Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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In Banden

Wir waren von einem kurzen Spaziergange durch den Weingarten nach der Laube zurückgekehrt. Das letzte Abendrot hatte uns zu dem gemeinschaftlichen Mahl geleuchtet, und in traulichem Gespräch saßen Wandel und ich beieinander.

Frau Jeannette hatte sich mit ihrer Tochter ins Haus zurückgezogen. Nachdem sie mir eine gute Nacht gewünscht, sprach sie im Scherz die Hoffnung aus, daß wir uns nicht von der aufgehenden Sonne in der Laube überraschen lassen würden.

Sie sagte es scherzweise, ohne daran zu denken, daß ein solcher Fall wirklich eintreten könne. Die Nacht war wunderbar lieblich, die von der Sonne des Tages durchglühte Luft unendlich mild, und friedlich leuchtete der beinah volle Mond auf die stille Landschaft nieder.

Auch in unsere Laube zwischen den grünen Weinranken hindurch warf er einige zitternde Strahlen, und merkwürdig formlose Schattenbilder zeichnete er auf den Tisch. Bald waren sie zackig, bald rund, bald waren sie lang gereckt, bald kurz gedrungen; hier entstand eine verschrobene Schattennase, die sich wie lüstern nach den halbvollen Gläsern hin verlängerte und über den halben Tisch hinüberreichte, dort schielte sogar ein fürchterliches Zyklopenauge vom hellsten Mondschein mit etwas vergossenem Wein als Stern grimmig nach der angeschenkten Flasche hinüber.

Dazu sangen im nahen Waldesdickicht die Laubfrösche, dickköpfige Lokustgrillen und langbeinige Heuschrecken stimmten mit ein, und zuweilen auch ein unverschämter Ochsenfrosch mit seinem unmelodischen Gebrüll. In der Ferne aber bellte jauchzend ein Schäferhund, daß es sich genauso anhörte wie das Gekläffe eines Präriewolfs und ich mich in die einsame Wildnis zurückwähnen konnte.

Mit wunderbaren verlockenden Reizen wird die Wildnis von einer milden Sommernacht geschmückt, wenn das Ohr gespannt lauscht auf die bald harmlosen, bald drohenden Stimmen der Natur. Wo aber holder Friede sich zum nächtlichen Dunkel gesellt, wo der Schlaf seine Mohnkörner ausstreut, ohne ihnen zugleich eine Beimischung von Unruhe und Besorgnis mitzugeben, da erfüllt dankbare Rührung ein empfängliches Gemüt, und gern beschäftigt sich in solchen Stunden der Geist mit den Bildern der Vergangenheit, die einen minder friedlichen Charakter tragen.

So erging es auch Wandel an jenem unvergeßlichen Abend, als wir in der Laube saßen und tiefe nächtliche Ruhe sich auf die Landschaft ringsum gesenkt hatte. –

»Ich habe einen Blick in das Manuskript geworfen,« begann er, nachdem wir eine Weile schweigend in den mondbeleuchteten Garten hinausgeschaut hatten, »ich habe einen Blick in das Manuskript geworfen und mich überzeugt, daß wenig oder gar nichts davon verloren gegangen ist. Es schließt damit ab, daß die Familie Dalefield die Insel verließ, und ich, unterstützt von meiner Jeannette – doch nennen wir sie lieber Schanhatta, wenigstens so lange, bis wir zu der Ursache der Änderung ihres Namens gelangen – das kleine zwischen Binsen und Weiden verborgene Lager auf der Mitte der Insel erreichte.

Dort sank ich erschöpft nieder, jedoch mehr infolge des starken Blutverlustes, als daß die Wunde wirklich gefährlich gewesen wäre.

Die Kugel war mir nämlich dicht oberhalb des Knies durch das Bein geschlagen und hatte eine Sehne verletzt, infolgedessen ich mich meine ganze Lebenszeit hindurch mit einem steifen Knie behelfen muß.

