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26. Kapitel

Die Nacht hatte sich über Gornij-Studen und die weiten umliegenden Lagerplätze herabgesenkt. Immer heller leuchteten die Wachtfeuer in der Ebene, je mehr der mit Sternen besäte Himmel sich verdunkelte, immer mehr verstummte das schwirrende und summende Geräusch der verschiedenartigen Stimmen, und nur von Zeit zu Zeit dröhnte von Plewna her ein Kanonenschuß durch die Nacht, als ob die Türken ihren Feinden beweisen wollten, daß sie wach und bereit seien, zu jeder Stunde den Kampf aufzunehmen, welcher so plötzlich und unerwartet eine vollkommen veränderte Gestalt angenommen hatte.

Stephan Sacharjew hatte sich bei dem Grafen Wladimir gemeldet, sich von der guten Unterkunft und der Besorgung der Pferde überzeugt und dann von seinem Herrn einen Urlaub erbeten, um sich das Lager anzusehen und mit den Soldaten der Kosakeneskorte noch ein wenig bei einem Glase Branntwein zu plaudern. Wladimir war zwar etwas verwundert darüber, daß der sonst so stille und zurückgezogene junge Mensch seit einiger Zeit so häufig die lustige Gesellschaft seiner Kameraden aufsuchte, aber da derselbe seinen Dienst pünktlich besorgte, und keine seiner Obliegenheiten versäumte, so hatte er ihm gern auch diesmal den erbetenen Urlaub bewilligt.

Stephan Sacharjew verließ die Wohnung des Grafen in der Nähe des kaiserlichen Hauses, doch begab er sich nicht zu einer der um die Wachtfeuer versammelten Soldatengruppen, welche hier und da noch unter heiteren Gesprächen die Feldflasche kreisen ließen, sondern näherte sich, scheinbar gleichgültig umherschlendernd, der großen Holzbaracke des kaiserlichen Proviantamtes, in deren Nähe er dann, immer die dunklen Schatten aufsuchend und die Tür scharf im Auge haltend, auf und nieder ging.

Immer dichter wurde die Dunkelheit, immer mehr verstummte das Geräusch ringsum, und schon wollte Stephan, dessen kräftige Natur die Müdigkeit zu überwältigen begann, sein Quartier aufsuchen, als er aus dem Dorfe her einen Kosaken im Interimsrock herankommen sah, der einen Augenblick auf dem Platze vor dem Proviantgebäude stehen blieb, vorsichtig umherspähte und dann langsam auf und nieder zu gehen begann.

Stephan hatte sich an einen, im tiefen Schatten liegenden Holzzaun gelehnt, der von einer Hecke überragt war, so daß er an seinem Standpunkt nicht bemerkt werden konnte. So natürlich nun auch die Erscheinung eines Kosaken, der in der kühlen Abendluft auf und nieder ging, inmitten des von so vielen Truppen der verschiedensten Waffengattungen angefüllten Lagers sein mochte, so erregte dieselbe dennoch die Aufmerksamkeit deshalb schon von seiner Schläfrigkeit übermannten Stephan Sacharjew, denn der Kosak schien mit gleicher Schärfe wie er selbst und mit derselben Miene scheinbarer Gleichgültigkeit die Tür des Barackenbaues zu beobachten – Stephan hatte eine unbestimmte Empfindung, daß dieser Kosak, dessen Gesicht von einem großen, schwarzen Barte bedeckt wurde, in irgendeinem Zusammenhang mit dem Gegenstand seiner eigenen Beobachtung stünde, er drückte sich dichter an den Zaun und blieb regungslos im Schatten der Hecke stehen.

