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Eine Stunde mochte wohl verronnen sein. Den Rücken gemächlich an einen von den Eisschollen des Winters geknickten Ast anlehnend, saß ich auf einem mächtigen Baumstamm, der einst gewiß hoch oben im Norden am Fuße der Rocky-Mountains grünte. Die Büchse lag vor mir auf einem andern Stamm des verworrenen Holzriffs, der meine Gestalt so weit verdeckte, daß eben nur mein Kopf drüber emporragte, ich also beständig unser altes, nunmehr von den wilden Blackfeet belebtes Lager im Auge behielt.
In letzterem war es scheinbar ruhig. Aber mich täuschte diese Ruhe, das Brennen von nur zwei Feuern und das matte Licht in den beiden noch aufrecht stehenden Zelten nicht. Wußte ich doch, daß sich zu dem Gefühl der Raubgierde auch noch der Rachedurst gesellte, für den Schlag, den ich dem einen Krieger erteilt hatte, wie auch, daß Blackbird lieber alle geraubten Pferde wieder verloren als seine Absichten auf Schanhatta aufgegeben hätte.
Schanhatta aber lag nur wenige Schritte von mir auf einem dürftigen Lager von angeschwemmtem Moos und dürren Grashalmen. Sie fühlte sich unter meinem Schutz so sicher, daß sie vollständig ruhig und unbeängstigt schlief. Mit rührender Hingebung hatte sie meiner Aufforderung Folge geleistet, als ich ihr riet, die ihr so nötige Rast zu suchen, und noch keine fünf Minuten befand sie sich auf ihrem harten Lager, da verkündeten ihre tiefen und regelmäßigen Atemzüge, daß sie einem kräftigenden Schlummer in die Arme gesunken sei.
Der Missouri rauschte; mit heimlichem gurgelnden Getöse spülten die Wellen unter mir zwischen den hohl liegenden Stämmen und Zweigen hindurch; das klang so traulich und friedlich wie die leisen Atemzüge meiner treuen Schanhatta. Freundlich blickten die funkelnden Sterne herab, doch viel viel freundlicher mußten die hauchähnlichen Traumbilder der schlafenden Mandanenwaise sein, ja, viel freundlicher, oder sie hätte nicht mehrfach ihre langsamen Atemzüge durch das mir so bekannte herzliche, fast geräuschlose Lachen unterbrochen.
Helleuchtende Funken schossen zwischen den schwarzen Baummassen hin und nahmen gelegentlich ihre Richtung nach unserer Insel herüber. Es waren Johanniskäfer in großer Zahl, die ihren nächtlichen Reigen aufführten und unbekümmert um die Leiden und Freuden der Menschen und um deren aufgeregte oder schlummernde Leidenschaften ihre phosphorisch- glänzenden Linien zogen und ineinander verschlangen.
Um die Lagerfeuer herum glitten hin und wieder die unheimlichen Gestalten der grausamen Wüstenräuber; weiter aufwärts polterte es zuweilen dumpf zwischen dem gestrandeten Treibholz, als ob Zimmerleute daselbst gearbeitet und die brauchbarsten Balken und Stützen mühsam hervorgesucht hätten, und aus einer andern Richtung erschallte das jauchzende Geheul, mit dem ein Rudel Wölfe den flüchtigen Hirsch kunstgerecht jagte.
Da knackte in meiner Nähe ein dürres Reis unter einem leichten Fuß, und ahnungsvoll emporschauend erkannte ich mit einem Gefühl der innigsten Freude Kate, die mutige, unerschrockene Kate, die, hinter dem Gebüsch hervortretend, gerade auf mich zuschritt.