Wie fast alle Indianerinnen schon in früher Jugend mehr oder minder mit der Heilkunde vertraut sind, so äußerte Schanhatta, nachdem sie die Wunde mit rührender Sorgfalt untersucht hatte, nicht das geringste Bedenken, daß es ihr gelingen würde, mich wiederherzustellen.

Überhaupt zeigte sie sich, sobald wir uns wieder allein befanden, von einer solchen Geschäftigkeit und von so frohem Mute beseelt, daß es mir fast schien, als freue sie sich über meine Verwundung. Sie betrachtete diese in ihrer kindlichen Einfalt als die eigentliche Ursache, daß ich sie bei mir behalten habe.

Was unsere Feinde, die Blackfoot-Indianer betraf, so dachten diese, in der festen Überzeugung, daß alle auf der Insel Befindlichen entflohen seien, nicht mehr an weitere Überfälle. Noch an demselben Tage, nachdem sie ihre Verwundeten und ich glaube auch einen Toten auf die erbeuteten Pferde geladen hatten, waren sie in westlicher Richtung davon gezogen.

Wir blieben noch fünf Tage auf der Insel, damit ich das Wundfieber in Ruhe überstehen konnte.

Dann erfolgte unsere Reise wieder auf einem Floß, das Schanhatta selbst mit großer Anstrengung zusammengefügt hatte.

Auch bei der Heimfahrt fiel Schanhatta die ganze Arbeit zu; sie ruderte, sie kühlte meine Wunde mit frischem Wasser, sie bereitete die Speisen, sie suchte Kräuter, deren heilsame Wirkung sie kannte, und dabei bezogen wir kein einziges Mal unser Lager, ohne daß sie vorher von irgendeiner Höhe aus die weitere Umgebung abgespäht hätte, ob wir auch wohl ohne Sorge für unsere Sicherheit das Haupt zum Schlaf würden niederlegen dürfen.

Ich vermag aber nicht zu schildern, in welcher Weise sie das alles tat; wie aus ihren Augen die innere Befriedigung leuchtete, sich für mich aufopfern zu dürfen; wie sie, sobald ich die Augen, wenn auch nur zum Scheinschlaf schloß, meinen Atem bewachte, wie sie mir aufmunternd zulächelte, während sie mit blutendem Herzen und kaum fühlbaren Händen meine Wunde verband, wie sie mir Blumen brachte, die ich vorzugsweise liebte!

Es war eine langsame und traurige Reise, aber auch eine Reise, auf der ein neues irdisches Glück für mich heraufzudämmern begann, und nichts gleicht der innigen Freude, die es mir gewährte, Schanhatta zu beobachten, wie die in ihrer Brust schlummernden edlen Keime mehr und mehr zum Durchbruch kamen, wie sie sich allmählich bewußt wurde, daß nicht allein das Gefühl der Dankbarkeit für empfangene Wohltaten sie beseelte. –

Die erste Hälfte des August mochte verstrichen sein, als wir unser altes Winterquartier bezogen und uns in diesem für die nächste Zeit so häuslich, wie unsere sehr beschränkten Mittel erlaubten, einrichteten.

Unser Aufenthalt in der dürftigen Hütte sollte nur so lange währen, bis meine Wunde, die während der Stromfahrt trotz aller Vorsicht einen bösartigeren Charakter angenommen hatte, wieder einigermaßen geheilt sei. Ich rechnete auf zwei Monate, nach deren Ablauf mir noch immer hinreichend Zeit geblieben wäre, wenigstens bis zur Mission zu gelangen und von dort aus meinen Eintritt in die Welt und in das Geschäftsleben zu bewirken.

Die Wunde heilte langsamer als ich erwartet hatte, und sehr bald entdeckte ich, daß mein Knie nicht nur geschwächt, sondern sogar steif bleiben würde. Doch was halfen mir Kummer und Klagen? Das Unglück mußte mit Geduld getragen werden.

