dem Herrn Chwoschtschinski kräftig die Hand, und beide sahen sich einen Augenblick mit jenem eigentümlichen Lächeln an, welches nach dem Sprichwort der Alten zwei sich begegnende Auguren miteinander wechselten.
»Apropos,« sagte Herr Chwoschtschinski, »haben Sie Geld?«
»Ich habe mein Reisegeld empfangen«, erwiderte Jewjeni, »und glaube noch hundert Rubel davon übrig zu haben.«
»Bah,« rief Chwoschtschinski lachend, »was heißt das, was wollen Sie hier mit hundert Rubeln machen – da, nehmen Sie,« fuhr er fort, indem er sein Portefeuille öffnete und drei Scheine über tausend Rubel auf den Tisch warf, »nehmen Sie, es wird ausreichen, bis Sie Ihre Geschäfte begonnen haben. Seien Sie ganz unbesorgt,« fügte er hinzu, als Jewjeni, der noch niemals eine solche Summe beisammen gesehen hatte, ganz erstaunt zögerte – »seien Sie unbesorgt, mich geniert das nicht; das Leben ist hier teuer und Sie dürfen nicht eingeschränkt auftreten, man taxiert Sie«, sagte er mit listigem Augenblinzeln, »nach Ihren Bedürfnissen und Ihrer Lebensweise, und wenn Sie wenig ausgeben, werden Sie wenig verdienen.
Jetzt aber kommen Sie, es ist Zeit, daß wir an unser Diner denken, man ißt hier nicht so spät wie in Petersburg, da das ganze Leben sich nach militärischer Ordnung regelt.«
Er stellte den jungen Menschen, der auf eine so wundersame und plötzliche Weise aus den Hörsälen der theologischen Fakultät in diese ihm völlig neue, fremde Welt versetzt war, den Schreibern in dem vorderen Bureauzimmer vor, und diese begrüßten demütig den vorher so hochmütig Empfangenen, als sie hörten, daß derselbe bestimmt sei, demnächst an die Stelle des Herrn Chwoschtschinski zu treten.
Darauf begaben sich beide nach dem ersten Restaurant der Stadt Kischinew, welches seine Einrichtung bereits vollständig nach Petersburger Muster getroffen hatte. Herr Chwoschtschinski bestellte ein Diner, dessen Bestandteile dem Bauernsohn von Wolotschina und dem kleinen Studenten in seinem bisherigen eingeschränkten Leben völlig unbekannt geblieben waren. Bald schäumte der Champagner in den Gläsern, einige Offiziere der um Kischinew liegenden Regimenter, welche Herrn Chwoschtschinski bekannt waren, folgten dessen Einladung, sich zu ihm zu setzen, und bald war er der Mittelpunkt einer fröhlichen Gesellschaft, in welcher er am lautesten von allen seine Überzeugung von dem zweifellosen Siege der russischen Armee in begeisterten Trinksprüchen zum Ausdruck brachte.