Es mochte so eine halbe Stunde vergangen sein, als eine dunkle Gestalt aus der Tür des Proviantamtes hervortrat, mit zögernden, unsicheren Schritten eine kurze Strecke vorwärts ging, und dann wie nachsinnend einen Augenblick stehen blieb. Der Kosak verschwand sogleich, laut eine lustige Melodie pfeifend, in der Mündung der gegenüberliegenden Dorfstraße. Stephan erkannte in der aus dem Holzhause hervorgetretenen Person, deren Gestalt sich in ihren Umrissen gegen die hellfarbige Wand abzeichnete, den Studenten Jewjeni Mossejew, der, nachdem er eine Zeitlang umhergeblickt, als ob er sein Auge an die Dunkelheit gewöhnen und sich über seinen Weg orientieren wollte, langsam nach der Seite hinschritt, an welcher vor den letzten Häusern des Dorfes sich eine freie Feldstrecke bis zu den nächsten Lagerhütten ausdehnte. Schon schickte sich Stephan an, ihm eilig zu folgen, als er bemerkte, daß jener Kosak, der vorher schon seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wieder aus dem Häuserschatten der Dorfstraße hervortrat und in einiger Entfernung hinter Jewjeni Mossejew herging, immer seine Schritte genau nach denjenigen des Studenten abmessend. Auch dies konnte Zufall sein, denn die Straßen des Dorfes und des Lagers gehörten ja jedermann, und es war an sich nicht auffallend, wenn zwei Menschen in gleicher Richtung und gleicher Geschwindigkeit ihren Weg nahmen; Stephan aber war durch seine fortgesetzten Beobachtungen mißtrauisch wachsam geworden, und so folgte er denn auch dem Studenten, nicht, wie es seine Absicht gewesen war, frei über den Platz hinschreitend, sondern er schlich sich längs des Zaunes hin und hielt sich dann dicht im Schatten eines neben der Straße sich hinziehenden Gebüsches.

Seine Vorsicht schien nicht unnütz zu sein, denn der Kosak, welcher Jewjeni Mossejew ungefähr immer in gleicher Entfernung folgte, sah sich zuweilen spähend um, und schien mit seinen Blicken die Dunkelheit durchdringen zu wollen, so daß er Stephan Sacharjew ohne Zweifel hätte erblicken müssen, wenn dieser nicht vollständig durch den Schatten des Gebüsches verdeckt worden wäre. Der Student, welcher an der Spitze der eigentümlichen Reihe dieser drei in gleichmäßigen Zwischenräumen einander folgenden dunklen Gestalten voranging, blieb noch einige Male zögernd und nachdenklich stehen und jedesmal hielt dann auch der Kosak seine Schritte an; nachdem aber Jewjeni das zwischen dem Dorfe und dem Lager liegende freie Feld erreicht hatte, eilte der Kosak ihm schnell nach. Stephan Sacharjew folgte ebenfalls mit beschleunigten Schritten, aber schon nach wenigen Augenblicken befand er sich an dem Rande des Gebüsches, das ihn bisher verdeckt hatte, und auf dem ebenen Felde ringsum war kein Gegenstand vorhanden, der ihn hätte verbergen können; er konnte es nicht wagen, über den Rand des Gebüsches hinauszuschreiten, denn diejenigen, die er beobachten wollte, hätten ihn dann auch ihrerseits sehen können, und es wäre ihm unmöglich geworden, diesen geheimnisvollen nächtlichen Spaziergang weiter zu beobachten, wenn derselbe wirklich etwas Besonderes bedeutete. Er blieb daher zunächst am Rande des Gebüsches, von dessen letzten Zweigen bedeckt, stehen, um zu sehen, welche Richtung Jewjeni einschlagen würde, und danach abzuwarten, ob und wie er ihn weiter unbemerkt beobachten könne.

Nach wenigen Schlitten hatte der Kosak den Studenten auf dem freien Felde eingeholt, er legte die Hand auf seine Schulter, beide sprachen einige Worte miteinander und gingen dann weiter auf das Feld vor.

Stephan Sacharjew hatte sich also nicht getäuscht, es bestand ein Zusammenhang zwischen jenen beiden, und ihre nächtliche Wanderung hatte einen gemeinsamen Zweck. Schon wollte er auf jede Gefahr hin sein Versteck verlassen, um den anderen zu folgen und wenigstens zu sehen, wohin sie gingen, und wenn es irgend möglich wäre, den Kosaken zu erkennen, der auf so außergewöhnliche Weise mit dem Studenten verkehrte – da sah er, wie jene beiden in einiger Entfernung mitten im Felde an einer Stelle stehen blieben, der sich von keiner Seite unbemerkt ein Lauscher nähern konnte. Sein an die Dunkelheit gewöhntes Auge konnte die beiden Gestalten deutlich erkennen, aber es war ihm unmöglich, den Schall eines Wortes zu vernehmen, wie sehr er auch lauschend vorgebeugt sein Ohr anstrengte. Er mußte sich also begnügen, sie, in dem Gebüsch versteckt, zu beobachten, zu sehen, was sie tun würden, und mit ungeduldiger Spannung blickte er nach den beiden dunklen Gestalten hin, welche, dicht nebeneinander stehend, lebhaft zu sprechen schienen.