Als eine wahre Wohltat für mich erwies sich, daß ich die Mittel besaß, die Aufzeichnung meiner Lebensgeschichte fortzusetzen. Während der langen Tage, an denen ich mein Lager kaum anders als kriechend verlassen durfte, hätte ich sonst der Verzweiflung anheimfallen müssen, obwohl Schanhatta nicht anders von meiner Seite wich, als wenn sie ausging, um einige Fische zu angeln oder süße Wurzeln, eine Art wilder Kartoffeln, zu graben und dadurch etwas Abwechslung in unsere einfache Küche zu bringen.

In demselben Grade aber, in dem mein Manuskript wuchs, besserte sich auch der Zustand meiner Wunde, und es näherte sich die Zeit, in welcher ich ersteres zum Abschluß zu bringen gedachte und gleichzeitig, wenn auch hinkend, mich nach Willkür herumzubewegen wagen durfte.

»Heute über acht Tage verlassen wir diese Stelle auf Nimmerwiedersehen«, sagte ich eines Abends in der ersten Hälfte des Oktober zu Schanhatta, nachdem ich meine Schreiberei sorgfältig zusammengepackt und mich vor die Hütte begeben hatte, um von einer etwas erhöhten Stelle aus den Sonnenuntergang zu beobachten.

»Ich wünsche, wir wären bereits fort«, entgegnete Schanhatta mit ernstem Ausdruck. »Ich habe frische Spuren dort unten am Wasser entdeckt, Spuren, die nicht von einem weißen Jäger herrühren«, fuhr sie dann nach kurzer Pause fort, zugleich nach dem Missouri hinüberdeutend, wo die Mündung unseres Flüßchens durch Binsenwaldungen und Weidengestrüpp unseren Augen entzogen wurde.

»War es nicht die Fährte eines schwarzen Bären, der während der Nacht gekommen war, um ein Bad zu nehmen?« fragte ich jetzt aufmerksamer.

»Der Bär verbirgt seine Fährte nicht, und seine Krallen drücken sich tief in das Erdreich ein«, versetzte Schanhatta, ängstlich nach der Niederung hinunterspähend; »die Fährte aber, die ich sah, stand halb unter Wasser, ein stolpernder Fuß hat seitwärts auf trockenen Boden getreten.«

»Du meinst, es sind dort unten Rothäute gewandert, die ihre Spuren zu verbergen trachteten?« fragte ich besorgter.

»Sie suchten ihre Spuren im Wasser zu verbergen, und es ist ihnen auch gelungen, bis auf den einen Abdruck.«

»Welchen Schnitt hatte der Mokasin?«

»Eine Naht lief von der Spitze der großen Zehe bis beinah unter die Mitte des Fußes hin.«

»Vielleicht Pawnees, die sich auf der Flucht vor den Dakotahs befinden?«

»Oder Blackfoot-Krieger, die nach meinem Gebieter forschen«, fügte Schanhatta mit unterdrückter Besorgnis hinzu. »Mein Gebieter hat einige ihrer besten Krieger erschlagen, sie haben Grund, sich zu rächen.«

»Blackfeet meinst du?« entgegnete ich, und gleichzeitig erinnerte ich mich, daß Blackbird mir unverhohlen seine unbesiegbare Leidenschaft für Schanhatta eingestanden hatte; »doch du irrst dich, mein Kind, wie sollten die Blackfeet hierhergelangen? Der Weg ist ihnen zu weit, ihre Schädelhäute würden Gefahr laufen, in den Rauchfang eines Ponkas zu wandern. Aber bringe mir die Büchse, wir wollen uns auf alle Fälle vorbereiten, sei indessen vorsichtig, sie ist geladen.«

Schanhatta eilte mit geräuschlosen Schritten von dannen, und ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder der Sonne zu, deren oberer Rand eben hinter einer fernen Schwellung der Prärie verschwand.

Ich war etwa zwanzig Schritt weit von der Hütte entfernt und hatte dieser den Rücken zugekehrt, als ich plötzlich einen schwarzen Streifen vor meinem Gesicht niederfallen sah und meine Arme mit unwiderstehlicher Gewalt und auf schmerzhafte Weise an meinen Körper gepreßt fühlte. Ich wurde durch einen heftigen Stoß hinten übergerissen, und bevor ich noch einen Versuch zur Befreiung meiner Glieder machen konnte, standen über mir zwei wildbemalte nackte Krieger, die mit unglaublicher Gewandtheit meine Glieder fest zusammenschnürten.