»Alle schlafen, nur mich flieht die Ruhe,« sagte sie mit halblauter Stimme, als sie am Rande des Holzriffs dicht neben der nunmehr wieder schlummernden Mandanenwaise angekommen war; »ich fühlte mich beängstigt und komme daher zu Euch, um mich an Eurer Wache zu beteiligen.«
»Das wolltet Ihr?« rief ich erfreut aus, indem ich emporsprang, um dem lieben Mädchen zu mir herüberzuhelfen, »o, wie danke ich Euch für so viel Güte; Ihr könnt nicht wissen, welch unendlichen Trost Ihr mir dadurch gewährt.«
»Warum sollte ich das nicht wissen können?« fragte Kate leise, ihre Worte mit einem sanften Druck ihrer Hand begleitend, »seid Ihr doch so redlich, so offen gegen mich gewesen, daß mir kaum noch eine Seite Eures Herzens verborgen blieb; sollte ich mich daher scheuen, ebenso offen gegen Euch zu sein? Ich fühle, daß meine Nähe, die Nähe Eurer Schwester Euch erfreut, Euch aufrichtet, mein Einfluß den Wunsch in Euch wachruft, noch einmal, wenn auch nur versuchsweise, den Aufenthalt in der Wildnis mit dem in dem Bereich gesitteter Nationen zu vertauschen. Ebenso fühle ich aber auch, daß Eure Nähe ermutigend auf mich einwirkt und Eure Worte die unerklärliche Angst verscheuchen, die sich so plötzlich meiner bemächtigt hat.«
Tief ergriffen führte ich Kates Hand an meine Lippen, was sie auch ruhig geschehen ließ; meinen Gedanken Worte zu verleihen, vermochte ich nicht; indem ich aber dem holden Mädchen behilflich war, über das verworrene Geäste hinüberzusteigen und an meiner Seite auf dem alten Baumstamm Platz zu nehmen, war mir, als ob neue Lebenswärme, neuer Jugendmut mich durchströme.
Mehrere Minuten saßen wir sodann schweigend nebeneinander, ihre Hand ruhte in der meinigen, und wir lauschten mit gleicher Aufmerksamkeit dem behaglichen Sprudeln der zwischen den hohl liegenden Zweigen und Stämmen sich hindurchdrängenden Fluten.
»Es ist wahr,« hob ich endlich an, »Eure Nähe beglückt mich, und Euer Einfluß auf meine Gemütsstimmung äußert sich derartig, daß die Erinnerung an die Vergangenheit viel von ihrer Bitterkeit verliert, die Zukunft aber vor meinem geistigen Auge wie ein freundlich lächelnder Sommermorgen zu tagen scheint.«
»Und das dankt Ihr mir, nur mir ganz allein,« entgegnete Kate mit Wärme, »o, ich wünsche jetzt doppelt, daß es uns gelingen möge, dieser gefahrvollen Lage zu entrinnen. Aber horcht – was ist das?« fragte sie darauf, erschreckt nach dem Ufer hinüberlauschend.
»Nichts Unerwartetes, meine liebe Freundin,« antwortete ich ermutigend, »die Blackfeet zimmern von Treibholz ein Floß, wahrscheinlich werden sie gegen Morgen oder in der folgenden Nacht den Versuch wagen, hier zu landen –«
»Dann sind wir verloren,« unterbrach mich Kate, meine Hand mit ihren beiden Händen ergreifend und krampfhaft pressend.