Jewjeni war erschrocken zusammengefahren, als die Hand des Kosaken sich auf seine Schulter legte; er blickte den ihm unbekannten Soldaten forschend und zweifelnd an, doch sah er von dessen Gesicht nichts als zwei dunkle Augen, welche lebhaft unter der tief in die Stirn gedrückten Mütze hervorblitzten, und einen dichten, schwarzen Bart, welcher den unteren Teil des Gesichtes und die Wangen bis zu den Augen hinauf verdeckte.

Halb leise, aber doch deutlich vernehmbar, sprach der Kosak mit einer gewissen Feierlichkeit das Wort » Nihil« aus und schritt dann weiter in das Feld hinein.

Zitternd und unruhig folgte ihm Jewjeni. Nach kurzer Zeit blieb der Kosak stehen, blickte umher und sagte:

»Dieser Platz ist gut, es ist kein Versteck in der Gehörweite und niemand kann sich uns unbemerkt nähern. Du hast die Ladung erhalten, ich bin hier, um dir den Befehl des Bundes mitzuteilen.«

Jewjeni neigte schweigend den Kopf.

»Du weißt,« fuhr der Unbekannte fort, trotz des einsamen Platzes seine Stimme dämpfend, aber dennoch jedes Wort nachdrücklich betonend, »du weißt, daß der Bund Alexander Nikolajewitsch, der sich Kaiser von Rußland nennt, zum Tode verurteilt hat, weil er aller Mahnungen und Warnungen ungeachtet fortfährt, sich des unsühnbaren Verbrechens der Tyrannei schuldig zu machen und sich der Befreiung des Menschengeschlechtes, welche der Bund als einen heiligen Zweck verfolgt, zu widersetzen. Das Urteil ist allen Brüdern des Bundes bekannt.«

»Ich weiß es«, sagte Jewjeni leise und zitternd.

»Nun,« fuhr der Unbekannte fort, »der Augenblick ist gekommen, in welchem das Urteil vollstreckt werden soll, und der hohe Rat hat beschlossen, die Vollstreckung desselben in deine Hand zu legen.«

»In meine Hand?« rief Jewjeni entsetzt zurückfahrend, »unmöglich!«

»Unmöglich?« fragte der Kosak drohend, »du weißt, daß der Bund dies Wort nicht kennt, weder seinen Feinden, noch seinen Mitgliedern gegenüber.«

Jewjeni atmete schwer, der Schlag, der ihn so ganz unvorbereitet traf, hatte ihn betäubt, mühsam suchte er seine Fassung wieder zu gewinnen.

»Und dennoch,« sagte er von Schauern geschüttelt, »wie sollte es möglich sein, hier im Lager, wo der Kaiser überall und in jedem Augenblick von Wachen umgeben ist – wie sollte ich eine solche Tat vollbringen, da ich keine Gelegenheit habe, in die Nähe des Kaisers zu kommen, und da ich«, fügte er eifrig hinzu, »die Führung der Waffen nicht verstehe, mein Stoß oder meine Kugel würde das Ziel verfehlen – ich würde verloren sein, ohne der Sache zu dienen.«

»Halt,« unterbrach ihn der Kosak, »wir haben keine Zeit zu überflüssigen Erörterungen, der Bund erteilt keinen Befehl, ohne zugleich die Mittel zu dessen Ausführung bereitzustellen. So höre denn. Bei der Rückkehr in deine Wohnung wirst du auf dem Tisch in deinem Zimmer eine mit dem Siegel der kaiserlichen Intendantur verschlossene Kiste finden. Du wirst dieselbe sorgfältig öffnen, sie enthält sechs Kugeln von Eisenblech, welche mit unwiderstehlich vernichtendem Sprengstoff gefüllt sind.«