Alles dies war mit einer solchen Schnelligkeit und so geräuschlos vor sich gegangen, daß Schanhatta in der Hütte nichts davon gemerkt hatte. Erst als sie mit der Büchse in der Hand wieder ins Freie hinaustrat, sah sie zu ihrem namenlosen Entsetzen, daß ich wie ein wilder Mustang mittels eines Lassos eingefangen worden war.

Eine Sekunde etwa stand sie wie eine Bildsäule da; der sie in so hohem Grade schmückende rosige Schimmer war von ihren Wangen gewichen und ihre großen, schönen Augen stierten zu mir herüber, als ob sie durch den unerwarteten Anblick die Sehkraft verloren hätten.

»Schanhatta! fliehe!« rief ich mit erstickter Stimme aus, denn jetzt erst entdeckte ich Blackbird, meinen Todfeind, der etwas seitwärts von der Hütte auf dem Hügelabhange stand und mit grimmig höhnischem Lachen einen ringförmig zusammengelegten Lasso ums Haupt schwang, offenbar um Schanhatta in gleicher Weise wie mich zu fangen.

Der Ton meiner Stimme schien das treue Mädchen wieder zum Bewußtsein zu wecken. Einen gellenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei ausstoßend, stürzte sie mit der Gewandtheit einer Tigerin auf mich zu, und gleichzeitig schlug der nach ihr geschleuderte Lasso, da ihre Bewegung nicht vorhergesehen worden war, harmlos hinter ihr auf die Erde. Eh' Blackbird dann die Leine zum neuen Wurf eingeholt und zusammengerollt hatte, befand sie sich dicht vor mir. Den Mechanismus der Feuerwaffe kannte sie, ohne im Gebrauch derselben geübt zu sein, doch bedurfte sie in diesem Falle keiner großen Fertigkeit der Hand und Sicherheit des Auges. Sie spannte den Hahn, hielt die Mündung dem Indianer, der mir eben die Hände auf der Brust mit schmerzhaft einschneidenden Riemen kreuzweise zusammenfesselte, vor den Kopf, und im nächsten Augenblick schnellte er mit zerschmettertem Schädel empor, um als Leiche schwer neben mich auf die Erde hinzusinken.

Die Büchse entfiel darauf Schanhattas Händen und mit wildflatterndem Haar warf sie sich über mich hin, um den für mich bestimmten Todesstreich in Empfang zu nehmen.

Der zweite Indianer, der meine Füße zusammenschnürte, war nämlich, als er seinen Gefährten stürzen sah, einen Schritt zurückgesprungen, hatte sein Kriegsbeil aus dem Gurt gerissen und mit gellendem Wutgeheul, Schanhatta bei ihren langen Locken ergreifend, mit der rechten Hand den scharfen Tomahawk zum tödlichen Hiebe ausholend, ums Haupt geschwungen.

Doch der Schlag fiel nicht, Blackbird, der wilde Häuptling, hielt den Arm seines Gefährten und zwang ihn, fernere blutige Absichten auf Schanhatta aufzugeben. Dann riß er das halb ohnmächtige Mädchen empor und einen Fuß auf meine Brust stellend, rief er mir in der Siouxsprache zu, daß die Mandanen-Waise nunmehr sein Eigentum sei, ohne daß er auch nur einen elenden Lasso dafür hatte hingeben zu brauchen.

Schanhatta wurden darauf ebenfalls die Hände gebunden, doch gestattete man ihr im übrigen volle Freiheit. Man begriff, daß sie nicht von meiner Seite weichen würde. Diesem Umstände war es auch allein zu verdanken, daß man mich nicht tötete.