»O, Miß Kate, ich kenne ja die mutige Jägerin kaum wieder,« versetzte ich freundlich, »würde ich wohl so ruhig hier sitzen können, wenn ich mir sagen müßte, daß ein unabwendbares Verderben Euer teures Haupt bedrohe?«
Kate seufzte tief auf; »mein Mut ist nicht gesunken,« sagte sie dann, ihre Hände wieder sanft zurückziehend, »allein es schwebte mir in diesem Augenblick der Gedanke vor, daß ich – vielleicht – daß mir – die Zukunft vielleicht nur deshalb ein goldig lächelndes Bild gezeigt habe, um es demnächst wieder auf ewig mit einem schwarzen Schleier zu verhüllen. Aber ich glaube Euch, mein Vertrauen zu Euch ist unerschütterlich; und solange Ihr selbst nur noch einen Funken von Hoffnung hegt, will ich nicht zittern und zagen, das verspreche ich Euch.«
»O, meine liebe Freundin, vermöchtet Ihr in meine Seele zu blicken, Ihr würdet es natürlich finden, daß ich jede Gefahr vergesse und nur das berühre, was jetzt allein in meinem Herzen lebt und webt. Ihr kennt meine Geschichte, teure Miß Kate, Ihr selbst sagt, daß Euch keine Seite in meinem Herzen verborgen geblieben sei; Ihr wißt, daß ich des Lebens Ernst in seiner tiefsten Bedeutung kennen lernte und frei bin von jenen romantischen Ideen, die nur zu oft zu traurigen Selbsttäuschungen Veranlassung geben. Doch wenn ich den Ernst des Lebens kennen lernte, so hat sich dieser Ernst in seiner ganzen unergründlichen Tiefe auch meinen Gefühlen mitgeteilt. Kate, teure geliebte Kate, die Ihr mir in dieser Wildnis wie ein freundlicher, von Gott gesandter Bote erschienen seid,« fuhr ich inniger und dringender fort, als ich fühlte, daß sie heftig zitterte; »wenn wir dahin zurückgekehrt sein werden, wo die Sorge um Leben und Sicherheit weniger herrisch unsern Geist beschäftigt, wollt Ihr mir dann gestatten, unter Euren Augen zu wirken und zu schaffen, wollt Ihr mir dann die süße Hoffnung gönnen, dereinst von Eurer Hand –«
»Haltet ein, o haltet ein! unterbrach mich Kate jetzt schluchzend, und wieder umklammerte sie wie beschwörend meine Hand, »was habe ich getan, was habe ich verbrochen, daß Ihr gerade diese Worte an mich richtet? O, ich bitte Euch, ich flehe zu Euch, stört nicht das Verhältnis, in das ich zu Euch getreten bin; laßt mich Eure treue, liebe Schwester sein, da ich doch mehr für Euch nimmer sein kann; gönnt mir das Glück, als Schwester Euch in das Leben, in einen Eurer würdigeren Wirkungskreis zurückführen, mich an den reichen Erfolgen Eurer redlichen Bestrebungen mitfreuen zu dürfen, und in doppeltem Maße will ich die Stunde segnen, in der ein freundliches Geschick uns zusammenführte und mir und all den meinigen eine so unendliche Verpflichtung gegen Euch auferlegte!«
Eiskalt hatte es sich bei Kates Worten um meine Brust gelegt; wie von einer furchtbaren Last niedergedrückt und zerschmettert starrte ich vor mich zwischen die im Schatten, liegenden Baumstümpfe hin. Das Wasser gurgelte lustig, die Sterne und die Johanniskäfer funkelten hell, in meinem Herzen aber war es finstere Nacht, und das eintönige, wie Hohnlachen klingende Murmeln der Wellen erweckte in meinem Innern einen traurigen, traurigen Widerhall.