»Entsetzlich,« rief Jewjeni in einem Ausbruch unwillkürlichen Schreckens, »und wenn sie unter meinen Händen explodierten!«

Der Kosak maß ihn mit einem strengen Blick und sagte mit einem Ton, aus welchem Verwunderung und Verachtung hervorklang:

»Du fürchtest dich? – Doch der Bund hat dich ausgewählt und muß dich also besser kennen; sei unbesorgt, die Kugeln werden nicht explodieren, wenn du sie nicht fallen läßt und sie vor starker Erschütterung bewahrst. Du wirst diese Kugeln leicht in deine Tasche stecken oder sie in irgendeinem Paket bei dir tragen können, das in deinen Händen bei deiner Stellung nicht auffallen wird. Es wird dir leicht werden, dich dem Verurteilten auf etwa fünf bis sechs Schritte zu nähern, wenn er sich zur Besichtigung der Truppen begibt oder die Lazarette besucht; noch besser wäre es, wenn du ihm in dem Hofe seines Hauses begegnen könntest, wenn er sich nach dem Speisezimmer begibt, und auch das wird dir in der dienstlichen Stellung, in die der Bund dich gebracht und deren Uniform du trägst, vielleicht möglich sein – doch das bleibt dir überlassen, es soll dir über die Art der Ausführung keine Vorschrift gegeben werden. Wenn du nun«, sprach er weiter, während Jewjenis Stirn sich mit kaltem Schweiß bedeckte, »dem Verurteilten auf die eine oder die andere Weise auf die angegebene Entfernung nahe gekommen bist, so wirst du diese Kugeln eine nach der anderen gegen seinen Körper oder unmittelbar vor seine Füße werfen, und«, fügte er mit einem dumpfen, schauerlichen Lachen hinzu, »der mächtige Selbstherrscher aller Reußen, welcher sich den unumschränkten Herrn über Millionen frei geborener Menschen dünkte wird in Atome zerstäuben, sobald der Wurf richtig trifft. Es ist möglich, daß der erste Wurf nicht vollständig den Zweck erfüllt, denn auch die geschickteste Hand kann fehlen, aber in der Verwirrung, die dann entsteht, wirst du Zeit haben, mindestens noch drei weitere Kugeln zu schleudern, und es müßten dann in der Tat die sogenannten Heiligen des Himmels, die sie in den Tempeln des Despotismus dem armen, geknechteten Volk zur Anbetung aufstellen, ein Wunder tun, um die Strafe der rächenden Gerechtigkeit zu vereiteln. Du hast mich also verstanden, von deiner Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit ist der Erfolg abhängig, es ist eine große Tat für die Befreiung der Menschheit in deine Hand gelegt, zeige dich der Aufgabe würdig, welche das Vertrauen des Bundes dir überträgt.«

Er neigte leicht den Kopf und wendete sich zum Fortgehen.

»Nein, nein,« rief der Student, indem er mit zitternden Händen seinen Arm festhielt, »nein, es ist unmöglich, ich kann, ich will eine solche Tat nicht ausführen!«

Der Kosak wendete sich zurück, drohend blitzten seine Augen in der Dunkelheit.

»Du kannst nicht?« fragte er, »und doch ist die Ausführung so leicht, ein Kind vermag die Kugeln zu schleudern, die du in deiner Wohnung finden wirst. – Du willst nicht?« fügte er mit harter, schneidender Stimme hinzu, »das heißt, du verweigerst dem Bunde den Gehorsam? – Ich will dies Wort nicht gehört haben, denn schon der Gedanke, der es auf deine Lippen treten ließ, ist ein Verbrechen.«

»Aber«, rief der Student, ohne den Arm des Unbekannten loszulassen, »der Auftrag, den ich vollstrecken soll, ist, ein sicheres und unwiderrufliches Todesurteil für mich! Ob mein Wurf gelingt, ob er sein Ziel sicher erreicht, ist zweifelhaft – aber gewiß ist, daß ich verloren bin in jedem Fall. Wählt einen anderen, dessen Hand fester und geübter ist, mit gefährlichen Waffen umzugehen; warum«, knirschte er in dem Grimm der Verzweiflung, »soll ich mein Leben vielleicht zwecklos opfern?«

Jetzt faßte der Kosak mit eisernem Griff Jewjenis Hand, sich dicht zu ihm vorbeugend, tauchte er aus unmittelbarer Nähe die flammenden Blicke in seine angstvoll starrenden Augen.