Als Blackbird sich nämlich in meiner Nähe in der Mitte von nicht weniger als acht Kriegern vor einem kleinen, hellflackernden Feuer niedergelassen hatte und man darüber beriet, wie zunächst mit mir zu verfahren sei, glaubte ich zu verstehen, daß die meisten für meinen augenblicklichen Tod stimmten, Blackbird dagegen auf seinem Willen beharrte, mich mit nach ihrem Dorf zu schleppen und dort ihre ältesten Krieger gemeinschaftlich mit den hervorragendsten und weisesten Medizinmännern über mein Los entscheiden zu lassen.

»Und die Mandanen-Squaw! Will der Häuptling sie für sich behalten? Was haben seine jungen Krieger dafür, daß sie ihn auf dem weiten Wege begleiteten?« fragte ein grimmig dareinschauender Blackfoot, indem er sich mit der Faust dröhnend auf die Brust schlug.

»Blackbirds Wigwam steht leer,« antwortete der Häuptling, meine jungen Leute mögen sich schadlos halten an dem bleichen Jäger und ihn nach ihrer Ankunft im heimatlichen Dorf zur Zielscheibe für ihre Kugeln und Pfeile machen.«

»Der bleiche Jäger gehört den Knaben der Blackfeet,« versetzte der junge Krieger erbittert, denn auch auf ihn schien Schanhatta einen tiefen Eindruck ausgeübt und alle seine wilden Leidenschaften entflammt zu haben, »sie mögen ihre stumpfen Pfeile an seiner weißen Haut versuchen; er ist keine Zielscheibe für Männer. Aber das Mädchen gehört uns allen; es soll der weise Zauberer der Blackfeet sagen, in wessen Wigwam die Mandanen-Squaw einziehe. Nur einer kann sie besitzen, aber dieser eine soll jedem, der sich an dem Unternehmen beteiligte, ein Pferd zahlen; ich habe gesprochen!«

Dieses entschiedene Auftreten des jungen Kriegers verdroß den Häuptling noch mehr; aber er erklärte sich mit den geäußerten Ansichten einverstanden und wiederholte, daß er sich dem Ausspruch des Medizinmannes willig unterwerfe.

Nachdem dieses Übereinkommen getroffen war, erhob sich die unheimliche Gesellschaft. Zwei derselben setzten sich als Wachen in meiner und Schanhattas Nähe nieder, worauf die andern ans Werk schritten, die Hütte auszuräumen und meine geringen Habseligkeiten zur Verteilung an das Feuer zu bringen. Über die Decken, Munition, Waffen und einen kleinen Vorrat von kostbarem Pelzwerk verständigte man sich schnell; der eine erklärte sich mit diesem, der andere mit jenem zufrieden und niemand wandte etwas dagegen ein, als Blackbird, weil er durch meine Schuld seinen Karabiner eingebüßt habe, meine Büchse für sich beanspruchte.

Eine längere Verhandlung knüpfte sich indessen an die Frage, wem das Manuskript zuerkannt werden solle. Jeder wünschte es zu besitzen, indem sie das sogenannte »sprechende Papier« für ein überaus wirksames Zaubermittel hielten, dem im allgemeinen die großen Erfolge der fremden weißen Eindringlinge zugeschrieben werden müßten.

Während dieser ganzen Zeit hatte man weder mich noch Schanhatta eines Blickes gewürdigt. Ich lag auf dem Rücken; mein Füße, lang ausgestreckt, waren dicht über den Knöcheln so fest zusammengeschnürt worden, daß mir das Blut auf höchst schmerzhafte Weise zu stocken begann und namentlich meine kaum geschlossene Wunde mir viel Qual verursachte. Weniger unbequem und straff schlangen sich die Fesseln um meine Arme, da der Indianer in dem Augenblick, in dem er den Knoten fester anzog, von Schanhatta niedergeschossen wurde. Indem aber die Riemen mir nicht nur die Oberarme an den Körper preßten, sondern jede .Hand auch noch besonders unter dem gegenüberliegenden Ellenbogen festgebunden war, fühlte ich mich dennoch unfähig, mich ohne fremde Hilfe zu rühren oder aufzurichten.