»O sprecht ein einziges Wort!« fuhr das heftig erregte Mädchen an meiner Seite in herzzerreißendem Klageton fort. »Gewinnt Eure ruhige Überlegung wieder, welche ich so vielfach an Euch bewundert habe, und Ihr werdet einsehen, daß ich Euch keinen gerechtfertigten Grund zu der Änderung Eurer Gemütsstimmung gab. Eure warme Teilnahme für mich habt Ihr mißverstanden, und tief bekümmert es mich, meine Offenheit, meine schwesterliche Hinneigung zu Euch in solchem Grade verkannt zu sehen.«
»Verzeiht mir,« sagte ich endlich, nachdem ich mich etwas erholt hatte, »verzeiht meine Vermessenheit zu glauben, das irdische Glück könne mir noch einmal lächeln. Über Euch selbst aber und Euer Verhalten beruhigt Euch. Deutete ich Eure Blicke, Eure freundliche Teilnahme für einen vereinsamten Wüstenjäger irrig, so lag der Fehler nur auf meiner Seite. Noch einmal, Miß Kate, verzeiht mir, und wenn Ihr erst wieder fern von mir seid, dann versucht, meiner mit freundlicher Nachsicht zu gedenken, wie mir die Erinnerung an Euch die Wildnis weniger öde machen wird.«
»Sprecht nicht so, o sprecht nicht in dieser Weise,« entgegnete Kate hastig, denn die Bitterkeit, die ich unwillkürlich in den Ton meiner Stimme gelegt hatte, war ihr nicht entgangen. »Nur ich versündigte mich an Euch, indem ich nicht von Anfang an Euer Vertrauen mit derselben Offenheit lohnte. Aber Ihr habt die vollsten Ansprüche auf mein schwesterliches Vertrauen, und mit schwesterlichem Vertrauen will ich jetzt auch zu Euch sprechen.«
»Nicht doch, nicht doch, Miß Kate,« versetzte ich, die dargebotene Hand leise drückend, »ich habe kein Recht, mich in Eure Geheimnisse einzudrängen. Was mir zu tragen bestimmt ist, das werde ich ertragen, und Unrecht wäre es von Euch, wolltet Ihr Euch über mein Los auch nur eine einzige trübe Stunde bereiten.«
»Aber ich werde deren viele, sehr viele haben, wenn Ihr mich nicht anhören wollt. Ihr müßt um der Ruhe meiner Seele willen über alles aufgeklärt werden, was Euch an mir rätselhaft erschien; oder glaubt Ihr wirklich, daß nur die Sucht nach Abenteuern mich so ganz gegen den Wunsch meines Vaters in die Wildnis hinausgetrieben habe?«
Ein Schatten glitt vor uns hin, und gleich darauf ertönte Schanhattas tiefe melodische Stimme.
»Schöne bleiche Frau,« begann sie in ihrem gebrochenen, aber leicht verständlichen Englisch, »deine Worte sind mit den seinigen in meinen Traum gedrungen; ich bin kein Kind mehr, ich weiß, um was er dich bat. Werde seine Gattin, und du bist glücklich; sein Herz ist so klar wie der Tau im Kelch einer Blüte; werde seine Gattin, er ist stark und wird dich beschützen; werde seine Gattin, und du wirst von allen weißen Mädchen um dein Glück beneidet werden; werde seine Gattin, und ich will dir als treue Dienerin folgen, wohin du auch immer gehen magst.«
Obwohl Schanhatta diese Worte mit einem ergreifend rührenden Ausdruck sprach und ich sehr wohl wußte, daß die innigste Dankbarkeit sie zu solchem Schritt veranlaßt hatte, so war es mir doch peinlich, sie in dieser Weise für mich bitten zu hören.
»Hat meine Tochter gelauscht?« fragte ich sanft verweisend, »woher weiß sie sonst meine Gedanken?«
Schanhatta bebte erschreckt zusammen, als ob ihr plötzlich das Bewußtsein erwacht wäre, einen Fehler begangen zu haben. Kate dagegen richtete sich empor, und ihren Arm um den Hals der Mandanenwaise legend, küßte sie diese auf die Stirn.
»Liebes, treues Kind,« sagte sie offenbar tief bewegt, »ich darf deines Wohltäters Gattin nicht werden. Du sollst auch die Ursache erfahren, die es mir verbietet.«
»Wenn seine Wahl aber auf diese schöne bleiche Frau gefallen ist, wenn er dich nicht für zu gering hält?« fragte Schanhatta, die durch Kates schwesterliches Entgegenkommen wieder ermutigt worden war.