»Ich bin nur der Bote der Oberen des Bundes,« sagte er, »aber wenn ich mehr wäre, so würdest du dies Wort mit der Strafe des Ungehorsams zu büßen haben. Doch«, fuhr er dann fort, »die Tat, die du ausführen sollst, ist groß und gewaltig, die Folgen können entscheidend werden für das Schicksal der Menschheit. Es mag ja menschlich erklärbar sein, daß die Natur vor der Verantwortung einer solchen Tat zurückbebt. Vergiß aber nicht, daß es keine Erörterung über die Befehle der Oberen gibt, der Gehorsam ist deine Pflicht, eine freudig und glücklich ausgeführte Tat kann dir zum Verdienst werden. Der Bund nimmt seine Befehle niemals zurück und ändert dieselben nicht. Du kennst die Frist, in welcher sie ausgeführt werden müssen: in zwei Wochen von dieser Stunde an muß die Tat geschehen sein, wenn du nicht nachweisen kannst, daß unüberwindliche Hindernisse ihre Ausführung unmöglich machten. Wenn du zögerst oder den Gehorsam versagst, so ist dein Untergang gewiß, du weißt, daß es keinen Schutz vor dem rächenden Arm des Bundes gibt; wenn du aber die Tat ausführst, und sollte auch ohne deine Schuld ihr Zweck verfehlt werden, so weißt du auch, daß der Bund mit seinem Schutz und Beistand allen den Seinen nahe ist. Die ganze Macht des Bundes wird dann hinter dir stehen, und sie versteht es wohl, auch die Riegel der Kerker zu öffnen.«

»Aber«, sagte Jewjeni, immer noch von dem Schrecken beherrscht, den ihm der unerwartete Auftrag einflößte, welcher ihn so plötzlich aus seiner behaglichen Sicherheit aufgeschreckt hatte, »man wird sich über mich stürzen im Augenblick der Tat, diese wütenden Soldaten werden mich in Stücke reißen!«

»Und wenn dies geschähe,« erwiderte der Unbekannte, »so wirst du als Opfer für die heilige Sache fallen, wie du es gelobt hast, und dein Name wird ehrenvoll genannt werden in der künftigen Befreiungsgeschichte der Menschheit. Doch genug jetzt der Worte, du kennst den Befehl, du weißt, daß du unrettbar verloren bist, wenn derselbe in der bestimmten Frist nicht ausgeführt wird. Jetzt geh und tue deine Pflicht.«

Schnell wendete er sich um, und ehe Jewjeni eine Bewegung machen konnte, um ihn zurückzuhalten, war er, mit großen Schritten in der Richtung nach dem Lager über das Feld hinschreitend, in der Dunkelheit verschwunden.

Jewjeni stand einige Augenblicke ganz gebrochen mit gerungenen Händen da; er war so plötzlich aus dem Taumel seines materiellen Genußlebens aufgeschreckt, daß er fast an der Wirklichkeit des Geschehenen zweifelte – so mußte jenen trotzigen Gottesleugnern der Legende zumute gewesen sein, welche für irdische Lust und Herrlichkeit ihre Seele dem Fürsten der Finsternis verschrieben hatten, wenn ihnen dann endlich der unerbittliche Schuldschein vorgehalten wurde und sie vergebens die Ketten zu zerreißen suchten, die sie in keckem Übermut selbst geschmiedet hatten.

Er starrte umher, schweigende Dunkelheit umgab ihn, und als er sich so allein auf dem einsamen Felde sah, ergriff ihn schauderndes Entsetzen – es schien ihm, als ob drohende Geister ihre Arme nach ihm ausstreckten, als ob blutige Dolche im matten Sternenlicht funkelnd sich gegen seine Brust richteten, und von wahnsinniger Angst getrieben, stürmte er in eiligem Lauf über das Feld hin nach dem Dorfe zurück.