Schanhatta, ihre zusammengebundenen Hände über den Knien gefaltet, kauerte zwei Schritte weit von mir regungslos auf der Erde. Der Schein des Feuers beleuchtete den oberen Teil ihrer Gestalt, so daß mir nur ihr Haupt und ihre Schultern sichtbar waren.

Was sie dachte und fühlte, ließ sich aus ihren gleichsam versteinerten Zügen nicht entziffern; weder ein Seufzer noch ein Klageton schwellte ihre Brust. Aber wenn sie zeitweise ihre tränenleeren Augen auf mich richtete, und diese gleich darauf, ohne daß sie ihr Haupt bewegt hätte, im Kreise herumblitzten und spähten, dann fühlte ich, daß sie einzig und allein darauf bedacht war, ein Mittel zu meiner Befreiung zu ersinnen.

Zwei Stunden etwa waren in dieser Weise dahingeschlichen. Außer den beiden Wachen hatten sich die Indianer um das Feuer hingestreckt, um so den Morgen zu erwarten, als der Schmerz an meinen Füßen, trotzdem ich die Zähne fest zusammenbiß, mir einen Klagelaut auspreßte.

Die Blackfeet hörten nicht darauf; sie betrachteten mich so gefühllos, wie etwa der Schlächter sein Opfer, das er, unbekümmert darum, ob es in seinen letzten Lebensstunden noch Schmerzen empfinde, in unnatürlicher Lage zusammengekrümmt und gefesselt ins Schlachthaus trägt. Schanhatta dagegen sprang empor, und dicht zu mir herantretend, fragte sie mit halblauter Stimme, ob ich irgend etwas wünsche.

»Wasser gib mir, mein Kind, nur einen Trunk Wasser«, antwortete ich mit schwerer Zunge.

Ohne die verwunderten Blicke der Wächter zu beachten, begab sie sich nach der Hütte, und gleich darauf erschien sie wieder, eine mit Wasser gefüllte Kürbisflasche in ihren gebundenen Händen vor sich tragend.

Mit sichern, fast trotzigen Bewegungen kniete sie an meiner Seite nieder, und indem sie ihr Haupt über mich hinneigte, daß ihre langen, leicht gelockten Haare wie ein dichter Schleier mein Gesicht von allen Seiten umwallten, führte sie den Hals der ausgehöhlten Frucht behutsam an meine Lippen.

»Sei stark, mein Gebieter«, flüsterte sie so leise, daß die Töne nicht über den von ihren prachtvollen Haaren gebildeten Schleier hinausdrangen; »Schanhatta wacht für ihren Herrn; sie sinnt darüber nach, wie sie ihn befreie. Wenn sie meinen Wohltäter ermorden, so wird er nicht allein sterben; ich besitze Mittel, jederzeit zu sterben; stirbt mein Gebieter, so fehlt Schanhatta die Luft zum Atmen. Ohne meinen Herrn kann ich nicht weiterleben.«

Die letzten Worte hauchte sie, von Schmerzen überwältigt, kaum verständlich über mich hin. Dann aber richtete sie sich mit sicheren und entschiedenen Bewegungen empor, und unbekümmert um die argwöhnischen Blicke, die von allen Seiten auf sie gerichtet waren, fragte sie wiederum laut, ob sie mir irgendwie Erleichterung verschaffen könne.

»Laß nur, mein Kind«, tröstete ich, von Schmerz fast übermannt, »man wird dir nicht gestatten, mir zu helfen, im Gegenteil sich noch an meinen Qualen weiden.«

»Was ist es, das meinen Gebieter so quält, daß seine Augen sich röten?« fragte das treue Mädchen dringender.

»Die Banden an meinen Füßen, die Wunde an meinem Knie«, antwortete ich, um ihrem ausgesprochenen Verlangen zu genügen.

Ein Blitz des Verständnisses flog über ihr gutes Antlitz; etwa eine Minute blickte sie mich zweifelnd an, worauf sie geraden Wegs zu Blackbird hinschritt, der sie bei ihrer Annäherung wohl überrascht anstarrte, sich aber nicht aus seiner bequemen Lage rührte.