»Schanhatta,« sagte ich jetzt ernst und verweisend, in demselben Augenblick drang aber auch wieder der schwere dumpfe Fall eines Treibholzstammes zu uns herüber, infolgedessen wir alle drei stromaufwärts schauten.
Die fortgesetzten Arbeiten der Indianer fesselten indessen weniger meine Aufmerksamkeit als die hoch aufschlagenden Flammen eines Feuers, das in der Entfernung von zwei bis drei englischen Meilen hart am Rande des linken Stromufers angezündet worden war.
»Mein Gott, auch auf jener Seite befinden sich bereits Indianer,« hauchte Kate vor sich hin, »aus allen Richtungen stürmen sie auf uns ein, nur ein Wunder kann uns noch retten.«
»Es sind keine Indianer, die jenes Feuer schüren,« erwiderte ich mit Ruhe, denn es bedurfte nur der Hinweisung auf eine Gefahr, um mir meine volle Überlegung wiederzugeben; »nein, Indianer sind zu argwöhnisch und vorsichtig, um sich durch ein derartiges, mit trockenem Holz genährtes Feuer weithin sichtbar bemerklich zu machen.«
Lautes Plätschern im Wasser und das Murmeln zahlreicher Stimmen in unserm verlassenen Lager lenkten meine Aufmerksamkeit wieder unseren Feinden zu. Trotz des nahen Aufgangs des Mondes war es noch zu dunkel, um auf dem jenseitigen Ufer irgend etwas zu unterscheiden. Da indessen jedes dort stattfindende Geräusch über den glatten Wasserspiegel hin mir fast ungeschwächt zugetragen wurde, so erriet ich leicht, daß sich eine große Zahl von Indianern vereinigt hatte, einen schweren und unbeholfenen Gegenstand, wahrscheinlich ein von Treibholz hergestelltes Floß, dicht am Ufer hin stromaufwärts gleiten zu lassen.
Befürchtend, daß ein Angriff auf unsere Insel vorbereitet werde, dachte ich bereits daran, alle Gefährten zu den Waffen zu rufen, als ich bemerkte, daß das Floß längst an der Stelle vorbei war, von wo aus die Strömung hätte zu Hilfe genommen werden müssen, damit es bei uns anlegen konnte.
»Was mögen sie bezwecken?« fragte ich unwillkürlich laut, als das Geräusch sich immer weiter am Ufer hinunterschob.
»Sie wollen über den Strom setzen,« antwortete Schanhatta, die einen großen Teil ihres Lebens auf dem Missouri zugebracht hatte und daher leicht zu berechnen verstand, wie sich die Strömungen des Flusses am zweckmäßigsten benutzen ließen.
»Ja, nach dem jenseitigen Ufer hinüber,« wiederholte ich sinnend, »sie wollen uns auch nach dorthin die Möglichkeit einer Flucht abschneiden. Es war ein Glück, daß wir gezwungen wurden, hier zu bleiben.«
Soviel ich zu unterscheiden vermochte, war das Floß mit wenigstens einem Dutzend Krieger bemannt. Doch nur eine kurze Zeit hindurch war mir ein Blick auf die formlose Masse gestattet, denn die Strömung hatte allmählich ihre volle Gewalt über das schwerfällige Fahrzeug gewonnen, und schnell verschwand es weit abwärts in der Dunkelheit.
Da trafen meine Blicke wieder auf das ferne hellodernde Feuer, das ich so lange außer acht gelassen hatte, und zugleich erriet ich den Plan der Wilden.
»Die Toren, sie werden ihre Unvorsichtigkeit schwer büßen,« sprach ich halblaut.
»Wer wird büßen?« fragte Kate zagend.
»Die weißen Leute, die dort oben ein Feuer angezündet haben, als gälte es einen indianischen Skalptanz zu feiern,« antwortete ich kurz, und, wie ich fürchtete, unfreundlich, denn ich kämpfte mit aller Gewalt, Kates süße Stimme nicht wieder einen so bezaubernden Einfluß auf mich gewinnen zu lassen.