Stephan Sacharjew stand hinter den Zweigen verborgen am Rande des Weges, in unmittelbarer Nähe eilte Jewjeni an ihm vorüber, und trotz der Dunkelheit bemerkte er doch die verzerrten Züge in dem Gesicht des sonst so hochmütig und sicher blickenden Studenten. Er überlegte einen Augenblick, ob er nicht hervorspringen und den flüchtig Dahineilenden festhalten solle, um ihm unter dem Druck seiner starken Hand das Geheimnis dieser nächtlichen Begegnung zu entreißen – aber er sagte sich, daß er sich durch einen solchen Angriff, wenn der Student um Hilfe rief, der ganzen Welt gegenüber ins Unrecht setzen müsse, daß er keinen Grund irgendeiner Anklage gegen denselben habe, da ja ein Spaziergang zwischen dem Dorf und dem Lager und ein Gespräch mit einem Kosaken an sich durchaus nichts Auffallendes war, und daß er durch eine gewaltsame Tat Blagonows Auftrag nur schlecht erfüllen würde. Das einzige, was er tun konnte, war, seine Überwachung um so sorgsamer fortzusetzen und Jewjeni, dessen Treiben ihm immer unheimlicher erschien, keine Stunde aus den Augen zu lassen.

Er folgte also dem Studenten auf dem Wege in das Dorf, und diesmal hatte er nicht nötig, sich zu verbergen, denn Jewjeni sah sich nicht um, sondern kehrte gesenkten Hauptes, eilig dahinschreitend, nach dem Holzbau des Verpflegungsamtes zurück. Stephan Sacharjew sah ihn in der Tür verschwinden, und da kaum vorauszusetzen war, daß er in dieser Nacht noch einmal das Haus verlassen würde, so kehrte auch Stephan nach seiner Wohnung zurück, um sich durch den Schlaf, den seine ermüdete Natur verlangte, für sein Wächteramt des nächsten Tages zu stärken.

Jewjeni war in sein Zimmer zurückgekehrt, und als er die Kerze anzündete, welche auf seinem Tisch bereit stand, sah er die von dem Unbekannten ihm angekündigte Kiste in der Tat vor sich stehen; er fuhr erschrocken zurück bei dem Anblick dieses scheinbar so harmlosen Gegenstandes, der so furchtbare Zerstörungsmittel in sich schloß, aber dennoch mußte er sich entschließen, die verhängnisvolle Kiste zu öffnen, denn leicht konnte irgendein unerwarteter dienstlicher Auftrag, trotz der späten Stunde, einen der Beamten zu ihm führen und der Befehl, den er soeben durch den unbekannten Boten erhalten hatte, ihn an die geheimnisvolle Allgegenwart des Bundes gemahnen, er hatte keine Bürgschaft dafür, daß nicht in seiner unmittelbaren Nähe Wächter vorhanden seien, um sich seines Gehorsams zu versichern.

Mit zitternder Hand durchschnitt er die von dem großen Siegel der kaiserlichen Intendantur zusammengehaltenen Schnüre, welche die Kiste umgaben. Der Deckel war nur von kleinen Nägeln festgehalten, und als er denselben aufhob, sah er sorgfältig in Baumwolle verpackt in einzelnen von Holzwänden gebildete Abteilung die Kugeln von Eisenblech vor sich, welche zu der ihm befohlenen Tat bestimmt waren. Er verbarg diese Kugeln eine nach der andern scheu, mit weit von sich gestreckten Armen forttragend, in einem Schranke unter seiner Wäsche, verschloß denselben sorgfältig und warf sich dann völlig erschöpft und abgespannt auf seinen Diwan nieder; auch seine ermattete Natur verlangte ihr Recht, er versank bald in einen festen, tiefen Schlaf, aber dieser Schlaf brachte ihm keine Erquickung, schreckensvolle Bilder mußten seine Träume durchziehen, denn häufig warf er sich hin und her, und unheimliche Laute, wie halberstickte Hilferufe, rangen sich aus seiner Brust empor.


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