»Seit wann ist es Sitte, daß die Blackfeet ihren Gefangenen die Glieder töten?« fragte sie, indem sie den Häuptling verächtlich mit dem Fuß anstieß.

Blackbird, entrüstet über die ihm von einem gefangenen Mädchen zuteil gewordene schmachvolle Behandlung, schnellte wie ein Blitz empor, die Hand an den Griff seines Messers legend und Schanhatta mit glühenden Augen anschauend. Allein er wagte nicht, sich an ihr zu vergreifen, so groß war der Einfluß, den sie auf ihn ausübte.

Ich selbst war über das, was ich sah, nicht weniger erstaunt als die Blackfeet. Das seltsame Mädchen hatte wohl hinlänglich Beweise von Unerschrockenheit abgelegt, so aber, wie sie sich in diesem Augenblick zeigte, hatte ich Schanhatta noch nie gesehen.

Die Blackfeet würden, wenn eine weiße Frau in solcher Weise vor sie hingetreten wäre, diese verhöhnt haben; aber daß ein junges Mädchen von ihrer eigenen Farbe es wagte, wie eine Gebieterin zu ihnen zu sprechen, sie ihre geistige Überlegenheit in so verletzender Weise fühlen zu lassen, das war mehr, als sie zu begreifen vermochten. Und dennoch befand sich keiner unter ihnen, der die Neigung verspürt hätte, sich an der schwachen Waise zu rächen; so viel schwerer wog in diesem Augenblick Schanhattas moralischer Mut als die physischen Kräfte und die wilde Grausamkeit ihrer Feinde.

Längere Zeit dauerte es, bis der verwirrte und erbitterte Häuptling zu verstehen schien, was Schanhatta gesprochen hatte. Endlich aber ließ er die Hand langsam von seinem Messer niedergleiten, und sich stolz emporrichtend, maß er das unerschrockene Mädchen mit einem drohenden Blick.

»Der weiße Jäger ist ein Mann,« hob er ausdrucksvoll an, »er ist ein Krieger, denn seine Büchse raubte zwei mutigen Blackfeet das Leben. Ein Krieger aber weiß Schmerz zu ertragen; es beleidigt ihn, wenn man seine Schmerzen entfernt. Will die junge Mandanen-Squaw von ihren Banden befreit sein, so braucht sie es nur zu sagen; mein Messer wird ihr den Gebrauch ihrer Hände wiedergeben.«

»Lasse der Blackfoot-Häuptling meine Hände gebunden,« entgegnete Schanhatta mit Hoheit, »meine Hände sind gefährlich, denn schon einem seiner Krieger raubten sie das Leben; sie möchten noch andern den Weg nach den glückseligen Jagdgefilden zeigen. Aber gehe der Häuptling hin und löse er die Fesseln von den Füßen des weißen Jägers, oder das Dorf der Blackfeet wird nie den Anblick der Mandanen-Waise erhalten. Oder fürchtet der mutige Häuptling, daß der weiße Jäger mit dem verwundeten Knie schneller sei als seine jungen Leute; oder daß er ohne Waffen stärker sei als so viele Blackfoot-Krieger, wie ich Finger an den Händen zähle?«

»Ein Blackfoot-Häuptling braucht zehn weiße Jäger nicht zu fürchten,« versetzte Blackbird prahlerisch, nur noch mit Mühe seinen Unmut verbergend, »aber meine Tochter hat recht, die Reise nach dem Dorf der Blackfeet ist weit, und der weiße Jäger muß gesunde Füße haben, soll er den Ort erreichen, wo die Knaben ungeduldig darauf harren, ihre stumpfen Pfeile in sein zuckendes Fleisch zu treiben. Er bedarf seiner ganzen Kraft, um meinen jungen Leuten zu zeigen, wie ein mutiger Krieger stirbt; die Knaben der Blackfeet sollen von ihm lernen Schmerz ertragen, und die alten Krieger und die weisen Medizinmänner werden den Knaben Martern lehren, bei denen ein schwachherziger Krieger wie ein unbeholfenes Kind klagen würde.«

Indem der Häuptling dies langsam und mit besonderem Nachdruck aussprach, und seine Krieger ihm durch Zeichen und einzelne halbunterdrückte Laute beistimmten, wendete er sich mir zu.