»Aber wer könnte das wohl sein?« fragte Kate jetzt fast tonlos, »doch nicht unsere Freunde von Fort Union?«
Was ich nicht gleich erraten hatte, das ahnte das arme von Besorgnis erfüllte Mädchen. Verwundert blickte ich auf sie hin und sah, daß sie ihre gefalteten Hände, wie um ihre Angst zu beschwichtigen, gegen ihre Brust preßte.
»Wahrhaftig, Miß Kate, Ihr habt recht. Daß ich auch nicht früher daran gedacht habe; es unterliegt kaum einem Zweifel, daß es Eure Freunde sind. Wahrscheinlich eben erst eingetroffen, haben sie die mit teuflischer Bosheit genährten Feuer dort drüben und die erleuchteten Zelte entdeckt, und Euren Vater vermutend, zündeten sie auf dem Ufer ein Signalfeuer an; ja, ja, so wird es sein, so muß es sein. Auch Blackbird, der um Halberts Plan wußte, hat das Signal so gedeutet und deshalb die Späher nach der andern Seite hinübergeschickt. Gebe Gott, daß Halberts Gesellschaft zahlreich genug ist, den Spähern Widerstand zu leisten, und daß sie vor allen Dingen es nicht an der nötigen Wachsamkeit fehlen lassen.«
Bei den letzten Worten hatte ich mich wieder dem Feuerschein zugewendet, um aus dessen Form die Zahl und Stärke der daselbst Lagernden annähernd herauszulesen. Da fühlte ich plötzlich meinen Arm fest umklammert, und zugleich ertönte Kates verzweiflungsvolle Stimme.
»Wißt Ihr, wer dort lagert?« fragte sie zitternd, »wißt Ihr, wer dort von den Indianern erschlagen werden wird? Wißt Ihr, wer jener Halbert ist? Nein, Ihr wißt es nicht, aber ich will es Euch sagen: Halbert ist derjenige, um dessentwillen ich mich zu dieser Reise entschloß, um dessentwillen ich Euch unterbrechen mußte, als Ihr – als Ihr mir so tiefen Kummer bereitende Worte an mich richten wolltet, Halbert ist der Mann, den ich liebe, wie das Weib den Gatten lieben soll! Ihr kennt jetzt mein Geheimnis, vermögt Euch meine Todesangst vorzustellen. All mein Hoffen ruht nunmehr in Euch allein! Rettet ihn, laßt ihn nicht jenen schrecklichen Menschen in die Hände fallen; rettet ihn für mich, für Eure Schwester! Seid großmütig, verzeiht ihm, verzeiht mir, wenn Euch durch uns kummervolle Stunden erwachsen sein sollten, verzeiht uns und rettet ihn.«
Hier schwieg Kate; aber ihre Hände umschlossen meinen Arm krampfhaft, und mit tödlicher Spannung sah sie zu mir empor.
Bei der ersten Entdeckung, daß Halbert derjenige sei, dem das jungfräuliche Herz Kates voll treuer Liebe bis in die Ewigkeit hinein angehören solle, prallte ich zurück, und ein Gefühl der Schadenfreude durchrieselte mich auf Augenblicke wie ein kalter Schauer. Doch bereits in der nächsten Sekunde strengte ich meinen Geist aufs äußerste an, ein Mittel zu ersinnen, durch das die Bedrohten wenigstens gewarnt werden könnten.
»Beruhigt Euch, meine teure Miß Kate,« sagte ich endlich tief ergriffen, »beruhigt Euch und glaubt mir, mit Freuden gäbe ich mein Leben hin, gelänge es mir dadurch zu Eurer Wohlfahrt, zu Eurem Glück beizutragen. Aber vergeblich suche ich ein Mittel, durch das mir die Möglichkeit gegeben wäre, die dort an jenem Feuer Befindlichen zu warnen. Es gehören Flügel dazu, um zu ihm zu gelangen –«
»Oder die Flossen der Gebirgsforelle,« fügte Schanhatta hinzu, die solange unbeachtet neben uns gestanden hatte.