Es war ersichtlich, er suchte sich durch derartige Drohungen an mir dafür zu rächen, daß Schanhatta ihn wie einen Untergebenen behandelte, ohne daß er vermocht hätte, den Zauber, den sie auf ihn ausübte, abzuschütteln. Doch seine Absicht, meinen Mut zu brechen, gelang ihm nur unvollkommen. Ich bezweifelte zwar nicht, daß die anwesenden Blackfeet wirklich den besten Willen hegten, mir zu gelegener Zeit einen qualvollen Tod zu bereiten, doch hatte sich in mir die feste Überzeugung gebildet, daß ich dem mir drohenden Geschick dennoch entrinnen würde, und zwar durch Schanhattas unausgesetzte Wachsamkeit und ihr schnelles Handeln im entscheidenden Augenblick. Bewies sie doch schon in der nächsten Minute, daß sie mit kluger Berechnung ihren Einfluß zu benutzen und zu meinem Besten auszubeuten wußte.

Als nämlich Blackbird geendigt, trat sie einen Schritt zurück, wie um ihm den Weg zu mir freizumachen.

»Was zaudert der Häuptling der Blackfeet?« hob sie an, mit ihren gefesselten Händen auf mich hinweisend. »Dort liegt der bleiche Jäger; die dünnen Riemen schneiden ihm tief ins Fleisch, und die Wunde, die eine Kugel ihm riß, wird wieder zu bluten beginnen. Was zaudert der Häuptling, seine prahlenden Worte auszuführen? Ist sein Messer vielleicht stumpf, oder muß der Häuptling seine jungen Leute fragen, ob sie ihm gestatten, des fremden Mannes Fesseln zu zerschneiden?«

»Blackbird ist ein großer Häuptling. Wenn er spricht, dann haben seine jungen Leute ihre Ohren zu öffnen«, versetzte der wilde Krieger schnell, der sicherste Beweis, daß Schanhattas mit Überlegung gewählten Worte seinen Ehrgeiz wachgerufen hatten. »Blackbird ist ein Häuptling,« wiederholte dieser, das Messer aus seinem Gurt ziehend und mit wegwerfender Gebärde die Schneide prüfend, »nicht vergebens trägt er die weiße Locke auf seinem Haupt; sie erinnert ihn daran, daß er bereits ein Mann war, als er die Winter eines Jünglings zählte und schon damals nicht auf die Worte von Weibern zu hören brauchte. Die Mandanen-Tochter hat lange mit dem bleichen Jäger verkehrt; viel Weisheit ist in ihren Kopf gedrungen, sie hat aber vergessen, daß sie ein Weib ist; sie hat verlernt, ihre Zunge zu mäßigen. Doch was frage ich nach dem Urteil von Weibern?« unterbrach sich der Häuptling hier, seine Blicke von den ihn bezaubernden Augen Schanhattas abwendend, »schon zu lange würdigte ich die fremde Squaw meiner Aufmerksamkeit; ich handle, wie es mir gefällt«, und so sprechend schritt er gerade auf mich zu, und nachdem er mit raschem Schnitt die Fesseln von meinen Füßen entfernt hatte, begab er sich mit gleichgültiger Miene ans Feuer zurück, wo er sich auf seine alte Stelle niederwarf.

Nachdem Schanhatta ihren Willen durchgesetzt hatte, schlich sie wieder davon. Niemand wehrte ihr, sich neben mich hinzusetzen; niemand verbot ihr, daß sie eine leise Melodie anstimmte, und niemand verstand sie, als sie hin und wieder einige Trostesworte in ihren melancholischen Gesang verflocht, die ebensowohl von ihrer treuen Anhänglichkeit als von ihrem namenlosen Schmerz über meine Gefangenschaft zeugten.

 


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