»Die Flossen einer Forelle sind ebensogut wie die Schwingen des Adlers,« fuhr sie in ihrem wohlklingenden tiefen Organ fort, »das Boot treibt mit der Strömung fort, allein die Forelle schwimmt stromaufwärts.«
»Mädchen, sage, was meinst du mit deinen geheimnisvollen Worten?« fragte Kate atemlos vor Spannung.
»Schanhatta wird die Forelle sein,« entgegnete die Indianerin in fast schüchternem Tone, »mein Wohltäter liebt die schöne bleiche Fremde, und ich werde ihre Botschaft nach dem Feuer hinübertragen.«
»Du wolltest dich opfern? Du?!« fragte Kate schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, indem sie Schanhatta zärtlich umarmte.
»Opfern? o, fangt die Forelle, wenn sie die Fluten durchschneidet, fangt das flinke Wiesel, wenn es zwischen Gestein und hohen Grashalmen einherschlüpft. Gib mir die Botschaft, gib sie mir bald, der erste Strahl des aufgehenden Mondes darf mich nicht auf der dunkeln Flut treffen.«
»Und Ihr, mein Freund, mein Retter, was sagt Ihr zu dem kühnen Entschluß dieses edlen Mädchens?« wandte Kate sich jetzt an mich, »ist es möglich, wird sie es vollbringen können, wird sie bei dem Versuche nicht dem Verderben anheimfallen? O, es hieße dies, mich noch elender machen –«
»Besäße ich die Gewandtheit Schanhattas und fesselten mich nicht ebenso heilige Pflichten an diese Scholle, so befände ich mich jetzt vielleicht schon drüben,« entgegnete ich, nachdem ich, trotzdem die Zeit drängte, die junge Indianerin etwa eine Minute lang mit Rührung betrachtet hatte, »sie ist die einzige auf dieser Insel, die einer solchen Aufgabe gewachsen ist und sie glücklich lösen wird. Aber fort jetzt, Schanhatta,« wandte ich mich darauf dieser zu, ihr zum Abschied die Hand reichend, »gehe und sage den Leuten dort oben, was du hier gesehen hast, und sprich den Namen Kate Dalefield dabei aus –«
»Kate Dalefield,« wiederholte Schanhatta heiter, um zu beweisen, daß sie den Namen ihrem Gedächtnis eingeprägt habe.
»Und sei auf deiner Hut; bedenke, außer dir besitze ich jetzt niemand mehr auf Erden. Zweimaliges Auslöschen und Aufflammen des Feuers verkündet deine glückliche Ankunft.«
»Schanhatta wird zu ihrem Wohltäter zurückkehren,« rief mir das gute treue Kind noch zu, und dann schwebte sie gleichsam über die verworrenen Baumstämme und das verwickelte Geäste nach dem Ufer hin.
Dort bückte sie sich nieder, und nachdem sie eine Weile auf der Erde umhergetastet, verschwand sie mit drei leichten zackigen Holzstücken, die den sie hindernden Teil ihrer Kleidungsstücke zu tragen bestimmt waren, auf der Ostseite der Insel im Gebüsch.
»Mein Gott, mein Gott, wenn ihr ein Unglück widerführe,« seufzte Kate mit einem Ausdruck vor sich hin, der bekundete, daß ihre Besorgnis in diesem Augenblick eben nur der jungen Mandanen-Waise galt.
»Vertraut auf die ihr angeborene Gewandtheit und hofft das Beste,« entgegnete ich, indem ich stromabwärts lauschte.
Ein leises Plätschern im Wasser lenkte unsere Aufmerksamkeit nach der Richtung hin, in der Schanhatta sich entfernt hatte.
Ihren Kopf mit den langen fließenden Haaren vermochten wir als einen schwarzen Punkt zu unterscheiden. In geringer Entfernung vor ihr trieb ein zweiter, größerer Gegenstand: Es war das ihre Kleidungsstücke tragende Floß, das sie während des Schwimmens vor sich her stieß.
Schweigend folgten wir mit den Blicken Schanhattas Bewegungen. Mit unglaublicher Schnelligkeit glitt sie dahin; anfangs, solange sie sich noch in ruhigerem Wasser befand, gelangte sie sogar noch stromaufwärts, sobald sie aber die Strömung durchschnitt, schnürte sich mir das Herz zusammen, als ich bemerkte, daß sie vergeblich gegen diese ankämpfte und immer weiter mit fortgerissen wurde. Bald darauf entzog die Dunkelheit mir die letzte Spur von ihr, meine Blicke blieben aber dahin gerichtet, wo ich sie vermutete.
Wo war sie geblieben? Waren ihre Arme auch nicht erlahmt? Hatte sie rechtzeitig festen Boden gewonnen oder war sie an den feindlichen Spähern vorbei oder diesen gerade in die Hände getrieben? Der Strom war stumm, sein Rauschen verriet mir ebensowenig etwas, wie das dahinter liegende schwarze Ufer.
Der Mond trennte sich von der östlichen Hügelreihe, das weite Tal des Missouri lieblich beleuchtend, doch von Schanhatta sah ich nichts mehr.
»Wo weilt sie?« fragte ich mich in Gedanken. Neben mir saß, erfüllt von gleicher Furcht, in die Ferne schauend, Kate Dalefield. Unsere Arme berührten sich, ich vernahm ihren gepreßten Atem, ich fühlte, daß sie zuweilen krampfhaft zitterte, aber keiner von uns sprach ein Wort, unsere Blicke waren unverwandt auf das Feuer gerichtet.
Höher, immer höher stieg der bleiche halbe Mond, und noch hatten wir uns nicht von der Stelle gerührt. Am Rande des Tales jagten die Wölfe heulend ihre Beute, im Waldesdickicht winselte kläglich der listige Panther; für uns verhallten diese Töne ungehört, wir lauschten nur nach der oberen Biegung des Stromes hinüber, und mit wachsender Besorgnis beobachteten wir den matten Schein des Tages, der sich immer weiter von Norden nach Osten herumschob.
Das Feuer brannte noch hell; ich betrachtete es und betrachtete Kate, die liebliche, angsterfüllte Kate an meiner Seite, und: »Schanhatta,« entschlüpfte es leise und unbewußt meinen Lippen.
»O, mein Gott, wo weilt Schanhatta?« wiederholte Kate ebenso leise.
Da flammte das Feuer hoch empor, jedoch nur, um im nächsten Augenblick vollständig zu erlöschen. Man mußte eine wollene Decke darüber geworfen haben.
Sprachlos vor Spannung blickten wir hinüber.
Wiederum loderten die Flammen empor, und wiederum sanken sie in Dunkelheit zusammen, um nach kurzer Zeit in ihrer alten Weise ungestört weiter zu brennen.
»Er ist gerettet,« hauchte Kate mir zu, während Tränen ihren Augen entströmten, und eh ich es zu hindern vermochte, hatte sie meine Hand ergriffen, und neben den heißen Tropfen, die sie benetzten, fühlte ich auch den innigen Druck ihrer lebenswarmen Lippen.
»Geht jetzt, geht jetzt, meine liebe Freundin,« sagte ich tief gerührt, Kate meine Hand entziehend, »es ist jetzt alles gut, Ihr aber müßt Eurem Körper Ruhe gönnen.«
Schweigend wandte Kate sich um, wandte sich dem Lager langsam und schwankenden Schrittes durch das Gebüsch zu.